EuGH: Mutagenese ähnelt Transgenese

Mit Verfahren wie der „Genschere“ CRISPR/CAS9 hergestellte Organismen fallen unter die GVO-Richtlinie der EU, urteilt das Höchstgericht.

Foto: Gerichtshof der Europäischen Union
EU-Höchstgericht: GVO-Richtlinie gilt auch für CRISPR & Co.

 

„Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen“. Zu diesem Schluss kommt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil in der Rechtssache C-528/16. Wie der EuGH festhält, werden als Mutagenese „alle Verfahren bezeichnet, die es, anders als die Transgenese, ermöglichen, das Erbgut lebender Arten ohne Einführung einer fremden DNS zu verändern“. Unter anderem wurde auf diese Weise Saatgut erzeugt, das gegen bestimmte Herbizide resistent ist.

 

Entscheidend ist laut dem EuGH: Durch Mutagenese wird „eine auf natürliche Weise nicht mögliche Veränderung am genetischen Material eines Organismus vorgenommen“. Daher unterliegen mit einschlägigen Techniken wie der „Genschere“ CRISPR/CAS9 gentechnisch veränderte Organismen der GVO-Richtlinie. Der Grund: „Mit der unmittelbaren Veränderung des genetischen Materials eines Organismus durch Mutagenese lassen sich die gleichen Wirkungen erzielen wie mit der Einführung eines fremden Gens in diesen Organismus, und die neuen Verfahren ermöglichen die Erzeugung genetisch veränderter Sorten in einem ungleich größeren Tempo und Ausmaß als bei der Anwendung herkömmlicher Methoden der Mutagenese.“ Das heißt: Die Methoden der Mutagenese und der Transgenese ähneln einander. Deshalb sind auch die Risiken der beiden Verfahren einander ähnlich. Und das wiederum bedeutet, dass ähnliche Vorkehrungen gegen diese Risiken getroffen werden müssen. Unter anderem sind die Gefahren zu prüfen, die mittels Mutagenese erzeugte GVO für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellen können. Ferner gelten strenge Anforderungen „hinsichtlich ihrer Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Überwachung“. Dies entspricht im Übrigen auch dem Vorsorgeprinzip, das in der EU generell gilt, erläutert der EuGH.

 

Ergänzend konstatiert der Gerichtshof: Die GVO-Richtlinie gilt zwar nicht für Organismen, die mit seit langem als sicher geltenden Mutagenese-Verfahren produziert werden. Das sind primär Verfahren, bei denen nicht gezielt in das Erbgut eingegriffen wird, wie etwa die Bestrahlung mit UV-Licht. Allerdings können die EU-Mitgliedsstaaten solche GVO sehr wohl den Verpflichtungen aus der Richtlinie unterwerfen: „Denn der Umstand, dass diese Organismen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind, bedeutet nicht, dass interessierte Personen sie nach Belieben absichtlich freisetzen oder in der Union als Produkte oder in Produkten in den Verkehr bringen dürfen. Den Mitgliedstaaten steht es somit frei, in diesem Bereich – unter Beachtung des Unionsrechts, insbesondere der Regeln über den freien Warenverkehr – Rechtsvorschriften zu erlassen.“

 

Das Urteil erging aufgrund einer Anfrage des französischen Conseil d’État (Staatsrat). Dort hatten der Landwirtschaftsverband Confédération paysanne und acht weitere Organisationen Klage erhoben. Sie richtete sich dagegen, dass Frankreich Mutagenese-Verfahren wie CRISPR/CAS9 von der Geltung der GVO-Richtlinie ausgenommen hatte.

 

Gentechnikkritiker wie Thomas Waitz, ein EU-Abgeordneter der österreichischen Grünen, begrüßten das Urteil. „Gentechnik bleibt Gentechnik, auch, wenn sie in neuem Gewande als „Gentechnik 2.0“ daherkommt. Das ist ein Rückschlag für die Agrochemiekonzerne, die versucht haben, ihre Methoden der strengen europäischen Gentechnikgesetzgebung zu entziehen“, verlautete er in einer Aussendung. Seitens der Arbeiterkammer hieß es, auch für mittels Mutagenese erzeugte Produkte werde es künftig „eine klare und verpflichtende Kennzeichnung als Gentechnik-Produkte geben“. Das helfe den Konsumenten, sich zurecht zu finden.

 

Kritik kam dagegen vom Verein Saatgut Austria, dem unter anderem die Agrotechnologiekonzerne DuPont Pioneer und Syngenta angehören. Obmann Michael Gohn sprach von einer „undifferenzierten Entscheidung“ und malte die Katastrophe an die Wand. Gerade für kleine und mittelständische Züchter entstehe „immenser Schaden. Sie sind im internationalen Wettbewerb längerfristig quasi chancenlos, was den Konsolidierungsprozess in der Züchtungsbranche weiter beschleunigt“. Und „ mit den heimischen Züchtern werden auch regionale und flächenmäßig weniger bedeutende Sorten bald verschwunden sein“.