Ein Geschäftsmodell unter Druck

Rauer Wind für die pharmazeutische Industrie

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Was kommt hinter der Patentklippe? Zahlreiche Patentabläufe und magere Entwicklungspipelines bedrohen das Geschäft der Pharma-Industrie.

Zunehmender Kostendruck des Gesundheitssystems, schwierigere Zulassungen, Angriffe auf den Patentschutz: Das bisherige Geschäftsmodell der pharmazeutischen Industrie kommt zusehends unter Druck. Eine Alternative, um forschungsintensive Arzneimittel auf den Markt zu bringen, ist aber nicht in Sicht.

Von Georg Sachs

Es ist nicht selten ein eisiger Wind, der den großen Unternehmen der pharmazeutischen Industrie entgegenweht, wenn sie ihre Interessen gegenüber den Institutionen des Gesundheitssystems vertreten. Zu nahe liegt der Verdacht, dass man es mit machtvollen, global agierenden Konzernen zu tun hat, die Gewinnstreben im Zweifelsfall immer über den Nutzen des Patienten oder die Interessen des Gemeinwohls stellen würden. Wer lange im Geschäft ist, kennt die tiefer liegenden kulturellen Unterschiede, die die Industrie hierzulande zuweilen als Fremdkörper erscheinen lassen. „Sozialversicherungsträger betrachten die Pharmaindustrie mit Skepsis. Sie stellen den einzigen Bereich im Gesundheitswesen dar, der privatwirtschaftlich organisiert ist“, sagte Franz Bittner auf einer Veranstaltung im vergangenen Jahr. Bittner war lange Jahre Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse undVorsitzender der Hauptversammlung im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Heute ist er Senior-Berater bei der Peri Human Relations GmbH, die Projektmanagement, Coaching und „individuelles Schnittstellenmanagement“ im  Gesundheitsbereich anbietet. Das System, in dem Bittner so lange gearbeitet hat, kommt finanziell zunehmend unter Druck. Der innovative Charakter eines Arzneimittels, der das Zustandekommen eines bestimmten Preises rechtfertigt, wird immer deutlicher hinterfragt. Wir sehr das große Einsparungspotenzial wirklich auf diesem Gebiet zu finden ist, steht aber auf einem anderen Blatt.

Jan-Oliver Huber: Preis für innovative Arzneimittel nicht an älteren Produkten orientieren. Bild: Pharmig

 

Druck auf die Anbieter von Arzneimitteln kommt aber auch anderswo her, auch bei der Zulassung von Medikamenten werden die zu überwindenden Hürden höher.  Die Zahl der von der US-Arzneimittelbehörde seit 2005 pro Jahr zugelassenen neuen molekularen Species pendelt (einschließlich Biopharmaka) zwischen 18 und 25 – deutlich geringere Zahlen, als etwa in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre, als man noch um die 50 neue Verbindungen pro Jahr in den Markt entließ. Auf der anderen Seite der Lebensdauer eines Medikaments lauern Nachahmerpräparate auf das Ablaufen des Patentschutzes. Der zunehmende ökonomische Druck auf die Gesundheits-Administrationen erleichtert in vielen Ländern den Markteintritt für Generika und Biosimilars. Stößt aus der Forschungs- und Entwicklungspipeline zu wenig auf den Markt nach, sind die dadurch eintretenden Umsatzverluste für die forschenden Pharma-Unternehmen nur schwer wettzumachen. Produkte, die zwischen 2011 und 2015 ihren Patentschutz verlieren, haben allein in Österreich im Jahr 2011 einen Umsatz von ca. 431 Millionen Euro gemacht. Hochgerechnet bedeutet das einen  kumulierten Umsatz bis 2015 von 1,3 Milliarden Euro.  

 

Wie funktioniert ein Pharma-Konzern?

