Erdgas: Der Stoff, aus dem die Träume sind

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Volle Kraft voraus: Wegen des erheblichen LNG-Bedarfs sind derzeit kaum Tanker verfügbar.

Die zukünftige Bedeutung von Erdgas für die Energieversorgung der Welt im Allgemeinen und Europas im besonderen diskutierten rund 200 international anerkannte Experten auf der European Gas Conference Ende Jänner in Wien. Und sie waren sich weitestgehend einig: Die Bedeutung von Erdgas wird weiter wachsen. Alles deutet auf ein „goldenes Zeitalter für Erdgas“ hin, wie es die Internationale Energieagentur (IEA) erwartet. Allerdings steht die Gaswirtschaft vor nicht eben geringen Herausforderungen, und das bisher gewohnte System des Geschäfts ist in einem rasanten Wandel begriffen. Neben den politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen sind es vor allem zwei Themen, die die Branche derzeit beschäftigen, und diese sind eng miteinander verbunden: Einerseits  geht es um verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG), andererseits um  sogenannte unkonventionelle Erdgasvorkommen, vor allem solche in den Form von Schiefergas (Shale Gas). LNG ist Erdgas, das auf etwa minus 164 Grad Celsius abgekühlt und auf ein 600stel seines normalenVolumens zusammengepresst wird. In speziellen Tankschiffen kann es weltweit transportiert, in geeigneten Häfen („LNG-Terminals“) wieder in seinen gasförmigen Zustand umgewandelt und per Pipeline zu den Endkunden weitertransportiert  werden. Das erhöht die Flexibilität der Gasanbieter und erlaubt ihnen, kurzfristig auf Bedarfsschwankungen zu reagieren. Zurzeit werden etwa 30 Prozent des weltweiten Erdgasbedarfs mit Hilfe von LNG gedeckt.

In den kommenden Jahren wird sich das Angebot erheblich ausweiten: Bis etwa 2017 werden neue australische Gasverflüssigungsanlagen in Betrieb gehen, die ausreichen dürften, um das Land zum größten LNG-Exporteur zu machen, berichtete Ane de Ariño Ochoa vom spanischen Erdöl- und Erdgaskonzern Repsol. Ihr zufolge wird die australische LNG-Produktion für die Jahre 2017/2018 auf etwa 88 Millionen Tonnen (rund 120 Milliarden Kubikmeter nicht verflüssigtes Erdgas) geschätzt. Zum Vergleich: Katar, die bisherige Nummer 1 im weltweiten LNG-Business, produzierte 2010 umgerechnet rund 117 Milliarden Kubikmeter. Laut Ariño Ochoa ist davon auszugehen, dass Katar gegen Ende der Dekade an die zweite Stelle unter den LNG-Produzenten zurückfallen wird. Russland, das Gas bisher fast ausschließlich via Pipeline auf den Markt brachte, steigt ebenfalls in größerem Stil ins LNG-Geschäft ein: Bis 2015 sollen aus Feldern im Petschora-Gebiet sowie auf der Jamal-Halbinsel etwa 40 Millionen Tonnen LNG (54 Milliarden Kubikmeter Erdgas) verfügbar gemacht werden.

Shale Gas als Einflussfaktor

Große Mengen an LNG für den Weltmarkt sind verfügbar, seit die USA vor einigen Jahren ihre Shale-Gas-Vorkommen von etwa 25.000 Milliarden Kubikmetern zu erschließen begannen und damit von LNG-Importen weitgehend unabhängig wurden. Derzeit entfallen rund 20 Prozent der US-Gasproduktion auf Shale Gas, für 2035 wird ein Anteil an der Produktion von etwa 46 Prozent prognostiziert. Schon jetzt sind die USA mit etwa 700 Milliarden Kubikmetern pro Jahr insgesamt betrachtet der zweitgrößte Erdgasproduzent weltweit. Der Größte ist mit jährlich etwa 800 Milliarden Kubikmetern nach wie vor die Russländische Förderation, deren Gasvorkommen mit über 44.800 Milliarden Kubikmetern als die umfangreichsten der Welt gelten, wobei Shale Gas noch gar nicht mitgerechnet ist. An dritter Stelle unter den Gasproduzenten liegt derzeit China - allerdings mit erheblichem Respektabstand: Die Jahresproduktion beläuft sich auf rund 250 Milliarden Kubikmeter, etwas weniger als ein Drittel der russländischen.

Die globalen Shale-Gas-Vorkommen werden auf etwa 189.000 Milliarden Kubikmeter  geschätzt. Zum Vergleich: Die sicher gewinnbaren konventionellen Vorkommen an Erdgas belaufen sich auf etwa 187.000 Milliarden Kubikmeter. Hinzu kommen Lagerstätten mit weiteren rund 266.000 Milliarden Kubikmetern, die allerdings heute noch nicht wirtschaftlich rentabel gefördert werden können. Wie Niall Trimble vom Beratungsunternehmen „The Energy Contract Company“ auf der European Gas Conference konstatierte, wird die Erschließung von Shale-Gas-Feldern die Gaspreise aller Wahrscheinlichkeit auch weiterhin massiv beeinflussen. Schon in den vergangenen Jahren sorgte das durch Shale Gas bedingte zusätzliche Angebot für einen kräftigen Preisverfall: Wurden im Oktober 2008 an der NYMEX rund14 US-Dollar pro Million British Termal Units (Mbtu; eine Million Mbtu Erdgas = 28 Kubikmeter) bezahlt, sind es heute gerade einmal vier Dollar – trotz der nach dem Krisenjahr 2009 wieder angesprungenen Wirtschaft. Angesichts solcher Auswirkungen ist Shale Gas damit laut Trimble „zurzeit der schlimmste Alptraum der meisten Leute im LNG-Geschäft.“

