Mehr als nur „Chlorophyll-Müll“

Kaum ein biologisches Phänomen ruft ein solch eindrucksvolles Farbspektakel hervor wie der herbstliche Chlorophyll-Abbau, der gelbe und rote Pigmente zutage treten lässt. Der grüne Farbstoff verschwindet allerdings nicht nur aus Blättern, sondern auch aus einem für die Jahreszeit typischen Nahrungsmittel: dem Obst. Innsbrucker Chemiker haben nachgewiesen, dass in reifen Früchten und bunten Blättern exakt dieselben Chlorophyll-Abbauprodukte zu finden sind. <i>Carola Hanisch</i> <% image name="Ahornblatt" %><p> <small> Das grüne Pigment wird in bunten Blättern und reifem Obst zu farblosen antioxidativen Substanzen abgebaut. </small> Chlorophyll ist eines der wichtigsten Moleküle des Lebens, dient es doch zur Photosynthese, also zur Umwandlung von Wasser und Kohlendioxid zu Glucose. Dabei setzt es Lichtenergie sehr effizient in chemische Energie um. Im Herbst, wenn die Pflanzen Nährstoffe aus ihren Blättern zurück gewinnen, verschwindet auch das Chlorophyll. Jährlich werden riesige Mengen des grünen Blattfarbstoffs abgebaut: Rund 1 Mrd t weltweit. Erstaunlicherweise war es lange Zeit völlig unklar, auf welche Weise dies geschieht und welche Endprodukte dabei entstehen. Erst vor einigen Jahren konnten Bernhard Kräutler vom Institut für Organische Chemie der Uni Innsbruck gemeinsam mit Züricher Botanikern den Chlorophyllabbau-Weg aufklären und die sogenannten nichtfluoreszierenden Chlorophyll-Kataboliten (NCCs) als Endprodukte identifizieren. Sie entstehen jedes Jahr in denselben Massen, in denen Chlorophyll verschwindet. Da sie aber farblos sind, fällt dies nicht weiter auf. Die NCCs werden – zumindest in den Blättern – nicht weiter abgebaut. Sie bleiben im Blatt, bis dieses abfällt und schließlich von Mikroorganismen zersetzt wird. Dass die grüne Farbe verloren geht, liegt am weitreichenden Umbau des Chlorophyll-Gerüsts. Der grüne Blattfarbstoff ist ein viergliedriger Ring, ein Tetrapyrrol, dessen Glieder selbst auch ringförmige Moleküle sind, die Pyrrole. In der Mitte des Chlorophylls befindet sich ein Magnesiumion und außen ist eine lange, fettliebende Seitenkette angeknüpft. Bei den NCCs hingegen fehlen sowohl die Seitenkette als auch das Magnesium. Zwar sind die vier Pyrrole weiterhin miteinander verbunden, doch nur noch als Kette: Der Ring ist an einer Stelle aufgebrochen. Dass die Pflanze überhaupt die Energie aufwendet, Chlorophyll in NCCs umzuwandeln, ist eine reine Schutzmaßnahme. Chlorophyll ist zwar – in Proteine eingebunden – ungeheuer nützlich, in freier Form aber phototoxisch – der Pflanze drohen Lichtschäden. Da die schützenden Proteine des Blattes im Herbst abgebaut werden, muss auch das Chlorophyll „entschärft“ werden. Es wird solange umgewandelt werden, bis es photochemisch harmlos ist. Dies ist nach mehreren Zwischenstufen bei den NCCs schließlich der Fall. Dass diese Inhaltsstoffe verfärbter Blätter auch in Früchten vorkommen, war bisher nicht bekannt. Nun haben Kräutler und seine Mitarbeiter die NCCs auch in den Schalen und im nahe der Schale gelegenen Fruchtfleisch von reifen Äpfeln und Birnen gefunden, nicht aber in unreifen Früchten. Damit wird erstmals gezeigt, dass der Abbauweg des Chlorophylls in Blatt und Früchten gleich verläuft. Das war bisher nur Spekulation“, sagt Kräutler. Allerdings gibt es auch einige Unterschiede zwischen Blatt und Frucht. Zunächst einmal ist die Chlorophyll-Menge pro Gramm eines Blattes viel größer als in der Obstschale. Außerdem wird das Chlorophyll im Blatt nahezu vollständig zu NCCs abgebaut. Im Obst fanden die Innsbrucker allerdings nur NCCs, die etwa einem Zehntel des in unreifen Früchten vorhandenen Chlorophylls entsprechen – was den Forschern noch Rätsel aufgibt. Kräutler und seine Mitarbeiter gaben sich nun aber nicht damit zufrieden, die NCCs als reine Abfallprodukte des Chlorophyllabbaus zu betrachten und suchten nach einem Hinweis auf eine mögliche Funktion. Dabei fiel ihnen auf, dass die NCCs in ihrer Struktur dem Bilirubin ähneln, dem Abbauprodukt des Häms. Häm ist Teil des sauerstofftransportierenden