„Umsetzungskapazität ist relativ überschaubar“

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FCIO-Obmann Peter Untersperger: Ein „klares industriepolitisches Bekenntnis“ der nächsten Bundesregierung ist notwendig.

 

Sie schrieben im Jahresbericht 2012 des FCIO: „Ohne eine vorausschauende In­dustriepolitik werden Wachstum und Be­schäftigung beeinträchtigt, der Industrie­standort Österreich gefährdet.“ Hat die Bundesregierung in der zu Ende gehenden Legislaturperiode eine vorausschauende Industriepolitik betrieben? 

Ohne in Tränen und Schmerz auszubrechen: Nicht einmal unsere ohnehin nicht großen Er­wartungen wurden erfüllt. Österreich hinkt ständig hinterher und verliert kontinuierlich an Wettbewerbsfähigkeit. Das zeigen auch die re­lativ objektiven Rankings. Die Industrie im Allgemeinen und die chemische Industrie im Besonderen machen ihre Hausaufgaben, ex­portieren mehr, investieren und entwickeln Innovationen. Wo es hapert, sind die staats­nahen Bereiche – die Industriepolitik, die Wirtschaftspolitik, die Energiepolitik, die mangelnden Reformen. In der Steuerpolitik liegen wir noch ganz gut. Wenn aber die Re­gierung bei der Gruppenbesteuerung, beim Stiftungsrecht oder bei der Finanztransaktions­steuer eingreift, verlieren wir noch weiter an Wettbewerbsfähigkeit. Das Stiftungsrecht ist nicht mehr eines der besten in Europa. Die Finanztransaktionssteuer, die wahrscheinlich ohnedies nicht in der angedachten Form kommt, wird für den Kapitalmarkt noch ein­mal ein wesentlicher Schlag sein.

 

Was wären die wichtigsten Maßnahmen, die die nächste Bundesregierung setzen sollte?

Wir brauchen ein klares industriepolitisches Bekenntnis, nicht nur ein Lippenbekenntnis, das wieder verwässert oder vergessen wird. Wenn wir jetzt die sechste Urlaubswoche ein führen, führen wir in 15 Jahren die siebte ein. Dabei sind wir bei der Urlaubszeit so­wieso schon um 15 Prozent über dem EU-Durchschnitt, bei den Feiertagen um 20 Pro­zent. In Summe sind das drei Prozent der jährlichen Arbeitszeit. Das können und dür­fen wir uns nicht leisten. Es ist nicht die Ein­zelmaßnahme, die den Standort gefährdet. Es ist die Summe der Maßnahmen.

 

Wo müsste die Regierung konkret ansetzen?

Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen. Eine der wichtigsten wäre eine auf Wettbe­werbsfähigkeit ausgerichtete Energiepolitik. Österreich wird die Welt mit sündteurer und massiv geförderter erneuerbarer Energie nicht retten. Die Verwaltungsreform ist ein weiteres Dauerthema, bei dem nichts weiter­geht. Die Einführung der zweistufigen Ver­waltungsgerichtsbarkeit ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Leider ist die Umset­zungskapazität der Regierung relativ über­schaubar.

 

Wie sollte die Energieeffizienzrichtlinie umgesetzt werden?

Die Regierung soll den Text der Richtlinie abschreiben und fertig. Die Industrie holt ohnehin den letzten Cent an Produktivität und Effizienz heraus. Ich käme mir wirklich dumm vor, wenn mir eine Behörde sagen müsste, wo ich noch drei Prozent Energie pro Jahr einsparen kann. Im Hausbau, in der Haussanierung und im Verkehr gibt es dage­gen riesige Potenziale für Effizienzsteige­rungen. Aber diese sensiblen Sektoren will die Politik nicht angreifen.

 

Was halten Sie von der „österreichischen Rohstoffallianz“ Minister Reinhold Mit­terlehners?

Die Initiative ist sehr gut. Es ist auch sehr hilf­reich, dass Herr Minister Mitterlehner dieses Thema selbst in die Hand genommen hat. Dadurch wird das Bewusstsein für die Schwie­rigkeiten der Rohstoffversorgung und für die Bedeutung der Rohstoffpolitik Österreichs sowie Europas größer. Als kleines Land hat Österreich jeweils nur ein, zwei Unterneh­mungen, die vom Import bestimmter Roh­stoffe abhängig sind. In Deutschland, England, und Frankreich gibt es zahlreiche Stahlfirmen und riesige Chemiekonzerne. Stark ist Öster­reich im Holz-und Fasergeschäft, bei Papier und Zellstoff und in der Chemie. Es glaubt mir niemand, wenn ich sage, Österreich ist nach China der zweitgrößte Holzimporteur. Das zeigt, wie stark die Branche ist, aber auch den Handlungsbedarf.

