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April 17th, 2023

MSD: Elf Milliarden Dollar für Prometheus Biosciences

Der US-amerikanische Pharmariese will mit der Übernahme seine Position im Bereich der Immunologie verstärken.

 

Der US-amerikanische Pharmakonzern Merck Sharp & Dohme (MSD) mit Hauptsitz in Rahway im Bundesstaat New Jersey will die kalifornische Prometheus Biosciences übernehmen. Laut einer Aussendung einigten sich die beiden Firmen auf einen Kaufpreis von rund 10,8 Milliarden US-Dollar (9, 8 Milliarden Euro). MSD erwartet, die Transaktion im dritten Quartal 2023 abschließen zu können. Unter anderem ist dafür die Zustimmung der Mehrheit der Prometheus-Aktionäre nötig. Überdies wird die Übereinkunft auf der Website der Securities and Exchange Commission (SEC) veröffentlicht.

 

Interessiert ist MSD vor allem PRA023, einem monoklonalen Antikörper, der insbesondere gegen entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa wirksam sein soll. Nach Ansicht von MSD vielversprechende diesbezügliche Daten aus der sogenannten Artemis-UC-Studie sowie aus der Apollo-CD-Studie veröffentlichte Prometheus Ende vergangenen Jahres.


MSD-Chef Robert M. Davis konstatierte, die Übernahme von Prometheus werde die Position seines Unternehmens im Bereich der Immunologie weiter stärken und dessen Angebot insgesamt verbreitern. Sie sei eine wichtige Komponente der „nachhaltigen Innovationsmaschine, die unser Wachstum weit in das nächste Jahrzehnt hinein antreiben wird“. Prometheus-Chef Mark McKenna ergäzte, die Vereinbarung mit MSD ermögliche seiner Firma, „das Potenzial von PRA023 zu maximieren“. Gleichzeitig könne Prometheus seine Technologie und sein Wissen im Bereich Immunologie für weitere Entwicklungen nutzen.

 

 

April 6th

Industrie: „Gemischtes Bild“ 

Zwar wuchs der Produktionswert von 2021 auf 2022 um 24 Prozent auf einen Rekord von 252,3 Milliarden Euro. Doch das war im Wesentlichen höheren (Energie-)Preisen geschuldet, nicht aber höheren Absatzmengen, warnt die Wirtschaftskammer. 

 

Waren mit einem Wert von rund 252,3 Milliarden Euro erzeugte die österreichische Industrie im Jahr 2022. Im Vergleich zu 2021 ist das ein Anstieg um rund 23,7 Prozent und ein „neuer Rekord“, berichtete der Geschäftsführer der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Andreas Mörk, bei deren jährlicher Bilanzpressekonferenz am 6. April in Wien. Allerdings ist dieser laut Mörk weitgehend auf den Preisanstieg bei Erdgas und Erdöl zurückzuführen. Zuständig für die Bereitstellung und den Verkauf dieser Produkte sind die Mitglieder der Fachverbände Gas Wärme (FGW) sowie Mineralölindustrie. Werden diese nicht berücksichtigt, ergibt sich von 2021 auf 2022 ein Anstieg des Produktionswerts der Industrie um rund 15,1 Prozent. Aber auch davon ist etwa die Hälfte durch höhere Preise bedingt, erläuterte Mörk. Ihm zufolge stagnierte der Produktionswert bei mehreren der verbleibenden 14 Fachverbände. Andere, wie die Chemische Industrie, die Metalltechnikbranche, die Papier- und die Nichteisenmetallindustrie, die Stahlbranche sowie die Nahrungs- und Genussmittelindustrie erzielten dagegen überdurchschnittliche Steigerungen ihres Produktionswerts. 

 

Um rund 7,5 Prozent gestiegen sind auch die Auftragseingänge, ergänzte Mörk: „Aber die Kurve flacht sich ab. Das ist ein Alarmsignal.“ Zwar liege der Beschäftigtenstand bei etwa 468.600 Personen, dem zweithöchsten Wert seit dem Beitritt Österreichs zur EU am 1. Jänner 1995. Doch ob sich dieser das ganze Jahr über halten lässt, ist laut Mörk fraglich. Laut dem Obmann der Bundessparte, Siegfried Menz, ergibt sich insgesamt „ein gemischtes Bild“. Nominell sei das Produktionswachstum durchaus kräftig gewesen. Doch bleibe bei näherer Betrachtung „nur ein bescheidenes Mengenwachstum“. 


                                                   
Kritik an der Energiepolitik  

 

Kritik übten Menz und Mörk an der Bundesregierung und insbesondere an deren Energiepolitik. Mehrere Gesetze, die die Tätigkeit der Industrie erleichtern könnten, seien zwar im Werden, aber noch nicht unter Dach und Fach. Menz zufolge betrifft dies etwa das Stromkostenausgleichsgesetz. Dieses rasch zu beschließen, sei umso dringlicher, als die CO2-Preise mittlerweile bei rund 100 Euro pro Tonne liegen. In mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten der EU seien bereits ähnliche Gesetze in Kraft und die entsprechenden Vorgaben der EU somit umgesetzt. Daher dulde das österreichische Pendant „keinen Aufschub“, wenn die Wettbewerbsfähigkeit nicht leiden solle. 

 

Überdies fehlten nach wie vor die Förderrichtlinien zum Energiekostenzuschuss II, für den Wirtschaftsminister Martin Kocher zuständig ist. Auch diese sollten laut Menz so rasch wie irgend möglich veröffentlicht werden. 

 

Wenig Freude hat die Industrie ferner mit dem Entwurf zum Erneuerbare-Gase-Gesetz (EGG). Zwar sei es notwendig, die „grünen“ Gase zügig verfügbar zu machen. Doch das im EGG vorgesehene Ziel, die Grüngaserzeugung von derzeit 0,14 Terawattstunden (TWh) pro Jahr bis 2030 auf 7,5 TWh zu versiebzigfachen, halte die Gasbranche für unrealistisch.  Erreichbar seien etwa fünf TWh pro Jahr, wie sie bereits das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz aus dem Jahr 2021 vorsehe, erläuterte Mörk auf Anfrage des Chemiereports. Als „exorbitant“ bezeichneten er und Menz die Ausgleichszahlungen, die die Gasversorger leisten sollen, wenn sie ihre Grüngasquoten verfehlen. Diese liefen nach Angaben Mörks auf eine Erhöhung der Gaskosten der Endkunden um rund 15 Euro/Megawattstunden (MWh) hinaus. Da (Erd-)Gas bekanntlich auch zur Stromerzeugung verwendet werde, würde sich überdies eine Steigerung der Stromkosten um bis zu 30 Euro/MWh ergeben. Welche Höhe der Ausgleichszahlungen die Industrie für tragbar hält, wollte Mörk auf Nachfrage des Chemiereports nicht bekannt geben.

