MÄRKTE & MANAGEMENT chemiereport.at AustrianLifeSciences 2020.6 21 zeitig auf die aktuelle Problematik: Gerade jetzt bestehe die Gefahr, dass ein Impf- stoff sehr schnell entwickelt und zu wenig auf die langfristige Perspektive und mög- liche Schäden geachtet werde. Der mit am Podium sitzende Erich Tauber, der das von ihm geleitete Impfstoff-Startup Themis Bio- science im Juni an den US-Pharma-Konzern MSD verkauft hat, stieß ins selbe Horn: „Es geht nicht darum, wie ich die ersten 30 Pati- enten impfen kann, um in die Zeitung zu kommen, sondern wie ich gewährleisten kann, dass in absehbarer Zeit 200 oder 500 Millionen Impfstoffdosen hergestellt wer- „In der Krise gab es plötzlich Unmengen Virologen, von denen man zuvor nichts gewusst hat.“ Sylvia Knapp, Professorin für Infektionsbiologie an der Medizinischen Universität Wien den können.“ Themis wurde vor elf Jahren gegründet, um Technologien, die aus der akademischen Forschung stammen, in die industrielle Entwicklung zu übersetzen und der Anwendung am Patienten zugänglich zu machen. Schnell ergab sich dabei eine Fokussierung auf Ausbruchskrankheiten, bei denen besonderer medizinischer Bedarf besteht: Chikungunya-, Lassa- und Zika-Fie- ber, MERS. Im Februar beschloss man, auch in Richtung des Coronavirus SARS-CoV-2 etwas zu tun. Man habe sich nun bewusst dafür entschieden, sich mit einem großen Unternehmen zu verpartnern, das in sei- ner Geschichte bereits mehrfach bewiesen habe, seine Verantwortung als „Corporate Citizen“ wahrzunehmen – obwohl derzeit Alles drängt nach einem Impfstoff gegen SARS- CoV-2, doch Experten warnen davor, Vakzine nicht gründlich auszutesten. Alpbach ohne Forumsteil- nehmer: Nur die Diskutanten einiger Podien versammelten sich dieses Jahr im Bergdorf. eine Lanze für Investitionen in die Life- Sciences-Branche: „Viele der Unternehmen, die wir zum Beispiel mit dem Corona Emer- gency Call des Wirtschaftsministeriums fördern konnten, sind kleine Firmen, die Liquidität über Zuschüsse und Forschungs- förderung unbedingt brauchen.“ Ein Impfstoff für die Men- schen, nicht für die Zeitung Damit war das Stichwort der Pandemie gefallen. Diese setzt derzeit den Rahmen dafür, was Forschung und Entwicklung, seien sie nun universitär oder unterneh- merisch organisiert, leisten sollen und leis- ten können. Aber dürfen sie auch alles? – wurde Matthias Beck, Professor am Insti- tut für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Wien, gefragt. Beck ver- wies auf die klassischen aristotelischen Tugenden der Klugheit, der Gerechtigkeit, der Tapferkeit und des Maßes, die auch in einer Situation wie der gegenwärtigen Ori- entierung geben können. „Klugheit bedeu- tet: Was immer du tust, mach es gut und bedenke das Ende“, entfaltete Beck eine davon etwas weiter und bezog sie gleich- k c o t S i / d r o f x O l l i B : d l i B leicht Geld von der Börse zu bekommen gewesen wäre. Auch Medizinethiker Beck sah in der Verteilung des Impfstoffs – wenn er denn einmal fertig entwickelt ist – eine große Herausforderung: „Parallel zur Forschung müssen ethische Standards entwickelt werden, nach denen man entscheidet, wer zuerst Zugriff bekommt – denn acht Milliar- den Menschen wird man nicht auf einmal impfen können.“ Alle ziehen an einem Strang? Schon im Rahmen der am 24. und 25. August abgehaltenen Alpbacher Ge - sund heitsgespräche wurde das Thema Impfstoffentwicklung beleuchtet. Christina Nicolodi, die im niederösterreichischen Laxenburg ein Consulting-Unternehmen zu regulatorischen Fragen der Arzneimittel- entwicklung betreibt, gab einen Überblick über die Kategorien von Impfstoffen, in die man die mehr als 150 derzeit laufenden Ent- wicklungsprojekte gliedern kann. Die euro- päischen Gesundheitsbehörden haben sich aufgrund des hohen öffentlichen Interes- ses auf eine beschleunigte Vorgehensweise eingestellt: Man könne die Durchführung einer späteren Phase (für eine Phase-III- Studie müssen immerhin mehr als 1.000 Teilnehmer rekrutiert werden) beantra- gen, auch wenn frühere Phasen noch nicht abgeschlossen seien. Die EMA habe Projekt- manager eingesetzt, die schon während der Studien Einsicht in die Daten nehmen. Gegenüber früheren Erfahrungen seien bürokratische Hürden und Wartezeiten abgebaut, man sei um ein nahtloses Zulas- sungsverfahren bemüht. Dennoch glaubt Nicolodi nicht, dass deswegen Abstriche in der Evaluierung der Daten und in Qualitäts- anforderungen gemacht würden, sie würde einem nach einem solchen beschleunig- ten Verfahren entwickelten Impfstoff ver- trauen. Sylvia Knapp, Professorin für Infektions- biologie an der Medizinischen Universität Wien, die ebenfalls zu dem vom BMDW organisierten Life-Sciences-Podium ein- geladen war, sprach sich dafür aus, eine Einrichtung zu gründen, in der alle Kom- petenzen, die bei Ausbruch einer Infek- tionserkrankung benötigt werden, gebün- delt sind: „In der Krise hat sich auch gezeigt, dass die wissenschaftliche Community sehr fragmentiert ist. Es gab plötzlich Unmen- gen Virologen, von denen man zuvor nichts gewusst hat. Wir sprechen nicht mit einer Stimme.“ Um hier Abhilfe zu schaffen, regte sie an, Immunologen, Virologen, Juristen und Public-Health-Experten in einer Ein- richtung zusammenzuspannen, die bei einer Ausbruchssituation wie COVID-19 eine zentral koordinierende Funktion über- nehmen könnte.