Organisationsstruktur aus agilen Teams Freudenthaler hat im September die Inbetriebnahmeleitung für das LSCC übernommen und für diese Zeit seine bisherige Funktion als Leiter des Engineering-Teams des österreichischen Standorts abgegeben. Die Doppelspitze in der Inbetriebnahme- Verantwortung, die man in frühen Phasen des Projekts etabliert hatte, um die zukünftige Betreibermannschaft von Anfang an in den Prozess einzubinden, wurde für die nun anstehenden Auf- gaben aufgelöst. Die bisherigen Verantwortlichen, Johannes Salz- brunn und Dietmar Reitberger, haben aber auch in der neuen Organisationsstruktur wichtige Aufgaben inne: „Salzbrunn hat ja von Anfang an das Team der künftigen Betreiber der Down- stream-Anlage geleitet. Die damit verbundenen Aufgaben wurden immer mehr und machten eine Konzentration der Kapazitäten er- forderlich“, erklärt Freudenthaler. Reitberger, der Geschäftsfüh- rer des auf Projektmanagement im Pharmaanlagenbau speziali- sierten Unternehmens Cenguru ist, hat als externer Mitarbeiter im LSCC-Team federführend den Gesamtinbetriebnahmeplan er- stellt und achtet nun auf dessen Umsetzung. Da gleichzeitig mit den Upstream- und Downstream-Anlagen auch das Prozessleitsystem und das darauf aufgesetzte „Manufac- turing Execution System“ (MES) abgenommen wird, muss dabei in hohem Grade vernetzt gearbeitet werden. Für alle Teilaufgaben wurden Teams gebildet, in denen vier Rollen vertreten sind: ein Vertreter der zukünftigen Betreiber der Anlage, einer von den Fir- men, die den betreffenden Teil geplant und ausgeführt haben, ei- 80-Liter-Fer- menter der Up- stream-Anlage, deren Inbetrieb- nahme bereits im Gange ist. ner, der das Automatisierungskonzept erstellt hat, und einer, der diesen Teil der Automatisierung realisiert hat. „Wir setzen bei der Führung dieser Teams auf agile Konzepte“, betont Freudenthaler: „Die Experten, die mit einer Aufgabe beschäftigt sind, wissen ja am besten darüber Bescheid. Da ist es wichtig, kein Mikromanage- ment zu betreiben, sondern das Team selbst organisieren zu las- sen, wie es die Aufgaben löst.“ Zur Visualisierung der täglich anfallenden Tasks bedient man sich einer Kanban-Methodik, wie sie insbesondere für die Steue- rung großer Softwareentwicklungsprojekte angewandt wird. Da- bei wird darauf geachtet, die Menge der angefangenen Arbeit zu begrenzen und ihren Fluss zu visualisieren. „Wir legen jeden Tag um acht Uhr früh die für jedes Team zu erledigenden Aufgaben fest und machen sie auf einer Kanban-Karte sichtbar. Ist die Auf- gabe um 17 Uhr erledigt, erhält sie den Status ‚done‘“, erläutert Freudenthaler. Stellt sich dem Team ein Hindernis entgegen, gibt es mehrere Ebenen der Problemlösung: Eine „schnelle Eingreif- MÄRKTE & MANAGEMENT chemiereport.at AustrianLifeSciences 2020.2 17 truppe“ löst Probleme, die innerhalb eines Tages zu beheben sind. Lässt sich auf dieser Ebene keine Lösung finden, ist ein interdis- ziplinär zusammengesetztes SWAT-Team am Zug. Der Ausdruck stammt eigentlich aus dem militärischen Bereich und steht dort für „Special Weapons And Tactics“. Gemeint sind damit Sonder- einheiten, die über spezielle Ausrüstung und Ausbildung verfü- gen. So ist es auch hier: „Im SWAT-Team sind Personen mit me- chanischem, elektro-, MSR- und automatisierungstechnischem Hintergrund vertreten, die sich den Problemen widmen, die auf der unteren Ebene nicht behandelt werden konnten.“ Darüber liegt die Ebene der Teilinbetriebnahmeleiter (je einer für Utilities, Upstream und Downstream), die sich mit Reitberger über die wöchentlichen und monatlichen Pläne abstimmen. Viele Aufgaben parallel Zur Komplexität des Vorhabens trägt auch das Zusammen- spiel der Anlage mit dem Gebäude und seiner Infrastruktur bei: „Wir nehmen ja nicht nur die Prozessanlage in Betrieb, sondern auch Lüftung und andere Komponenten der technischen Gebäu- deausrüstung.“ Da können sich Teams schon manchmal in die Quere kommen: „Wenn in einem Raum Feuchtigkeit und Tempe- ratur eingestellt werden, kann das Team, das mit der Prozessan- lage beschäftigt ist, diesen Raum nicht gleichzeitig betreten.“ Bei einem so komplexen Vorhaben komme es auch einmal zu Verzö- gerungen in einzelnen Bereichen. „Aber wir haben auf alle Hin- dernisse, die aufgetreten sind, reagieren können und entwickeln Gegenmaßnahmen, wenn notwendig“, so Freu- denthaler. Der Gesamtplan, der alle Teilschritte umfasst, müsse flexibel gehalten werden, um auf unvorhergesehene Dinge reagieren zu können. „Bei 10.000 Leitungen kann es schon einmal eine schadhafte Dichtung geben, das ist nichts Unge- wöhnliches“, betont Freudenthaler. Um das Gesamtpaket fertigzustellen, muss rund um die Inbetriebnahme ohnehin vieles parallel passieren: Es bedarf der Ausarbeitung und Testung eines Zutrittskonzepts, eines Brand- schutzkonzepts, eines Blackout-Tests, der zeigt, was passiert, wenn der Strom ausfällt. „Wir be- treiben ein eigenes Blockheizkraftwerk und kön- nen uns schon eine Zeit lang autonom versor- gen.“ Für das reibungslose Funktionieren der bio- pharmazeutischen Produktion ist eine Vielzahl an Kleingeräten erforderlich – von der HPLC bis zum Wasserbad –, die nun ebenfalls abgenom- men und in den Gesamtablauf integriert werden. Die Bedienungsanleitungen müssen geschrieben und geschult und die Geräte qualifiziert werden. Die meisten da- von werden mithilfe einer eigenen Software bedient, sollen aber auch mit übergeordneten Systemen vernetzt sein – hier kommt die IT-Abteilung des Hauses ins Spiel, die bei dieser Aufgabe be- sonders auf die Einhaltung aller Sicherheitsvorgaben achtet. Am weitesten fortgeschritten ist der Inbetriebnahme-Prozess im Bereich Utilities, erzählt Freudenthaler. Derzeit wird daran ge- arbeitet, die für den Betrieb von Reinräumen erforderliche Lüf- tung einzuregulieren; im Sommer soll mit der Umsetzung des „Go clean“-Konzepts begonnen werden, das nach einem genau festge- legten Plan von der Baustelle bis zur Sterilität in den Reinräumen führen wird. „Bei einem so hoch komplexen Projekt ist es natür- lich nicht verwunderlich, dass sich das gesamte Projektteam in- klusive des ganzen BI-RCV Campus schon sehr auf die Eröffnungs- feier im Herbst 2020 freut“, so Freudenthaler abschließend. www.boehringer-ingelheim.at i m e h e g n l I r e g n i r h e o B : r e d l i B