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Sie schrieben im Jahresbericht 2012 des FCIO: „Ohne eine vorausschauende Industriepolitik werden Wachstum und Beschäftigung beeinträchtigt, der Industriestandort Österreich gefährdet.“ Hat die Bundesregierung in der zu Ende gehenden Legislaturperiode eine vorausschauende Industriepolitik betrieben?
Ohne in Tränen und Schmerz auszubrechen: Nicht einmal unsere ohnehin nicht großen Erwartungen wurden erfüllt. Österreich hinkt ständig hinterher und verliert kontinuierlich an Wettbewerbsfähigkeit. Das zeigen auch die relativ objektiven Rankings. Die Industrie im Allgemeinen und die chemische Industrie im Besonderen machen ihre Hausaufgaben, exportieren mehr, investieren und entwickeln Innovationen. Wo es hapert, sind die staatsnahen Bereiche – die Industriepolitik, die Wirtschaftspolitik, die Energiepolitik, die mangelnden Reformen. In der Steuerpolitik liegen wir noch ganz gut. Wenn aber die Regierung bei der Gruppenbesteuerung, beim Stiftungsrecht oder bei der Finanztransaktionssteuer eingreift, verlieren wir noch weiter an Wettbewerbsfähigkeit. Das Stiftungsrecht ist nicht mehr eines der besten in Europa. Die Finanztransaktionssteuer, die wahrscheinlich ohnedies nicht in der angedachten Form kommt, wird für den Kapitalmarkt noch einmal ein wesentlicher Schlag sein.
Was wären die wichtigsten Maßnahmen, die die nächste Bundesregierung setzen sollte?
Wir brauchen ein klares industriepolitisches Bekenntnis, nicht nur ein Lippenbekenntnis, das wieder verwässert oder vergessen wird. Wenn wir jetzt die sechste Urlaubswoche ein führen, führen wir in 15 Jahren die siebte ein. Dabei sind wir bei der Urlaubszeit sowieso schon um 15 Prozent über dem EU-Durchschnitt, bei den Feiertagen um 20 Prozent. In Summe sind das drei Prozent der jährlichen Arbeitszeit. Das können und dürfen wir uns nicht leisten. Es ist nicht die Einzelmaßnahme, die den Standort gefährdet. Es ist die Summe der Maßnahmen.
Wo müsste die Regierung konkret ansetzen?
Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen. Eine der wichtigsten wäre eine auf Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtete Energiepolitik. Österreich wird die Welt mit sündteurer und massiv geförderter erneuerbarer Energie nicht retten. Die Verwaltungsreform ist ein weiteres Dauerthema, bei dem nichts weitergeht. Die Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Leider ist die Umsetzungskapazität der Regierung relativ überschaubar.
Wie sollte die Energieeffizienzrichtlinie umgesetzt werden?
Die Regierung soll den Text der Richtlinie abschreiben und fertig. Die Industrie holt ohnehin den letzten Cent an Produktivität und Effizienz heraus. Ich käme mir wirklich dumm vor, wenn mir eine Behörde sagen müsste, wo ich noch drei Prozent Energie pro Jahr einsparen kann. Im Hausbau, in der Haussanierung und im Verkehr gibt es dagegen riesige Potenziale für Effizienzsteigerungen. Aber diese sensiblen Sektoren will die Politik nicht angreifen.
Was halten Sie von der „österreichischen Rohstoffallianz“ Minister Reinhold Mitterlehners?
Die Initiative ist sehr gut. Es ist auch sehr hilfreich, dass Herr Minister Mitterlehner dieses Thema selbst in die Hand genommen hat. Dadurch wird das Bewusstsein für die Schwierigkeiten der Rohstoffversorgung und für die Bedeutung der Rohstoffpolitik Österreichs sowie Europas größer. Als kleines Land hat Österreich jeweils nur ein, zwei Unternehmungen, die vom Import bestimmter Rohstoffe abhängig sind. In Deutschland, England, und Frankreich gibt es zahlreiche Stahlfirmen und riesige Chemiekonzerne. Stark ist Österreich im Holz-und Fasergeschäft, bei Papier und Zellstoff und in der Chemie. Es glaubt mir niemand, wenn ich sage, Österreich ist nach China der zweitgrößte Holzimporteur. Das zeigt, wie stark die Branche ist, aber auch den Handlungsbedarf.
