ERC: Ferrari geht im Streit

Der Präsident des European Research Council ist nach nur drei Monaten zurückgetreten. Er verweist auf ein angeblich torpediertes COVID-19-Programm, seine Gegner attestieren ihm schwere Pflichtversäumnisse.

Foto: EC Audivisual Service / Georges Boulougouris
Ex-ERC-Präsident Mauro Ferrari: „genug gesehen von der europäischen Wissenschaftspolitik“

 

Nach nur drei Monaten ist der Präsident des European Research Council (ERC), Mauro Ferrari, zurückgetreten. In einem Brandbrief, der dem Chemiereport vorliegt, beschuldigt er seine Ex-Kollegen, seine „idealistischen Bemühungen“ im Kampf gegen die Corona-Pandemie aus rein formalen Gründen torpediert zu haben. Er habe ein spezielles ERC-Programm zu COVID-19 aufsetzen wollen, was angesichts der absehbaren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen „Verwüstungen“ durch die Pandemie wohl mehr als gerechtfertigt gewesen sei. Sein Ziel habe darin bestanden, den besten einschlägigen Wissenschaftlern der Welt Fördermittel zur Verfügung zu stellen.

 

Mit dem Hinweis, das ERC verfolge einen „Bottom-up“-Ansatz und mache Wissenschaftlern keine inhaltlichen Vorgaben, sei dies indessen einstimmig abgelehnt worden. Jedoch habe ihn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen persönlich um seinen Rat hinsichtlich der Pandemie gefragt. Binnen dreier Tage habe er, Ferrari, daraufhin ein Programm erarbeitet. Dieser direkte Kontakt mit der Präsidentin sei ihm im ERC schwer verübelt worden. Letzten Endes habe er „das Vertrauen in das System verloren“. Es mangle den EU-Mitgliedsstaaten offenbar völlig an der Koordination ihrer Vorgangsweisen gegen COVID-19, gerade auch im wissenschaftlichen Bereich. Statt dessen würden Finanzhilfen blockiert und Grenzen einseitig geschlossen: „Ich fürchte, ich habe genug gesehen von der europäischen Wissenschaftspolitik und den politischen Operationen der EU.“

 

Nun kehre er zurück an die „Front im Kampf gegen COVID-19“ und verlasse Brüssel, wo sich seine politischen Fähigkeiten als „offenbar unzulänglich“ („clearly inadequate“) erwiesen hätten.

 

Sparsam mit der Wahrheit

 

Die Reaktion des ERC erfolgte umgehend: Ferraris Darstellung habe mit den Tatsachen nichts zu tun. Bereits am 27. März hätten ihn alle 19 aktiven Mitglieder des Scientific Council des ERC zum Rücktritt aufgefordert. Ausschlag gebend seien vier Gründe gewesen: Erstens habe Ferrari den Sinn des ERC und dessen Rolle im Kontext des EU-Forschungs-Rahmenprogramms Horizon 2020 nicht im mindesten begriffen. Zweitens müsse ihm ein Mangel an Engagement für das ERC vorgeworfen werden: Er habe an einer ganzen Reihe wichtiger Sitzungen nicht teilgenommen und statt dessen viel Zeit in den USA verbracht. Das Programm und die Mission des ERC zu vertreten, sei ihm dagegen nicht in den Sinn gekommen. Drittens habe Ferrari etliche persönliche Initiativen innerhalb der EU-Kommission gestartet und seine Position missbraucht, um eigene Ideen zu vertreten statt das ERC. Zu schlechter Letzt sei Ferrari umfangreichen externen wissenschaftlichen wie auch wirtschaftlichen Vorhaben nachgegangen und habe diesen öfters Vorrang gegenüber seinen Verpflichtungen beim ERC eingeräumt. Sein Rücktritt am 7. April sei somit faktisch die Folge eines einstimmigen Misstrauensvotums.

 

Die von Ferrari erwähnte Initiative in Sachen COVID-19 habe das Scientific Council nicht unterstützt, „weil dies nicht unsere Aufgabe ist und die Generaldirektion Forschung und Innovation, mit der wir verbunden sind, bereits sehr aktiv neue diesbezügliche Programme entwickelt“. Über 50 ERC-Programme mit einem Gesamtvolumen von etwa 100 Millionen Euro im Zusammenhang mit COVID-19 seien im Laufen oder bereits abgeschlossen: „Wir bedauern daher Herrn Professor Ferraris Stellungnahme, die bestenfalls sparsam mit der Wahrheit umgeht.“

 

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der League of European Research Universities (LERU) und Präsident der Sorbonne, Jean Chambaz. Dass Ferrari nach nur drei Monaten von den USA aus seinen Rücktritt als ERC-Präsident erklärt habe, sei „bedauerlich, aber unvermeidbar“. Ferrari erzähle seine eigene Geschichte, zeige aber gerade damit sein mangelndes Verständnis für den Ansatz des ERC. Dieses werde weltweit für seine Erfolge bewundert: „Im Rahmen des Investitionsplans der EU zum Kampf gegen die derzeitige Krise sollte es daher noch stärker unterstützt werden. Alles Übrige ist unerheblich.“