 

Forschungsförderung erhöhen 

 

Unzufrieden ist die Industrie auch mit der Forschungsförderung, vor allem mit der Ausstattung der Fördertöpfe der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Ungeachtet der beträchtlichen Inflation wollten Energieministerin Leonore Gewessler und Finanzminister Magnus Brunner diese offenbar nicht verbessern. Dabei habe die FFG 2022 Förderanträge über rund 226 Millionen Euro ablehnen müssen, obwohl sie die Vorhaben sehr wohl als unterstützenswert erachtete. Kurzfristig klafft laut Mörk eine Finanzierungslücke von etwa 50 Millionen Euro pro Jahr, mittelfristig sind es sogar rund 100 Millionen. Die Politik sei dringend gefordert, diese Mittel bereitzustellen, „wenn Österreich den Anspruch auf Innovationsführerschaft ernst nehmen will“. 


 

April 3rd

OMV erprobt CO2-Speicherung in Norwegen 

Gemeinsam mit dem norwegischen Ölkonzern Aker BP ASA arbeitet das Unternehmen an einem CCS-Projekt in der südliche Nordsee. Dauerhaft lagern ließen sich dort rund fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. 


Die norwegische Erdölgesellschaft Aker BP ASA und die OMV erproben im Verlauf der kommenden Jahre Möglichkeiten, um CO2 in untermeerischen Gesteinsformationen in der Nordsee dauerhaft zu speichern. Eine diesbezügliche Lizenz erhielten sie vom norwegischen Energieministerium. Verfahren, wie sie die beiden Unternehmen sie in Norwegen testen, werden als „Carbon Capture and Storage“ (CCS) bezeichnet. Immer wieder weist der Weltklimabeirat IPCC darauf hin, dass CCS unverzichtbar ist, um den Klimawandel einzudämmen. Die Lizenz, die Aker BP sowie die OMV-Tochter OMV (Norge) erhielten, wird als „Poseidon“ bezeichnet. Sie bezieht sich auf drei Blöcke in einem Seegebiet südlich des Hafens Egersund, der sich am westlichen Ausgang der Skagerrak-Meerenge befindet. Aker ist an dem Vorhaben mit 60 Prozent beteiligt, die OMV (Norge) hält die übrigen 40 Prozent. 

 

Nach Angaben des norwegischen Energieministeriums sind in der ersten, bis 2025 dauernden, Projektphase 3D-seismische Untersuchungen durchzuführen. Dies beinhaltet auch die Erstellung eines 3D-Modells der untersuchten Gesteinsformationen. Ferner haben die Unternehmen Risikostudien durchzuführen, nicht zuletzt hinsichtlich potenzieller CO2-Leckagen. In der Folge ist zu entscheiden, ob eine Probebohrung erfolgt oder das Vorhaben aufgegeben wird. Entscheiden sich die Unternehmen nach der ersten Phase für die Fortsetzung des Vorhabens, haben sie in der zweiten Phase Studien für die Entwicklung der künftigen CO2-Lagerstätte zu erstellen. Vorgesehen ist auch eine Probebohrung. Die Unternehmen können jedoch beantragen, auf deren Durchführung zu verzichten. Am Ende der zweiten Phase ist über die weitere Fortsetzung des Vorhabens entscheiden. Fällt die Entscheidung positiv aus, ist ein detaillierter Plan für die Entwicklung und den Betrieb der Lagerstätte zu erstellen und die finale Investitionsentscheidung zu treffen. Über alle drei Phasen hinweg gerechnet, würde die Projektlaufzeit fünf Jahre betragen.

 

CO2-Neutralität bis 2050 

 

OMV-Generaldirektor Alfred Stern erläuterte, das Unternehmen nutze sein Know-how, „um die CCS-Aktivitäten vor der norwegischen Küste zu expandieren. Die sichere und dauerhafte Speicherung von CO2 ist eine wichtige Säule in der Strategie der OMV, bis 2050 klimaneutral zu werden“. Dazu gehört, ab 2030 jährlich rund fünf Millionen Tonnen CO2 einzuspeichern. Nach Angaben der OMV ließen sich im Zuge der Poseidon-Lizenz mehr als fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr untermeerisch lagern. Dieses werde „von mehreren identifizierten industriellen Emittenten in Nordwesteuropa abgeschieden, darunter auch von verschiedenen Borealis-Standorten in Europa“. 

 

Erfahrener Partner 

 

Die zur Umsetzung des Vorhabens nötige Infrastruktur stellt die norwegische Höegh LNG bereit. Sie ist laut Mitteilung der OMV „einer der weltweit größten und technisch fortschrittlichsten Betreiber von LNG-Infrastrukturen“. Unter anderem lieferte sie die drei schwimmenden LNG-Import-Terminals (FSRUs), die 2022 in Deutschland den Betrieb aufnahmen.

 

Außer der Aker und der OMV (Norge) erhielt auch ein Konsortium aus der Wintershall Dea Norge AS und der Altera Infrastructure eine Lizenz für ein CCS-Pilotprojekt in der norwegischen Nordsee. Das diesbezügliche Meeresgebiet grenzt nordwestlich an das der Poseidon-Lizenz an. 

 

In Österreich sind kommerzielle CCS-Projekte seit Ende 2011 untersagt. Zulässig sind ausschließlich Forschungsvorhaben mit einem Gesamtspeichervolumen von weniger als 100.000 Tonnen. 


 

March 14th

Sanofi: Milliardenakquisition in den USA 

Der französische Pharmakonzern will die Provention Bio übernehmen. Sie hat ein neuartiges Medikament entwickelt, mit dem sich das Voranschreiten von Diabetes Typ 1 verzögern lässt.


