„Wir brauchen Rechtssicherheit“

CR: Wie lief das Jahr 2015 für die österreichische Pflanzenschutzmittelindustrie?

Dipl.-Ing. Dr. Christian Stockmar
Bild: IGP/Tirza Podzeit
Dipl.-Ing. Dr. Christian Stockmar

Stockmar: Unser Geschäft ist ziemlich konstant, abhängig natürlich von den Wetterbedingungen und von der Lage der Landwirtschaft im Allgemeinen. Auch 2015 war relativ stabil. Der Jahresumsatz lag wieder bei etwa 125 bis 130 Millionen Euro. Die Landwirtschaft ist im Moment in einer etwas schwierigen Situation. Darum ist auch die Bereitschaft, Pflanzenschutzmittel einzusetzen, abwartend. Das ist aber auch in unserem Sinn. Wir vertreten den Ansatz des integrierten Pflanzenschutzes: Unsere Mittel sollen nur dann eingesetzt werden, wenn das notwendig ist.

 


CR: Im Juni endet die Zulassung von Glyphosat in der EU. Daher muss die EU-Kommission in den kommenden Wochen über die Neuzulassung entscheiden. Was geschieht, wenn das Mittel nicht neu zugelassen wird?

Stockmar: Es handelt sich um ein normales Neuzulassungsverfahren, das alle zehn Jahre durchzuführen ist. Einen Ersatz für Glyphosat gibt es nicht. Speziell in Europa und damit auch in Österreich erfolgt die Anwendung im Zuge der reduzierten Bodenbearbeitung: Man bildet für den Winter auf den Ackerflächen eine Begrünung. In diesen Mulch wird möglichst bodenschonend die neue Saat eingebracht. Das schützt vor Erosionen, ist klima- sowie umweltfreundlich, fördert den Humusaufbau und aktiviert den Boden wieder. Ohne Glyphosat gehen die Vorteile der energiesparenden und bodenschonenden Minimalbodenbearbeitung verloren. Damit gehen wir in der pflanzenbaulichen Entwicklung wieder 15 bis 20 Jahre zurück.

Grundsätzlich ist der Pflanzenschutzmittelindustrie Rechtssicherheit wichtig. Pflanzenschutzmittel sind die am besten untersuchten Substanzen überhaupt, besser sogar noch als Medikamente. Für die Zulassung eines einzigen Wirkstoffes müssen wir Studien mit etwa 50.000 Seiten Umfang einreichen, unter anderem über Toxikologie, Chemie sowie die Auswirkungen auf Wasser, Boden und Luft, wobei auch die Abbauprodukte berücksichtigt werden.


 

CR: Wie lange dauert es, einen neuen Wirkstoff zu entwickeln?

Stockmar: Etwa zehn bis 14 Jahre. Die Kosten belaufen sich auf rund 250 Millionen Euro. Wenn nun ein Stoff, der mit solchem Aufwand auf den Markt gebracht wird, von einem Tag auf den anderen wegen politischer Zurufe verboten wird, ist das problematisch. In den 1990er-Jahren tätigte unsere Branche noch ein Drittel der weltweiten Forschungsausgaben in Europa. Heute sind es nur mehr sieben Prozent. Ein Grund dafür ist sicher das politische Umfeld und die Rechtsunsicherheit. Und nun sind wir genau beim Thema. Wir sagen: Bitte lasst die Zulassungsbehörden aufgrund der Gesetze entscheiden. Politische Zurufe sind nicht sinnvoll.

 

 

CR: Was hieße ein Glyphosatverbot für die Pflanzenschutzmittelindustrie?

Stockmar: Vom Umsatz her ist das für uns nicht bedeutend. Im Jahr 2014 wurden in Österreich rund 340 Tonnen Glyphosat ausgebracht. Das sind umgerechnet nur knapp zwei Prozent des Gesamtumsatzes der Pflanzenschutzmittelindustrie in Österreich. Wichtig ist das Thema für die moderne Landwirtschaft und für die Ökologisierung der Landwirtschaft. Da würde ein wesentlicher Baustein fehlen. Drei Wissenschaftler der Universität Gießen vertreten die Auffassung, dass man umweltschonende Methoden im Sinne der Minimalbodenbearbeitung in der Landwirtschaft ohne Glyphosat nicht mehr sinnvoll einsetzen kann.