„Patent-Klippe“ wird das daraus resultierende Bedrohungsszenario für die Pharmaindustrie genannt: Vorne brechen die Umsätze weg, hinten kommt aus der Pipeline zu wenig nach.  Ist dem aber so, dann droht ein Geschäftsmodell zu kippen, das in den letzten Jahrzehnten nicht nur ökonomisch äußerst erfolgreich war, sondern auch Triebkraft der Entwicklung unzähliger neuer Arzneimittelklassen, die zu enormen Fortschritten bei der Bekämpfung ebenso unzähliger Erkrankungen geführt haben. Dieses Geschäftsmodell ruhte im Wesentlichen auf einer Balance von Risiko und Chance:  Große Forschungs- und Entwicklungsapparate durchkämmen ein großes Arsenal an Verbindungsklassen auf ihr Wirkungspotenzial gegenüber einer bestimmten Indikation.  Besonders große Indikationen, unter denen in den gut entwickelten Gesundheitsmärkten der westlichen Welt besonders viele Menschen leiden, haben dabei das größte Umsatz- und Gewinnpotenzial, wenn es gelingt, ein durchschlagendes Medikament (einen sogenannten Blockbuster) zu finden. Den enormen Aufwendungen für die Erforschung und klinische Überprüfung  der neuen Präparate steht der von der Gesellschaft gewährte Patentschutz gegenüber: Der, der Erfindungen finanziert, kann sicher sein, die Früchte auch selbst ernten zu können.

Die Pharma-Industrie gibt viel Geld für klinische Studien aus. Bild: EFPIA/PhRMA 

 

Im Rahmen eines von Novartis veranstalteten Presse-Workshops am 14. März wurde das Geschehen in  der klinischen Forschung näher beleuchtet. Von ca. 10.000 Substanzen, die in der Forschung verfolgt werden, erreichen im Durchschnitt 4,7 eine klinische Studie der Phase I, in Phase II sind es 3,3, in Phase III 1,5, von denen für 1,2 Verbindungen die Zulassung beantragt wird, damit letztlich eine von ihnen von den Behörden zugelassen wird. Die Kosten für diesen Prozess werden auf rund 1,3 Milliarden US-Dollar geschätzt – für ein einziges erfolgreich zugelassenes Medikament.  

Auch das Datenmaterial, das im Zuge von klinischen Studien erarbeitet werden muss, wird immer voluminöser. Nicht selten seien 30 bis 60 einzelne Studien  an unterschiedlichen Patientengruppen unter unterschiedlichen Bedingungen erforderlich, um zu einer Zulassung zu kommen, wie Wolfgang Bonitz, der Medical Director von Novartis Pharma Österreich berichtete. Damit steigen aber auch die Zeiträume, die für klinische Entwicklungen veranschlagt werden müssen, was für die Pharma-Unternehmen Anlass zu besonderer Sorge ist. Patentiert wird eine Substanz nämlich, sobald sie synthetisiert ist, dann besteht Patenschutz für 20 Jahre. Zehn bis elf Jahre davon verbraucht die Zeit der präklinischen und klinischen Studien, ein Jahr die Zulassung, in Österreich kommt vielfach auch noch ein Jahr für die Kassenzulassung dazu. Die Zeitspanne, in der man mit dem aufwendig entwickelten Arzneimittel also Geld verdienen kann, schrumpft auf wenige Jahre zusammen.

Wolfgang Bonitz, Novartis Österreich: Zeit, die klinische Studien in Anspruch nehmen, steigt. Bild: Novartis

 

Doch auch der Patentschutz selbst kommt unter Druck. Für Aufsehen sorgte im März eine Entscheidung des indischen Patentamts, die Bayer zwingt, eine Lizenz für sein Krebsmedikament Nexavar an ein indisches Generika-Unternehmen zu vergeben. Dieses wird das Präparat deutlich günstiger auf dem indischen Markt vertreiben, als Bayer es getan hätte. Vonseiten des Leverkusener Konzerns hieß es, man sei enttäuscht über die Entscheidung. Das Unternehmen werde die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel nutzen, um seine Patente zu schützen. Dies sei eine Grundvoraussetzung für die Versorgung von Patienten mit innovativen Arzneimitteln.