Vorbehaltlich der Genehmigung durch die zuständigen Behörden möchte der französische Pharmakonzern Sanofi die US-amerikanische Provention Bio Inc. mit Sitz in Red Bank im Bundesstaat New Jersey übernehmen. Eine diesbezügliche Vereinbarung hatten die beiden Unternehmen kürzlich geschlossen, berichtete Sanofi in einer Aussendung. Den Kaufpreis bezifferte Sanofi mit 2,90 Milliarden US-Dollar (2,71 Milliarden Euro). Der Konzern geht davon aus, die Übernahme noch im laufenden zweiten Quartal 2023 abschließen zu können. Insbesondere geht es ihm um das Medikament Teplizumab-MZWV (Tzield) zur Behandlung von Diabetes Typ 1 (T1D) im dritten Stadium. Diese Krankheit wird laut Sanofi jährlich weltweit bei etwa 65.000 Personen diagnostiziert. Insgesamt sind in den USA etwa 1,8 Millionen Menschen an T1D erkrankt, darunter 1,6 Millionen Erwachsene. Im Herbst vergangenen Jahres hatten Sanofi und Provention Bio vereinbart, Tzield gemeinsam zur Marktreife zu führen. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist dieses in der Lage, den Ausbruch des dritten Stadiums von T1D um rund 2,7 Jahre zu verzögern. Es soll sich um das derzeit einzige Medikament handeln, das diese Wirkung mit sich bringt. In den USA ist Tzield seit vergangenem Jahr für Erkrankte im Alter ab acht Jahren zugelassen, die an T1D im zweiten Stadium leiden und in Gefahr sind, zum dritten und letzten Stadium voranzuschreiten. 

 

Erfreuliche Aussichten 

 

Olivier Charmeil, der zuständige Executive Vice President von Sanofi, verlautete, er gehe von einer reibungslosen Umsetzung der Transaktion aus. Diese habe das Ziel, Diabetes-Patienten noch besser als bisher zu versorgen. Möglicherweise könnten sich aus der Projektpipeline von Provention Bio weitere erfreuliche Erträge ergeben, stellte der Manager sinngemäß fest. 

 

Der Gründer und Geschäftsführer von Provention Bio, Ashleigh Palmer, sprach von einer „gemeinsamen Vision“, die sein Unternehmen mit Sanofi teile. Sie bestehe darin, neue Arzneimittel für Menschen mit Autoimmunerkrankungen zu entwickeln. Die Marktzulassung von Tzield in den USA sei ein bedeutender Schritt in diese Richtung gewesen. Infolge der Übernahme durch Sanofi könne Provention Bio seine Präparate für mehr Patienten rascher verfügbar machen. 


 

Agrofert darf Borealis-Stickstoffgeschäft übernehmen

Die EU-Kommission hat keine Bedenken gegen die 810-Millionen-Transaktion. Von einem „schweren Schlag“ für Österreich spricht dagegen der Niederösterreichische Bauernbund. 

 

Ohne Auflagen genehmigte die EU-Kommission die Übernahme des Stickstoffgeschäfts der Borealis durch die tschechische Agrofert-Gruppe. Laut einer Aussendung kam die Kommission „zu dem Schluss, dass die Übernahme keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aufwirft“. Erstens gibt es laut der Kommission auf dem Markt für Stickstoffdünger auch nach der Übernahme „mehrere starke Wettbewerber und die gemeinsamen Marktanteile der beteiligten Unternehmen wären nicht besonders hoch. Außerdem würde durch Einfuhren aus Ländern außerhalb des EWR Wettbewerbsdruck auf das neu aufgestellte Unternehmen ausgeübt“. Zweitens werden nach Ansicht der Kommission „zahlreiche Stickstoffdüngeranbieter im EWR“ sowie „genügend konkurrierende Vertriebshändler“ in Tschechien und der Slowakei agieren. Drittens besteht auch weiterhin „starker Wettbewerb“ auf dem Markt für Adblue, also Harnstoff als Kraftstoffzusatz.

 

Die Borealis und die Agrofert hatten die Transaktion am 6. Feber bei der EU-Kommission angemeldet. Am 22. Juni vergangenen Jahres hatte die Agrofert der Borealis angeboten, deren Stickstoffgeschäft um 810 Millionen Euro zu übernehmen. Zuvor war die Übernahme durch den Chemieriesen Eurochem geplatzt. Dieser gehörte dem russischen „Bisnismen“ Andrej Melnicenko, den die EU nach der Invasion Russlands in der Ukraine auf ihre Sanktionsliste setzte. 
 

Heftige Kritik 


Heftige Kritik an der nunmehrigen Entscheidung der EU-Kommission übte der Niederösterreichische Bauernbund, der die Transaktion seit ihrem Bekanntwerden bekämpft hatte. In einer Aussendung sprachen Bauernbundobmann und Landeshauptfraustellvertreter Stephan Pernkopf sowie Bauernbunddirektor Paul Nemecek von einem „schweren Schlag für die heimische Wirtschaft, Landwirtschaft und vor allem für die Versorgungssicherheit und damit für ganz Österreich“. Ihnen zufolge „entsteht durch den Zusammenschluss eine monopolähnliche Stellung des Agrofert-Konzerns am heimischen Düngemittelmarkt“.

 

Pernkopf und Nemecek kündigten an, sie würden „den Düngermarkt genau beobachten und Ungereimtheiten sofort der zuständigen österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde melden. Wir scheuen uns nicht, bereits beim geringsten Nachteil für unsere Bäuerinnen und Bauern rechtlich einzugreifen“. Die Transaktion sei „verantwortungslos und wird den Österreicherinnen und Österreichern, aber besonders der heimischen Landwirtschaft teuer zu stehen kommen“.

Die Borealis reagierte auf die Vorwürfe wie bisher nicht.

 

March 13th

WKÖ kritisiert Maßnahmen gegen Ukraine-Krise

Die Sicherung der Gasversorgung habe gut funktioniert, vieles Andere dagegen nicht. Und an Baustellen sei kein Mangel, hieß es kürzlich seitens der Bundessparte Industrie. Gefordert wurde unter anderem ein „Masterplan für die Energieversorgung“ Österreichs.

 

Als „unzureichend“ erachten die Mitglieder der Wirtschaftskammer (WKÖ) die Maßnahmen der EU und Österreichs gegen die Auswirkungen des Kriegs in der und um die Ukraine. Das konstatierten der Geschäftsführer der Bundessparte Industrie der WKÖ, Andreas Mörk, sowie ihr Umweltsprecher, Baumit-Chef Robert Schmidt, bei einer Pressekonferenz in Wien. Sie stützten sich dabei auf eine Umfrage unter 105 Firmen, darunter 62 Prozent Großunternehmen. Schmid räumte ein, hinsichtlich der Gasversorgung habe die Bundesregierung eine „Meisterleistung“ vollbracht. Es habe einen klaren Plan gegeben, der konsequent umgesetzt worden sei. Mittlerweile verliere sich die österreichische und europäische Politik jedoch bedauerlicherweise wieder im Nebel: „Es gibt keine klaren Ziele, sondern nur Wünsche.“ Und wie diese erfüllt werden könnten, sage die Regierung nicht. Kritik übten Schmid und Mörk nicht zuletzt daran, dass Unternehmen, die den Energiekostenzuschuss in Anspruch nehmen, die Kurzarbeit nicht einführen dürfen. „Es gibt zwischen diesen beiden Unterstützungsmaßnahmen keinen Zusammenhang. Daher müssen die Unternehmen das Recht auf beide haben“, forderte Schmid.

