„Menschen sind keine Herden“

WHO-Exekutivdirektor Michael Ryan kritisiert den Ansatz, das Herdenimmunitäts-Konzept aus dem Impfstoffbereich auf die Bewältigung der COVID-19-Pandemie umzulegen.

Foto: EC Audivisual Service / Ronny Hartmann
Vorbildlich: Vor allem Südkorea und Deutschland gehen gut mit der COVID-19-Pandemie um, lobt WHO-Exekutivdirektor Michael Ryan.

 

Heftige Kritik an der Anwendung des Herdenimmunitäts-Konzepts auf die Bewältigung der COVID-19-Pandemie übte der Exekutivdirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Michael Ryan, bei einer Pressekonferenz in Genf. Ryan betonte, bei der Berechnung der Durchimpfungsraten für die Immunisierung der Bevölkerung habe das Konzept durchaus Sinn. Gezielt eine Art „natürliche Immunisierung“ von Bevölkerungen anzustreben, empfehle sich indessen nicht: „Das wäre eine brutale Arithmetik, die die Menschen und ihr Leiden nicht in den Mittelpunkt stellt. Menschen sind keine Herden.“ Die Idee, Staaten könnten mit „laxen Maßnahmen“ gleichsam durch Zauberhand eine Art Herdenimmunität erreichen, sei „eine sehr gefährliche Rechnung. Ich glaube nicht, dass die Mehrzahl der Staaten diese anstellen möchte“.

 

COVID-19 sei „eine schwere Krankheit und der Staatsfeind Nr. 1. Das haben wir wieder und wieder und wieder und wieder gesagt“. Die Staaten dürften nicht den anfänglichen Fehler wiederholen, COVID-19 zu unterschätzen. Verantwortliche Staaten hätten die Pflicht, auf alle ihre Bürger zu achten und alles Nötige zu tun, um deren Gesundheit zu schützen: „Wir müssen die richtigen Prioritäten setzen, wenn wir in die nächste Phase des Kampfs gegen COVID-19 eintreten.“ Als positive Beispiele für den Umgang mit der Pandemie nannte Ryan Südkorea und Deutschland. Diese Länder führten umfassende Testungen durch und bemühten sich, Cluster für potenzielle neue Ausbrüche der Krankheit zu identifizieren und unter Kontrolle zu halten. Zusammenballungen großer Mengen von Menschen seien „vermutlich das größte Risiko“. Genau mit solchen Zusammenballungen müsse aber in Folge der Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen gerechnet werden: „Das Virus ist immer noch da.“

 

Keinen Sinn habe der Ansatz, „die Augen zu verschließen und zu hoffen, damit durchzukommen. Es macht mich besorgt, dass manche Staaten das versuchen“.