Das gilt auch beim Thema REACH. Es zeigt sich erst jetzt, was die wirklichen Kosten sind, unabhängig von der Chemikalienagentur ECHA, die ja auch immer größer wird. Auch bei REACH glaubt die Politik, die Welt retten zu können, indem sie in Europa die stringentesten Verordnungen, Prüfungen und Produktbezeichnungen einführt. Wenn solche Initiativen nicht weltweit erfolgen und von Amerika, aber insbesondere China, Indien und Korea unterstützt werden, die sehr viel an Chemieprodukten und Rohstoffen exportieren, sind sie ein echter Schuss ins Knie.
Auf globaler Ebene gibt es die SAICM-Initiative.
Die ist aber unverbindlich. REACH ist verbindlich und kostet sofort Geld. Das führen andere Länder in dieser Stringenz nicht ein. Als Qualitätslabel brauchen wir REACH nicht. Der sichere Umgang mit Rohstoffen ist ohnehin schon bestens geregelt. Gleiches gilt für den Arbeitnehmerschutz. REACH hat alles noch formalistischer und teurer gemacht. Teilweise brauchen die Unternehmen ihre besten Chemiker, um das zu bewältigen. Ein Antrag auf Registrierung gemäß REACH dauert ein Jahr. Da gibt es Rückfragen, Tests und, und, und. BASF hat über 100 Leute, die sich nur mit REACH beschäftigen. Und die ECHA wird größer und größer. Sie wird in fünf Jahren doppelt so groß sein, weil sich die Leute ihre Arbeit ja selber schaffen, ohne dass das Mehrwert bringt. Die Frage ist immer: Was bringt mir das an Mehrwert, entweder in der Produktqualität oder in der Exportfähigkeit oder in der Wettbewerbsfähigkeit? Das bedeutet aber, ich darf meine Kosten zumindest nicht erhöhen. Ich muss sie in gleicher Höhe halten, wenn nicht reduzieren.
Der grüne Landwirtschaftssprecher Pirklhuber meint, in Österreich könnte der Einsatz problematischer Pflanzenschutzmittel bis 2020 um 30 Prozent reduziert werden.
Auf diesem Gebiet wird sehr viel geforscht, auch von österreichischen Unternehmen, vor allem aber von den Deutschen und Amerikanern. Die ziehen sich allerdings jetzt aus dem europäischen Markt zurück, weil sie sagen: Das ist ein emotionaler Markt, der nichts mit Rationalität zu tun hat, daran werden wir Schaden nehmen.
Pflanzenschutzmittel sind sehr streng reguliert. In diesem Rahmen muss man aber auch neue Wege gehen können. Denn mit biologischer Landwirtschaft alleine ist es nicht möglich, die Bevölkerung zu ernähren.
Hat die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen zur Sicherheit von Chemikalien gesetzt?
Alles, was in Richtung Aufklärung der Unternehmen und der Bevölkerung geht, ohne falsche Emotionen zu wecken, ist in Ordnung. Ein gutes Beispiel ist die Kunststoffindustrie. Wenn Probleme auftauchen kommt das Produkt in 99 von hundert Fällen aus Asien. Dort gibt es andere Gesetze.
Und damit komme ich noch einmal zurück auf REACH: Selbst wenn wir in Österreich jedem Lkw nachfahren, ist dies immer nur ein Herumdoktern am Symptom. Wir müssen uns um die Ursachen kümmern. Und die Ursachen sind China, Indien sowie andere asiatische Märkte. Es muss festgelegt werden, dass die ihre Produkte nicht importieren dürfen, wenn sie unsere Bestimmungen nicht einhalten. Sie sollten, wenn sie nach Europa oder nach Österreich importieren, unter das gleiche Regime und die gleichen Rahmenbedingungen fallen wie ein österreichisches Unternehmen.
Teilweise werden Rohstoffe nach Europa importiert und außerhalb der EU in Fertigprodukte umgewandelt. Damit haben sie einen europäischen Ursprung und unterliegen einem ganz anderen Prüfregime, als wenn sie aus Asien oder anderen Gegenden kämen. Das sind alles legale Umgehungen. Aber da muss man ansetzen.
