Um die neuesten Entwicklungen in der Proteomik ging es kürzlich auf einer Tagung im Tiroler Seefeld. Das Meeting wird jährlich von der Proteomics Plattform organisiert, die Teil des österreichischen GENAU-Programms ist. Carola Hanisch sprach mit Lukas Huber, einem der Organisatoren des Kongresses und Zellbiologe an der Medizinuni Innsbruck.<% image name="Lukas_Huber" %><p>
<small> Lukas Huber: "Der systembiologische Ansatz erscheint mir derzeit nur möglich in Systemen, die überschaubar und genetischen Experimenten zugänglich sind." </small>
<i>Proteomik: Was ist so neu an diesem Forschungsansatz?</i>
Früher hat man Proteine eher in einem singulären Zusammenhang untersucht. Proteine agieren aber nahezu nie einzeln, sondern gehen viele Partnerschaften ein. Der technologische Zugang hat sich sehr verändert und ermöglicht nun eine unvoreingenommene Suche nach Interaktionspartnern. Mit der heutigen Hochdurchsatz-Technologie bekommen wir einen Eindruck von der Komplexität des Ganzen und sehen Eiweißkörper, von denen wir gar nicht wussten, dass sie existieren.
<i>Und doch gibt es einige grundsätzliche Probleme, mit denen die Proteomik zu kämpfen hat?</i>
Ja. Eines der Probleme ist, dass gerade die interessanten regulatorischen Proteine häufig nur in geringer Anzahl vorkommen. Diejenigen Proteine, die eher gewöhnliche Aufgaben haben, tauchen hingegen in riesigen Mengen auf. Für seltene Proteine gibt es aber leider kein Vervielfältigungsverfahren wie die PCR für Nukleinsäuren. Das heißt, sie sind schwer zu finden.
<i>Also suchen Sie die Stecknadel im Heuhaufen?</i>
Mit den neuen sensitiven Technologien haben wir quasi Lupen, die wir früher nicht hatten. Wir sehen jetzt die Halme des Heuhaufens in riesiger Vergrößerung. Die Stecknadel finden wir deshalb aber auch nicht schneller, es sei denn, wir wissen, in welcher Ecke wir suchen müssen.
Das heißt, man muss den Heuhaufen zerlegen. Wir trennen die Proteine nach verschiedenen Eigenschaften, packen sie in bestimmte Kategorien und schauen diese einzeln an. So reduzieren wir die Komplexität und vereinfachen die Probe.
<i>Man muss also den Blick einschränken und kann nicht das gesamte Proteom auf einmal betrachten?</i>
Leider gibt es noch keine Analysetechnik, mit der man die Aktivität des gesamten Proteoms auf einmal bestimmen kann. Also versucht man lediglich einen bestimmten Prozess, ein Zellorganell oder eine bestimmte Gruppe von Proteinen zu betrachten, diese aber dann in ihrer Gesamtheit. Anschließend muss man diese Informationen zusammentragen und versuchen, in ein großes Bild zu ordnen. Das ist wie ein Puzzle. Bei der Genomik ist das anders – man kann sehr wohl die Gesamtheit aller gerade abgelesenen Gene erfassen.
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<td width="120"></td><td><big><b>Die Sphäre der Proteine ist nicht nur extrem komplex.
Sie verändert sich auch ständig. </b></big></td>
</table>
<i>Warum bleibt man dann nicht bei der Genomik?</i>
Wenn man nur anschaut, welche Gene gerade zu RNA umgeschrieben werden, bekommt man eine sehr eingeschränkte Aussage über das, was die Zelle gerade tut. Wenn viel von einem RNA-Transkript vorhanden ist, gilt dies nicht unbedingt auch für das Protein. Außerdem kann ein Gen kann auf verschiedene Weise abgeschrieben werden. Die Transkripte, die RNAs, können wiederum in verschiedene Proteine übersetzt werden. Und die werden häufig nachträglich modifiziert. Hinzu kommt dann noch, dass Proteine je nach Partnern und nach ihrem Einsatzort in der Zelle verschiedene Funktionen ausüben können. Diese Komplexität kann man nur erfassen, indem man die Proteine selbst anschaut.
<i>Eine große Hoffnung der Proteomik ist es ja, Biomarker für Krankheiten zu finden.</i>
Man versucht, diagnostische Marker zu finden, mit denen man den Verlauf einer Erkrankung oder einer Behandlung messen kann. So möchte man die Therapie besser anpassen und steuern. Dabei galt bisher das größte Interesse den Körperflüssigkeiten wie Blutserum oder -plasma, weil die Proteine darin in gelöster Form vorliegen und leicht zugänglich sind.
