COVERTHEMA chemiereport.at AustrianLifeSciences 2023.2 31 zeugt werden, eine kohärente Geschichte erzählen. Schmatz beteiligte sich an einem der Diskussionsforen, die in den Ausstel- lungsbereichen der Sponsoren Siemens, Cytiva, Gemü, Turck und Endress+Hauser angesetzt waren, um den roten Faden der Gespräche auch in den Kaffeepausen wei- terzuspinnen. Die in Aussicht gestellte kohä- rente Geschichte scheint derzeit noch nicht zu bestehen: „Einzelne Kettenglieder haben wir ja schon länger, aber die ganze Kette fehlt uns noch“, konstatierte etwa Martin Mayer, Leiter der Business Line Digital So- lutions bei Zeta. „Wir haben verschiedene Daten auf verschiedene Weise gesammelt“, ergänzte Pausen-Gastgeber Michael Freyny, Head of Digital Industries bei Siemens. Wenn sich aber nun, wie die Diskussio- nen zeigten, die Kriterien, nach denen ein Pharma-Investitionsprojekt beurteilt wird, ändern; wenn die Geschwindigkeiten, mit der man Arzneimittel liefern kann, immer mehr den Fokus auf Effizienz und Kosten verdrängen, wäre dann die durchgängige Geschichte nicht von großem Nutzen? Und: Macht das nicht gerade auch neue Formen der Kooperation erforderlich? Vielfach werde noch zu sehr in Silos ge- dacht, waren sich die Diskutanten einig. „Wir haben schon erlebt, dass das Pro- duktionsteam eines Kunden gerne Mo- delle verwendet hätte, die den Prozess be- schreiben. Aber die Entwicklungs-Leute aus demselben Unternehmen haben ge- sagt: Das ist nicht unser Thema, wir ma- chen Entwicklung“, so Mayer. Wenn schon innerhalb der verschiedenen Abteilungen eines Herstellers die Mindsets oft so unter- schiedlich sind, wie sehr dann erst über Unternehmensgrenzen hinweg. „Wir als Zulieferer der Industrie müssen früher in Projekte involviert werden. Wir müssen schon die Laborprozesse kennen, um spä- ter das Richtige liefern zu können“, zeigte Zeta-Geschäftsführer Alfred Marchler auf und hielt ein Plädoyer für das Zur-Verfü- gung-Stellen von Daten: „Eine Partner- schaft funktioniert nur, wenn man etwas gibt.“ Aus diesem Grund habe man bei Zeta entschieden, die Plattform „Smart Enginee- ring Services“, die auf Basis von Siemensʼ Engineering-Tool Comos entwickelt wurde, auch Kunden und Kooperationspartnern anzubieten – obwohl das im eigenen Haus sehr kritisch gesehen wurde: „Wir glau- ben, das ist die einzige Möglichkeit, in 20 Jahren noch auf dem Markt zu sein.“ Verschiedene Einsatzfelder für AI-gestützte Modelle Nach dem berühmten „Gartner Hype Cycle“ durchlaufen aufkommende Tech- nologien stets dieselben Phasen: Sind sie zuerst Auslöser technologischer Innova- tionen, die sich bis zu einem Gipfel über- zogener Erwartungen hochschaukeln, folgt dann ein Tal der Enttäuschungen, bevor es über einen Pfad der Erleuchtung zum Plateau der Produktivität geht. Wäh- rend Christian Eckermann, Leiter des Biopharma Contract-Manufacturing-Ge- schäfts von Boehringer Ingelheim, die gut etablierte Anwendung von „Augmented Reality“-Werkzeugen in der Instandhal- tung bereits auf dem Plateau der Produkti- vität sieht, gibt es bei der AI-unterstützten Modellierung noch eine Vielfalt unter- schiedlicher Ansätze, die noch nicht zu einem einheitlichen Ganzen zusammen- gewachsen ist. „Wir können Modelle schon gut verwenden, um Abweichungen in Rou- tine-Produktionsprozessen zu managen, aber auch um neue Prozesse zu designen“, so Eckermann. Für letztere Aufgabe habe sich insbesondere die Verknüpfung me- chanistischer Modelle mit AI-Ansätzen be- währt. „Model Predictive Control“, also die selbsttätige Steuerung von Produktions- prozessen durch im Hintergrund laufende Modelle, sei dagegen bislang noch eine Vi- sion. Doch auch die schrittweise Optimie- rung bestehender kommerzieller Prozesse stoße an Grenzen: „Wir müssen darauf achten, dass wir innerhalb der Parame- ter bleiben, für die die Zulassung erteilt wurde“, so Eckermann, „aber auch inner- halb dessen ist viel drinnen. Zuletzt konn- ten wir bei einem gut etablierten kommer- ziellen Prozess die Ausbeute um 15 Prozent steigern.“ Christine Schmatz plädierte in der nachfolgenden Diskussion für mehr Offenheit: „Wäre es nicht gerade eine He- rausforderung, die regulatorischen Gren- zen zu öffnen?“ Für die Zukunft erachte er das wohl als eine Vision, antwortete Ecker- mann, dazu benötige man aber auch neue Formen der Zulassung, innerhalb derer man von den gesetzten Parametern abwei- chen könne, wenn man nachweisen könne, dass man den Prozess verstanden habe. Geht also alles in Richtung höhere Ge- schwindigkeit? Nicht alles, wenn es nach Stefanos Grammatikos geht. Er wies in seinem Referat darauf hin, dass Beschleu- nigung der klinischen Entwicklung nicht die einzige Triebkraft für Veränderungen in der Biopharma-Industrie sei. Auch an- dere neue klinische Paradigmen, etwa der Einsatz monoklonaler Antikörper in hohen Dosen und hohen Volumina oder das ver- stärkte Aufkommen von „neuen therapeu- tischen Modalitäten“ (also verschiedenen Formen der Gen- und Zelltherapie) wür- den ihre Spuren hinterlassen: „Wir reden nicht nur über Speed, sondern auch über Intensivierung der Presse.“ Auch gegen- über den Versprechungen der Digitalisie- rung hatte Grammatikos eine Spitze parat: „Wir haben Echtzeit-Probleme zu lösen. Wir können nicht auf AI und Data Science warten.“ Seiner Meinung nach steht da Digitale Daten ergeben nur dann eine kohärente Geschichte, wenn die Grenzen zwischen den bestehenden Silos über- wunden werden. zu befruchten und daraus einen voll- ständigen Embryo zu erzeugen. Wird das auch einmal beim Menschen möglich sein? Wird es gefordert werden, wenn jemand z. B. nach einer Chemotherapie keine ge- sunden Spermien mehr entwickeln kann? Noch geht es technisch nicht, wie Hengst- schläger betonte, aber es sei nicht auszu- schließen, dass es einmal gehen werde. „Meine ethische Grenze ist, in die Keim- bahn des Menschen einzugreifen. Denn da- bei verändert man nicht nur diesen einen Menschen, sondern auch alle seine Nach- kommen.“ Aber ob alle so denken werden? Digitale Daten, die keine kohärente Geschichte erzählen Mit solchen Dingen ist die Biotechno- logie heute noch nicht beschäftigt, mit der genetischen Stabilität von Zelllinien sehr wohl. Christine Schmatz sieht darin die Vo- raussetzung dafür, dass all die Daten, die durch Modelle und digitale Zwillinge er-