Was sollte die nächste Regierung tun, um das Engagement der Unternehmen für Mitarbeiterschutz zu honorieren?
Das grundsätzliche Problem ist, dass alle Unternehmen bestraft werden, die interne Sicherheitssowie Gesundheitsprogramme fahren. Sinnvoll wäre, diese Aktivitäten anzuerkennen, beispielsweise über ein Bonus-Malus-System. Das würde für die Unternehmen, die sich mit diesen Themen beschäftigen, eine deutliche Einsparung bringen – beim Arbeitgeber wie auch beim Arbeitnehmer. Konzepte und Vorschläge gibt es mehrere, etwa niedrigere Eingangssteuersätze. Dass man mit 30 Prozent anfängt und dann relativ schnell bei 46 Prozent ist, ist ja ein Wahnsinn. Freilich: Den Grenzsteuersatz auf 35 Prozent zu senken, ist ohne eine Verwaltungsreform, eine Sozialreform, eine Pensionsreform absolutes Wunschdenken.
Die scheidende Bundesregierung kündigte im Regierungsprogramm an, die „Finanzierungsmöglichkeiten für junge, innovative technologieorientierte Unternehmen“ auszubauen. Wurden diesbezüglich ausreichende Schritte gesetzt?
Vieles ist Ankündigung geblieben. Der für uns relevante Forschungsförderungsfonds bzw. die FFG geben tatsächlich mehr aus. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn mehr Geld an die KMUs geht. Aber wesentlich sind die Zieleffektivität und der Output. Der grundsätzliche Zweck solcher Förderungen sollte sein, Risiko zu fördern. Man muss noch zielorientierter auf solche Technologien gehen, die für Österreich, für den Industriestandort zukunftsrelevant sind – etwa im Bereich der Mechatronik und der Kunststoffe, wo es Cluster gibt, oder im Bereich großer Chemieunternehmen. Für KMU ist eine Million Euro sehr viel Geld. Und meistens bleibt es nicht dabei. Wenn ein zweites und drittes Jahr geforscht werden muss, ist man sehr schnell bei zwei oder drei Millionen. Außerdem wird ja nicht jedes Projekt ein Erfolg. Umso wichtiger ist dann eine Förderung.
Wo sehen Sie die chemische Industrie am Ende der kommenden Legislaturperiode?
Die nächsten vier, fünf Jahre werden sehr tough. Europa ist noch bei weitem nicht aus der Finanzkrise heraus, auch wenn der Euro relativ stark ist und einige andere Indikatoren relativ gut sind. In der europäischen Wirtschaft freuen wir uns schon, wenn wir ein kleines Plus haben. Aber das kann nicht der Maßstab für die Zukunft sein. Auf der anderen Seite erwarte ich nicht, dass wir innerhalb der kommenden drei Jahre auf drei Prozent Wachstum kommen.
Das Gute ist: Die Unternehmen machen ihre Hausaufgaben. Ein Großteil der Unternehmen und Betriebe, auch bei den KMU, ist in Europa und über Europa hinaus tätig. Dieser Trend wird sich massiv fortsetzen. Und wenn der Welthandel deutlich stärker wächst als das europäische GDP, wird unsere Wirtschaft profitieren. Aber dafür brauchen wir Bildung, Bildung, Bildung und Innovationen. Notwendig sind auch die richtigen Rahmenbedingungen, um aus dem europäischen Raum weiterhin Vorprodukte für die chemische Industrie beziehen und innereuropäische Synergien nutzen zu können. Es ist ja die europäische Industrie, die mit tollen neuen Materialien auf den Markt kommt. Das sind nicht die Chinesen oder die Amerikaner. Dafür muss man geeignete Rahmenbedingungen bieten, gerade in Österreich.
Hätte die angestrebte US-amerikanisch-europäische Freihandelszone Sinn?
Zu behaupten, sie brächte ein Prozent Wachstum, ist Wunschdenken. Aber wenn der schleichende Protektionismus durch außertarifäre und tarifäre Handelshemmnisse abgebaut wird, ist das ein Erfolg. Amerika ist eines der protektionistischsten Länder der Welt. Wenn sich das ändert, wird Europa hoffentlich mehr davon profitieren als die Amerikaner.