REACH: Jammer aus der Kammer

Die Wirtschaftskammer zieht einmal mehr gegen das Chemikalienmanagementsystem vom Leder - und stößt auf nachhaltigen Widerstand.

Foto: UBA/Gröger
Riesiger Informationsbestand: Im Rahmen von REACH wurden bisher über 21.000 chemische Substanzen registiert.

 

Hart ist das Los der österreichischen Chemiebranche und zumal der dieser zugehörigen Klein- und Mittelbetriebe, klagte die stellvertretende Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Mariana Kühnel, bei der Tagung „International Chemical Policy from a European Perspective“ am 24. Oktober in Wien. Nicht zuletzt das Chemikalienmanagementsystem REACH bringe sie stark unter Druck. Mit den komplexen Vorgaben aus eigener Kraft zurande zu kommen, sei schlechterdings unmöglich, weil die personellen Ressourcen fehlten. Folglich bleibe nichts anderes übrig, als sich externer Berater zu bedienen, was nicht gerade billig sei. Und das Geld, das die Unternehmen der Chemieindustrie in die REACH-Compliance zu stecken hätten, ließe sich mindestens ebenso sinnvoll in Innovationen investieren. Innovationen, deren Umsetzung durch mancherlei Regulierung wie gerade auch REACH alles andere als befördert werde. „Die Regulierung kann ein Show-stopper für die ganze Branche sein“, lamentierte die Kammerfunktionärin.

So ziele REACH etwa auf den verminderten Einsatz besonders bedenklicher Substanzen (Substances of Very High Concern, SVHC). Doch manche davon seien für die Produktion von Arzneimitteln wichtig. Bleibatterien wiederum fänden sich ebenfalls im Visier von REACH. Doch sie würden als „Back-up“ für Lithium-Batterien benötigt, die für den flächendeckenden Einsatz der Elektromobilität unverzichtbar seien. Kurz und schlecht: REACH sei eine Belastung, teuer und mache Europa für Investitionen weniger attraktiv, so Kühnels Fama. In Asien dagegen achte die Politik auf Wettbewerbsfähigkeit, ebenso in den USA: „Dort sieht man sich die Chemiegesetzgebung an und versucht, so pragmatisch wie möglich zu sein“. Was immer Pragmatismus im Sinne von Donald Trump nun auch bedeuten mag.

 

Nicht derart schwarzmalen wollte Christian Gründling, Referent im Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO). Er konstatierte: „Nach zehn Jahren REACH ist klar: Das System funktioniert, und die Industrie steht dazu.“ Freilich seien Anpassungen und Vereinfachungen notwendig. Aber über die werde ohnehin diskutiert. Die EU-Kommission habe ja bekanntlich im Frühjahr ihren REACH-Review vorgelegt, inklusive 16 Vorschlägen für Verbesserungen. Für das immer wieder eingemahnte Aktualisieren (Updating) der REACH-Registrierungsdossiers brauche die Industrie schlicht und einfach etwas mehr Zeit. Und wichtig sei auch, für den Import von Produkten aus Drittstaaten dieselben Kriterien anzulegen wie für in der EU erzeugte Güter: „Wir brauchen ein Level-playing field“.

 

Resultat gemeinsamer Anstrengungen

 

Josef Plank, der Generalsekretär des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT), ließ die WKO-Kritik an REACH nicht stehen. Er verwies darauf, dass im Rahmen des Chemikalienmanagementsystems mittlerweile über 21.000 Substanzen registriert sind. Somit verfügt die EU über den weltweit größten Datenbestand, was chemische Stoffe betrifft: „Das ist das Resultat der gemeinsamen Anstrengungen der Industrie und der Behörden. Wir können stolz darauf sein.“ Und der Nutzen ist laut Plank unbestreitbar: Für sämtliche unter REACH erfassten Stoffe ist nun erheblich besser bekannt, welche Risiken der Umgang mit ihnen mit sich bringt. Die etwa 4.500 SVHCs werden noch genauer untersucht. Für einen erheblichen Teil davon sind die Untersuchungen bereits abgeschlossen.
Wichtig ist Plank zufolge die Substitution solcher Substanzen. Eine diesbezügliche Strategie der europäischen Chemikalienagentur ECHA liegt seit Frühjahr vor. Plank betonte, das Ziel der Substition bestehe darin, die Produktionsprozesse der Chemieindustrie in einen größeren Zusammenhang zu sehen: „Wir müssen in Richtung Kreislaufwirtschaft gehen. Und das ist bereits beim Design neuer Stoffe und Produkte zu berücksichtigen.“

 

Thomas Jakl, der stellvertretende Leiter der Sektion für Abfallwirtschaft, Chemiepolitik und Umwelttechnik im BMNT, konstatierte, im kleinen Kreis sprächen Industrievertreter immer wieder über die vielfältigen Vorteile, die ihnen REACH bringe: Sie hätten sehr viel über ihre Produkte und deren Einsatz gelernt. Das ermögliche es ihnen, erheblich besser als zuvor mit ihren Kunden zusammenzuarbeiten. REACH erweise sich nicht zuletzt dadurch als eindeutiger Wettbewerbsvorteil. „Das sagt die Industrie zwar nicht öffentlich, aber sie sagt es“, betonte Jakl.

 

REACH als Wettbewerbsvorteil

 

Das unterstrich auch Otto Linhart von der Generaldirektion Wachstum (DG Growth) der Europäischen Kommission: „Nach den uns vorliegenden Daten und Fakten sorgt REACH definitiv für Innovationen und damit für Wettbewerbsvorteile europäischer Unternehmen. Ein Hindernis für Investitionen und Innovationen ist das System sicherlich nicht.“ Durch den Druck in Richtung Substitution bedenklicher Substanzen würden die Firmen angeregt, über Alternativen zu derzeit verwendeten Stoffen und Verfahren nachzudenken. Und: „Von Unternehmen außerhalb der EU höre ich immer wieder: Ihr versucht mit REACH und seinen strengen Vorgaben, Eure Industrie zu schützen.“ Denn keineswegs überall sei die Chemieindustrie technologisch so hoch entwickelt, dass sie REACH und vergleichbare Vorgaben einhalten könne. Bernhard Berger von der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission ergänzte, REACH sei ein Thema, das die Generaldirektionen Wachstum und Umwelt gemeinsam bearbeiteten. So sei sichergestellt, dass beide Perspektiven angemessene Berücksichtigung finden.