Weiter Krach um EMA-Sitz

Dass der Europäische Rat erst im November über den neuen Standort der European Medicines Agency (EMA) entscheidet, findet nicht die Gnade der Pharmaindustrie.

Parlamentsgebäude in Wien
Foto: Parlamentsdirektion/Peter Korrak
EMA willkommen: Auch Österreich bewirbt sich als neuer Standort der European Medicines Agency.

 

Der europäische Pharmaindustrieverband EFPIA grollt der hohen Politik. Mit Unwillen nehme die Branche zur Kenntnis, dass der Europäische Rat erst im November über den neuen Sitz der European Medicines Agency (EMA) entscheidet, hieß es in einer Aussendung: „Es erregt schwere Besorgnis, dass die Beratungen der Staats- und Regierungschefs nicht zur einer frühzeitigen Entscheidung über den neuen EMA-Standort geführt haben. Im Falle einer bewussten Behinderung oder eines Fehlschlags des Entscheidungsprozesses hat Europa keine Ausweichmöglichkeit.“

 

Freilich bräuchten die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit) ihre Zeit. Trotzdem müsse rasch über die EMA entschieden werden, weil Arzneimittel „sich direkt auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bürger der EU wie auch Großbritanniens auswirken“. Mehr als zwei Jahrzehnte lang hätten die EU-Mitgliedsstaaten von der Tätigkeit der Agentur profitiert. Umso wichtiger sei es, zu gewährleisten, dass sie ihre Rolle auch weiterhin wahrnehmen könne, Brexit hin oder her. Laut EFPIA muss es deshalb Priorität haben, die „Unsicherheit über den Standort der EMA zu beseitigen und Übergangsbestimmungen für alle Fragen festzulegen, die die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten betreffen könnten“.

 

Gemäß dem Beschluss des Europäischen Rates können sich die Mitgliedsstaaten bis 31.Juli als neuer Sitz der EMA und der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) bewerben. Beide Institutionen sind derzeit im Londoner Bürokomplex Canary Wharf im ehemaligen Hafengebiet der britischen Hauptstadt angesiedelt. In Zukunft werden sie dem gegenüber in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten ansässig sein. Bis spätestens 30. September übermittelt die EU-Kommission ihre Bewertung der Bewerbungen an den Europäischen Rat. Ferner wird diese Bewertung veröffentlicht.

 

Drei Stufen

 

Der Europäische Rat entscheidet im November, wobei ein dreistufiges Wahlverfahren gilt und Großbritannien nicht wahlberechtigt ist. Zuerst wird über die EMA entschieden. Im ersten Wahlgang hat jeder Mitgliedsstaat eine Stimme zu je sechs Stimmpunkten. Drei der Punkte davon muss er der seiner Ansicht nach besten Bewerbung geben, zwei der zweitbesten und einen der drittbesten. Sämtliche Punkte müssen vergeben werden, damit die Stimme eines Staates gültig ist. Gewählt ist jener Standort, der je drei Punkte von mindestens 14 Mitgliedsstaaten erhält.

 

Trifft dies auf keinen Standort zu, kommt es zu einem zweiten Wahlgang. Daran nehmen die drei Standorte mit den höchsten Punktezahlen teil. Haben mehr als drei Bewerbungen diese Zahl erreicht, sind sie alle in der zweiten Runde vertreten. In dieser hat jeder Staat eine Stimme zu einem Stimmpunkt. Gewählt ist der Standort, der mit mindestens 14 Stimmen die absolute Mehrheit der Stimmen der 27 wahlberechtigten Staaten erreicht. Entfällt auf keine der Bewerbungen die absolute Mehrheit, erfolgt ein dritter Wahlgang unter den beiden bzw. bei Gleichstand unter allen Höchstbewerteten. Auch dabei haben die Staaten jeweils eine Stimme zu einem Stimmpunkt. In dieser Runde entscheidet die relative Mehrheit, bei Gleichstand das Los.

 

Jener Staat, der als neuer Sitz der Arzneimittelagentur ausgewählt wurde, muss seine allfällige Kandidatur um die EBA zurückziehen. Deren Standort wird ebenso ermittelt wie jener der EMA.