Großes Lob den großen Daten

Der Einsatz der Datenökonomie im Gesundheitswesen ist gesellschaftlich hilfreich und wirtschaftlich unausweichlich, hieß es bei einer Podiumsdiskussion auf Einladung der Pharmig.

Foto: Energie AG Oberösterreich
„Phantastische Dinge“: Mit großen Datenmengen ist auch im Gesundheitsbereich viel möglich.

 

„Ich frage mich manchmal, ob ich in einem Kafka-Roman oder einem Cervantes-Stück gefangen bin.“ So charakterisierte der Komplexitätsforscher Stefan Thurner bei einer Podiumsdiskussion auf Einladung des Pharmaindustrieverbands Pharmig den Umgang mit Gesundheitsdaten in Österreich. Thurner ist unter anderem Mitglied des österreichischen COVID-19-Prognosekonsortiums. Ihm zufolge ist die Qualität der Gesundheitsdaten nicht selten extrem schlecht. Ferner würden sie ihm und seinen Kollegen von den zuständigen Stellen oft nur zeitverzögert zur Verfügung gestellt, und der Datenfluss sei auch nicht immer durchgängig. Insbesondere bestehen laut Thurner fünf Probleme: Erstens werden wesentliche Gesundheitsdaten von verschiedenen Institutionen erhoben. Zweitens hat keine Stelle sämtliche notwendigen Daten, aber drittens auch keinerlei Anreize, diese mit den anderen Einrichtungen zu teilen. Viertens scheiterten bis dato sämtliche Versuche, alle Gesundheitsdaten zentral zu poolen. Fünftens schließlich würden immer wieder ungerechtfertigte datenschutzrechtliche Bedenken ins Treffen geführt, um die Daten nicht herausgeben zu müssen. Ihm zufolge sollte der Bund „eine unabhängige nationale Medizindatenstelle gründen, die an das Parlament oder an den Rechnungshof berichtet“. Dieser Stelle hätten sämtliche Datenproduzenten ihre Daten zu melden. Und „unter einem breiten Governance-Board“ würden den Sozialversicherungen, der Politik, der Planung und den Forschern jene Daten zur Verfügung gestellt, die sie für ihre Aufgaben brauchen. In das Governance-Board wären Thurner zufolge die Bundesländer ebenso einzubinden wie die verantwortlichen Ministerien, die Sozialpartner, die Patientenanwälte und die Industrie.

 

Milliardeneinsparungen möglich

 

An der Dringlichkeit der Sache ist laut Thurner nicht zu zweifeln: „Wir brauchen viele Daten, um das Gesundheitssystem zukunftsweisend umbauen und weiterentwickeln zu können.“ Etliche Aufgaben ließen sich mit der Analyse großer Datensätze besser und leichter bewältigen, von der Abrechnung von Leistungen über die Ausarbreitung von Daten für Gesundheitsplanung, Prävention und Qualitätssicherung über die epidemiologische Kontrolle, die Impfplanung und das Kapazitäts- sowie das Resilienzmonitoring bis zur Vermeidung von Overmedication. Gerade das ist laut Thurner „ein Riesenthema. Da stecken Milliarden an Einsparungsptenzial drin“.

Und Thurner fügte hinzu: Vor etwa 15 Jahren habe er versucht, medizinische Trajektoren einzelner Patienten zu verfolgen und damit die mutmaßliche Gesundheitsentwicklung von Personen vorherzusagen. Nur ein einziges Mal sei es gelungen, zwei Datensätze aus dem niedergelassenen und aus dem intramuralen Bereich zusammenzubringen: „Damit konnten wir einige phantastische Dinge zeigen.“ Unter anderem erwies es sich als möglich, herauszufinden, an welchen Krankheiten Patienten gleichzeitig laborierten, aber auch, welche Nebenwirkungen Kombinationen von Medikamenten auslösen: „Das müssen ja nicht nur negative Wirkungen sein.“

 

Föderalismus bremst

 

Laut Irene Fialka, der Leiterin von Inits, dem Gründerservice der Universität Wien, der Technischen Universität Wien und der Wirtschaftsagentur Wien, haben Start-ups im Bereich der Datenökonomie insbesondere mit der „Unzugänglichkeit der Daten“ zu kämpfen: „Viele Daten sind unglaublich schwer zu bekommen, nicht nur im Gesundheitsbereich.“ Das aber erschwere, die Artificial-Intelligence-Tools der Start-ups zu trainieren. Ein Problem ist laut Fialka der österreichische Föderalismus: „Wir haben neun Anmeldesysteme für die Impfung gegen SARS-CoV-2. In ganz Indien gibt es ein einziges System.“ Völlig unverständlich ist laut Fialka allerdings nicht, dass die Länder auf der Hoheit über „ihre“ Daten bestehen: „Wir werden durch das Land mitfinanziert. Daher will das Land natürlich, dass die Start-ups hier bleiben und hier Wertschöpfung generieren.“ Und klar ist laut Fialka: Geschäfte mit Daten, auch gesundheitsbezogenen, werden ohnehin gemacht: „Wollen wir das anderen überlassen? Es ist doch besser, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Österreich zu halten.“