Šefčovič gegen neue Pipelines

Noch im September will der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, eine Vereinbarung über die Erdgasversorgung der Ukraine im kommenden Winter abschließen. Bei seinem Besuch in Wien am 21. September erläuterte Šefčovič vor Journalisten, die EU arbeite an einem umfassenden Finanzierungspaket, bestehend aus Krediten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), der Europäischen Investitionsbank (EIB) und anderer Finanzinstitute. Dieses soll sicherstellen, dass die Ukraine genug Gas einlagern kann, um selbst einen strengen Winter durchzustehen. Zurzeit soll sich der Speicherstand auf etwa 15,3 Milliarden Kubikmeter belaufen. Benötigt werden nach Schätzungen von Experten rund 17 bis 19 Milliarden Kubikmeter.

Maroš Šefčovič, Vizepräsident der EU-Kommission
Bild: BMWFW/Franz Hartl
Vizepräsident Šefčovič in Wien: wenig Freude mit den Russen

 

Ablehnend äußerte sich Šefčovič auf Anfrage des Chemiereport zu den geplanten russländischen Pipelines Nord Stream 2 und Turk Stream. Diese würden nicht benötigt, weil zurzeit „nur rund 50 bis 57 Prozent der Kapazität auf den bestehenden Leitungen genutzt wird.“ Mit Nord Stream 2 und Turk Stream würde sich die Leistung der Transitleitungen nahezu verdoppeln: „Das heißt, es würde künftig nur ein Viertel der verfügbaren Kapazität genutzt. Wirtschaftlich ergibt das keinen Sinn.“ Außerdem hätten Vertreter der russländischen Regierung sowie des Gaskonzerns Gasprom mehrfach mitgeteilt, mit den Pipelines die Ukraine umgehen zu wollen. Laut Šefčovič ist dies aus mehreren Gründen „besorgniserregend“. Erstens würde die Ukraine die Transitgebühren verlieren, die sich auf etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Zweitens entfielen die Möglichkeiten, Gas gegen die übliche Fließrichtung („reverse-flow“) in die Ukraine zu liefern. Drittens wären von einer Stilllegung des Pipelinesystems durch die Ukraine auch Staaten in Zentraleuropa sowie auf dem Westbalkan betroffen. „Daher sage ich: Wir müssen mit den EU-Mitgliedsstaaten sowie den wichtigsten Gaslieferanten, darunter auch den Russen, Szenarien erarbeiten, um die Versorgung aller europäischen Staaten, nicht nur unserer Mitglieder, zu verbessern“, betonte Šefčovič.

 

Sorgfältig prüfen

Der Kommissions-Vizepräsident fügte hinzu, er kenne noch keine Details der geplanten Pipelineprojekte. Und „natürlich muss jedes derartige Infrastrukturprojekt sehr genau untersucht werden, um sicherzugehen, dass das EU-Recht eingehalten wird. Wir würden die neuen Vorhaben daher mit derselben Sorgfalt prüfen, wie wir die South-Stream-Pipeline geprüft haben.“ Dieses Projekt wurde von russländischer Seite im Dezember 2014 nach jahrelangen ergebnislosen Debatten mit der EU-Kommission aufgegeben. Als Ersatz soll die Turk Stream auf einer weitgehend identischen Route gebaut werden. Als Endpunkt ist ein neu zu errichtender Gasnetzknoten nahe des türkischen Dorfs Kiyiköy 150 Kilometer nordwestlich von Istanbul geplant.

 

Vom Chemiereport gefragt, ob er versuchen werde, Pipelinevorhaben auch dann zu verhindern, wenn diese dem EU-Recht entsprechen, wich Šefčovič aus: „Ich habe dafür zu sorgen, dass das EU-Recht eingehalten wird. Das betrifft sowohl das 3. Binnenmarktpaket als auch die Rechtsakte zur Versorgungssicherheit.“ Weiters stelle sich die Frage der Wirtschaftlichkeit, „aber diese müssen die beteiligten Unternehmen beantworten.“

 

Hinsichtlich des Projekts Nord Stream 2 sind laut Šefčovič in näherer Zukunft keine Gespräche zwischen der EU-Kommission und den Vertretern des Konsortiums aus der Gasprom, dem deutschen Chemieriesen BASF, dem deutschen Energiekonzern E.On, dem französischen Energiekonzern Engie (vormals GDF Suez), der Shell und der OMV geplant. „Diesbezüglich müsste das Konsortium auf uns zukommen. Zurzeit laufen aber meines Wissens nach noch interne Abstimmungen“, sage Šefčovič.

 

 

Wichtige Rolle Österreichs

Zufrieden äußerte sich Šefčovič hinsichtlich seiner Gespräche mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der als Wirtschaftsminister für Energiepolitik zuständig ist. Österreich mache insbesondere beim Ausbau der erneuerbaren Energien „sehr gute Fortschritte“. Das Ziel, ab 2020 mindestens 34 Prozent des Brutto-Endenergiebedarfs mit den „Erneuerbaren“ zu decken, werde offenbar übererfüllt. Auch als Drehscheibe für Energietransporte spiele Österreich im Zentrum der EU eine wichtige Rolle.