 

Breiten Raum nahm bei der Presskonferenz der Themenkomplex Energie ein. Laut Mörk kommen die Unternehmen mit ihrer Versorgung gut zurecht. Die überwiegende Mehrheit von 84 Prozent der Befragten gab an, ihren Bedarf um bis zu zehn Prozent verringert zu haben. Der Wermutstropfen: Teilweise war dies durch Auslagerungen von Produktionskapazität ins Ausland bedingt. Und dass es gelingt, diese wieder zurückzuholen, ist laut Schmid eher nicht zu erwarten: „Wenn etwas weg ist, kommt es nicht mehr.“ Zwar habe die EU beispielsweise davon gesprochen, Erzeugungskapazitäten für Antibiotika wieder nach Europa bringen zu wollen. Die diesbezüglichen Maßnahmen hielten sich laut Schmid indessen in engen Grenzen: „Da ist nichts oder jedenfalls zu wenig passiert.“ Die Produktion der Antibiotika sei wegen der niedrigeren Herstellungskosten sowie des Fehlens von Umweltauflagen nach Asien verlagert worden: „Wir sollten solche Präparate aber zu einem gewissen Teil in Europa erzeugen.“ Ein „gewisses Maß an Unabhängigkeit“ von globalen Lieferketten sei bei Arzneimitteln ebenso wünschenswert wie bei Lebensmitteln, Zement, Stahl und Holz.

 

Nicht ohne Erdgas

 

Mörk zufolge könnte der Winter 2023/24 hinsichtlich der Gasversorgung herausfordernder werden als der zu Ende gehende. Daher benötige die Wirtschaft Rechtssicherheit, was die Umstellung auf andere Brennstoffe betrifft. Notwendig sei eine verfassungsgesetzliche Regelung, die den Betrieb umgestellter Anlagen ermöglicht. Eine solche habe die WKÖ schon vor rund einem Jahr gefordert. Anders als in Deutschland sei der Gesetzgeber nach wie vor leider säumig. Dazu kommt laut Mörk, dass es „für einen Teil der Betriebe faktisch unmöglich“ ist, auf Erdgas zu verzichten: „Erdgas ist weiterhin Stand der Technik.“ Die vielbeschworene Wasserstoffwirtschaft gebe es zumindest derzeit noch nicht. Skeptisch zeigten sich Mörk und Schmid ferner, was die Nutzung „grüner“ Gase wie Biogas betrifft. Um diese zu erzeugen, „braucht man Rohstoffe. Und ich weiß nicht, wo diese herkommen sollen“, konstatierte Schmid.

 

„Masterplan“ für Energieversorgung

 

Notwendig wäre Schmid zufolge letzten Endes ein „Masterplan für die Energieversorgung“ Österreichs. Auch dürften die Themen Klima und Energie „nicht zu sehr vermischt“ werden. Es gelte, die Energiefrage „nicht nur aus der Klimaperspektive“ zu betrachten, sondern auch aus dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit. Mörk erläuterte, die politischen Ziele und die diesbezüglichen Maßnahmen seien „untereinander nach wie vor kaum abgestimmt“. Beispielsweise solle die Versorgung Österreichs mit elektrischer Energie ab 2030 bilanziell vollständig mit Ökostrom erfolgen: „Aber das ist mit den aktuellen Maßnahmen nicht realisierbar.“ Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse deutlich schneller vonstatten gehen, ebenso wie die Erweiterung und Ertüchtigung der Netzinfrastruktur.


Auf die Tatsache, dass kürzlich eine Novelle des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes (UVP-G) beschlossen wurde, die nach einhelliger Auffassung führender Verfahrensjuristen erhebliche Erleichterungen für den Ökostrom- sowie den Netzausbau mit sich bringt, gingen Mörk und Schmid nicht ein. Zum Hinweis des Chemiereports, dass sich die WKÖ Kritikern zufolge in den vergangenen beiden Jahrzehnten gegen den Ökostromausbau ebenso wie gegen die Verpflichtung zu Energieeffizienzmaßnahmen sträubte und sich das Image eines „Blockierers“ erarbeitete, stellte Schmid fest: „Wir sind keine Blockierer. Wir haben allergrößtes Interesse, die Probleme zu lösen.“

 

 

 

 

FWF benennt erste Exzellenzcluster

Von der Mikrobiomforschung über die Quantenphysik und die Materialentwicklung für die Energiewende bis zur Aufarbeitung des kulturellen Erbes antiker eurasischer Reiche und zur Wissenschaftstheorie spannt sich der Bogen der geförderten Projekte. 

 

Mit insgesamt rund 80,7 Millionen Euro unterstützt der Forschungsförderungsfonds (FWF) bis 2028 die ersten fünf „Exzellenzcluster“ im Rahmen des Programms „Excellent Austria“. Das berichteten FWF-Geschäftsführer Christof Gattringer und Wissenschaftsminister Martin Polaschek am 13. März bei einer Pressekonferenz in Wien. Gattringer zufolge handelt es sich um ein neues Förderformat, mit dem der FWF in eine „neue Größenordnung“ vorstößt. An den Clustern beteiligt sind jeweils mehrere Forschungseinrichtungen. Nach fünf Jahren erfolgt eine Evaluierung der Cluster. Nach den bisherigen Erfahrungen seiner Institution mit mehrstufigen Förderungen gab es laut Gattringer bisher kaum jemals Probleme mit deren Verlängerung: „Aber natürlich muss die Performance stimmen.“ Angesichts der hohen Inflation werde sich der FWF bemühen, den Betrag für die Jahre nach 2028 angemessen aufzustocken, versicherte Gattringer. Ihm zufolge waren sämtliche Einreichungen von hoher Qualität. Der internationalen Jury um Stephen Curry vom Imperial College London sei die Entscheidung nicht leicht gefallen.