Das gilt auch beim Thema REACH. Es zeigt sich erst jetzt, was die wirklichen Kosten sind, unabhängig von der Chemikalienagentur ECHA, die ja auch immer größer wird. Auch bei REACH glaubt die Politik, die Welt retten zu können, indem sie in Europa die stringen­testen Verordnungen, Prüfungen und Pro­duktbezeichnungen einführt. Wenn solche Initiativen nicht weltweit erfolgen und von Amerika, aber insbesondere China, Indien und Korea unterstützt werden, die sehr viel an Che­mieprodukten und Rohstoffen exportieren, sind sie ein echter Schuss ins Knie.

 

Auf globaler Ebene gibt es die SAICM-Initiative.

Die ist aber unverbindlich. REACH ist ver­bindlich und kostet sofort Geld. Das führen andere Länder in dieser Stringenz nicht ein. Als Qualitätslabel brauchen wir REACH nicht. Der sichere Umgang mit Rohstoffen ist ohnehin schon bestens geregelt. Gleiches gilt für den Arbeitnehmerschutz. REACH hat alles noch formalistischer und teurer ge­macht. Teilweise brauchen die Unternehmen ihre besten Chemiker, um das zu bewältigen. Ein Antrag auf Registrierung gemäß REACH dauert ein Jahr. Da gibt es Rückfragen, Tests und, und, und. BASF hat über 100 Leute, die sich nur mit REACH beschäftigen. Und die ECHA wird größer und größer. Sie wird in fünf Jahren doppelt so groß sein, weil sich die Leute ihre Arbeit ja selber schaffen, ohne dass das Mehrwert bringt. Die Frage ist im­mer: Was bringt mir das an Mehrwert, ent­weder in der Produktqualität oder in der Exportfähigkeit oder in der Wettbewerbsfä­higkeit? Das bedeutet aber, ich darf meine Kosten zumindest nicht erhöhen. Ich muss sie in gleicher Höhe halten, wenn nicht redu­zieren.

 

Der grüne Landwirtschaftssprecher Pirkl­huber meint, in Österreich könnte der Ein­satz problematischer Pflanzenschutzmittel bis 2020 um 30 Prozent reduziert werden.

Auf diesem Gebiet wird sehr viel geforscht, auch von österreichischen Unternehmen, vor allem aber von den Deutschen und Amerika­nern. Die ziehen sich allerdings jetzt aus dem europäischen Markt zurück, weil sie sagen: Das ist ein emotionaler Markt, der nichts mit Rationalität zu tun hat, daran werden wir Schaden nehmen.

Pflanzenschutzmittel sind sehr streng regu­liert. In diesem Rahmen muss man aber auch neue Wege gehen können. Denn mit biolo­gischer Landwirtschaft alleine ist es nicht möglich, die Bevölkerung zu ernähren.

 

Hat die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen zur Sicherheit von Chemi­kalien gesetzt?

Alles, was in Richtung Aufklärung der Un­ternehmen und der Bevölkerung geht, ohne falsche Emotionen zu wecken, ist in Ord­nung. Ein gutes Beispiel ist die Kunststoffin­dustrie. Wenn Probleme auftauchen kommt das Produkt in 99 von hundert Fällen aus Asien. Dort gibt es andere Gesetze.

Und damit komme ich noch einmal zurück auf REACH: Selbst wenn wir in Österreich jedem Lkw nachfahren, ist dies immer nur ein Herumdoktern am Symptom. Wir müs­sen uns um die Ursachen kümmern. Und die Ursachen sind China, Indien sowie andere asiatische Märkte. Es muss festgelegt werden, dass die ihre Produkte nicht importieren dür­fen, wenn sie unsere Bestimmungen nicht einhalten. Sie sollten, wenn sie nach Europa oder nach Österreich importieren, unter das gleiche Regime und die gleichen Rahmenbe­dingungen fallen wie ein österreichisches Unternehmen.

Teilweise werden Rohstoffe nach Europa im­portiert und außerhalb der EU in Fertigpro­dukte umgewandelt. Damit haben sie einen europäischen Ursprung und unterliegen einem ganz anderen Prüfregime, als wenn sie aus Asien oder anderen Gegenden kämen. Das sind alles legale Umgehungen. Aber da muss man ansetzen.