<i>In Seefeld war bezüglich der Serumproteomik aber auch Skepsis zu spüren?</i>
Das war für mich eine der großen Überraschungen des Meetings. Es gibt mehrere große Probleme bei der Serumproteomik. Eines davon ist wie gesagt die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen: Wie findet man die Proteine, die wirklich wichtig sind. Eine Möglichkeit ist, die großen, massenhaft auftretenden Proteine aus dem Serum zu entfernen. Doch dabei kann es leicht passieren, dass die kleinen Proteine, die von diagnostischem Wert wären, an den großen kleben bleiben. Und dann findet man die nicht.
Ein zweites Problem ist die Reproduzierbarkeit der Probennahme. Das Proteom ist eine sehr variable Größe und verändert sich schnell. So kommt es vor, dass die Zusammensetzung des Serumproteoms stärker von der Krankenschwester abhängt, welche die Probe genommen und behandelt hat, als von dem Gesundheitszustand des Patienten. Wenn man Korrelationen sucht, kann man da leicht einer falschen Fährte hinterherjagen.
<i>Auch wurde diskutiert, dass das Serumproteom von einem Patienten zum anderen teilweise so stark variiert, dass die Unterschiede zwischen krank und gesund statistisch verschwinden.</i>
Ja, das Serumproteom ist so komplex, dass es mit den derzeitigen Analysemethoden, und mit der Variabilität von einem Patienten zum anderen, sehr schwer wird, verlässliche Biomarker zu finden.
<i>In welcher Richtung wird sich die Proteomik weiterentwickeln?</i>
Man muss die richtigen Zielfelder finden, um die Biologie eines ganzen Systems zu begreifen. Das war auch ein neuer Trend, den man jetzt gesehen hat in Seefeld, dass erstmals wirklich systembiologische Ansätze vorgestellt wurden. Das ist möglich in Organismen, die für genetische Manipulationen zugänglich sind wie die Hefe, die Fruchtfliege, der Fadenwurm. Man kann in diesen Systemen Gene, die in einer Hierarchie, einem Signalweg stehen, nacheinander ausschalten und dann schauen, wie sich die Proteinzusammensetzung ändert. Dadurch kann man Zusammenhänge erfahren, die man in ihrer Gesamtheit sonst nie sehen würde. Aber diese systembiologischer Ansatz erscheint mir derzeit nur möglich in Systemen, die überschaubar und genetischen Experimenten zugänglich sind.
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<big>Proteomik.
Oder: Das ganze Bild sehen</big><p>
<blockquote> Das Proteom ist die Gesamtheit aller Proteine, die in einem biologischen System zu einem bestimmten Zeitpunkt anzutreffen sind. In einer einzigen Zelle können mehr als 100.000 verschiedene Proteine in höchst unterschiedlichen Mengen vorhanden sein. Die Erforschung des Proteoms – die Proteomik – gehört daher zu den größten wissenschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Sie basiert auf einer ganzheitlichen Annahme: Man erkennt den Sinn eines komplexen Systems leichter, wenn man es als Ganzes sieht, anstatt lediglich zusammenhanglose Details zu betrachten.
Basierend auf Gel-Elektrophorese, Flüssigchromatographie und Massenspektrometrie werden sämtliche Protein-Spezies einer Probe identifiziert und quantifiziert. Dabei gelingt immer nur eine momentane Bestandaufnahme, denn das Proteom verändert sich fortwährend – im Gegensatz zum Genom. Die in der DNA festgelegte Erbinformation eines Organismus bleibt zeitlebens gleich, selbst wenn sich dieser von der Raupe zum Schmetterling wandelt. Das Proteom hingegen gibt jeweils den aktuellen Zustand eines biologischen Systems wieder, und das macht es so interessant.
Nun lässt sich allerdings aus der reinen Katalogisierung vorhandener Eiweißkörper nur wenig über deren Funktionsweise erkennen. Proteomik bedeutet daher, die Veränderung des Proteoms unter bestimmten Bedingungen zu beobachten. So misst sie zum Beispiel, wie die Gesamtheit der Proteine in einem bestimmten Entwicklungs- oder Reifungsvorgang oder während einer Krankheit variiert. Aus dem Vergleich können die Wissenschaftler dann Rückschlüsse ziehen und Hypothesen aufstellen, welche Proteine an den jeweiligen Schaltstellen sitzen und welche nur Statistenrollen spielen. Proteomik ist demnach ein – im Idealfall genomweites – Screening nach interessanten Kandidaten für die weitere Forschung. Hat man diese gefunden, geht die Arbeit erst richtig los. Mit genetischen, zellbiologischen und anderen Verfahren wird untersucht, ob sich die Vermutungen bestätigen. Gelingt dies, hat die Proteomik dazu beigetragen, das Verständnis eines biologischen Vorgangs zu erweitern. </blockquote>Proteomik: „Die Nadel im Heuhaufen“