Blutfarbstoffs Hämoglobin. Es ist ebenfalls ein Tetrapyrrol, allerdings im Gegensatz zu Chlorophyll mit einem Eisenion in der Mitte statt des Magnesiums. In letzter Zeit hat sich herausgestellt, dass Bilirubin nicht nur ein Abfallprodukt des Hämabbaus ist, sondern auch eine zellschützende Funktion im lebenden Organismus ausübt. Es ist ein hochwirksames Antioxidans. Antioxidantien verhindern, dass aggressive Radikale empfindliche Substanzen wie zum Beispiel Fettsäuren in Zellmembranen zerstören. Thomas Müller aus Kräutlers Gruppe wandte denjenigen Standard-Labortest an, der auch schon beim Bilirubin benutzt worden war, und stellte ebenfalls antioxidative Eigenschaften der NCCs fest. Sie waren in der Lage, die radikalische Oxidation der Fettsäure Linolsäure deutlich zu verringern, wenn auch nicht ganz so stark wie das Bilirubin. Somit reihen sich die NCCs, die seit jeher Bestandteil menschlicher Nahrung sind, in die Gruppe der im Obst enthaltenen Antioxidantien ein, zu denen beispielsweise auch die Vitamine C und E zählen. Unter den Antioxidantien gelten bislang die Flavonoide als besonders wertvoll. Ob die NCCs zu der gesundheitsfördernden Wirkung von Früchten beitragen, ist damit noch nicht geklärt. Unklar ist auch noch, zu welchem Zweck das Chlorophyll im Obst zu antioxidativen Substanzen abgebaut wird. Kräutler vermutet, dass die Früchte, die ja die Samen enthalten und somit für die Vermehrung der Pflanze verantwortlich sind, durch die antioxidative Wirkung länger haltbar sind. Nach seiner Einschätzung nutzt die Pflanze den Chlorophyll-Abbau zu unterschiedlichen Zwecken: In den Blättern zur Zerstörung des Chlorophylls und in den Früchten zur Konservierung. Die kräftigen Farben, die dabei entstehen, sind zumindest bei den Früchten von Vorteil, denn ein roter Apfel fällt mehr auf und lädt eher zum Fressen – und zum Essen – ein als ein grüner. <% image name="Chlorophyll_Obst" %><p> <small> <b>Die Wirkung von Chlorophyll ist im Körper unklar:</b> Entgegen der landläufigen Annahme, alles Grüne sei gesund, ist über die gesundheitliche Wirkung von Chlorophyll erstaunlich wenig bekannt. Klar ist lediglich, dass Chlorophyll als solches eigentlich nicht vom Körper aufgenommen wird. Seine photoaktiven Abbauprodukte wie das Pheophorbid a hingegen sind sogar giftig. Pheophorbid a entsteht entlang des Abbauwegs vom Chlorophyll zu den NCCs. Bei ihm fehlen bereits Magnesium und die fettliebende Seitenkette, allerdings ist das Tetrapyrrol-Ringsystem noch intakt. Erst vor kurzem wurde entdeckt, dass sich der Körper von Säugetieren aktiv vor der Aufnahme von Pheophorbid a schützt. Wissenschaftler um Alfred Schinkel vom niederländischen Krebs-Institut wollten eigentlich herausfinden, was die natürliche Aufgabe eines bestimmten Brustkrebsresistenzgens ist. Dieses Gen kodiert für ein Transport-Protein, das Krebsmedikamente aus den Zellen herausbefördert. Dadurch wirken die Medikamente nicht und die Therapie bleibt erfolglos. Also stellten die Wissenschaftler Mäuse her, denen die Brustkrebsresistenzgene fehlten. Die Mäuse schienen völlig gesund, bis sie eines Tages grünes Alfalfa-Futter zu fressen bekamen. Diejenigen Mäuse, deren Käfige in Nähe der Fenster standen, erlitten starke Lichtschäden. Folgendes stellte sich heraus: In dem grünen Futter war das Chlorophyll durch Enzyme bereits teilweise zu Pheophorbid a zersetzt. Im Gegensatz zum sperrigen Chlorophylmoleküll, kann Pheophorbid a sehr wohl von Zellen aufgenommen werden. Als natürlicher Schutz dienen nun just jene bei den Mäusen ausgeschalteten Transportermoleküle. Ihre Aufgabe ist es, das Photogift wieder herauszubefördern, genau wie sie es auch mit den Krebswirkstoffen tun. Somit hatten die Wissenschaftler unerwarteterweise einen Mechanismus entdeckt, mit dem sich der Körper vor der Aufnahme von phototoxischen Chlorophyll-Abbauprodukten schützt. Die NCCs im Obst hingegen, die nicht mehr photoaktiv sind, könnten sogar eher gesund sein. </small> <small> siehe auch: Angewandte Chemie 119, 8854-9957, 2007 </small> Mehr als nur „Chlorophyll-Müll“