Pharmaindustrie: „Pharma Legislation“ bedroht Wettbewerbsfähigkeit 

Die zu enge Definition des „Unmet Medical Need“ würde Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten unnötig einschränken und erschweren, hieß es bei einer Podiumsdiskussion im Parlament. 


Die künftige „Pharma Legislation“ der EU in ihrer derzeit geplanten Form könnte die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie weiter schwächen. Das betonte Ingo Raimon, der Präsident des österreichischen Pharmaindustrieverbands Pharmig bei der Podiumsdiskussion „Spannungsfeld Unmet Medical Need – Wer profitiert?“  im Parlament, zu der der Verband eingeladen hatte. Beim „Unmet Medical Need“ geht es bekanntlich um einen wesentlichen Punkt aus der „Pharma Legislation“, die voraussichtlich 2026 in Kraft tritt. Grob gesprochen, schlägt die EU-Kommission vor, den Datenschutz für neue Medikamente von acht auf sechs Jahre zu verkürzen. Davon ausgehend, sind unter bestimmten Bedingungen Verlängerungen des Schutzes möglich. Unter anderem ist das der Fall, wenn ein Präparat einen bisher ungedeckten medizinischen Bedarf deckt. 
 

Foto: Carmen Trappenberg
Pharmig-Präsident Ingo Raimon: Bei der „Pharma Legislation“ auf Wettbewerbsfähigkeit achten

Wie Pharmig-Präsident Ingo Raimon bei der Podiumsdiskussion festhielt, ist die Definition dieses „ungedeckten Bedarfs“ jedoch sehr eng gefasst. Sie betreffe den Ausführungen der EU-Kommission zufolge ausschließlich Arzneimittel gegen lebensbedrohende oder zur Invalidität führende Krankheiten, für die bisher maximal ein Präparat in der EU zugelassen ist. Ausdrücklich fordert die Kommission, dass ein Präparat einer „hohen Morbidität“ oder einer „hohen Mortalität“ entgegenwirkt. „Als Jurist frage ich mich: Was ist mit einer hohen Morbidität gemeint? Eine Krankheit, die 0,5 oder ein oder 20 oder 25 Prozent der Bevölkerung betrifft?“, konstatierte Raimon. Ebenso unklar ist ihm zufolge die von der Kommission verlangte „signifikante Verringerung“ der hohen Morbidität oder Mortalität. 


Fraglich sei überdies, was es bringt, Erkankungen gleichsam gegeneinander auszuspielen. Eine chronische Erkrankung könne ebenso schweres Leid für die Betroffenen verursachen wie eine tödliche, wenn auch auf andere Weise. Die Kommission nehme offenbar eine „willkürliche Abwägung“ vor, die alles andere als unproblematisch sei. 

 

Innovation als Überlebensfrage

 

Und Raimon warnte: Setze sich die Kommission mit ihrem Standpunkt durch, führe dies auch in der Pharmaindustrie zu einer Verschiebung der Forschung und Entwicklung auf bestimmte Therapiebereiche, verbunden mit einer nahezu zwangsläufigen Vernachlässigung anderer Gebiete. Aber es ergebe wenig Sinn, der Industrie gewissermaßen vorzuschreiben, in welche Richtung sie zu forschen habe. „Wenn die Politik den Firmen die Kraft lässt, zu forschen und zu entwickeln, werden sie das tun. Und natürlich werden sie Gebiete in den Blick nehmen, auf denen es einen ungedeckten medizinischen Bedarf gibt. Letzten Endes ermöglichen ja nur Innovationen das langfristige Überleben eines Unternehmens“, erläuterte Raimon. 

 

Damit ist ihm zufolge ein generelles Problem angesprochen: das der Wettbewerbsfähigkeit Europas. Und diese Thematik werde mit dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA noch erheblich an Virulenz gewinnen. „Wir müssen auf unsere Wettbewerbsfähigkeit achten, denn der Wettbewerb wird schärfer. Und was die Pharma Legislation jetzt festschreibt, gilt für zumindest eine Generation“, betonte Raimon. 

 

Gefragt sieht Raimon nun den Europäischen Rat, der seine Position zur Pharma Legislation formulieren muss. Auch das österreichische Gesundheitsministerium sei aufgerufen, seinen Standpunkt klar zu formulieren, für ausreichende Schutzfristen für die Daten einzutreten und die Aufnahme chronischer Erkrankungen in die „Unmet Medical Needs“ sicherzustellen. Laut Raimon „ist die Chance da, etwas zu erreichen“. Manche großen EU-Staaten seien von den Vorschlägen der Kommission nämlich alles andere als begeistert. „Es wäre daher begrüßenswert, wenn sich auch Österreich in diese Richtung engagieren würde“, teilte Raimon dem Chemiereport mit. 

 

Paket verbessern 

 

Bernhard Mraz, der Präsident der Gesellschaft für pharmazeutische Medizin (GPmed) ergänzte, es sei notwendig, Anreize für die vermehrte Durchführung klinischer Studien in Europa zu schaffen: „Das müsste im Vordergrund stehen. Wir brauchen mehr Forschungsfreundlichkeit.“ Nicht zuletzt sollte die Politik Startups unterstützen, die innovative Arzneimittel entwickeln und dabei teils erhebliche wirtschaftliche Risiken tragen. Mraz zufolge waren seit der Vorlage des „Pharma Legislation“-Entwurfs durch die EU-Kommission durchaus positive Entwicklungen zu verzeichnen. Es bestehe daher die Hoffnung, das Paket im Trilog zwischen der Kommission, dem EU-Parlament und dem Europäischen Rat weiter zu verbessern. „Die Intention ist ja grundsätzlich eine gute“, hielt Mraz fest. 

 

Ähnlich argumentierte der Leiter der AGES-Medizinmarktaufsicht, Günter Waxenecker. Ihm zufolge wird bei jeder neuen Gesetzgebung im Gesundheitsbereich darüber diskutiert, „wie zielgerichtet sie ist“. Auch zur Definition des „Unmet Medical Need“ lägen etliche „Papers“ vor. Und das sei verständlich: „Es steckt ja nicht wenig öffentliches Geld in der Forschung und Entwicklung bezüglich neuer Arzneimittel. Wir alle zahlen in das Gesundheitssystem ein und wollen daher etwas davon haben.“ Wichtig ist laut Waxenecker, die Patienten und die Erstatter frühzeitig in die Diskussionen über neue Rechtsakte einzubeziehen. 

 

Genau das aber findet nicht statt, kritisierte Evelyn Groß, die Präsidentin der „Österreichischen Morbus Crohn / Colitis ulcerosa-Vereinigung“ (ÖMCCV). Die Position der Patienten komme in den Debatten über die „Pharma Legislation“ zu kurz: „Wir fühlen uns ausgeschlossen.“ Chronische Erkrankungen würden bei den „Unmet Medical Needs“ nicht berücksichtigt. Komme die „Pharma Legislation“ in ihrer derzeitigen Fassung, werde Österreich Forschungseinrichtungen verlieren. Für die Patienten drohe ein „Zurück zu den Wurzeln“ und zu faktisch veralteten Therapien mit erheblichen Nebenwirkungen. Als Ausweg für den Notfall riet Groß zu „Kreativität“: „Wir könnten ja Untergruppen chronischer Erkrankungen definieren, für die es einen ‚Unmet Medical Need‘ gibt.“