Impfstofferzeugung: Produktion auf vollen Touren

Noch ist die COVID-19-Pandemie alles andere als bewältigt. Aber mittlerweile steht eine Reihe von Impfstoffen und Arzneien zu ihrer Bekämpfung zur Verfügung. Und deren Produktion wurde massiv gesteigert, hieß es bei einer Pressekonferenz der IFPMA.

Foto: Merck KGaA
Merck-Chefin Belén Garijo: medizinische Kollateralschäden durch Fokussierung auf COVID-19 nicht unterschätzen


„Die COVID-19-Pandemie ist weit davon entfernt, vorbei zu sein.“ Das betonte Rasmus Bech Hansen, der Mitbegründer und Chef von Airfinity, kürzlich bei einer Pressekonferenz der IFPMA, des globalen Verbandes der Pharmaindustrie. Airfinity ist einer der weltweit wichtigsten Anbieter von Daten zur COVID-19-Pandemie, insbesondere zur damit im Zusammenhang stehenden Erzeugung von Impfstoffen und Arzneimitteln. Hansen zufolge sind derzeit etwa 30 Prozent der Weltbevölkerung vollständig gegen das COVID-19-Virus SARS-CoV-2 geimpft: „Und die Impfungen wirken offenbar. In Ländern, in denen die Impfraten höher sind, sind im Gegenzug die Sterberaten niedriger.“ Was nun die globale Produktion der Vakzine betrifft, belief sich diese laut Hansen im August auf rund 6,12 Milliarden Dosen. Für das Gesamtjahr rechnet er mit etwa 12,23 Milliarden Dosen, für 2022 mit 24 Milliarden. Fast die Hälfte der heurigen Erzeugung dürfte auf die Mittel der chinesischen Pharmaunternehmen Cansino, Beijing/Sinopharm, Sinovac und Anhui Zhifei entfallen, konstatierte Hansen: „Die Chinesen habe ihre Erzeugung in einem sehr hohen Tempo ausgebaut. Mittlerweile sind sie führend, auch wenn es einige Fragen hinsichtlich ihrer Impfstoffe gibt.“ Unter den westlichen Konzernen sind Pfizer/Biontech und Astrazeneca hinsichtlich der Produktionsmengen führend und dürften dies zumindest bis Jahresende auch bleiben. Laut Hansen bestehen zwischen den Pharmafirmen mittlerweile 231 Vereinbarungen über die Erzeugung von COVID-19-Impfstoffen.

 

Angesichts der steigenden Erzeugungsmengen sieht es auch nicht schlecht aus, was die Verfügbarkeit in den Industriestaaten nicht benötigter Impfstoffdosen für wirtschaftlich schwächere Länder besteht. Selbst wenn die „Erste Welt“ massiv in die Drittimpfung geht, stehen heuer rund 1,2 Milliarden Dosen zur Weiterverteilung an die „Dritte Welt“ zur Verfügung. Keinen Anlass zur Sorge sollte laut Hansen auch die Wirksamkeit der Vakzine gegen die Delta-Variante von SARS-CoV-2 bieten. Sie liegt bei dem Impfstoff von Astrazeneca bei 65 Prozent, bei jenem von Pfizer/Biontech bei 77 Prozent und bei dem von Moderna bei 85 Prozent. Dazu kommt, dass etliche weitere Vakzine in Entwicklung sind, davon 38 in der Phase I, 14 in der Phase II und 29 in der Phase III. Im präklinischen Stadium befinden sich weitere 344 Impfstoffkandidaten. Was die weltweiten Marktanteile der zugelassenen Impfstoffe betrifft, liegt zurzeit Pfizer/Biontech mit rund 45 Prozent an der Spitze, gefolgt von Moderna und Astrazeneca mit jeweils etwa 18 Prozent, Johnson & Johnson mit 17 Prozent, Sputnik V mit zwei Prozent und Bharat mit einem Prozent. Ferner werden auch zunehmend Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19 verfügbar, ergänzte Hansen. Die zurzeit zugelassenen acht Medikamente seien gewissermaßen „Hidden Heroes“: „Wir werden SARS-CoV-2 nicht ausrotten können. Aber wir können mancherlei dagegen tun.“

 

Schlaflose Nächte

 

