„Redesign der Produktion“

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Heißes Eisen: Ob eine vollständige Entkopplung wirtschaftlichen Wachstums vom Ressourcenverbrauch möglich ist, wird intensiv diskutiert.

Wir müssen den Fokus von der weiteren Steigerung der Arbeitsproduktivität zur Steigerung der Ressourcenproduktivität verlagern“, betonte Heinz Leuenberger, einer der führenden Wirtschaftsforscher der UNO-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO), kürzlich beim Vienna Energy Forum in Wien. In Industriestaaten wie Deutschland machten die Kosten für Rohmaterialien und Energie etwa 60 Prozent der gesamten Produktionskosten aus. Auf den Personaleinsatz entfielen dagegen lediglich rund 20 Prozent. Etliche Unternehmen versuchten aber, die Arbeitskosten weiter zu senken – nicht zuletzt durch den Abbau von Personal, was die in manchen Staaten ohnehin besorgniserregenden Arbeitslosenzahlen weiter erhöhe.

Leuenberger zufolge ist dies der falsche Ansatz, weil mit der rapiden industriellen Entwicklung in bedeutenden Schwellenländern mit einem tendenziellen Anstieg der Rohstoff- sowie Energiekosten zu rechnen ist. Folglich müsse in diesen Bereichen angesetzt werden, konstatierte Leuenberger: „Es um eine absolute Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Energie- und Ressourcenverbrauch. Das bedeutet nichts weniger als ein komplettes Redesign unserer Produktion.“ Produkte müssten künftig vor allem im Hinblick auf bessere Wiederverwendbarkeit und leichtere Rezyklierbarkeit optimiert werden. Auch gelte es, gefährliche Chemikalien etwa im Sinne des EU-Chemikalienmanagementsystems REACH schrittweise aus den Produktionsprozessen auszusondern und, so weit sich dies machen lasse, erneuerbare Rohstoffe sowie Recyclingmaterialien einzusetzen. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey ließen sich damit bis 2030 Kosten von rund 3.000 Milliarden US-Dollar vermeiden, fügte Leuenberger hinzu: „Und McKinsey ist ja nicht gerade für Feindseligkeit gegenüber der Marktwirtschaft bekannt.“

Harry Verhaar, der Leiter der Abteilung Global Public and Government Affairs des Elektronikkonzerns Philips, stimmte Leuenberger zu: „Das derzeitige Wirtschaftssystem ist einfach zu kostspielig. Wir müssen so weit wie irgend möglich in Richtung Kreislaufwirtschaft gehen.“ Und das bedeute auch, die Ressourcen- sowie Energieeffizienz zu steigern, wo immer sich dies durchführen lasse.

 

Quelle des Wohlstands“

Wie die chemische Industrie dazu beitragen kann, war eines der Kernthemen beim 6. österreichischen Kunststofftag, bei dem es nicht zuletzt um Recycling und den möglichst effizienten Einsatz von Rohstoffen ging. Und wie der Präsident von PlasticsEurope in Österreich, Heinz G. Schratt, dort betonte, sind Kunststoffe „nicht der Untergang der Welt, sondern eine globale Quelle des Wohlstandes.“ Sie böten „leistbare Lebensqualität für die Konsumenten“ sowie Wertschöpfung und Arbeitsplätze an den Produktionsstandorten der Industrie. Auch für die immer wieder beschworene „nachhaltige Entwicklung“ seien sie unverzichtbar, da ihr Einsatz im Vergleich mit alternativen Materialien „ein Vielfaches dessen, was für ihre Produktion an Energie und Rohstoffen benötigt wird, einspart.“ Insoferne leiste gerade auch die viel gescholtene Plastikindustrie einen keineswegs zu vernachlässigenden Beitrag zum Erreichen klimapolitischer Ziele. Und die Branche arbeite schon seit langer Zeit durchaus erfolgreich daran, ihre Produkte sowie Herstellungsverfahren noch umweltverträglicher zu machen, ergänzte Schratt. Er verwies auf die laufende Nachhaltigkeitsinitiative VinylPlus, an der sich europaweit rund 21.000 Unternehmen mit einer Jahresproduktion von sechs Millionen Tonnen PVC, einer halben Million Beschäftigten sowie 80 Milliarden Euro Umsatz beteiligen. Die Initiative zielt darauf ab, PVC als einen der wichtigsten Kunststoffe noch effizienter einzusetzen, die bei seiner Produktion entstehenden Schadstoffemissionen weiter zu senken, möglicherweise problematische Additive durch unproblematischere Alterrnativen zu ersetzen, den CO2-Ausstoß bei der PCV-Herstellung noch stärker zu reduzieren und schließlich das Bewusstsein für die Bedeutung einer nachhaltigen Entwicklung über die gesamte Wertschöpfungskette zu steigern. 

