WISSENSCHAFT & FORSCHUNG chemiereport.at AustrianLifeSciences 2021.6 63 Jungforscherin Kathrin Heim im Porträt Mit allen Sinnen genießen Bei dem Begriff Lebensmittelsensorik mag man verleitet sein, an kleine Messgeräte zu denken, die objektive Maßzahlen über Nahrungsmit- tel liefern. Doch das ist nicht gemeint. „In unserem Fachgebiet werden die menschlichen Sinne dafür eingesetzt, um Lebensmitteleigenschaften zu beschreiben und zu bewerten“, stellt Kathrin Heim richtig, die an dem am Technopol Wieselburg gelegenen Standort der FH Wiener Neustadt auf die- sem Gebiet forscht. Probanden riechen, schmecken und fühlen und machen daraufhin Aussagen über die Kostproben, die man ihnen gereicht hat. „Jeder Mensch nimmt auf seine eigene Weise wahr. Es braucht daher standardisierte Methoden, um zu wissenschaftlichen Aussagen zu kommen“, stellt Heim fest. Traditionell bedarf eine solche sensorische Erprobung einer großen Zahl von Probanden und ist daher zeit- und kostenintensiv. Aus diesem Grund hat man in den vergangenen Jahren an Schnellmethoden gearbeitet, die mit einer geringeren Anzahl von Testpersonen auskommen. „Bislang sind aber noch viele Parameter, um zu validen Aussagen zu kommen, unerforscht“, beschreibt Heim das Forschungsfeld, auf dem sie sich bewegt. Zwei solche Methoden konnten mittlerweile etabliert werden. Eine davon nennt sich CATA (was für „check all that apply“ steht). Dabei wird den Konsumenten eine vor- gefertigte Liste von Attributen vorgelegt, von denen ausgesagt werden soll, ob sie an dem Produkt wahrgenommen werden oder nicht. Heim nennt ein Beispiel: „Wenn Vanillepudding als, jetzt noch cremiger‘ beworben wird, stellt sich die Frage, ob dies von Probanden auch wahrgenommen wird.“ Durch die in der Befragung vorgegebenen Eigenschaften fällt es leichter, Testpersonen, die ihre Wahrnehmung sonst schwer in Worten ausdrücken können, zu aus- wertbaren Aussagen zu bringen. Bei einer anderen Methode, die „Napping“ genannt wird, werden ver- schiedene Produkte des gleichen Typs (also z. B. Erdbeer-Joghurt verschie- dener Hersteller) miteinander verglichen und in einem Koordinatensystem positioniert. „Werden zwei Joghurtsorten ähnlich wahrgenommen, liegen sie nah beieinander, sind sie sehr unterschiedlich, werden sie weit weg vonein- ander positioniert“, erläutert Heim. Diese Methode ist beispielsweise dann nützlich, wenn ein Produzent ein weiteres Erdbeerjoghurt auf den Markt bringen und sich in wichtigen Charakteristika vom bestehenden Angebot unter scheiden will. Spätberufene Enthusiastin Der Weg von Kathrin Heim in dieses Fachgebiet war keineswegs geradlinig. Nach dem ersten Berufswunsch „Friseurin“ landete sie im Kunsthandwerk, in der Landwirtschaft und im Versicherungswesen. Erst mit 28 entschied sie sich für ein Bachelor-Studium in Produktmarketing und Projektmanagement, dem ein Master in Lebensmittelproduktentwicklung und Ressourcenmanagement folgte. „Dieser Bereich hat mich dann aber so gefesselt, dass ich damit wohl noch längere Zeit verbringen werde“, sagt Heim lachend. Nach dem Studium ergab sich die Möglichkeit, beruflich an der Fachhochschule Wiener Neustadt, Campus Wieselburg, einzusteigen und zudem in Deutschland eine Ausbildung zur Sensorikmanagerin zu machen. „Diese Kompetenz kann ich nun in Lehre und Forschung einbringen“, freut sich Heim über ihre vielfältige Tätigkeit In jüngerer Zeit hat sich Heims Interesse auch auf ein Phänomen ausge- dehnt, das in der Fachsprache „Crossmodal Correspondences“ genannt wird: Verschiedene Sinneseindrücke beeinflussen einander. Wieder ein Beispiel: Obwohl zur Herstellung von Vanillepudding heute kein Eigelb mehr verwen- det wird, ist ein gewisser Färbungsgrad erforderlich, um den Eindruck zu erzeugen, es handle sich um eine frisches Vanilleprodukt. Ebenso beschäftigt sich Heim damit, nachhaltige Lebensmittelprodukte so zu gestalten, dass sie für Konsumenten attraktiver werden: „Dazu braucht es in der Kommunika- tion mehr, als nur ein Geschmackserlebnis zu bewerben. Es müssen Bilder erzeugt werden, die eine Bindung an die regionale und umweltfreundliche Produktionsweise erzeugen.“ Steckbrief Kathrin Heim Forscherin an der FH Wiener Neustadt, Campus Wieselburg Geboren am: 30. 6. 1984 in Scheibbs Mein erster Berufswunsch war NICHT Uni-Professor. Es war ... ... Friseurin, weil ich wollte, dass alle Menschen schöne Haare haben. Die erste Begegnung mit meiner Wissenschaft hatte ich NICHT beim Surfen im Internet, ich hatte sie ... ... bei meiner Oma, die mir Haltbarmilch als Frischmilch aufgetischt hatte. Die sen sorischen Unterschiede waren gravierend. Ich forsche NICHT, weil ich etwa den Stein der Weisen finden wollte. Mich fasziniert an F&E vielmehr ... ... das NichtOffensichtliche sichtbar zu machen. Viele Menschen betrachten Wissen- schaft NICHT immer frei von Klischees. Was ich dabei schon erlebt habe ... ... betrifft insbesondere die geschlechterspezi fischen Wahrnehmungen und Vorstellungen. So hat beispielsweise eine ältere Dame ein mal gemeint, dass es doch toll sei, dass mich meine männlichen Kollegen in der Forschung mitarbeiten lassen. Dies sehe ich als Ansporn für uns Wissenschaftlerinnen, künftig noch präsenter zu sein und unseren Weg in der Forschung mit noch mehr Ehrgeiz, Zielstre bigkeit und einem Lächeln im Gesicht zu gehen. Ich gehe NICHT ständig total in meiner Forschungsarbeit auf. Abseits davon interessiere ich mich ... ... insbesondere für die Lieblingsmenschen in meinem Leben. Frei von aller Wissenschaftlich keit verbringe ich gerne Zeit mit Freunden und Familie im Garten, am Lagerfeuer mit inten siven Gesprächen und einem guten Glas Wein. In Politik und Gesellschaft hören die Menschen NICHT immer ausreichend auf das, was Wissen- schaftler sagen. Besonders fällt mir das auf bei ... ... Themen, die für viele Menschen nicht nach vollziehbar bzw. nachfühlbar sind. Darum ist es mir wichtig, meine Forschungsthe men und ergebnisse so ansprechend und verständlich wie möglich darzustellen und für die Praxis anwendbar zu machen.