Noch wird Shale Gas außerhalb der USA kaum gefördert. Es gilt jedoch als sicher, dass sich dies in den kommenden Jahren ändern wird. China etwa kann es sich laut Trimble angesichts des rapide steigenden Energiebedarfs kaum leisten, seine Vorkommen von rund 36.000 Milliarden Kubikmetern nicht anzuzapfen. Und auch für so manchen europäischen Staat ist Shale Gas eine immer attraktivere Option. Das durch die zunehmende Erschöpfung der konventionellen Reserven geplante Großbritannien etwa verfügt über erhebliche Vorkommen in Lancashire und neun weiteren Gebieten. Das könnte dazu führen, dass das Land weit über 2020 hinaus kein Erdgas einführen müsste, nachdem es in den vergangenen Jahren wegen des Produktionsrückgangs in den Gasfeldern der Nordsee zum Gasimporteur geworden war.

Chance Shale Gas

Laut Jesco von Kistowski, dem Geschäftsführer des österreichischen Gashandels- und Großkundenvertriebs-unternehmens Econgas, wird Shale Gas zweifellos auch in Europa künftig seine Rolle spielen: „Ein Teil der zurückgehenden Produktion an konventionellem Erdgas lässt sich mit Sicherheit durch unkonventionelles Erdgas ersetzen.“ Polen müsse aus klimapolitischen Gründen seine Kohlekraftwerke über kurz oder lang ersetzen und wolle dabei alles andere als in Abhängigkeit von russländischem Erdgas gelangen. Auch die Vorkommen in Großbritannien dürften nicht unterschätzt werden. Kistowski warnte indessen vor zu hohen Erwartungen: Zum „Game Changer“, der wie in den USA die Strukturen der Gasversorgung auf den Kopf stellt, reiche die Bedeutung von Shale Gas in Europa aller Voraussicht nach nicht. Die Vorkommen würden auf etwa 18.000 Milliarden Kubikmeter geschätzt, also etwa die Hälfte der chinesischen. Das sei alles andere als schlecht, doch die Herausforderungen bei der Erschließung müssten als beachtlich bezeichnet werden. Kistowski: „In den USA finden sich manche Vorkommen bereits in 200 Metern Tiefe, im Durchschnitt in etwa 1.500 bis 2.000 Metern. Das ist für ein Gasunternehmen kein Problem.“ In Europa müssten Bohrungen nach Shale Gas dagegen auf rund 4.000 bis 6.000 Meter abgeteuft werden, und da werde die Sache schon einigermaßen spannend. Abgesehen von allfälligen genehmigungsrechtlichen Unterhaltsamkeiten habe manchmal die Geologie so ihre Tücken. So lösten Bohrungen nahe des britischen Ferienortes Blackpool Mini-Erdbeben aus, was nicht zuletzt die Gemüter mancher Urlauber erschütterte. Für die großen britischen Player im Gasgeschäft ist aber klar, wohin die Reise zu gehen hat. „Wir dürfen unsere Shale-Gas-Vorkommen auf keinen Fall ungenutzt lassen. Ihre Erschließung bringt uns Arbeitsplätze und wirtschaftliche Möglichkeiten, auf die wir weder verzichten können noch verzichten dürfen“, stellte Stuart Bradford von Shell Energy Europe klar.

Debatten in Österreich

In Österreich sind indessen keineswegs alle dieser Meinung. Die Überlegungen der OMV, die erheblichen Vorkommen im Raum Poysdorf im niederösterreichischen Weinviertel zu erschließen, stoßen nach wie vor auf erheblichen Widerstand. Daran änderte auch eine Informationsveranstaltung am vorgesehenen Ort des Geschehens nichts. Bei dieser versicherten Vertreter des Unternehmens, das Gas werde nicht gefördert, wenn sich dies nicht ökologisch einwandfrei durchführen lasse. Und ein international bestens angesehener Experte der Montanuniversität Leoben, die das Förderverfahren mit der OMV entwickelt, verlautete, es würden lediglich Wasser, Sand und Maisstärke eingesetzt. Chemikalien im umgangssprachlichen Sinne kämen dagegen nicht zur Anwendung. Nicht überzeugen ließ sich davon nebst „Umweltgruppen“ Helga Krismer, ihres Zeichens Umwelt- sowie Energiesprecherin der Grünen im niederösterreichischen Landtag. In einer Aussendung ließ sie wissen, dass Schwarz, Rot und Blau einen von ihrer Fraktion im Landtag eingebrachten Antrag mit dem Titel „Nein zu den Schiefergas-Bohrungen im Weinviertel“ zum wiederholten Mal abgelehnt hätten. Dabei habe sich bei der Informationsveranstaltung gezeigt, dass die „Ängste der Bevölkerung um Natur, Gesundheit, Tourismus, etc. im Falle von Schiefergas-Bohrungen groß sind.“ Aber „anstatt sich auf die Seite der Menschen zu stellen, verweigern ÖVP, SPÖ und FPÖ erneut die öffentliche Debatte“, haderte Krismer.

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner rät indessen zu Pragmatismus. Anlässlich der European Gas Conference sagte der Minister, die Vorkommen von Poysdorf könnten den österreichischen Gasbedarf etwa 30 Jahre lang decken: „Das darf man nicht außer Acht lassen.“ Allerdings stellte Mitterlehner klar, das Gas werde nur unter Einhaltung strengster Umweltauflagen gefördert.