MÄRKTE & MANAGEMENT chemiereport.at AustrianLifeSciences 2022.5 23 winden: Wir wissen, was Sache ist, wir wissen, was wir tun müssten, wir haben die Technologien, die Fachleute und das Geld. Und wir wissen auch, was passiert, wenn wir nichts tun. Warum also tun wir nichts? Wir leiden unter einem fossilen Karzinom, das metastasiert. Zu den Metas- tasen gehören der Klimawandel und die drohende Versorgungskrise bei Erdgas. Was jetzt an Gegenmaßnahmen diskutiert wird, etwa der Strompreisdeckel, bedeu- tet, den Krebs mit Aspirin zu bekämpfen. Sicher ist die Behandlung von Symptomen wichtig. Aber wir müssen die Wirtschaft grundlegend neu gestalten. CR: Es heißt verschiedentlich, nötig sei eine Abkehr von der derzeitigen „akkumu lationsorientierten“ Wirtschaftsweise zu einer „bedürfnisorientierten“. So weit es Wirtschaftswachstum geben dürfe, müsse dieses dort stattfinden, wo es notwendig ist, also in den Entwicklungsländern, aber nicht mehr bei uns. Unsere Werte und unser Verhalten ändern sich. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war vom Mengenwachstum geprägt. Jetzt stoßen wir in den wirtschaftlich am höchs- ten entwickelten Regionen an Grenzen. Es zeigt sich auch, dass wir unsere Wert- schöpfungsketten in einer Weise filetiert haben, die nicht mehr tragbar ist. Da stellt sich ein zugegebenermaßen etwas größe- res Schifferl im Suezkanal quer, und die Weltwirtschaft steht am Rande des Zusam- menbruchs. In der Coronakrise haben wir nicht genug Schutzmasken, wenn wir sie nicht aus China bekommen. Das heißt: Un- ser Wirtschaftssystem ist nicht so stabil, wie wir geglaubt haben. Das müssen wir registrieren, und alle, die sagen, es wird wieder so, wie es vor einigen Jahren war, liegen falsch. Das bestehende System kann nicht verteidigt werden. Wir müssen es weiterentwickeln. CR: Brauchen wir ein anderes Wohlstands verständnis? Wir haben es ja schon, zumindest in An- sätzen. Es ergibt sich ein Wertewandel. Was wir brauchen und was die Entschei- dungsträger zeichnen müssen, ist ein Bild der Zukunft. Die Key Player müssen den Menschen sagen: Dort müssen wir hin. Nehmen wir das Thema Energie: Unser Problem ist, dass wir fossile Energie im System haben. Daher müssen wir die Ener- giewende viel energischer fortsetzen. Wir müssen auch aufhören mit den Schuld- zuweisungen. Wer hat die Abhängigkeit von Russland erzeugt? Na, letzten Endes haben wir alle das gemacht. Also hören wir auf mit diesen Debatten. Die bringen uns nicht weiter. Die Lage ist komplex. Das heißt aber nicht, sie ist so komplex, dass wir am besten gar nichts tun. Sicher ist das eine Herausforderung. Es ist aber auch eine große Chance für Innovationen, für neue Ideen, für Wachstum und Wohl- stand, den wir vielleicht anders definieren werden als zurzeit. Wir können nur ent- scheiden: Sind wir mit dabei oder hinken wir nach? Gerade ein Land wie Österreich, das so viel zustande gebracht hat, das so viele Kompetenzen hat, kann vorne dabei sein. Das zu unterstützen, ist eines der An- liegen der CEOs for Future. CR: Ein Punkt, dem sich die „CEOs for Future“ ebenfalls verschreiben, ist die „Mobilisierung von GreenFinanceKapital und nachhaltigen Investments“. Wie beur teilen Sie angesichts dessen die Stellung nahme des EUParlaments zur Taxonomie? Grundsätzlich müssen die Finanzströme in Richtung nachhaltiger Investments flie- ßen. Das geschieht bereits. Die Taxonomie ist ein wichtiges Instrument, weil sie dafür die finanztechnischen Kennzahlen bietet. Dass das EU-Parlament Investitionen in die Atomenergie und in Erdgas als „grün“ anerkannt hat, ist bedauerlich, aber in der Substanz vollkommen egal. Wenn Investo- ren ihr Geld in einem Fonds veranlagen, können sie ja darauf achten, dass die Nu- klearenergie und Erdgasprojekte nicht da- bei sind. Die Taxonomie besagt auch nicht, dass die