22 MÄRKTE & MANAGEMENT chemiereport.at AustrianLifeSciences 2019.8 Interview „Wir können nicht aus kommerziellen Gründen unsere Patienten im Regen stehen lassen“ Philipp von Lattorff, neuer Präsident der Pharmig, über den Standort Österreich, Maßnahmen gegen Arzneimittelengpässe, den Wert von Innovationen und die Entwicklung der Arzneimittelkosten Interview: Klaus Fischer C R: Sie sind seit 26. September neuer Präsident der Pharmig. Was werden die Schwerpunkte Ihrer Präsident schaft sein? Ich bin seit sechs Jahren im Pharmig-Vor- stand und seit einigen Jahren Vizepräsi- dent. Die neue Tätigkeit ist also nicht über- raschend und ich freue mich über den großen Zuspruch. Es ist viel zu tun, obwohl noch vieles offen ist: Der neue Dachver- band der Sozialversicherungsträger ist erst mit 1. Jänner 2020 im Amt, die Gesundheits- kasse ist im Entstehen. Außerdem ist noch offen, wer das Gesundheitsministerium leiten wird. Wir wollen ein positives Klima schaffen, stabile Rahmenbedingungen für die Industrie und gute Rahmenbedingun- gen für die Pharmabranche, um investie- ren zu können. Boehringer macht das ja vor. Insgesamt investieren wir fast eine Milliarde in Österreich. Das sind alles The- men, die ich auch in meinen anderen Funk- tionen in der IV und beim FCIO verfolge. CR: Wenn ein Unternehmen wie Ihres eine Milliarde Euro in Österreich investiert, kön nen die Rahmenbedingungen für die Phar maindustrie nicht so schlecht sein. Richtig. Dabei kommen verschiedene Umstände zusammen. Boehringer ist in Österreich sehr breit aufgestellt. Auch haben wir keine Probleme, hochquali- fizierte Mitarbeiter in ausreichender Zahl zu finden. Wir haben jedes Jahr 12.000 Bewerbungen und können uns die besten Leute aussuchen. Wünschen würde ich mir eine Lohnnebenkostenre- duzierung und eine KöSt-Senkung. Auch ein Spitzensteuersatz von 55 Prozent klingt nicht sehr arbeitnehmerfreundlich, selbst wenn das nur sehr wenige Leute betrifft. Wichtig war für uns auch die 12-Stunden-Arbeitszeitflexibilisierung. In der Forschung nach zehn Stunden Arbeit an einem Projekt das Ganze wie- der abbauen zu müssen, hat keinen Sinn. In der Vergangenheit haben die Leute ein- fach weitergearbeitet. CR: Das heißt, die vorige Regierung hat die bestehenden Zustände legalisiert. Ja. Das war extrem wichtig für uns. Sehr hilfreich war auch die Forschungsprämie. ergibt, in Wien zu investieren. Bei den hochinnovativen Medikamenten, die wir erzeugen, sind die Lohnnebenkosten nur ein kleiner Teil der Gesamtaufwendungen. Die Forschungsprämie war aus meiner Sicht die Kirsche auf dem Kuchen. In Öster- reich hat die Politik sehr gut verstanden, was Leitbetriebe sind. Die haben die Mittel und die ziehen die übrige Wirtschaft mit. CR: In der Aussendung anlässlich Ihrer Wahl zum PharmigPräsidenten nannten Sie als wichtiges Anliegen, die Bemühungen der Interessenvertretungen um den Wirt schaftsstandort Österreich zu bündeln. Denn nur wenn wir mit einer Stimme spre chen, kann es uns gelingen, Österreich als Forschungs, Produktions, und Vertriebs standort international wettbewerbsfähig und attraktiv zu halten.“ Was heißt das konkret? Wir als Pharmig haben knapp 120 Mit- glieder in allen Größen. Und es gibt Inter- essen, die für uns alle gleich wichtig sind – Standort- und Steuerpolitik, stabile Rah- menbedingungen. Darüber hinaus gibt es Partialinteressen. Die Generikabranche etwa leidet sehr unter den tiefen Preisen, die teilweise unter der Rezeptgebühr lie- gen. Und die Rezeptgebühr selbst wird immer wieder angepasst, die Preise der Arzneimittel aber nicht. Und wenn es uns gelingen würde, eine Regelung zu finden, die diesen Unternehmen etwas mehr Luft verschafft, wären sie sehr zufrie- den. Auf der anderen Seite haben wir die hoch innova- tiven Firmen. Sie würden Österreich gerne zu einem Land machen, das Innovatio- nen wirklich akzeptiert. Wir sind die viertreichste Nation in der EU, haben aber ein unterdurchschnittliches Niveau bei den Arzneimittelpreisen. Inno- vationen werden oft nur als Kostentreiber gesehen. Wenn man die verschiedenen Mitglieder der Pharmig versteht, wenn man begreift, wo der Schuh drückt, und versucht, das mit den Unternehmen zu besprechen, kann man mit einer Stimme sprechen. Das geht auch über den Pharmabe- reich hinaus. PharmigPräsident Philipp von Lattorff: „Grundsätzlich ist der Zuspruch groß.“ Zur Person Philipp von Lattorff, geboren 1968 in Graz, absolvierte von 1986 bis 1991 die Manage- ment School of Barcelona und war anschlie- ßend im Bereich Finanzen und Controlling von IBM Österreich tätig. Im Jahr 1993 wechselte er zu Boehringer Ingelheim, wo er vom Assistenten des Regional Mana- gers für Osteuropa zum Geschäftsführer der Boehringer Ingelheim RCV GmbH & Co KG, Regional Center Vienna, aufstieg. Seit 2013 ist von Lattorff Vorstandsmitglied der Pharmig, seit 2017 Vizepräsident. Am 26. September 2019 wurde er mit großer Mehrheit als Nachfolger Martin Muntes zum Präsidenten der Pharmig gewählt. Sie bringt uns in der Produktion nicht wirk- lich etwas, sehr wohl aber in der Grundla- genforschung und der angewandten For- schung. Und die Frage in einem großen Unternehmen wie Boehringer ist immer: Wo wird investiert? Die Reflexhandlung ist, im eigenen Land zu investieren, in Deutschland, weil das ein großer Markt ist. Der zweite Reflex ist, in die USA zu gehen, weil die der größte Markt sind. Japan ist als großer Markt ebenfalls interessant. Dann kommt meistens China. Aber wir haben es immer wieder geschafft, zu zeigen, dass es aufgrund der Rahmenbedingungen Sinn