 

Rund 21 Millionen Euro gehen an den Cluster „Microbiomes Drive Planetary Health“, den Michael Wagner, der Forschungsdirektor der Universität Wien, leitet. Beteiligt ist unter anderem das Zentrum für molekulare Medizin (CEMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unter Andreas Bergthaler, das einer breiteren Öffentlichkeit durch seine Sequenzierungsarbeiten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie bekannt wurde. Ferner arbeitet Angela Sessitsch vom Austrian Institute of Technology (AIT) an dem Cluster mit. Laut Wagner geht es darum, „gemeinsame Grundprinzipien von Umweltminkrobiomen und menschlichen Mikrobiomen herauszufinden“. Das soll ermöglichen, die „rote“ und die „grüne“ Mikrobiomfoschung und damit letztlich „Medizin mit Umweltforschung“ zu verknüpfen. Wagner räumte auf Anfrage des Chemiereports ein, dass der Ausdruck „planetarische Gesundheit“ dazu verleiten könnte, an umstrittene Ansätze wie die „Gaia-Hypothese“ des 2022 im Alter von 103 Jahren verstorbenen britischen Ökologen James Lovelock zu denken. Lovelock zufolge kann die gesamte Erde als zusammenhängender Organismus betrachtet werden. Ausdruck dessen war unter anderem sein 2006 erschienenes Buch „Gaias Rache – Warum die Erde sich wehrt“, in dem er den Klimawandel thematisierte. Wagner zufolge hat die Arbeit des Clusters mit dergleichen Ansichten aber nichts zu tun. Vielmehr gehe es um Komplexitätsforschung. Die Gesundheit der Menschen hänge nicht zuletzt vom Funktionieren einer Vielzahl mikrobieller Systeme ab. Umso wichtiger sei es, die diesbezüglichen Funktionsweisen und Zusammehänge zu kennen, um erforderlichenfalls gezielt eingreifen zu können. 

 

Mit weitere 21 Millionen Euro fördert der FWF den Cluster „Quantum Sciences Austria“ unter Gregor Weihs von der Universität Innsbruck. Dieser Cluster befasst sich mit der Weiterentwicklung des Verständnisses physikalischer Grundgrößen wie Raum, Zeit und Schwerkraft. Praktische Auswirkungen könnten diese Arbeiten unter anderem für die Entwicklung von Technologien „nach dem Quantencomputer“ haben. 

 

Nanokatalysatoren für die Energiewende 

 

Etwa 20,6 Millionen Euro fließen dem Cluster „Materials for Energy Conversion and Storage“ zu. Dieser steht unter der Leitung von Günther Rupprechter von der Technischen Universität Wien. Nicht zuletzt behandelt er Nanomaterialien zur Umsetzung von Technologien wie Power-to-Gas (P-t-G) und Power-to-Liquids (P-t-L). Gemeint ist damit Folgendes: Wasser wird mit Ökostrom in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Der Wasserstoff kann entweder in reiner Form oder nach Reaktion mit CO2 als künstliches Methan langfristig gespeichert werden. Ferner ist es möglich, daraus synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) zu erzeugen. Dafür sollen im Rahmen des Clusters Nanokatalysatoren entwickelt werden. Rupprechter betonte, die Energiewende sei „nur zu schaffen, wenn die besten Köpfe in der Materialforschung gemeinsam innovative Wege entwickeln, damit erneuerbare Energien klimaneutral gespeichert werden können“. Genau das solle der Cluster ermöglichen. 

 

Rund 9,2 Millionen Euro erhält der Cluster „Eurasian Transformations“, dessen Leitung Claudia Rapp von der ÖAW obliegt. Rapp verwies auf die These des britischen Ethnologen und Anthropologen Sir John Rankine („Jack“) Goody vom „Eurasischen Wunder“. Diese bezieht sich auf den Aufstieg und den Verfall einer Vielzahl von (Groß-)Reichen im Zusammenhang mit ökonomischen sowie ökologischen Entwicklungen, die bis heute nachwirken. Laut einer Kurzbeschreibung des Clusters harrt „das kulturelle Erbe dieser Großregion vielfach noch der Aufarbeitung und Analyse“. Das könnte unter anderem auch für das Verständnis aktueller Konflikte wie des Kriegs in der und um die Ukraine von Bedeutung sein. 

 

Die verbleibenden 8,9 Millionen dienen dazu, im Rahmen des Clusters „Knowledge in Crisis“ Mittel und Wege zu finden, um der zunehmenden Wissenschaftsskepsis entgegenzuwirken. Geleitet wird der Cluster von Tim Crane, dem Forschungschef des Central European University (CEU), die nach massiver Kritik des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban nach Wien übersiedelte. 

 

Zweite Säule 

 

Gattringer zufolge ist geplant, mit den Clustern „langfristige Strukturen“ für hochwertige Forschung in den jeweiligen Themengebieten zu etablieren. Außerdem arbeiten er und sein Team bereits an der Umsetzung der zweiten Säule von Excellence Austria, dem Programm „Emerging Fields“. Eingereicht wurden 45 Projekte. Über die Vergabe der Mittel von maximal sechs Millionen Euro pro Vorhaben wird im März 2024 entschieden. 

 

March 6th

SAICM: Noch viel zu tun

Das Vorbereitungstreffen für die Fünfte Internationalen Konferenz über Chemikalienmanagement (ICCM 5) Ende September in Bonn wurde unterbrochen, um offene Fragen zu klären. Nach wie vor geht es um die Verbindlichkeit des künftigen globalen Chemikalienmanagementsystems und um die Finanzierung.

 

Die Zukunft des internationalen Chemikalienmanagementsystems SAICM (Strategic Approach to International Chemicals Management) bleibt weiterhin ungewiss. Nach vierzehntägigen intensiven Verhandlungen in der kenianischen Hauptstadt Nairobi wurde das Vorbereitungstreffen (IP4) für die Fünfte Internationalen Konferenz über Chemikalienmanagement (ICCM 5) am 3. März unterbrochen. Die ICCM 5 findet vom 25. bis einschließlich 29. September in Bonn statt. Zwei Tage vorher kommen die Delegierten zum IP4 nochmals zusammen, mit dem Ziel, die in Nairobi offen gebliebenen Fragen zu klären. In der Zwischenzeit sollen regionale sowie stakeholder-spezifischen Treffen stattfinden. Zwar liegt der Entwurf eines Abschlussdokuments (Consulidated Document) vor, doch ist dieser mit Formulierungen in Klammern übersät, berichteten Beobachter.