 

 

CR: Laut EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis soll die Industrie die Studien zu den Gesundheitsfragen bezüglich Glyphosat veröffentlichen. Die Glyphosat Task Force (GTF) lehnt das ab, bietet aber an, die Studien in einer Art „Lesesaal“ zur Verfügung zu stellen. Warum?

Stockmar: Die Task Force sagt: Wir halten uns an die Gesetze und erwarten uns, dass das alle tun. Laut den Gesetzen unterliegen die Studien der Geheimhaltung, um Plagiate zu verhindern und sicherzustellen, dass den Unternehmen die Forschungsinvestitionen vergütet werden. Daher hat die Task Force angeboten, die Studien in einem Lesesaal zugänglich zu machen, wie das bei anderen Themen ja auch der Fall ist. Die Zulassungsbehörden haben ohnehin alle Daten. Es ginge nun darum, dass Politiker und Umweltaktivisten Einsicht haben wollen. Aber das kann nur zur Verunsicherung führen. Es hat keinen Sinn, Details hochwissenschaftlicher Publikationen mit der Bevölkerung zu diskutieren, die natürlich nicht den vollen Wissensstand hat.

 

 

CR: Wie geht es mit den Neonicotinoiden weiter? Das Verbot in Österreich gilt ja noch bis Herbst.

Stockmar: Das Verbot war politisch motiviert. Ich gehe davon aus, dass es nicht verlängert wird. Es geht darum, den Beizmittelstaub nicht mit den Bienen oder anderen Insekten in Berührung zu bringen. Dafür gibt es technische Lösungen.

 

 

CR: Es heißt verschiedentlich, auf Pf lanzenschutzmittel könne vollständig verzichtet werden. Stattdessen müsse die „biologische Landwirtschaft“ zum Standard werden.

Stockmar: Jeder Landwirt soll selbst entscheiden, welche Form der Bewirtschaftung er wählt. Global betrachtet, sind wir mit einer steigenden Weltbevölkerung und abnehmenden Bodenressourcen konfrontiert. Dazu kommt der Klimawandel. Daher müssen die verfügbaren Flächen ganzheitlich optimal genutzt werden, um hohe und qualitativ hochwertige Erträge zu erzielen. Da geht es um Pflanzenschutz, aber auch um pflanzenbauliche Maßnahmen sowie um den gezielten Einsatz von Betriebsmitteln. Die Pflanzenschutzmittel sind bestens getestet. Man versucht, mit Warndiensten Behandlungen erst dann zu setzen, wenn Krankheiten auftreten. Mithilfe von Drohnen können Dünger und Pflanzenschutzmittel in Zukunft gezielt dort ausgebracht werden, wo das notwendig ist. Die biologische Landwirtschaft wird immer mehr Ertragsverluste haben. Wenn Österreich diesen Weg gehen will, werden immer mehr Importe nötig sein, aus Ländern, deren Qualitätsstandards wir nicht kennen.

 

 

CR: Hat die Politik ausreichend Verständnis für Ihre Anliegen?

Stockmar: In der Landwirtschaft den modernen Pflanzenschutz als Bestandteil moderner pflanzenbaulicher Konzepte zu sehen, ist weitgehend konsensuell. Sehr zu begrüßen ist das Projekt „Zukunft Pflanzenbau“ von Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter, das alle Aspekte des modernen Pflanzenbaus berücksichtigt.

 

 

CR: Wird die Diskussion über Pf lanzenschutzmittel in anderen Ländern sachlicher geführt als in Österreich?

Stockmar: Bezüglich Glyphosat spielen sich die Debatten in den meisten Ländern auf einer ähnlichen Ebene ab wie hier. Das Thema wird auch mit einem großen Hersteller in Verbindung gebracht. Aber die Verwendung von Glyphosat in Europa ist nicht mit jener in den Ländern zu vergleichen, in denen gentechnisch verändertes Soja angebaut wird. Da geht es um ganz andere Tonnagen und einen völlig anderen Einsatz.

 

 

Dipl.-Ing. Dr. Christian Stockmar ist Vorstand der Industriegruppe Pflanzenschutz. Seit 2005 leitet er die Zweigniederlassung der Syngenta Agro GmbH. Stockmar hat über 20 Jahre Erfahrung in der Pflanzenschutzindustrie.