Kein Wanderpokal Laut dem Geschäftsführer der Gesund heit Österreich GmbH, Herwig Ostermann, könnte ein einheitlicher Topf zur Finanzie rung der Orphan Drugs grundsätzlich sinn voll sein. Er wäre jedoch ausschließlich als Ergänzung zum bestehenden System zur Arzneimittelfinanzierung zu betrachten, nicht etwa als Modell, um diese vollstän dig neu zu organisieren oder „ein weiteres komplexen Systems innerhalb des Gesund heitssystems“ zu etablieren. „Die föderale Struktur Österreichs gibt den Bundeslän dern eine gewisse Autonomie im Gesund heitsbereich. Ein bundesweiter Topf kann die Länder und deren Bevölkerung bei der Gesundheitsversorgung zusätzlich unter stützen. Aber man muss die Nutzung des Topfs an bestimmte Kriterien binden, da mit er sinnvoll eingesetzt werden kann“, konstatierte Ostermann. Warnend fügte Ostermann hinzu, die Bedeutung des Top fes dürfe nicht überschätzt werden: „Dass dieser wie ein Wanderpokal alle Bundes länder glücklich machen wird, glaube ich eher nicht.“ „Krankheiten kümmern sich nicht um Kostenträger.“ Daniela Karall, Innsbrucker Kinderklinik Außerdem sei es nötig, hinsichtlich der Dotierung des Topfs mit Bedacht vorzuge hen: „Das ist eine heikle Geschichte. Was passiert denn, wenn Geld nicht abgeholt wird? Und was ist, wenn ein in Entwick lung befindliches Medikament zur Finan zierung durch den Topf vorgesehen wird und dann das Health Technology Assess ment (HTA) nicht schafft?“ Auch sollte sich laut Ostermann niemand Illusionen bezüg lich der Höhe der Dotierung machen. Der Topf könne sich nun einmal aus nichts anderem speisen als aus den Sozialver sicherungsbeiträgen und den Steuerein nahmen. Und ob es gelinge, im Zuge der Fi nanzausgleichsverhandlungen mit Erfolg mehr Geld für den Gesundheitsbereich zu beanspruchen, bleibe abzuwarten. Insonderheiten Welche Insonderheiten bei der Finan zierung von Orphan Drugs bisweilen auf treten, schilderte Daniela Karall, die Stell vertretende Direktorin der Innsbrucker Kinderklinik und Obfrau des Vereines Fo rum Seltene Krankheiten. So erhielt nur eines von zwei Geschwistern, die an der derselben Krankheit leiden, das benötigte i i r e g n d n a m r ö H / e c v r e s o t o F A P A / I P O F - : d l i B LIFE SCIENCES chemiereport.at AustrianLifeSciences 2023.3 49 Präparat, weil die Rezepte zu unterschied lichen Zeiten ausgestellt worden waren. In einem anderen Fall musste sie eine Diät für ein Kind als „Ernährungstherapie“ dekla rieren, weil sonst kein Akteur des Gesund heitswesens dafür aufgekommen wäre. Enzymersatztherapien, die rund 300.000 Euro pro Jahr kosten, wiederum wurden in Wien während der Coronapandemie in ambulanter Behandlung bezahlt. Aber das galt ausschließlich für die Wiener OEGK Versicherten, für alle anderen Versicher ten dagegen nicht. „Krankheiten kümmern sich nicht um Kostenträger. Wir dürfen niemanden unbehandelt lassen, egal wie alt er ist. Leider fehlen bundesweit einheit liche Lösungen. Vor allem fehlt ein Solida ritätsinstrument für diese Erkrankungsbil der“, resümierte Karall. Ökonomie statt Betriebs- wirtschaftslehre Bernhard Rupp, der Leiter der Abtei lung Gesundheitspolitik in der niederös terreichischen Arbeiterkammer, forderte „österreichweit einheitliche, rechtlich ab gesicherte Entscheidungsstrukturen für den Spitalsbereich und die Zugänglich keit innovativer Therapien für alle Pa tienten, die sie brauchen“. Hilfreich sein könne dabei ein „Finanzierungstopf mit klarer Zweckwidmung und Zugriffsrege lungen, die auf medizinischwissenschaft lichen Kriterien basieren“. Rupp ergänzte, manchmal entstehe der Eindruck, „Spitä ler seien früher dazu dagewesen, um Pa tienten zu heilen, und seien heute dazu da, ihre Budgets einzuhalten. Das kann es nicht sein“. Es gelte, „Ökonomie“ nicht mit bloßer Betriebswirtschaftslehre zu ver wechseln: Letzten Endes habe sie die Stei gerung der nicht nur materiell zu verste henden Lebensqualität aller zum Ziel. Laut Gunda Gittler, die den Arznei mitteleinkauf des Einkaufsverbundes der Barmherzigen Brüder leitet, wäre ein ein heitlicher Topf ein „guter Lösungsansatz“. Nicht sinnvoll wäre ihr zufolge aber eine „Zentralisierung des Einkaufs“. Dieser müsse regional bleiben. Wo nötig, arbei teten die Krankenhausapotheken und Spi talsträger ohnehin zusammen. Einfach anwenden Dominique Sturz, die ObfrauStellver treterin von Pro Rare Austria, des Dach verbands für Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen im Bereich der Seltenen Erkrankungen, konstatierte, mit dem Topf gebe es ein offenbar taugliches Modell zur Bezahlung von Orphan Drugs: „Wenden wir dieses Modell doch einfach an, statt jedes Mal neu mit der Diskussion über die Finanzierung zu beginnen.“ Arzneimittelinnovationen 54 neue Wirkstoffe Insgesamt 54 Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff wurden 2022 in Öster- reich zugelassen, melden das Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie (FOPI) und die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Zum Vergleich: 2021 waren 41 neue Wirkstoffe auf den Markt gekommen, also knapp 32 Prozent weniger. Dem FOPI und der AGES zufolge entfielen rund 30 Prozent der neuen Wirkstoffe auf Mittel gegen Krebs, neun Prozent auf Medika- mente zur Bekämpfung Seltener Erkran- kungen bei Kindern sowie fünf Prozent auf Arzneien gegen COVID-19. Die ver- bleibenden 56 Prozent betrafen laut einer Aussendung „verschiedene andere Thera- piegebiete wie hämatologische Erkrankun- gen, Migräne, Stoffwechselerkrankungen, immunologische Erkrankungen, Osteo- porose, HIV oder Asthma“. FOPI-Vizepräsi- dent Michael Kreppel-Friedbichler forderte Rund 30 % der neuen Wirkstoffe betreffen Krebs. Innovativ: Die Zahl der neu zuge- lassenen Wirkstoffe wuchs von 2021 auf 2022 um knapp 32 Prozent. die Politik einmal mehr auf, „die Rahmen- bedingungen für klinische Forschung zu verbessern. Klinische Studien haben einen hohen Wert für das Gesundheitssystem in Österreich. Sie bringen dem System Ein- sparungen, da die Medikamente von den forschenden Unternehmen getragen wer- den. Und sie erzielen nachweislich hohe Wertschöpfung“.