 

Verbindlichkeit und Finanzierung 

 

Strittig ist nach wie vor nicht zuletzt, ob SAICM respektive der Nachfolgemechanismus ein freiwilliges Instrument sein soll. In diesem Falle wäre es nicht möglich, in seinem Rahmen völkerrechtlich verbindliche Ziele für den sicheren Umgang mit Chemikalien insbesondere in den Ländern der Dritten Welt zu formulieren. Und speziell afrikanische Delegierte zum IP4 beklagten, während die Verhandlungen liefen, kämen Menschen auf dem „Schwarzen Kontinent“ sowie in Nairobi selbst ums Leben, weil es solche Ziele nicht gebe, von deren wirksamer Implementierung ganz zu schweigen. Andere Delegierte verwiesen darauf, dass beispielsweise die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) ebenfalls nicht rechtsverbindlich sind, sehr wohl aber positive Auswirkungen zeitigen: Es gibt Programme samt entsprechender Finanzierung und zumindest weitgehend funktionierendem Berichtswesen hinsichtlich der Fortschritte auf dem Weg zu den SGDs.

Stichwort Finanzierung: Auch diesbezüglich gingen die Auffassungen in Nairobi auseinander. Während manche der Verhandler auf die Probleme verwiesen, für ein freiwilliges Instrument Mittel zu akquirieren, betonten andere, entscheidend sei nicht die rechtliche Form des künftigen SAICM, sondern der politische Wille, es umzusetzen.

 

Knappe Zeit 

 

Unumstritten ist: Die Zeit, um aus dem Consolidated Document einen beschlussreifen Text zu erarbeiten, ist knapp. Auf der ICCM5 Bonn selbst besteht praktisch kein Spielraum mehr für Verhandlungen. Die Konferenz ist für fünf Tage anberaumt. Zwei davon dienen dem „High Level Segment“, bei dem eine Erklärung nach Art der „Dubai Declaration“ von 2006 verabschiedet werden soll. Mit ihr war SAICM vor fast 20 Jahren ins Leben gerufen worden. Ein bis zwei weitere Tage dienen Formalia, wie der Verabschiedung von Resolutionen zur Benennung des Nachfolgeinstruments von SAICM sowie der Ausgabe der „Marschbefehle“ zur Ausarbeitung von Programmen zur Umsetzung des Instruments. Das renommierte „Earth Negotiations Bulletin“, das die Konferenz begleitete, resümierte, die Aufgabe sei keineswegs einfach. Aber sie sei lösbar. Es gehe nicht um Perfektionismus, sondern darum, das Machbare zu tun und Lösungen für den sicheren Umgang mit gefährlichen Chemikalien zu finden: „Das war die Vision des ‚SAICM Dream‘. Das ist die Verantwortung, die die Teilnehmer an der ICCM5 in Bonn tragen.“

March 1st

Energiepolitik braucht Realismus

Wie die Chemiebranche die Energiekrise bisher bewältigte und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert ist, war Gegenstand eines Expertengesprächs auf Einladung des Fachverbandes der Chemischen Industrie.

 

„Energizing Chemistry - Transformation trifft Krise“ war der Titel eines Expertengesprächs auf Einladung des Fachverbandes der Chemischen Industrie (FCIO) am 28. Februar in Wien. FCIO-Obmann Hubert Culik konstatierte, die Energiekrise sei nur eine von mehreren Krisen, die die Branche zurzeit treffe. Im vergangenen Jahr sei der Gaspreis auf das Zehnfache des vor der Krise üblichen Niveaus gestiegen. Infolge des milden Winterwetters erwiesen sich Befürchtungen hinsichtlich einer Gasmangellage und damit eventuell verbundenen Unterbrechungen der Stromversorgung erfreulicherweise als unbegründet: „Wir haben Glück gehabt.“ Allerdings benötige die energieintensive Chemieindustrie Erdgas nicht nur als Energieträger, sondern auch als Rohstoff zur Herstellung einer breiten Palette an wichtigen Produkten, von Arzneimitteln über Kunstdünger bis zu Dämmstoffen sowie Materialien für Windräder und Solaranlagen. „Etwa 96 Prozent aller in der EU hergestellten Produkte kommen aus der Chemie. Ohne sie geht nichts, auch nicht der Kampf gegen die Klimakrise“, betonte Culik.

 

Deshalb gelte es, die von der Branche benötigte Energie zu erschwinglichen Preisen bereitzustellen. Der Energiekostenzuschuss der Bundesregierung in seiner bisherigen Form war laut Culik „schwer nutzbar und brachte keine Erleichterungen“. Außerdem handle es sich um eine kurzfristige Maßnahme. Die Energiekrise dauere aber längere Zeit an. Die Forderung an die Branche, ihren Energiebedarf zu senken, klinge wohl logisch. Doch die gleichzeitig geäußerte Forderung, den CO2-Ausstoß zu verringern, führe zu verstärkter Elektrifizierung und damit zu höherem Strombedarf. „Wir als Chemiebranche bräuchten 60 Wasserkraftwerke in der Größe des Kraftwerks Freudenau oder eine Photovoltaikanlage von der Fläche Wiens, um mit Ökostrom klimaneutral zu werden“, erläuterte Culik. Das könne sich nicht ausgehen.

 

Culik ergänzte, er sei seit Langem in der Chemieindustrie tätig: „Aber eine solche Transformation wie derzeit hat es noch nie gegeben.“ Der Politik riet Culik zu „mehr Realismus. Es ist unsinnig, die konventionelle Technik abzubauen, bevor die grüne Technologie ausgebaut ist. Wenn wir so vorgehen, wandert die Industrie ab. Dem Klima ist damit aber nicht geholfen, weil in anderen Weltgegenden mehr CO2 emittiert wird“. Es bestehe das Risiko „einer Deindustrialisierung und damit der Gefährung unseres Wohlstands“. Dem gelte es mit pragmatischer statt „ideologiegetriebener“ Politik gegenzusteuern.

 

Düngerindustrie braucht erschwingliche Energie

 

Der massive Anstieg der Gaspreise erfolgte nicht erst mit dem Krieg in der Ukraine, betonte Andreas Steinbüchler, der Geschäftsführer der Borealis L.A.T., die für das Dünger- und Stickstoffgeschäft des Chemiekonzerns zuständig ist. Zurzeit liegt der Gaspreis in Europa laut Steinbüchler bei etwa 50 Euro pro Megawattstunde (MWh), in den USA sind es umgerechnet 10 bis 12 Euro, ebenso wie in Afrika. Das Problem seines Unternehmens: „Rund 90 Prozent unserer variablen Kosten werden über Gas definiert.“ Und das schlage sich verständlicherweise in den Preisen der Produkte nieder: Dünger aus Russland sei um etwa ein Fünftel des Preises in Westeuropa erzeugten Düngers zu haben. Die Folge: „Die Einfuhren russischen Düngers sind im Vergleich zu den Vorkriegsmengen um rund 40 Prozent gestiegen.“ Deckte Österreich seinen Bedarf 2021 zu rund 25 Prozent mittels Importen, waren es 2022 etwa 40 Prozent. Für heuer ist laut Steinbüchler mit rund 43 Prozent zu rechnen. Die (west-)europäische Düngerindustrie sei aufgrund der hohen Gaspreise international nicht konkurrenzfähig.

