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Chemiereport_2016-4

62 AustrianLifeSciences chemiereport.at 2016.6 WISSENSCHAFT & FORSCHUNG fristige Vision aussieht, wie die Industrie in Österreich 2050 aussehen soll. Ferner würde ich entgegnen: Ressourceneffizienz ist nicht nur eine Kostenbelastung, sondern auch eine riesige Chance für die Industrie. Weniger Energie und weniger Material zu verbrauchen, heißt auch, Kosten zu sparen, günstiger anbie- ten zu können und Wettbewerbsvorteile zu haben. Diese Art der Wettbewerbsfähigkeit wird immer wichtiger werden. Die Indus- trien werden sich bewegen müssen. CR: Sie kommen in der Studie auch auf den „Material Foot- print“ zu sprechen und verlauten, dass dieser sich auf 20 Ton- nen pro Kopf und Jahr in Europa sowie 25 Tonnen in den USA belaufe. Was wäre im Sinne einer „nachhaltigen“ Entwicklung zulässig? Ersten wissenschaftlichen Arbeiten zufolge liegt die Bandbreite bei etwa sechs bis acht Tonnen pro Kopf und Jahr, also deutlich unter dem derzeitigen Niveau. Das ist sicher sehr ambitioniert. Andererseits lebt eine Milli- arde Menschen nach wie vor in absoluter Armut. Diese Per- sonen haben heute einen Ver- brauch von etwa ein bis zwei Tonnen pro Jahr. Dabei wird es nicht bleiben können. Des- halb ist unsere Empfehlung, dass die industrialisierten Staaten voranschreiten und Ländern wie China zeigen, wie es möglich ist, ein Wirtschaftssystem und einen Lebensstil zu etab- lieren, der mit weit weniger Ressourcen auskommt. Denn China ist derzeit genau auf demselben Weg, auf dem wir vor einigen Jahrzehnten waren. So lange wir kein Alternativmodell haben, haben wir kein Recht, darüber zu debattieren, ob Chinesen Autos und Kühlschränke besitzen dürfen. Natürlich dürfen sie das. Wir müssen vorangehen und zeigen, wie eine Alternative aussehen kann. CR: Wie ist derlei politisch umsetzbar? Schon jetzt schreien Populisten, die bösen „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus den Ent- wicklungsländern beuten die armen Österreicher aus. Viele Studien zeigen, dass das Einkommen vom Wohlbefinden der Menschen deutlich entkoppelt ist. EUROSTAT hat Untersu- chungen gemacht, die zeigen, die Wirtschaft ist in Europa in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen, die Lebens- zufriedenheit der Bürger ist jedoch mehr oder weniger gleich geblieben. Viele Menschen empfinden die Art, wie die Wirtschaft organisiert ist, als sehr herausfordernd und stressig. Burn-out - Phänomene nehmen zu. Die Frage der Verteilung der Arbeit ist ganz zentral. Wer Arbeit hat, ist oft überfordert. Daneben gibt es eine wachsende Zahl von Personen, die keine Arbeit finden. Es ist eine Gratwanderung, diese Themen in die Diskussion einzu- bringen. Notwendig wäre eine positive Vision, um den Menschen näherzubringen, eine ressourceneffiziente Lebensweise heißt keineswegs, in Armut leben zu müssen. CR: Die Europäische Union geht nicht nur in Richtung ver- stärkter Ressourceneffizienz, sondern auch in Richtung Res- sourcensicherung, etwa durch Economic Partnership Agree- ments (EPAs) mit Entwicklungsländern. Kritikern zufolge verschärfen diese die Armut und die Konflikte in den betroffe- nen Ländern. Wie beurteilen Sie die EPAs? Die Kritik ist berechtigt. In erster Linie geht es um die Sicherung der Rohstoffe für Europa. Viel zu wenig wird über soziale und ökologische Kriterien gesprochen, über den entwicklungspoliti- schen Beitrag der EU und darüber, wie wir Rohstoffverarbeitung so organisieren können, dass die Länder, aus denen wir Roh- stoffe beziehen, auch etwas davon haben. CR: Die klassische Frage: Gibt es Wohlstand ohne Wirt- schaftswachstum? Ja. In einem Land wie Österreich hat es kaum Sinn, das BIP noch einmal zu verdoppeln. Wenn der vorhandene Reichtum so ver- teilt wird, dass breitere Kreise der Bevölkerung profitieren, kön- nen wir auf einem durchaus ausreichenden materiellen Wohl- standsniveau leben. Es muss Wirtschaftswachstum geben für Länder wie Bangladesch und Kamerun, die in Armut leben. Aber die Debatte über Wohlstand ohne Wachstum ist legitim, auch wenn sie an die Grundfesten des Wirtschaftssystems geht und derzeit noch niemand fertige Rezepte hat. CR: Wie sinnvoll sind Footprint-Konzepte? Niemand weiß genau, wie viele Menschen auf der Erde leben. Außerdem ändert sich der Stand von einer Minute zur anderen, und damit ändert sich auch der Footprint. Die Datenqualität wird immer besser. Wir wissen sehr genau, wie viel Energie in welchem Land in welchem Sektor ein- gesetzt wird, wo welche Roh- stoffe extrahiert werden, bis zu Themen wie Wasserver- brauch, Flächenverbrauch, CO2 -Emissionen. Das erlaubt, Footprint-Indikatoren zu berechnen. Unsicherheiten sind unvermeidbar, aber die Größenordnungen und die Trends stimmen. Bevölkerungsstatistiken sind seit Jahrzehnten gut eta- bliert. Und ob man sich um 1.000 Personen irrt, ist für die Ent- wicklungen letztlich unerheblich. Mit der Datenbasis, die wir für den Bericht geschaffen haben, ist es erstmals möglich, diese Trends global zu beleuchten. CR: Läuft das Operieren mit solchen Konzepten nicht auf die Forderung nach einer Art globalen Planungsbehörde nach Art der sowjetischen Gosplan hinaus, die „jedem das Seine“ zumisst? Sie verweisen in dem Bericht auf die „umfassende Datenbank für die weltweiten Materialströme“, die es den Staaten erlaubt, ihre Fortschritte auf dem Weg zu mehr Res- sourceneffizienz zu überwachen. Die Frage, was man mit den Daten macht, ist sehr wichtig. Ein Extrem ist zweifellos die Ökodiktatur. In China gibt es enorme ökologische Fortschritte. Aber wie diese zustande kommen, steht auf einem anderen Blatt. Ich würde einen demokratischen Weg jedenfalls bevorzugen. Und dieser ist auch möglich. Interview: Klaus Fischer Die 200-seitige Studie „Global material flows and resource pro- ductivity“ sowie eine 44-seitige „Summary for Policy Makers“ wurden von folgendem Autorenteam verfasst: Heinz Schandl, Marina Fischer-Kowalski, James West, Stefan Giljum, Monika Dittrich, Nina Eisenmenger, Arne Geschke, Mirko Lieber, Hanspe- ter Wieland, Anke Schaffartzik, Fridolin Krausmann, Sylvia Gier- linger, Karin Hosking, Manfred Lenzen, Hiroki Tanikawa, Alessio Miatto und Tomer Fishman. Beide Dokumente stehen auf der Website www.unep.org/resourcepanel/publications zum kostenlosen Download zur Verfügung. Studie „Wir müssen die Re-Industrialisierung Europas in einen größeren Kontext stellen.“

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