 

Non-Profit als Alternative?

In der öffentlichen Meinung tut sich ein milliardenschwerer Konzern naturgemäß schwerer, seine Position zu argumentieren, als jemand, der günstigere Medikamente für ein hoffnungsvolles, aber immer noch armes Land fordert. Was aber, wenn das Geschäftsmodell, nach dem heute forschungsgetriebene Arzneimittel entwickelt werden, nicht mehr trägt? Gibt es eine Alternative? Könnte man Arzneimittel auch in Non-Profit-Organisationen entwickeln? Beispiele dafür gibt es kaum und wenn dann nur für sehr spezielle Indikationen, etwa in der Kinderonkologie. „Selten hat eine Universität eine Milliarde Euro zur Verfügung“, sagte etwa Günther Steger, Professor an der Klinischen Abteilung für Onkologie und Brustkerbs-Experte am AKH Wien beim Novartis-Presse-Workshop. Wohl gebe es klinische Studien, die öffentlich finanziert werden, dahinter stünden dann aber akademische Fragestellungen, an denen die Industrie kein Interesse habe, beispielsweise die optimale Länge einer Behandlung. Mit dem Geld, das der Forschungsfonds FWF seit letztem Jahr in einem eigenen Programm für klinische Forschung zur Verfügung stelle, könnten allenfalls Initialprojekte durchgeführt werden. Die großen Sprünge würden aber in der Zusammenarbeit mit der Pharma-Industrie erzielt.

Günther Steger, Professor an der Med-Uni Wien: Selten hat eine Universität 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Bild: Med-Uni Wien

 

Dennoch wird sich diese wohl zunehmend von ihrem Blockbuster-Paradigma verabschieden müssen. Der wissenschaftliche Fortschritt selbst legt die Untergliederung von Krankheiten in molekulare Subtypen nahe, sodass die Anzahl der Patienten, die eine bestimmte Behandlung bekommen, kleiner wird. Dessen ist sich auch Jan-Oliver Huber, Geschäftsführer des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) bewusst. „Wenn man ein Produkt zur Zulassung bringt, das ganz genau auf eine Patientengruppe zugeschnitten ist, dann wird das kein ganz großer Umsatzträger sein“, sagt er. Dennoch seien enorme regulatorische Anforderungen zu erfüllen, um die Sicherheit des Produkts zu gewährleisten. Dazu stehe die Pharma-Industrie, doch müsse man dann auch eine entsprechende Erstattung erzielen können. Huber warnt im Gespräch mit dem Chemiereport eindringlich davor, ein Preisniveau, das an älteren Medikamenten , deren Patentschutz abgelaufen sei, orientiert ist, an forschungsgetriebene Produkte heranzutragen, wolle man die adäquate Behandlung von Patienten sicherstellen. Huber macht auch auf eine Diskrepanz zwischen den Situationen in Europa und Nordamerika aufmerksam. In den USA, wo die Preise für Medikamente im Durchschnitt deutlich höher seien, werde auch der Löwenanteil der Entwicklungsarbeit geleistet. „Man wirft Europa manchmal vor, nur Trittbrettfahrer der Innovation zu sein“, meint Huber. Das hänge auch damit zusammen, dass die Grundlagenforschung  dort wesentlich besser finanziert sei.

Es ist nicht selten ein eisiger Wind, der den großen Unternehmen der pharmazeutischen Industrie von den übrigen Vertretern des Gesundheitssystems entgegenweht. Man wird aber wohl weiterhin auf deren gewinnorientiertes Geschäftsmodell angewiesen sein, will man wissenschaftlichen Fortschritt in am Markt erhältliche Arzneimittel umsetzen.