DIGITALISIERUNG MÄRKTE & MANAGEMENT chemiereport.at AustrianLifeSciences 2019.1 17 Im Grunde ist das, was Pöchlauer beschreibt, die aus der Stückgutfertigung stammende Vision von „Industrie 4.0“, übertragen auf die Prozessindustrie: An la- genkomponenten kommunizieren unterei- nander und mit einer übergeordneten Ins- tanz, wo alle Daten zusammenlaufen. Im Idealfall entsteht auf diese Weise ein voll- „Es geht darum, mit weniger Aufwand mehr zu bekommen.“ Christian Paulik, JKU Linz ständiges Modell des tatsächlichen Produk- tionsgeschehens, ein sogenannter digita- len Zwilling, der in Echtzeit mit der realen Fabrik in Kontakt steht. „Es geht letztlich darum, mit weniger Aufwand mehr zu bekommen, weil man die Daten, die man hat, dazu nutzt, die Prozesse zu verstehen“, erklärt Christian Paulik, Professor für Che- mische Technologie Organischer Stoffe an der Johannes-Kepler-Universität Linz, der als wissenschaftlicher Leiter des neuen Kompetenzzentrums fungiert. Erfahrungen aus zwei K-Projekten Dabei kann „CHASE“ schon auf Erfah- rungen aufbauen, die im Zuge der K-Pro- jekte „PAC“ und „Impacts“ erarbeitet wurden. Robert Holzer, der den oberös- terreichischen Forschungsdienstleister RECENDT als Konsortialführer in beiden Projekten vertrat, erzählt von der lang- fristigen Entwicklung, die man dabei genommen hat: „PAC beschäftigte sich mit Prozessanalytik. Hier ging es darum, die damals noch jungen Technologien der Inline-Analytik in die Industrie zu K-Projekt PSSP bringen. Im Projekt Impacts sind wir von der Messung zur Modellierung weiterge- schritten, um mithilfe der analytischen Daten ein Verständnis der industriellen Prozesse zu gewinnen.“ Doch nun ist man an einer Weggabe- lung angelangt: Diejenigen Unterneh- men, die weiterführende messtechnische Fragestellungen haben, haben sich mit einigen Forschungspartnern zu einem weiteren K-Projekt mit dem Namen PSSP (Photonic Sensing for Smarter Proces- ses) zusammengeschlossen. Diejenigen Partner hingegen, die noch stärker in die Breite gehen wollten, beteiligten sich am K1-Zentrum CHASE. Im Rahmen von PSSP konzentriert man sich auf chemische und physikalische Charakterisierung sowie Defekt-Detektion mithilfe von photoni- schen Verfahren wie IR- und Raman-Spek- troskopie, laserbasierte Ultraschallme- thoden, Terahertz-Spektroskopie oder Röntgenbeugung. CHASE hat sich dem- gegenüber einen Zugang auf die Fahnen geschrieben, der sich „Chemical Systems Engineering“ nennt. „Diesen Namen haben wir generiert, um allen Aspekten, die hineinspielen und die von einem sys- temischen Zugang geprägt sind, gerecht zu werden“, so Paulik. Von industriellen Heraus- forderungen geleitet Bei der Konzeption des Zentrums hat sich das Konsortium primär von den Her- ausforderungen leiten lassen, die heute schon an die Prozessindustrie herange- tragen werden, damit sie mit zukünftigen Entwicklungen schritthalten kann: dem Einsatz nachwachsender Rohstoffe, dem Gebot der Kreislaufwirtschaft, der weit- gehenden Vermeidung von CO2-Ausstoß, der immer stärkeren digitalen Vernet- zung. Diese Herausforderungen finden sich nicht nur in der Pharmabranche, sondern ebenso in der Öl-&-Gas-, der Feinchemie- und der Kunststoffindustrie, aus denen jeweils Unternehmen für das Kompetenzzentrum gewonnen werden konnten. Beschäftigt sich mit photonischen Verfahren der Materialcharakterisierung Forschungspartner: FH OÖ Campus Wels, JKU Linz, RECENDT, Software Competence Center Hagenberg Firmenpartner: Brau Union, Borealis, E + E Elektronik, Lenzing AG, Linseis Messgeräte, Metadynea Austria, Nemak Linz, Plasser & Theurer, Qorvo, Voestalpine Stahl, Voestalpine Donawitz „CHASE ist das Größer-Denken von PAC und Impacts“, meint Christoph Herwig, Professor für Bioverfahrenstechnik an der TU Wien und einer der wissenschaft- lichen Partner des K1-Zentrums: „Metho- disch ist das allein mit Prozess analytik nicht zu machen.“ Man habe deswegen die drei Areas Prozessdigitalisierung, Prozessintensivierung und Prozesskreis- laufoptimierung definiert, in denen diese Herausforderungen abgebildet sind, wie Paulik erzählt. Im Bereich Prozessdigita- lisierung sollen die verschiedenen Appa- raturen, die heute Quellen von Daten sind, miteinander vernetzt werden, um zu einer gemeinsamen Datendrehscheibe zu kommen. „Es wird darum gehen, wie man digitale Zwillinge aufbaut und welche Methoden der modellbasierten Experi- mentalplanung dafür eingesetzt werden“, erläutert Herwig. Zum anderen sollen diese dann zur Optimierung realer Anla- gen verwendet werden und auch deren Lebenszyklus mitabbilden. Im Bereich „Prozessintensivierung“ konzentriert man sich auf die Weiterentwicklung von Analytik und Verfahrenstechnik mit dem Ziel, Qualität und Output der Produktions- prozesse zu optimieren. Und in der dritten Area geht es darum, Abfallströme wieder in die Wertschöpfungskette zu integrieren und so den Kriterien der „Circular Eco- nomy“ gerecht zu werden. „CHASE ist das Größer- Denken von PAC und Impacts.“ Christoph Herwig, TU Wien Um zwischen den realen industriel- len Anlagen und den Computermodellen eine Echtzeit-Spielwiese zur Verfügung zu haben, wird CHASE die „Industrie 4.0“-Pilotfabrik der LIT Factory im Bereich der Kunststoffverarbeitung, die derzeit in Linz aufgebaut wird, nutzen. Finan- ziell wird das K1-Zentrum neben der Förderung durch die FFG von den Bun- desländern Oberösterreich und Wien unterstützt, sowohl in Linz als auch in Wien sollen eigene Standorte von CHASE entstehen. Der Zeitplan sieht vor, nach- dem die konkreten Kooperationsverträge mit den Partnerunternehmen verhandelt sind, Anfang Juli die operative Arbeit auf- zunehmen. i n e W U T , i i z n L t ä t i s r e v n U r e p e K s e n n a h o J l : r e d l i B