 

Bleibe diese Situation über mehrere Jahre unverändert, müssten Erzeugungskapazitäten stillgelegt werden. Die Borealis L.A.T. selbst habe ihre Produktion am Standort Linz, einem der modernsten und effizientesten in Europa, um rund 50 Prozent verringert. Und dass der deutsche Chemiegigant BASF vergangene Woche ankündigte, seine Ammoniakerzeugung am Stammsitz Ludwigshafen zu schließen, ist laut Steinbüchler „das erste Signal, es wird kritisch“. Die Industrie brauche erschwingliche Energie und ausreichende Infrastrukturen, um diese verfügbar zu machen. Doch die europäische Politik habe es bis dato nicht geschafft, entsprechende Maßnahmen zu setzen, kritisierte Steinbüchler. Offenbar würden energiepolitische Überlegungen von der Sorge um die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung überlagert. Deshalb bestehe keine Bereitschaft, die Importe billigen russischen Düngers einzuschränken.

 

Fehlender politischer Wille

 

Gottfried Rosenauer, seines Zeichens „Director Site Services“ des Faserkonzerns Lenzing, konstatierte, die Erdgaspreise seien seit 2021 förmlich „explodiert“: „Und es ist keine Lösung, dass wir verflüssigtes Erdgas (LNG) aus den USA importieren und das als Allheilmittel sehen.“ Abgesehen von seinen wirtschaftlichen Vorteilen belaste Pipelinegas aus Russland die Umwelt erheblich weniger als LNG. In die Bredouille gekommen sei Europa aber vor allem aus einem Grund: „Wir haben versäumt, unsere eigenen Gasvorkommen zu explorieren sowie zu erschließen. Dazu fehlt einfach der politische Wille.“ Kritik übte Rosenauer auch am Merit-Order-Prinzip zur Preisbildung im Großhandel mit Strom. Grob gesprochen, besagt dieses: Der Preis eines Produkts wird durch die Kosten des teuersten zur Bedarfsdeckung nötigen Produkts der betreffenden Art bestimmt. Das aber sei angesichts des hohen Anteils der Wasserkraft an der Stromerzeugung in Österreich nicht recht nachvollziehbar: „Die Donau ist ja nicht teurer geworden.“

 

Am Standort Lenzing selbst konnte die Lenzing AG die Energiekrise „recht gut bewältigen“, berichtete Rosenauer. Es bestünden Möglichkeiten zur energetischen Nutzung von Biomasseabfällen und Ablauge aus der holzbasierten Zellstofferzeugung. Ferner könnten auch Rinde und Sägespäne verfeuert werden. Überdies habe die Lenzing gemeinsam mit dem Stromkonzern Verbund schon vor der Energiekrise eine große Photovoltaikanlage auf ihrer aufgelassenen Aschendeponie installiert. Die Genehmigung dafür zu erhalten, sei allerdings ein wahrer „Spießrutenlauf“ gewesen, der rund zwei Jahre gedauert habe. Geplant ist laut Rosenauer, in der Fabrik Heiligenkreuz im Südburgenland eine weitere Photovoltaikanlage zu errichten, um auch dort den Eigenanteil an der Stromproduktion zu erhöhen. Klar ist Rosenauer zufolge aber: „Die berühmten ‚low hanging fruits‘ im Energiebereich gibt es bei uns nicht mehr. Die Früchte, die wir noch ‚ernten‘ können, hängen zwei Kilometer hoch.“

 

Photovoltaik: nicht in Kärnten

 

René Haberl, der Vorstand der auf Chemie und Metallurgie spezialisierten Treibacher Industrie AG, erläuterte, sein Unternehmen benötige jährlich rund 85 Gigawattstunden (GWh) Strom und 150 GWh Erdgas für Hochtemperaturprozesse wie das Rösten, Kalzinieren und Schmelzen. Bei einem Jahresumsatz von etwa 670 Millionen Euro seien die Energiekosten 2022 um rund 30 Millionen Euro gestiegen. Der Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten der Treibacher habe sich um rund drei Prozentpunkte auf zehn Prozent erhöht. In Reaktion darauf habe das Unternehmen unter anderem Zweistoffbrenner installiert, um neben Erdgas auch Schweröl verwenden zu können. Überdies werde anders als in der Vergangenheit auch die Abwärme der Produktionsanlagen genutzt: „Damit sparen wir uns immerhin rund 2 GWh Erdgas pro Jahr.“ Freilich sei das nicht die Welt, aber nennenswerte Kostensenkungen bringe es allemal. Dringend notwendig seien geeignete Rahmenbedingungen, um energiewirtschaftliche Vorhaben umsetzen zu können. Und dazu gehörten keineswegs zuletzt zügige Genehmigungsverfahren, Technologieförderung sowie Bürokratieabbau, aber auch Maßnahmen, um Risikokapital leichter verfügbar zu machen. Und auch sein Unternehmen habe seine Erfahrungen mit der Realisierung von Photovoltaikanlagen gemacht, ergänzte Haberl. In Kärnten sei diese trotz aller Anstrengungen und trotz allen guten Willens seitens der Industrie kaum möglich.

 

Viel zu tun

 

Einen generellen Überblick über die energiepolitische und energiewirtschaftliche Lage bot der ehemalige Generaldirektor des Verbunds, Wolfgang Anzengruber, der Bundespräsident Alexander van der Bellen in Fragen der Energieversorgung berät. Anzengruber betonte, die Herausforderung bestehe weniger darin, „dass uns der russische Präsident Wladimir Putin nervt“. Vielmehr gehe es um Folgendes: Im Klimaabkommen von Paris vom Dezember 2015 habe sich die internationale Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts auf „deutlich weniger“ („well below“) 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Gelingt das nicht, drohen massive ökonomische sowie politische Verwerfungen, vom deutlichen Sinken des Wohlstandniveaus in den Industrienationen bis zu Migrationsbewegungen ungeahnten Ausmaßes in der Dritten Welt: „Südostasien könnte teilweise unter Wasser stehen.“ Und klar ist laut Anzengruber: „Wir brauchen keine neuen klima- und energiepolitischen Ziele. Die Ziele sind seit Paris klar. Außerdem gibt es die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die Sustainable Development Goals (SDGs).“ Statt dessen gehe es ums Umsetzen.