Zuversichtlich gaben sich bei der Pressekonferenz denn auch die Führungspersönlichkeiten einiger großer Pharmakonzerne. Pfizer-Chef Albert Bourla etwa berichtete, sein Unternehmen habe geplant, heuer 1,3 Milliarden Dosen seines COVID-19-Impfstoffs herzustellen: „Tatsächlich dürften wir auf etwa drei Milliarden Dosen kommen, 2022 auf rund vier Milliarden.“ Auf die Frage, wie Pfizer das geschafft habe, antwortete Bourla: „Mit einer Unzahl schlafloser Nächte und der Anstrengung tausender Beschäftiger.“ Natürlich habe der Aufbau zusätzlicher Erzeugungskapazitäten auch eine Stange Geld gekostet. Und ein noch größeres Problem sei gewesen, die Rohstoffe für die Produktion der Vakzine zu beschaffen, nicht zuletzt infolge von Exportbeschränkungen und anderen Handelshindernissen. Aber letzten Endes habe alles bestens funktioniert: „Wir als Pharmabranche haben in Rekordzeit Impfstoffe und Medikamente entwickelt und deren Produktion hochgezogen.“ Als einen wesentlichen Grund für dieses Ergebnis bezeichnete Bourla die Zusammenarbeit von Unternehmungen, die sonst teils erbitterte Konkurrenten seien: „Wenn wir das bei COVID-19 konnten, sollten wir es bei der Bekämpfung anderer Krankheiten auch können, etwa bei Krebs.“ Entschieden verwahrte sich Bourla gegen die Vorhaltung, im August Preiserhöhungen angestrebt und angekündigt zu haben: „Ich habe nichts dergleichen getan. Und die Preise sind nicht gestiegen.“ Übrigens habe Pfizer rund 41 Prozent bzw. 1,3 Milliarden Stück der bisher erzeugten Impfstoffdosen an wirtschaftlich schwächere Länder geliefert. Im kommenden Jahr werde eine weitere Milliarde Dosen dorthin verfrachtet.

 

Gegen die Deltavariante entwickle Pfizer mit Biontech eine eigene Version seines Impfstoffs: „Wir sind aber nicht sicher, ob wir diese brauchen, weil die derzeit verfügbare Version diese Variante gut bekämpft.“ Grunsätzlich ergebe es keinen Sinn, für jede neue Mutation des Virus eine eigene Impfstoffversion zu schaffen: „Bei Delta haben wir das getan, weil sich diese Mutation innerhalb nur weniger Monate über die ganze Wel verbreitet hat.“

 

Warnung vor Kollateralschaden

 

Belén Garijo, die Vorsitzende der Geschäftsleitung des deutschen Pharmariesen Merck, stimmte Bourla weitgehend zu. Auch ihr Unternehmen habe seine Produktionskapazitäten „so schnell wie möglich ausgebaut und dafür viel Geld in die Hand genommen“. Und angesichts des Bedarfs an Impfstoffen sei die Nachfrage für die entsprechenden Rohmaterialien, aber auch für die Fabriksausrüstung, in die Höhe geschossen. Überdies habe ihr Konzern ebenso wie andere Pharmaunternehmen Etliches an Personal für den Betrieb der neuen Anlagen schulen müssen. Und Garijo fügte hinzu: „COVID-19 hat eine völlig neue wirtschaftliche Umwelt für die Pharma- und Ligfe-Sciences-Industrie geschaffen. Die Art, wie wir arbeiten und zusammenarbeiten, hat sich komplett geändern. Und ein Zurück in die Zeit vor der Pandemie gibt es nicht mehr.“ Als schwerwiegendes Problem erachtet Garijo, dass vor lauter COVID-19 die Bekämpfung anderer Krankheiten in den Hintergrund geriet: „Das ist ein Kollateralschaden, den wir keinesfalls unterschätzen dürfen.“

 

Volle Kapazität

 

Paul Stoffels, der Chief Scientific Officer von Johnson & Johnson, ergänzte, die Produktion von Impfstoffen sei „äußerst kompliziert und erfordert Erzeugungsschritte in aller Welt. Daher ist es notwendig, die Beschäftigten entsprechend auszubilden. Noch nie haben so viele Menschen in diesem Bereich gearbeitet.“ Sein Unternehmen arbeite mit Behörden in aller Welt zusammen, „um maximalen Schutz für die Bevölkerung gewährleisten zu können. Wir brauchen Kooperation mit den Regierungen, damit die Impfstoffe und die Produktionseinheiten so rasch wie möglich zugelassen werden können“. Die Politik sei gut beraten, die Industrie arbeiten zu lassen: „Dann wird es genug Impfstoff für alle geben.“

 

Laut Bill Anderson, dem Chef von Roche Pharmaceuticals, begann sein Unternehmen unmittelbar nach dem Ausbruch der Pandemie damit, zehn Medikamente auf ihre mögliche Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 zu testen: „Wir wussten ja nicht, welche Patienten auf welche Medikamente ansprechen und wie sie das tun. Und natürlich wollten wir nicht mehr Schaden anrichten als Nutzen zu bringen“. Mittlerweile fahre Roche alle Fabriken zur Erzeugung von Vakzinen und Arzneimitteln gegen SARS-CoV-2 mit voller Kapazität. Aber die Produktion dieser Mittel sei technisch nun einmal anspruchsvoll und aufwendig: „Das kann man nicht in jedem kleinen Betrieb machen.“ Und Anderson betonte: Bei der Bereitstellung der Impfstoffe und sonstigen Medikamente habe sich Roche „immer am Bedarf der Patienten orientiert und an nichts Anderem“.