32 32 COVERTHEMA COVERTHEMA chemiereport.at chemiereport.at AustrianLifeSciences AustrianLifeSciences 2021.3 2021.3 verbunden werden, ist es möglich, die- ses mithilfe von „Simit“ zu simulieren, um funktionale Abhängigkeiten frühzeitig in den Blick zu bekommen. Die verschiedens- ten prozessanalytischen Messgrößen wer- den mithilfe Simatic Sipat so aufbereitet, dass sie für das Monitoring und die Opti- mierung der Anlage verwendet werden können. Martin Ramharter, Leiter des Business- Segments Pharma bei Siemens: „Es ist derzeit ein gutes Fenster, um Digita- lisierungskonzepte umzusetzen.“ Ein oder zwei Zwillinge als ständige Begleiter Um die „time-to-market“ für ein neues Arzneimittel zu verkürzen, geht der Trend in der Pharmaindustrie dahin, die ver- schiedenen Entwicklungsaufgaben (Pro- duktentwicklung, Prozessentwicklung, Engineering der Produktionslage) immer früher ineinandergreifen zu lassen. Die Idee eines „digitalen Zwillings“ von Pro- zess und Anlage könnte helfen, dass Infor- mationen an den Nahtstellen reibungslos übergeben werden. „Wenn vom ‚digitalen Zwilling‘ die Rede ist, so ist dies im Grunde mehrdeutig“, analysiert Ramharter: „Man muss dazusagen, welchen digitalen Zwil- ling man meint.“ Weit fortgeschritten ist man bereits, was die vollständige digitale Erfassung der Produktionsanlage betrifft. „Mithilfe von Siemens Comos können alle Gewerke auf ein gemeinsames 3D-Modell und eine gemeinsame Engineering-Umge- bung zugreifen“, erklärt der Techniker. Gemeinsam mit Anlagenplaner wie ZETA oder VTU wird aufbauend darauf die Vision verfolgt, Informationen zu sämtlichen ver- bauten Komponenten in einer zentralen Datenbank zu halten. Eine auf diese Weise virtualisierte Anlage hält alle Eigenschaf- ten bereit, auf die auch in Betrieb, War- tung und Instandhaltung zugegriffen wer- den kann. „Dadurch wird es z. B. möglich, ein in Comos erstelltes Rohrleitungs- und Instrumentierungsschema standardisiert in die Simulationssoftware Simit zu über- nehmen“, streicht Ramharter hervor. Auf den Comos-Daten ruht aber auch die Vir- tual-Reality-Plattform „Comos Walkinside“, die es gestattet, Operatoren anhand einer realistischen 3D-Visualisierung auf einer neuen Anlage zu trainieren – auch das ist ein Aspekt dessen, was ein digitaler Zwil- ling der Anlage leisten kann. Siemens kooperiert mit Novasign Novasign wurde 2019 als Spinoff der BOKU von einer Gruppe von Experten der Bioverfahrenstechnik, Modellierung und Automatisierung gegründet. Die Modelle, die das junge Unternehmen entwickelt, sind auf eine Beschleunigung der Prozess- entwicklung ausgerichtet und erleichtern auch das Scale-up vom Laborbereich zum Produktionsmaßstab. „Dazu ist es notwendig, dass ein Prozess mit zugehörigen ‚Critical Process Parameters‘ (CPPs) von Anfang an so entwickelt wird, dass ein Produkt mit entsprechenden ‚Critical Quality Attribu- tes‘ (CQAs) erzeugt werden kann“, führt CEO Mark Dürkop in die hier gebräuchli- che Terminologie ein. Das Problem dabei: Eine vollständige mechanistische Abbil- dung des Geschehens ist angesichts von 1018 in einer Sekunde in einem Liter Zellkultur ablaufenden Reaktionen illuso- risch. Aus diesem Grund setzt man bei Novasign auf sogenannte Hybrid-Modelle: „Alle Zusammenhänge, die wir kennen, fließen in mechanistische Gleichungen ein, aber die Parameter, die wir nicht kennen, müssen abgeschätzt werden, wofür wir uns Algorithmen aus dem Bereich des „Machine Learning“ bedienen“, sagt Dürkop. Diese Kombination liefert wesentlich bessere Ergebnisse als rein datengetriebene Ansätze und kann die Zahl der erforderlichen Experimente um bis zu 70 % reduzieren. Zur Anlage kommt der konkrete Herstel- lungsprozess, zum „Digital Plant Twin“ der „Digital Process Twin“. Im Oktober 2019 hat Siemens das britische Unternehmen Process Systems Enterprise (PSE) erwor- ben, das eine Produktfamilie zur modellba- sierten Simulation entwickelt hat. Grund- lage dafür ist die Modellierungsumgebung gPROMS, die darauf ausgerichtet ist, ein gleichungsbasiertes digitales Abbild chemi- scher und pharmazeutischer Prozesse zu erstellen, das über den gesamten Lebens- zyklus von Nutzen ist: „Damit erweitern Julita Panek, Sales Consultant Pharma bei Siemens: „Wir sprechen die Sprache unserer Kunden.“ wir unser Angebot durch modellbasierte Lösungen, die sowohl die Designphase unterstützen als auch zum Monitoring und zur Optimierung der laufenden Produktion dienen“, sagt Ramharter. Modellbasierte Vorhersagen Es sei heute bereits möglich, Echtzeit- oder aufgezeichnete historische Daten einer realen Prozessanlage in eine Offline- Simulation einfließen zu lassen, die beglei- tend in einer „virtuellen Fabrik“ läuft. Aus den eingesetzten Modellen lassen sich wertvolle Aussagen gewinnen, beispiels- weise zum Zusammenhang zwischen Pro- zessparametern und Produktqualität. „Dar- aus lässt sich z. B. ableiten, ob das erzeugte pharmazeutische Produkt innerhalb der kritischen Qualitätskriterien bleibt“, so Ramharter. Mark Dürkop, CEO Novasign: „Modellbasierte Prozessentwicklung kommt nun in der Industrie an.“ Auf diesem Sektor arbeitet man aber auch mit lokal ansässigen Technologie- schmieden zusammen. Ein Beispiel dafür ist die Firma Novasign. „Vor fast zwei Jahr- zehnten kamen ,Quality by Design‘ und ,Process Analytical Technology -Guideli- nes heraus, die nun endlich durch neue, computergestützte Tools Einzug in die Industrie finden. , sagt Mark Dürkop, der als CEO von Novasign fungiert. Füttert man Hybrid-Modelle von Novasign (siehe nebenstehende Infobox) mit prozessrele- vanten Daten aus dem Siemens LivingLab, können Vorhersagen für die Prozessfüh- rung gewonnen und so etwa der richtige Zeitpunkt für eine Transfektion bestimmt werden. „Das Problem ist, dass Prozessdesign, Anlagen-Engineering und Betrieb der Anlage heute noch meist weitgehend in sich geschlossene Silos darstellen“, meint Panek über die in der industriellen Realität beste- henden Hemmnisse. Doch aktuelle Trends in der Pharmaindustrie lassen die Diszipli- nen näher aneinanderrücken. „Es ist der- zeit ein gutes Fenster, das umzusetzen, was schon so lange unter dem Begriff Industrie 4.0 diskutiert wird“, meint Ramharter: „Die Firmen zeigen sich offen und setzen immer öfter Digitalisierungsverantwortliche ein, um das Thema voranzutreiben.“ COVID-19 hat viele gewohnte Strukturen verändert. i n g s a v o N , G A s n e m e S i : r e d l i B