 

Und da habe nicht zuletzt Österreich einiges zu tun. So solle etwa der Strombedarf ab 2030 bilanziell aussschließlich mit erneuerbaren Energien gedeckt werden: „Um da hin zu kommen, haben wir nur mehr knapp sieben Jahre Zeit.“ Im Gassektor decke Österreich rund 63 Prozent seines Bedarfs mit Importen aus Russland. Diese mit Einfuhren aus anderen Regionen zu ersetzen, „wird ein gehöriges Stück Arbeit“. Ferner plane die Bundesregierung bekanntlich, Österreich bis 2040 „klimaneutral“ zu machen. Bis dato werde jedoch nur das hierzulande emittierte CO2 betrachtet, das sich auf etwa zehn Tonnen pro Kopf und Jahr belaufe. Realistisch betrachtet, sei aber das „konsumierte“ CO2 in den Blick zu nehmen. Das indessen bedeute, Österreich auch jene Emissionen zuzurechnen, die bei der Erzeugung der alljährlich importierten Waren entstehen. So gesehen, liege Österreich bei etwa 30 Tonnen an CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr. Und diese auf Netto-Null zu bringen, werde alles andere als einfach.

 

Ziele erreichbar

 

Erreichbar sind die Ziele aber, betonte Anzengruber. Notwendig sei freilich eine Reihe von Rahmenbedingungen. Diese umfassen nicht zuletzt Kennzahlen für Nachhaltigkeit, um einschlägige Maßnahmen bewerten und ihre Wirksamkeit überwachen zu können. Wichtig sei aber auch, die fragmentierten Wertschöpfungsketten zu schließen: „Es kann nicht sein, dass sich ein Schiff im Suezkanal querstellt und dann die halbe Weltwirtschaft steht.“ Ferner müsse die Devise lauten: „So viel Regulierung wie nötig, so viel Markt wie möglich.“ Staatliche Eingriffe und planwirtschaftliche Überlegungen dürften keinesfalls überhand nehmen. Gefragt sei weiters internationale Kooperation: „Autarkiephantasien sind nicht sinnvoll.“ In technischer Hinsicht sei Österreich gut beraten, auf die CO2-Abscheidung aus Kraftwerks- und Industrieabgasen (Carbon Capture) nicht zu verzichten. Darüber hinaus gelte es, die Jugend für die Umgestaltung des Energiesystems zu gewinnen und eine „Plattform der Willigen“ zu bilden. Europa sei es gelungen, mit Herausforderungen wie dem „sauren Regen“ fertigzuwerden. Auch die Klimakrise lasse sich meistern: „Wir haben in Europa Technologien, gescheite Leute und viel Erfahrung.“ Es gebe keinen Grund, die Probleme nicht endlich anzugehen, resümierte Anzengruber.

 

 

February 27th

Montavit wird vorerst weitergeführt

Das Insolvenzgericht Innsbruck billigte die einstweilige Fortführung des angeschlagenen Tiroler Pharmaunternehmens in Eigenverwaltung, berichten Kreditorenverbände. Allerdings gilt der Einstieg eines Investors als unvermeidbar.

 

 

Das angeschlagene Tiroler Pharmaunternehmen Montavit kann vorausichtlich bis zur Tagsatzung hinsichtlich des Sanierungsvorschlags am 24. April weitergeführt werden. Das berichtete der Kreditschutzverband von 1870 (KSV1870) nach der Gläubigerversammlung am 27. Februar vor dem Insolvenzgericht Innsbruck. Er berief sich auf die Ausführungen des Sanierungsverwalters Stephan Kasseroler. Laut dem KSV 1970 hatte sich dieser bei dem Termin zuversichtlich gezeigt und mitgeteilt, die Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung laufe „problemlos“. Auch lägen die „notwendigen betrieblichen Kennzahlen zur Steuerung des Unternehmens“ vor. Allerdings ist dem KSV1870 zufolge die Finanzierung der Sanierungsplanquote von 30 Prozent, zahlbar in zwei Jahren, „nur bei einem Einstieg eines Investors gesichert“.

 

Der Regionalleiter West des KSV1870, Klaus Schaller, konstatierte, die Montavit habe in den vergangenen drei Jahren „hoch negativ“ bilanziert. Selbst wenn das Unternehmen rasch operative Restrukturierungen vornehme, sei es „.nicht realistisch, dass eine Sanierung aus dem laufenden Betrieb finanziert werden kann. Ich erwarte, dass die Schuldnerin den Austausch mit den Investoren intensivieren und gleichzeitig das Gespräch mit den finanzierenden Banken suchen wird. Bei den Verhandlungen mit den Kreditinstituten wird es insbesondere darum gehen, inwieweit diese - mit ihren unbesicherten Forderungen - auf eine Quote aus dem Sanierungsplan bestehen oder allenfalls hier eine Stundung gewähren“.

 

Schließung „wenig attraktiv“

 

Schaller zufolge wäre die Schließung der Montavit samt anschließender Verwertung ihres Betriebsvermögens „für die Gläubiger wenig attraktiv“. Seine Argumentation: „Bei einem derartigen Szenario würde auf der einen Seite der Stand der am Verfahren beteiligten Verbindlichkeiten stark ansteigen. Dies deshalb, da sämtliche Beendigungsansprüche von nahezu 200 Dienstnehmern sofort zu berücksichtigen wären. Auf der anderen Seite ist zu erwarten, dass im Rahmen der Einzelverwertung aller vorhandenen Vermögensteile enorme Abschläge beim Verkaufspreis hinzunehmen wären.“ Schaller ergänzte, laut den Ausführungen Kasserolers bei der Gläubigerversammtlich seien „mehrere Investoren“ interessiert, bei der Montavit einzusteigen. Definitive Zusagen gebe es allerdings noch nicht.

 

Ähnlich äußerte sich der Alpenländische Kreditorenverband (AKV). „Die Unternehmensfortführung verläuft bisher sehr gut. Das Gericht hat die Fortführung des Unternehmens beschlossen und die Eigenverwaltung bei der Schuldnerin belassen“, verlautete er in einer Aussendung. Dem AKV zufolge ist die Montavit bei mehreren Banken mit insgesamt rund 35 Millionen Euro verschuldet, insbesondere bei der Tiroler Sparkasse, der Salzburger Sparkasse sowie der Bank für Tirol und Vorarlberg (BTV). Dazu kommen weitere etwa 6 Millionen Euro an Schulden bei Lieferanten. Die Eigentümerfamilien wollen dem AKV zufolge eine Fortführungskaution von 100.000 Euro erlegen, um so ihr „Commitment“ zum Weiterbestand des Unternehmens zu unterstreichen.

 

 

 

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