66 chemiereport.at SERVICE AustrianLifeSciences 2020.1 Für Sie gelesen Die Cyanobakterien und ihre Molekülorbitale Von Georg Sachs . Die Molekularbiologie war in den vergangenen 50 Jahren außerordentlich erfolgreich darin, die Vorgänge in und um lebende Zellen durch Mechanismen zu erklären, in denen Molekül- klassen wie Proteine, Nucleinsäuren oder Koh- lenhydrate die entscheidende Rolle spielen. Doch bis herauf in unsere Tage, ins Zeitalter der Genomik, Transkriptomik und Proteomik, sind die Aussagen in den allermeisten Fäl- len qualitativer und nicht quantitativer Natur: Gensequenz x ist in Organismus y vorhanden, wird unter den Umständen a, b und c expri- miert und sorgt dadurch für die Funktion z. Im Prinzip gehen alle davon aus, dass dahin- ter physikalisch beschreibbare Vorgänge auf molekularer Ebene liegen – doch diese Beschreibung selbst wird nur selten geliefert. Zuständig dafür ist ein Fachgebiet, das man „Theoretische Molekulare Biophysik“ nennen könnte und in der zweiten Auflage des (eng- lischsprachig) gleichnamigen Buchs von Phil- ipp Scherer und Sighart Fischer vor den Augen der Leser ausgebreitet wird. Die Autoren, die am Physik-Department der TU München beschäftigt sind, konzentrieren sich dabei auf Basiskonzepte der in den vergangenen Jahr- zehnten üppig gewachsenen „Soft Matter Phy- sics“ – entropische Kräfte, Phasenseparation, Kooperativität, Elementarprozesse wie Elekt- ronen- und Protonentransfer – und wenden sie auf biologische Fragestellungen an. Ihren Werkzeugkasten haben sie aus der statisti- schen Physik, der Kontinuumsmechanik, der Quantenmechanik und der Elektrostatik – und mit Werkzeugen wie diesen lassen sich Aus- sagen auch durchgängig quantitativ halten. Biologie, im molekülphysi ka- lischen Detail betrachtet So wird beispielsweise die Nichtgleich- gewichts-Thermodynamik (die „Flüsse“, also konjugierten Doppelbindungssystemen, wie sie in Chlorophyllen und Carotinoiden vorlie- gen, die wichtige biomolekulare Lichtrezepto- ren sind. Die erarbeitete Molekülorbitalstruk- tur, etwa des Porphyrinrings in Chlorophyllen, wird im zweiten Schritt dazu herangezogen, Energietransferprozesse durch Lichtanregung verständlich zu machen. Ein eigenes Kapi- tel ist der quantitativen Beschreibung der kohärenten Anregung im photosyntheti- schen Reaktionszentrum von Cyanobakterien gewidmet – in gutes Beispiel dafür, wie weit ins Detail eine physikalische Beschreibung zentraler biologischer Prozesse heute schon gehen kann. An anderen Stellen des Buchs vermisst man hingegen die Anwendung auf konkrete Fragestellungen aus dem Reich der Lebewe- sen etwas. Man wüsste gerne, wie die Flory- Huggins-Theorie für Polymerlösungen auf die Stabilität von Proteinlösungen angewandt werden kann oder welche Ansätze es dafür gibt, die im Detail ausgeführte Debye-Hückel- Theorie für gelöste Ionen auf die Behand- lung der Proteinkonformation in Lösung zu beziehen. Es bleibt auch offen, auf welche biologischen Fragen die Beschreibung der Brownschen Molekularbewegung mithilfe der Fokker-Planck-Gleichung bezogen wer- den kann. In diesen Teilen liefern Scherer und Fischer zwar eine solide Einführung in Modelle und mathematische Instrumente zu deren Behandlung, für die Anwendung auf konkrete molekularbiologisch motivierte Fragestellun- gen bleibt man aber auf die eigene Literatur- recherche angewiesen. Eine solche würde, um nur ein Beispiel zu nennen, für die Anwen- dung der Debye-Hückel-Theorie auf das heiß umforschte Problem der Proteinfaltung reich- haltiges Material liefern, und es ist schade, dass die Autoren nicht mehr davon in ihrem Buch anführen. Philipp O. J. Scherer, Sighart F. Fischer: Theoretical Molecular Biology. 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin – Heidelberg, 2017. zeitliche Veränderungen von Größen) auf ein- fache Modelle angewandt, die die Diffusion von Molekülen im elektrischen Feld (was die Nernst-Planck-Gleichung liefert) oder das Membranpotential einer Nervenzelle (Gold- man-Hodgkin-Katz-Modell) beschreiben. Der Kooperativität von Ionenkanälen in der Zellmembran nähern sich die Autoren mit Modellen, wie sie auch zur Beschreibung der Allosterie von Proteinen gebräuchlich sind. Detailliert sind auch die Ausführungen zur quantenmechanischen Beschreibung von Offenlegung nach § 25 Mediengesetz Medieninhaber, Verleger, Herausgeber: Josef Brodacz, Rathausplatz 4, 2351 Wiener Neudorf, Tel.: +43 (0) 699 196 736 31, Blattlinie: Chemiereport.at versteht sich als unabhängige Plattform für die gesamte Chemie- und Lifescience-Branche Österreichs. 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