 

Was sollte die nächste Regierung tun, um das Engagement der Unternehmen für Mitarbeiterschutz zu honorieren?

Das grundsätzliche Problem ist, dass alle Unter­nehmen bestraft werden, die interne Sicherheits­sowie Gesundheitsprogramme fahren. Sinnvoll wäre, diese Aktivitäten anzuerkennen, beispiels­weise über ein Bonus-Malus-System. Das würde für die Unternehmen, die sich mit diesen The­men beschäftigen, eine deutliche Einsparung bringen – beim Arbeitgeber wie auch beim Ar­beitnehmer. Konzepte und Vorschläge gibt es mehrere, etwa niedrigere Eingangssteuersätze. Dass man mit 30 Prozent anfängt und dann relativ schnell bei 46 Prozent ist, ist ja ein Wahnsinn. Freilich: Den Grenzsteuersatz auf 35 Prozent zu senken, ist ohne eine Verwal­tungsreform, eine Sozialreform, eine Pensions­reform absolutes Wunschdenken.

 

Die scheidende Bundesregierung kündigte im Regierungsprogramm an, die „Finan­zierungsmöglichkeiten für junge, innova­tive technologieorientierte Unternehmen“ auszubauen. Wurden diesbezüglich aus­reichende Schritte gesetzt?

Vieles ist Ankündigung geblieben. Der für uns relevante Forschungsförderungsfonds bzw. die FFG geben tatsächlich mehr aus. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn mehr Geld an die KMUs geht. Aber wesentlich sind die Zieleffektivität und der Output. Der grund­sätzliche Zweck solcher Förderungen sollte sein, Risiko zu fördern. Man muss noch zielorientierter auf solche Technologien gehen, die für Österreich, für den Industriestandort zu­kunftsrelevant sind – etwa im Bereich der Me­chatronik und der Kunststoffe, wo es Cluster gibt, oder im Bereich großer Chemieunterneh­men. Für KMU ist eine Million Euro sehr viel Geld. Und meistens bleibt es nicht dabei. Wenn ein zweites und drittes Jahr geforscht werden muss, ist man sehr schnell bei zwei oder drei Millionen. Außerdem wird ja nicht jedes Projekt ein Erfolg. Umso wichtiger ist dann eine Förderung.

 

Wo sehen Sie die chemische Industrie am Ende der kommenden Legislaturperiode?

Die nächsten vier, fünf Jahre werden sehr tough. Europa ist noch bei weitem nicht aus der Finanzkrise heraus, auch wenn der Euro relativ stark ist und einige andere Indikatoren relativ gut sind. In der europäischen Wirt­schaft freuen wir uns schon, wenn wir ein kleines Plus haben. Aber das kann nicht der Maßstab für die Zukunft sein. Auf der ande­ren Seite erwarte ich nicht, dass wir innerhalb der kommenden drei Jahre auf drei Prozent Wachstum kommen.

Das Gute ist: Die Unternehmen machen ihre Hausaufgaben. Ein Großteil der Unterneh­men und Betriebe, auch bei den KMU, ist in Europa und über Europa hinaus tätig. Dieser Trend wird sich massiv fortsetzen. Und wenn der Welthandel deutlich stärker wächst als das europäische GDP, wird unsere Wirt­schaft profitieren. Aber dafür brauchen wir Bildung, Bildung, Bildung und Innovati­onen. Notwendig sind auch die richtigen Rahmenbedingungen, um aus dem europä­ischen Raum weiterhin Vorprodukte für die chemische Industrie beziehen und innereu­ropäische Synergien nutzen zu können. Es ist ja die europäische Industrie, die mit tollen neuen Materialien auf den Markt kommt. Das sind nicht die Chinesen oder die Ameri­kaner. Dafür muss man geeignete Rahmen­bedingungen bieten, gerade in Österreich.

 

Hätte die angestrebte US-amerikanisch-europäische Freihandelszone Sinn?

Zu behaupten, sie brächte ein Prozent Wachstum, ist Wunschdenken. Aber wenn der schleichende Protektionismus durch au­ßertarifäre und tarifäre Handelshemmnisse abgebaut wird, ist das ein Erfolg. Amerika ist eines der protektionistischsten Länder der Welt. Wenn sich das ändert, wird Europa hoffentlich mehr davon profitieren als die Amerikaner.