„Politik der Abrissbirne“

Die niederösterreichische Gebietskrankenkasse sowie die Ärztekammer kritisieren die gesundheitspolitischen Pläne der mutmaßlichen künftigen Bundesregierung ein. Die Pharmaindustrie sieht diese dagegen positiv.

Foto: NÖGKK
Kritik aus St. Pölten: NÖGKK-Obmann Gerhard Hutter sieht „bloße Machtverschiebung“ als Ziel künftiger Gesundheitspolitik

 

Heftige Kritik an den gesundheitspolitischen Überlegungen der mutmaßlichen künftigen ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition üben Vertreter der Gebietskrankenkasse (NÖGKK) und der Ärztekammer Niederösterreichs. Bei einem Pressegespräch in Wien verlautete NÖGKK-Obmann Gerhard Hutter, natürlich lasse sich auch am international anerkannten österreichischen Gesundheitssystem mancherlei verbessern. Die Koalitionsverhandler hätten jedoch andere Pläne: „Einem bewährten System soll in die Speichen gegriffen werden. Das ist eine Politik der Abrissbirne mit dem Ziel bloßer Machtverschiebung.“ Die FPÖ habe das Problem, in den Kammergremien nicht gerade stark vertreten zu sein. Auch bei den Arbeiterkammerwahlen hielten sich ihre Erfolge in Grenzen: „Da dürfte die Versuchung schon groß sein, an die Macht zu kommen.“ Letzten Endes gehe es um die Privatisierung weiter Teile des Gesundheitssystems, sagte Hutter auf Anfrage des Chemiereports: „Man redet eine Krise herbei, um sich selbst als Retter darstellen zu können.“

 

Der Generaldirektor der NÖGKK, Jan Pazourek, ergänzte, die Krankenkassen hätten etliche sinnvolle Verbesserungen ohnehin bereits in Angriff genommen, insbesondere die Leistungsharmonisierung und die „Aufgabenbündelung im Verwaltungs- und IT-Bereich“. Die seitens der Koalitionäre in spe angestrebte Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen brächte laut Pazourek wenig: In Deutschland habe der Bundesrechnungshof sechs derartige Fusionen untersucht. Das Ergebnis: Bei fünf der Zusammenschlüsse stiegen die Kosten um bis zu 18 Prozent. Ähnlich habe sich in Österreich die Zusammenführung der Kassen für Eisenbahn und Bergbau sowie der Pensionsversicherungsträger ausgewirkt. Vom Chemiereport darauf angesprochen, dass die Leistungsharmonisierung schon längst erfolgen hätte können, konstatierte Pazourek: „Das war ja ohnehin der Fall.“ Schon Ende der 1990er Jahre sowie der 2000er Jahre sei diesbezüglich „viel geschehen. Jetzt geht es bei dem, was wir selbst tun können, eigentlich nur mehr um die letzte Restrate“. Die tatsächlich ins Gewicht fallenden Leistungsunterschiede bestünden zwischen den Bundesinstitutionen und den Gebietskrankenkassen: „Und da müsste der Gesetzgeber tätig werden. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.“

 

Dietmar Baumgartner, der Vizepräsident der niederösterreichischen Ärztekammer und Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte, fügte hinzu, er betrachte die Pläne der ÖVP und der FPÖ als „reinen politischen Aktionismus“. An den eigentlichen Problemen gehe das bisher Bekannte vorbei: „Wir haben immer mehr Kinder mit Diabetes mellitus und eine massive Zunahme an morbider Adipositas im Kindesalter. Außerden droht für die nahe Zukunft ein Ärztemangel.“ Dem mit einer zentralistischen Krankenkasse für alle Bundesländer zu begegnen, sei schwerlich der Weisheit letzter Schluss: „Regionale Unterschiede verlangen dezentrale Entscheidungsstrukturen und müssen im Sinne der Menschen auch in Zukunft Berücksichtigung finden.“

 

Lob von der Pharmig

 

Einiges abgewinnen kann den Vorstellungen der mutmaßlichen künftigen Bundesregierung dagegen der Pharmaindustrieverband Pharmig. Präsident Martin Munte forderte „in Sachen Reform der Sozialversicherung und einer effizienteren Leitung der Finanzierungsströme entscheidende Impulse. Wir werden uns als Industrie partnerschaftlich und in direkten Gesprächen mit der Politik dafür einsetzen, Österreich als Wirtschafts- und speziell als Pharmastandort zu stärken“.