CHEMIE & TECHNIK chemiereport.at AustrianLifeSciences 2025.2 49 anforderungen und natürlich, ob eine Anlage ganzjährig betreibbar ist.“ Länder wie Norwegen oder Portugal würden vor- zeigen, wie man Wasserstoff günstig erzeu- gen kann. Zwar seien sie von Natur aus von Wind und Sonne begünstigt. „Durch Voll- auslastung und extrem hohe erzeugte Men- gen senken sie ihre Kosten noch einmal ent- scheidend“, erklärte Stachel. Zahlreiche Anlagen laufen derzeit noch als geförderte Forschungsprojekte. Der Übergang zu gewinnorientierten Investi- tionsprojekten kann holprig sein und sollte bewusst gestaltet werden. „Frühzeitig mit der Planung beginnen, die Behörden ins Boot holen und bei ihrer Arbeit unter- stützen“, riet die Spezialistin. Auch ob es gelinge, bereits im Vorfeld langfristige Lie- fer- und Abnahmeverträge zu vereinbaren, könne den Ausschlag für eine Investitions- entscheidung geben. Dass so eine Entscheidung durchaus rasch fallen könne – allerdings im Mobili- tätssektor –, bewies sie anhand eines Pro- jekts aus Kärnten mit dem Energiedienst- leister Kelag: Gerade einmal fünf Monate dauerte es vom Engineering-Konzept bis zur Behördengenehmigung. Die grüne Elek- trolyseanlage weist eine Leistung von zwei Megawatt auf, zwei Drittel davon werden als Treibstoff für 35 Regionalbusse ver- wendet, die ab Mai 2026 unterwegs sein sollen. Die bei der Produktion anfallende Abwärme soll künftig in das Fernwärme- netz eingespeist, der Sauerstoff direkt in der angrenzenden Müllverbrennungsan- lage genutzt werden. Mit dem Projekt wolle das Land Erfahrungen für den Technologie- umstieg im öffentlichen Verkehr sammeln. Holz statt Erdöl Auf Holz statt Erdöl setzt eine Bioraffine- rie mit Sitz in Leuna/Sachsen-Anhalt. Zell- stoffexpertise wird dabei mit etablierten Petroraffinerie-Prozessen kombiniert. Wie Gerd Unkelbach, Director R&D Molecular Bioproducts bei UPM, schilderte, wird ver- holzte Biomasse als Rohstoff für die Her- stellung von Grundchemikalien verwen- det. Die Cellulose stammt von Buchenholz aus Deutschland, genauer gesagt, aus Säge- werksresten wie Sägemehl oder Sägespä- nen. Als Produkte entstehen funktionale Füllstoffe, die etwa zu 100 Prozent elekt- risch isolierend und recyclingfähig sind. Da sowohl die Grundbausteine jeder Pflanze als auch ihre Zusammensetzung variieren, mache es einen großen Unterschied, ob man Holz, Stroh oder Walnüsse als Rohma- terial verwende. „Jede Anlage muss indivi- duell angepasst werden, robust und flexibel sein und auch mit Störstoffen zurechtkom- men“, verwies der Chemiker auf komplexe Anforderungen. Das gelte im übertragenen Sinn auch für die Ingenieure: „Ein Baum p u o r G U T V : r e d l i B berechnet“, so der Verfahrenstechniker. Die Alternative zur manuellen, hochkomplexen und aufwendigen Berechnung mit Excel weist einige Vorteile auf: Mit der Prozess- steuerung kann die Mühle eine stabile Pro- duktion gewährleisten – trotz schwanken- der Qualitäten der Rohmehlkomponenten, ihrer Verfügbarkeiten oder Kosten, wie Zer- tifikatspreise. Gleichzeitig liefern die Daten wertvolle Einsichten in den Bergbau. „Dank GPS ist nachvollziehbar, woher die Roh- stoffe kommen, wie hoch Lagerbestände sind, und der Abbau wird besser planbar.