Archive - Okt 20, 2015

ASVG-Novelle „verfassungs- und EU-Rechts-widrig“

Als „verfassungswidrigen Eingriff in Grundrechte und Verstoß gegen EU-Recht“ brandmarkt der Fachverband der chemischen Industrie Österreichs (FCIO) die Novelle zum ASVG, die seit gestern in Begutachtung ist. Die Novelle sieht vor, dass die Pharmaindustrie den Krankenkassen für die Jahre 2016 bis 2018 einen Rabatt in der Höhe von 125 Millionen Euro auf die Arzneimittelkosten zu gewähren hat. Dieser „Finanzierungssicherungsbeitrag“ ist im jeweiligen Folgejahr nachträglich zu entrichten, wobei jeweils per 1. September eine Vorauszahlung von 80 Prozent zu erfolgen hat. Bei Fristversäumnis kann der Hauptverband (HV) der Sozialversicherungsträger dem jeweiligen Unternehmen einen Aufschlag von zehn Prozent auf seinen Beitrag verrechnen. Jedem Unternehmen wird bezogen auf den Gesamtumsatz ein freier „Sockelbetrag“ von drei Millionen Euro gewährt, davon zwei Millionen für Medikamente im Grünen Bereich des Erstattungskodex sowie eine Million für Arzneien im Gelben und Roten Bereich des Kodex. Für Umsätze über den Freibetrag hinaus ist ein Rabatt von drei Prozent plus zehn Prozent Umsatzsteuer (USt.) für Medikamente aus dem Grünen Bereich, von sieben Prozent plus zehn Prozent USt. für Medikamente aus dem Gelben und Roten Bereich sowie von 15 Prozent plus USt. für Arzneien, die nicht im Kodex aufgeführt sind, zu gewähren.

 

FCIO-Geschäftsführerin Sylvia Hofinger kritisiert den „Finanzierungssicherungsbeitrag“ als „Zwangsrabatt“, der den Wirtschaftsstandort Österreich schädige. Ihr zufolge hätten „namhafte Verfassungsjuristen in einem Gutachten festgestellt, dass der Entwurf gegen die Eigentumsgarantie, die Erwerbsfreiheit und den Gleichheitsgrundsatz verstößt und im Widerspruch zum EU-Recht steht.“ Laut Hofinger argumentieren der HV und das für die ASVG-Novelle verantwortliche Gesundheitsministerium mit „überhöhten Wachstumsraten“ bei den Arzneimittelkosten, die sich laut den Erläuterungen zur Novelle im zweiten Halbjahr 2014 auf „über acht Prozent“ belaufen hätten. Dem gegenüber gehe der HV für 2016 von einer Steigerung um „lediglich 5,4 Prozent“ aus, betont Hofinger.

 

Reformieren statt abkassieren

Und sie fügt hinzu: Die Pharmaindustrie habe dem HV ein „dynamisches Modell“ für einen freiwilligen Solidarbetrag angeboten. Dieses beinhalte neben einem „großzügigen Basisbeitrag zusätzliche Zahlungen bei Erreichen eines bestimmten Wachstums. Das Modell ist faktenbasiert sowie fair und transparent und bietet für alle Seiten Planbarkeit.“ Der HV habe dieses Angebot jedoch abgelehnt. Laut Hofinger zeigt das, „dass es lediglich darum geht, von strukturellen finanziellen Problemen im Bereich der Krankenkassen abzulenken: Noch immer leistet sich Österreich 22 verschiedene Kassen mit stark steigenden Verwaltungsausgaben und großzügigen Pensionsregelungen, teure eigene Einrichtungen und einen überdimensionierten Spitalsbereich.“

Sie fordert Gesundheitsministerin Sabina Oberhauser daher auf, den Begutachtungsentwurf zurückzuziehen. Stattdessen müssten nun endlich die „oftmals angekündigten Strukturreformen“ bei den Sozialversicherungsträgern durchgezogen werden.

 

Kranke Kassen 

Ähnlich argumentierte kürzlich der Pharmaindustrieverband Pharmig. Bei einem Hintergrundgespräch lehnte Generalsekretär Jan Oliver Huber den „Zwangsrabatt“ vehement ab. Auch ihm zufolge ist das Defizit der Kassen zumindest nicht ausschließlich durch die Arzneimittelkosten begründet. Manche der Anstalten leisteten sich teure Einrichtungen, deren Notwendigkeit nicht offensichtlich sei. Als Beispiel nannte Huber das Hanusch-Krankenhaus der Wiener Gebietskrankenkasse, das mit rund 50 Millionen Euro pro Jahr ein gehöriges Scherflein zu deren jährlichem Defizit beitrage. Und das sei nur eine von etlichen „Parallelveranstaltungen“ zu Einrichtungen der öffentlichen Hand. Hubers Kritik: „Insgesamt haben wir im Gesundheitssektor eine aufgeblähte Struktur, die ganz offensichtlich keine Top-Resultate bringt.“ Der HV solle daher Reformen einleiten, statt über die Arzneimittelkosten zu klagen. Nicht infrage kommt laut Huber, „dass wir als Pharmaindustrie für Aufwendungen der Kassen abseits der Medikamentenkosten bezahlen. Das wäre wirtschaftlich unverantwortlich.“

 

Kritik von der IV

Vehement abgelehnt wird der Entwurf auch von der Industriellenvereinigung (IV). Laut Generalsekretär Christoph Neumayer leisten die Pharmaunternehmen „bereits seit Jahren einen überproportionalen Beitrag zur Sanierung der Krankenkassen“. Es gehe nicht an, dass sie nun auch für die „Reformversäumnisse in zahlreichen Bereichen“ buchstäblich zur Kasse gebeten würden. Neumayer zufolge liegt „die im Regierungsprogramm vorgesehene Studie zu Effizienzsteigerungen bei den Sozialversicherungsträgern bis heute nicht vor. Der gesetzliche Verwaltungskostendeckel für die Sozialversicherung ist vor Jahren ausgelaufen.“ Das Gesundheitsministerium solle daher nicht die Pharmaindustrie weiter belasten, sondern für Ordnung bei den Krankenkassen sorgen: „Es gilt, in allen Bereichen der Krankenversicherung notwendige Reformen anzugehen sowie insbesondere auch bei Organisation und Verwaltung der Sozialversicherung, etwa bei Personal und eigenen Einrichtungen, konsequent Effizienzsteigerungen zu realisieren.“

 

Zores für Leitl

Pikant ist die Angelegenheit übrigens für Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. Als Kammerchef hat er die Interessen der FCIO-Mitglieder und damit auch der Pharmaindustrie zu vertreten. Gleichzeitig ist Leitl indessen auch Obmann der Sozialversicherungsanstalt (SVA), die dem HV angehört. In dieser Funktion wiederum muss er dem HV und damit den Krankenkassen das Wort reden. Schon macht daher das böse Wort die Runde, der Kammeroberste sei gut beraten, sich einen anständigen Vorrat an „Pillen gegen Schizophrenie“ zuzulegen - ob diese nun rabattiert zu bekommen seien oder nicht. Denn in den anstehenden Debatten werde es für ihn schwierig, auseinanderzuhalten, welche Position er aktuell vertreten müsse.