Biotechnologie am Computer

Siemens hat ein „Living Lab für die Digitalisierung von Bioprozessen“. Es dient dazu, einschlägige Produktionsverfahren technisch und kommerziell zu optimieren - nicht zuletzt in der Chemie-, Pharma- und Lebensmittelindustrie.

Foto: Siemens
Verfahrensoptimierung im Living Lab: Siemens-Chef Wolfgang Hesoun, Bernhard Kienlein, Leiter der Division Process Industries and Drives und Harald Loos, Leiter der Forschungseinheit Corporate Technology (v. l.)

 

Ein sogenanntes „Living Lab für die Digitalisierung von Bioprozessen“ hat Siemens in Wien eingerichtet. Versucht wird darin, das Wachstum von Hefezellen digital möglichst exakt abzubilden. Dieser Vorgang dient als Modell dafür, andere Bioprozesse in digitaler Form zu reproduzieren, um sie simulieren und in weiterer Folge optimieren zu können. So soll ihre Produktivität gesteigert werden, erläuterte Bernhard Kienlein, der Leiter der Division Process Industries and Drives von Siemens in Österreich. Sein Unternehmen bietet die Leistungen des laut Siemens europaweit einzigartigen Living Lab nicht zuletzt Kunden aus der Chemieindustrie, der Pharmabranche und der Lebensmittelindustrie an. Einer davon ist die Salzburger Bierbrauerei Stiegl, berichete Kienlein. Mit den Kunden gemeinsam werden „digitale Zwillinge“ realer Produktionsverfahren entwickelt. So ist es mit vergleichsweise geringen Kosten möglich, die Verfahren zu verbessern und Mehrwert zu generieren. „Co-creation of value“, gemeinsame Wertschöpfung, wird dies laut Kienlein neuerdings genannt. Und die Einsatzmöglichheiten sind seinen Angaben zufolge so gut wie unbegrenzt: „Das reicht von der Lebensmittelherstellung bis zur Abwasserentsorgung.“ Entsprechend groß sei das Interesse: „Wir haben laufend Kunden da.“

 

Technisch funktioniert die Sache so: Mit einer Vielzahl von Sensoren wird das Wachstum von Hefezellen in einem Bioreaktor weitestgehend lückenlos überwacht. Auf Basis mehrerer hundert Parameter entwickelt Siemens Algorithmen und statistische Modelle, mit denen sich der Wachstumsprozess nachbilden lässt. So ist es möglich, die Parameter auf einen einzigen zu „verdichten“ und diesen über den gesamten realen Produktionsprozess hinweg zu überwachen. Bei Abweichungen von der Norm lässt sich jederzeit eingreifen. Dieses kontinuierliche Prozessmanagement ermöglicht, die ungewollte Herstellung fehlerhafter Chargen zu vermeiden und wirtschaftliche Verluste zu verhindern.

 

Etwa fünf Millionen Euro investierte Siemens in das Living Lab, teilte Unternehmenschef Wolfgang Hesoun dem Chemiereport mit. Er plädierte bei der Präsentation des Lab am 20. November „für die Digitalisierung in Europa. Bei der industriellen Produktion hinken wir der übrigen Welt nämlich nicht hinterdrein, sondern sind in fast allen Sektoren viele Jahre voraus. Die Zukunft Österreichs und der EU als Industriestandort hängt an der Digitalisierung“. Diese bedeute aber keineswegs, „dass wir jetzt sämtliche Arbeitsplätze wegrationalisieren“, betonte Hesoun. Den „großen Einschnitt“ habe es es seinerzeit mit der Prozessautomatisierung ohnehin bereits gegeben: „Das ist weitgehend erledigt.“ Die Digitalisierung diene dem Sichern von Standorten und gefährde diese keineswegs.