“ Das Um und Auf für die Akzeptanz einer softwaregestützten Prozesssteuerung sei, die Belegschaft miteinzubeziehen, vom Laborpersonal bis zu den Führungskräften. „Sobald sie gesehen haben, dass das System funktioniert, ist die anfängliche Skepsis ver- flogen“, erzählte der Experte. Die menschli- che Expertise dürfe aber trotz aller maschi- neller Unterstützung nicht verloren gehen, denn Ausfälle könne es immer geben. Mit dem System gelang es, die Ersatzrohstoff- rate von fünf auf 15 Prozent zu erhöhen. Umwelt- und Betriebs- ziele im Einklang Wie man die Projektleitung bei der Bewertung potenzieller Kompromisse zwischen Umwelt- und Wirtschaftsvortei- len unterstützen kann, zeigte Alessandro Rosengart, Green Engineering & Sustainabi- lity Expert bei VTU mit seinem Ansatz des „Value Engineering Standard“. Die Methode zielt darauf ab, bei Produktionsanforde- rungen auch Nachhaltigkeitsvorgaben zu berücksichtigen und so die Lücke zwischen ihnen zu schließen. Die Industrie brauche mehr Mut zum Risiko, es müsse Investoren aber auch leich- ter gemacht werden, sich für eine nach- haltige Produktion zu entscheiden, war man sich in der abschließenden Diskus- sion einig. Es sei höchste Zeit, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, regu- latorische Hürden abzubauen und Stan- dards und Zertifizierungen zu etablieren. „Betreiber brauchen die Gewissheit, dass ihre Anlage stabil über 40, 50 Jahre laufen kann, unabhängig von der Politik“, forderte Unkelbach. Einzelne Industrien sollten Syn- ergien besser nutzen, regte Pöllabauer an. „Die Elektrolyse-Industrie ist eine Jahrhun- dertchance für Europa“, zeigte sich Kraft überzeugt und forderte, europäische Lie- ferketten sicherzustellen. Nun müsse ernst- haft begonnen werden, bestehende Anla- gen umzurüsten und große Pilotanlagen zu bauen, lautete auch das Fazit von Stachel. Der Boden dafür sei bereitet: „Es sind viele, viele Projekte in der Pipeline“. Alessandro Rosengart, Green Engineering & Sustainability Expert bei VTU, stellte den Ansatz des „Value Engineering Standard“ vor, mit dem die Lücke zwischen Produk- tionsanforderungen und Nachhaltigkeits- vorgaben geschlossen werden kann. liefert nun mal keine exakte Kennzahl, das erfordert schon ein anderes Denken.“ Viel Gehirnschmalz müsse zudem in das Anla- gendesign, den Standort, das Holzsortiment und die Schulung des Personals fließen – „unsere Lernkurve war steil“. Doch der Auf- wand lohne sich, man müsse Nebenstoffe noch stärker als bisher nützen und durch Funktionalität aufwerten, zeigte sich der Bioökonom überzeugt: „Holz ist weit mehr als ein Baumaterial für die Ferienhütte oder Brennstoff für das romantische Knistern im Kamin“. Zementindustrie setzt auf Ersatzrohstoffe Wie sich in der Zementindustrie der CO2- Fußabdruck verringern lässt, stellte VTU- Spezialist Florian Pöllabauer anhand eines Projekts im Zementwerk Wietersdorf der Alpacem Zement Austria vor. Dort sollten für die Klinkerproduktion anstatt von Kalk- stein oder Ton verstärkt Abfall- und Neben- produkte als Ersatzbrennstoffe zum Einsatz kommen. Sie werden grob zerkleinert und mit einer Mühle zu Rohmehl gemahlen, ehe sie im Ofen gebrannt werden. „Weil sich die unterschiedlichen Ersatzstoffe auf die Rezeptur für das Rohmehl auswirken, haben wir ein virtuelles Silomodell pro- grammiert, das über einen Algorithmus die optimale Rezept-Zusammensetzung VTU-Spezialist Florian Pöllabauer führte anhand eines konkreten Projekts vor Augen, wie sich der CO2-Fußabdruck in der Zementindustrie verringern lässt. www.vtu.com