Atomkraft und Erdgas im Sinne der Nachhaltigkeit gut sind. Außerdem sollten wir in Österreich nicht überheblich sein. Wir sagen immer, wir waren schon 1978 so gescheit, gegen die Atomkraft zu sein. Das ist einfach Unsinn. Was die wirk- lichen Argumente hinter dem Ausgang der Volksabstimmung über Zwentendorf wa- ren, wissen wir. Frankreich und einige an- dere europäische Länder haben eben ei- nen anderen Weg gewählt. Ich mache mir keine Sorgen, dass die Atomkraft in Eu- ropa wegen der Taxonomie einen neuen Aufschwung nimmt. Denn diese Form der Stromerzeugung ist einfach nicht wirt- schaftlich. CR: Sie sagten bei der Vorstellung der „Alli anz für mehr Klimaschutz in Österreich“ von Energieministerin Leonore Gewessler: „Die aktuelle politische, ökonomische und ökologische Situation zwingt uns, die Dyna mik des Handelns erheblich zu beschleuni gen, um eine Zukunft zu gestalten, die von Lebensqualität und Wohlstand geprägt ist. Wir haben die benötigten Technologien, das Wissen, das Kapital und die Kompe tenzen um erfolgreich zu sein. Deshalb gilt es, konsequent die restlichen Zweifler zu überzeugen und bremsende Bürokratie pragmatisch zu beseitigen.“ Wer sind die „restlichen Zweifler“? Manche sagen, es sei notwendig, die Bür- ger von den steigenden Energiekosten zu entlasten. Das stimmt natürlich. Aber das allein ist zu wenig. Wir müssen die Signale, die wir jetzt bekommen, zur Ver- änderung nutzen. Ich habe ein Problem damit, dass die Wirtschaft nach staatli- chen Kompensationen ruft. Unser Credo war immer: Unternehmertum heißt, den Markt zu akzeptieren, die Risiken daraus anzunehmen und die Chancen zu realisie- ren. Wenn jetzt alle rufen, der Staat möge die gestiegenen Energiekosten abdecken, haben wir keine Unternehmer mehr. Wir müssen die Kreativkraft stärken. Ich ver- stehe schon, die Auswirkungen der gestie- genen Energiepreise sind dramatisch. Gut, dann machen wir eben eine strengere Ge- schwindigkeitsbeschränkung. Das heißt, wir brauchen von A nach B ein bisschen länger. Aber wir benötigen 25 Prozent we- niger Treibstoff. Andere Staaten haben das schon eingeführt. Offenbar fehlt manchen Politikern ein wenig der Mut. Sie fürchten um Wählerstimmen. Aber wenn wir nicht zielgerichtet handeln, treiben wir den Populisten erst recht die Stimmen zu. Die haben die ganz einfachen Lösungen, und die wollen wir hoffentlich alle nicht. Der Staat kann nicht alles lösen. Wir müssen auch die Eigenverantwortung wieder stär- ken, und das Unternehmertum war immer der Hort der Eigenverantwortung. Und der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck zeigt, dass Politiker den Menschen etwas zumuten und gleichzeitig an Popu- larität massiv gewinnen können. CR: Vielleicht ist Habeck nur deswegen noch populär, weil sich erst im Herbst zei gen wird, was er da wirklich angekündigt hat. Mag sein. Aber er spricht die Probleme wenigstens an. In Österreich ist davon zu wenig zu bemerken. Ich hoffe, das gibt kein böses Erwachen. Sinnvoll wäre, den Menschen zu sagen: Es kann kritisch wer- den, bereiten wir uns vor. Die Menschen verstehen das. Mit vielen Maßnahmen kann man seine Lebensqualität erhalten und gleichzeitig Energie effizienter nut- zen. Falsch wäre zu sagen, dieses oder je- nes Mitglied der Bundesregierung, diese oder jene Behörde ist für die Bewältigung der Krise zuständig und soll sie gefälligst meistern. Das ist eine nationale Aufgaben- stellung. CR: Sie sprachen das Verständnis der Bevölkerung für die Herausforderungen an. Wir beurteilen Sie den Klimarat? Die Ergebnisse zeigen, die Menschen sind bereit, viel weiter zu gehen, als allgemein angenommen wird. Sie haben ein Gespür dafür, wohin es gehen muss, und sie sind bereit, etwas zu tun. Es geht ja auch nicht darum, auf allen Komfort zu verzichten. Niemand will zurück auf die Bäume oder in die Steinzeit.