Schon derzeit erfolgt die stoffliche sowie thermische Verwertung von Kunststoffabfällen in Europa in vorbildlicher Weise, fügte Schratt hinzu. Neun europäische Staaten haben Verwertungsquoten von über 90 Prozent. An der Spitze liegen die Schweiz mit 99,7 Prozent, Deutschland mit 98,1 Prozent und Österreich mit 96,6 Prozent. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Verwertungsquote der EU-27+2 (EU plus Norwegen und die Schweiz) liegt bei 57,9 Prozent, ein laut Schratt ebenfalls beachtlicher Wert. Und die Initative „Zero plastics to landfill by 2020“, die auf einen Verzicht der Deponierung von Plastikabfällen hinausläuft, werde „die Verwertungs- und Recycling-Mengen jener Abfallströme, die bisher noch nicht erfasst wurden, bedeutend steigern.“ 

 

Recycling ist in

Mit dem Recycling von Kunststoffabfällen befasst sich unter anderem die Walter-Ebner-Reststofftechnik Ges.m.b.H. mit Sitz in Henndorf bei Salzburg. Firmenchef Walter Ebner erläuterte beim Kunststofftag, in den gut und gerne 32 Millionen Kunststofffenstern seien in Österreich etwa 560.000 Tonnen reines PVC verbaut. Würden wie derzeit rund zwei Prozent dieser Fenster jährlich getauscht, entspreche das etwa 11.000 Tonnen. Sein Unternehmen erzeuge daraus Regranulat mit einer Reinheit von über 99 Prozent, das als Rohstoff für neue Fenster verwendet werden könne. Da PVC sich bis zu sieben Mal aus dem Fenstermaterial extrudieren lasse, ergebe sich eine theoretische Lebensdauer eines Kunststofffensters von rund 280 Jahren. Einfach ist die PVC-Wiedergewinnung allerdings nicht, warnte Ebner: „Ein PVC-Fenster kann aus bis zu 22 Materialien bestehen, die miteinander verbunden sind.“ Klar ist laut Ebner, dass das „Urban Mining“, also das Gewinnen von Sekundärrohstoffen aus verbauten Materialien, in Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen wird. Schon derzeit stammten etwa 80 Prozent des in Europa auf dem Markt befindlichen Kupfers aus dem Recycling. Ebners Resümee: „Irgendwann werden sich die Rohstoffproduzenten und die bisherigen Abfallentsorger in ihrer neuen Funktion die Waage halten müssen. Die Devise wird lauten: Ihr Abfall ist unser Rohstoff.“ 

 

Von wegen Krise

Grund zur Angst vor zu Ende gehenden Vorkommen an Primärrohstoffen gibt es auf absehbare Zeit allerdings ebenfalls nicht, betonte Friedrich Wellmer, der ehemalige Präsident der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Wellmer erläuterte, derzeit würden weltweit jährlich rund 45 Milliarden Tonnen an mineralischen Rohstoffen verbraucht. Der jährlíche Pro-Kopf-Bedarf in Deutschland liege bei etwa 40 Kilogramm. Um die Frage der Knappheit eines bestimmten Rohstoffs korrekt zu beurteilen, ist laut Wellmer zwischen drei Arten von Vorkommen zu unterscheiden. Als „Reserven“ werden jene Vorkommen bezeichnet, die zurzeit wirtschaftlich rentabel ausgebeutet werden können. „Ressourcen“ heißen Vorkommen, die zwar bekannt sind, deren Nutzung sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht rechnet. Der Begriff „Geopotenzial“ schließlich beschreibt die noch nicht konkret bekannten Reserven und Ressourcen, deren Vorhandensein aber vermutet werden kann. Wie Wellmer betonte, sind die Grenzen zwischen den drei Arten „dynamisch“: Was heute noch „Ressource“ sei, könne aufgrund technischer und/oder wirtschaftlicher Entwicklungen schon morgen den nutzbaren „Reserven“ zugerechnet werden.

Als Beispiel nannte Wellmer die Schiefergasvorkommen in den USA, die vor wenigen Jahren noch als wirtschaftlich nicht nutzbar galten und heute bereits rund die Hälfte des US-amerikanischen Erdgasbedarfs decken. Angesichts dessen sind laut Wellmer auch Meldungen vor einem nahen oder gar bereits erfolgten Überschreiten des weltweiten Höhepunktes in der Erdölförderung („Peak Oil“) mit Vorsicht zu genießen: „Ich habe Peak Oil vor einigen Jahren für etwa 2035 erwartet, bin mittlerweile aber sehr zurückhaltend. Klar ist nur: Peak Oil ist noch weit in der Zukunft.“

Auch von einer „Phosphorkrise“, die via Düngemittelknappheit zu weltweitem Nahrungsmangel zu führen drohe, könne schwerlich die Rede sein. Noch 1988 habe sich die Phosphatproduktion auf etwa 152,6 Millionen Tonnen bei Reserven von etwa 14 Milliarden Tonnen belaufen. Heute liege die Produktion bei 191 Millionen Tonnen, die Reserven seien aber auf 71 Milliarden Tonnen gewachsen: „Das reicht für mehr als 370 Jahre.“ Dennoch empfiehlt auch Wellmer, die Themen Recycling und Ressourceneffizienz zu forcieren. Sein Argument: „Leider sind die Länder mit den größten Rohstoffvorkommen auch die korruptesten."