Kreislauf zum Wachsen

Wie die Chemieindustrie weiter wachsen kann, wurde bei der Chemicals Convention in Wien diskutiert. Eine Möglichkeit ist die vielzitierte Kreislaufwirtschaft, die die EU anstrebt.

Foto: BASF SE
Lob von der EU-Kommission: Europa hat „die beste Chemieindustrie der Welt“.

 

Wachstumsmöglichkeiten für die Chemieindustrie waren einer der Schwerpunkte der Chemicals Convention des europäischen Branchenverbandes CEFIC Ende Oktober in Wien. Bei einer Podiumsdiskussion am 27. Oktober warnte Rachael Bartels, die Leiterin der weltweiten Chemieabteilung des Beratungsunternehmens Accenture: Die Branche werde durch „disruptive Kräfte“ von außen bedroht. Vor allem in Europa fehle es an Investitionen. Weitere Herausforderungen bestünden darin, die Unternehmensfinanzierung neu zu auszurichten, die Firmen umstrukturieren und die Kosten zu senken. Daher werde es zwangsläufig zu Konsolidierungen und Unternehmenszusammenschlüssen kommen: „Aber das allein löst die Probleme nicht. Die Chemieindustrie muss sich fragen, wer die besten Unternehmen hinsichtlich der Kreislaufwirtschaft sind. Da draußen auf dem Markt gibt es Leute mit massivem Veränderungswillen. Für die Chemiebranche stellt sich die Frage, wie sie damit umgehen soll.“ Noch habe sie ihren Platz in der Wertschöpfungskette der Kreislaufwirtschaft nicht gefunden, „obwohl diese eigentlich ein Geschenk für die Chemieindustrie ist. Sie kann helfen, diese Wirklichkeit werden zu lassen. Aber dazu braucht sie Ideen und Visionen“. Zweifellos könne die Branche die gegenwärtigen Herausforderungen meistern. Denn sie verfüge über die „wichtigste Ressource dazu, nämlich Hirnschmalz. Außerdem hat sie das nötige Geld, um sich neu aufzustellen. Orientieren Sie sich nicht nur an bestehenden Märkten, sondern schaffen Sie sich selber neue Märkte.“

 

Gegen Bartels´ Vorwurf mangelnder Innovationen verwahrte sich Heinz Haller, der Vizepräsident von CEFIC und Präsident von Dow Europe, MEA and India: „Schauen wir uns Dow an: Wir allein bringen jährlich rund 5.000 neue Produkte auf den Markt.“ Freilich gewännen chinesische Unternehmen Marktanteile: „Aber China hat seine Chemieindustrie ja primär für den eigenen Markt entwickelt.“ Europa wiederum sei alles andere als industriefreundlich, vor allem hinsichtlich seiner Regulierungen: „Genau wegen der Regulierung haben wir Marktanteile verloren. Wir haben höhere regulatorische Kosten als die Industrie in der übrigen Welt. In gewisser Weise bringt uns die Regulierung um.“ Das gehöre geändert, denn ohne Chemieindustrie komme Europa nicht aus. Die Branche biete Lösungen für etliche globale Probleme. „Wir haben Technologien für die Lebensmittel- und Wasserversorgung. Die nötige Reduktion des Kraftstoffverbrauchs von Fahrzeugen funktioniert nur mit neuen Wertstoffen, die wir produzieren. Zweifellos waren wir in der Vergangenheit ein Teil vieler Umweltprobleme. Daher müssen wir jetzt ein Teil ihrer Lösung sein“, betonte Haller.

 

Zu einer gewissen Gelassenheit riet Carsten Brzeski, der Chefökonom der ING-DiBa. Disruption bedeute nicht, „dass es kein Wachstum in den traditionellen Geschäftszweigen mehr gibt. Es heißt ja immer, Tesla sei die große Bedrohung der Autoindustrie. Aber wie viel Geld hat Tesla bisher verdient? Nach großer Bedrohung sieht das eher nicht aus“. Es sei durchaus erfreulich, wenn immer wieder neue Unternehmen in den Markt einträten: „Aber wie viele davon werden überleben?“

Und was Hallers Klagen über die Regulierung betrifft, wollte Brzeski diese nicht überbewerten: „Natürlich muss er das sagen. Das ist sein Job als CEFIC-Vizepräsident.“ Auch die chinesische Wirtschaft dürfe nicht überschätzt werden: „Die Chinesen versuchen, Hightech-Unternehmen zu akquirieren. Aber zumindest derzeit fehlt ihnen noch die Innovationskraft, die wir in Europa haben.“

 

Unterstützung von der Kommission

 

Zur europäischen Chemieindustrie und deren Stärkung bekannten sich Jos Delbeke, der Leiter der Generaldirektion Climate Action der EU-Kommission, und Kestutis Sadauskas von der Generaldirektion Umwelt der Kommission. Delbeke erklärte, er betrachte „die Industrie insgesamt und vor allem die Chemieindustrie als Verbündeten. Für uns ist das keine „schmutzige“ Industrie“. Die klimapolitisch erwünschten Windkraftwerke gebe es ohne die Chemiebranche ebensowenig wie Batterien. „Wir haben in Europa die beste Chemieindustrie der Welt. Sie muss ihre Chancen nur wahrnehmen und nutzen“, betonte Delbeke.

Sadauskas ergänzte, ohne Chemieindustrie werde es keine Kreislaufwirtschaft geben. Zu deren Verwirklichung würden neue Produktionsmethoden ebenso benötigt wie neue Materialien. Auf Plastik könne die Menschheit auch weiterhin nicht verzichten: „Die Frage ist allerdings, wie wir Kunststoffe herstellen und nutzen. Es gilt, sie mit besseren Verfahren zu erzeugen und zu höheren Preisen zu vermarkten als bisher.“ Nicht zuletzt dem diene die „Plastikstrategie“, die die EU-Kommission innerhalb der nächsten zwei Monate vorlegen werde.