Archive - 2018

July 9th

Molekularer Motor in Cilien rekonstruiert

Biophysiker der TU München konnten einen Protein-Komplex rekonstruieren, der als molekularer Motor fungiert und so eine entscheidende Rolle für die Funktion von Cilien spielen kann.

 

Cilien sind Ausstülpungen von Zellen, die neben Cytoplasma ein röhrenförmiges Skelett aus Mikrotubuli enthalten. Sie dienen – je nach Ausprägung – der Bewegung von Zellen oder umgebendem Medium oder spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Differenzierung von Geweben.

Die Details des biochemischen Mechanismus, der den Cilien diese vielfältigen Aufgaben ermöglicht, liegen aber nach wie vor im Dunkeln. Bislang wurden dutzende Proteine identifiziert, die die Funktion der Ausstülpungen beeinflussen. Zeynep Ökten vom Physik-Department der Technischen Universität München glaubt deswegen, dass der klassische Top-down-Approach bei einer solchen Fragestellung an seine Grenzen stößt. Gemeinsam mit ihren Kollegen hat sie im Gegensatz dazu einen Bottom-up-Ansatz gewählt und einzelne Proteine und ihre Wechselwirkungen untersucht, die als molekulare Motoren fungieren und so am Trabsport in den Cilien beteiligt sein könnten.

Nach monatelangem Experimentieren konnte eine Minimalkombination aus vier Proteinen identifiziert werden, die sich zu einem Komplex (einer Kinesin-2-betriebenen intraflagellaren Transportmaschine, IFT) zusammenschließen und beginnen, durch die Kapillaren eines Probenträgers zu wandern – eine Bewegung, die im Fluoreszenzmikroskop sichtbar gemacht werden konnte.

 

 

July 5th

Bosch will sich von Packaging-Sparte trennen

Die Bosch-Gruppe plant den Verkauf ihres Geschäfts mit Verpackungsmaschinen. Davon sind sowohl die Produktlinien für die Pharma- als auch jene für die Lebensmittelindustrie betroffen.

 

Die Unternehmensführung gab bekannt, dass man nach Prüfung aller strategischen Optionen einen Käufer für das Geschäftsfeld suche. Die Gruppe wolle „aufgrund erforderlicher Transformation“  Ressourcen fokussieren. Gemeint dürfe damit die stärkere Konzentration auf Geschäftsfelder und Technologien sein, die im Zuge industrieller Digitalisierungsprozesse ins Zentrum rücken, konkret wird etwa „Internet der Dinge“ genannt. Die Verpackungstechnik sei demgegenüber kein Kerngeschäft und man habe auch keine unternehmerisch oder technologisch ausreichenden Synergien im Konzern gefunden.

Da man hier im Projektgeschäft eines speziellen Bereichs des Sondermaschinenbaus agiere, hätten mittelständisch strukturierte Mitbewerber Vorteile gegenüber einem großen Konzern. Es sei aber geplant, dass alle rund 6.100 Mitarbeiter in 15 Ländern von einem potentiellen Erwerber übernommen werden sollen. Innerhalb der Verpackungsmaschinen-Sparte hat sich der Pharma-Bereich nach Angaben des Unternehmens zuletzt erfreulich entwickelt, der Lebensmittelbereich sei mit der Stärkung seiner Kerngebiete beschäftigt gewesen und wolle seine Marktposition nun weiter ausbauen.

 

 

July 4th

Transparenz mit Schönheitsfehler

Auch heuer veröffentlichte die Pharmaindustrie die Höhe ihrer Zahlungen an Personen und Institutionen im Gesundheitswesen. Die Ärzte sind hinsichtlich Namensnennung weiter zurückhaltend.

 

Zahlungen von insgesamt rund 140 Millionen Euro leistete die Pharmaindustrie 2017 an österreichische Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser und medizinische Forschungseinrichtungen. Das meldet der Branchenverband Pharmig. Ihm zufolge entfielen etwa 89 Millionen Euro oder 64 Prozent der Gesamtsumme auf Forschung, also etwa die Mitwirkung an klinischen Studien. Weitere 31 Millionen Euro (22 Prozent) gab die Branche für Veranstaltungen aus, darunter die Erstattung von Kongressgebühren. Beratungs- und andere Dienstleistungen, darunter Vortragshonorare, ließen sich die Pharmaunternehmen 14,5 Millionen Euro (zehn Prozent) kosten. Für Spenden und Förderungen wandten sie 5,5 Millionen Euro auf, was vier Prozent des Gesamtbetrags entspricht. Offengelegt werden diese Zahlen alljährlich im Rahmen der freiwilligen Transparenzinitiative der Pharmaindustrie auf den Webseiten der einzelnen Unternehmen. Pharmig-Präsident Martin Munte verlautete, es sei „ein äußerst positives Zeichen“, dass der Großteil des Gelds in die Forschung fließe.

 

Differenziert äußerte sich einmal mehr der Antikorruptions-Verein Transparency International (TI). Die Vorstandschefin der österreichischen TI-Vertretung, Eva Geiblinger, nannte die Initiative einen „wichtigen Schritt im Kampf gegen Korruption“. Der Wermutstropfen: „Nur wenige Pharmafirmen in Österreich halten sich an die freiwilligen Vorgaben der Branche zur namentlichen Offenlegung der Empfänger.“ Ändere sich das in den kommenden Jahren nicht „drastisch“, empfehle sich eine „gesetzliche Verpflichtung“. Aufgrund des österreichischen Datenschutzrechts können die Pharmaunternehmen Zahlungsempfänger nur namentlich nennen, wenn diese ausdrücklich zustimmen. Und das taten in den vergangenen Jahren nur rund 20 Prozent der Ärzte.

 

Immerhin: GlaxoSmithKline (GSK) schließt nach eigenen Angaben als einziger Pharmakonzern „bereits seit 2015 nur mehr mit jenen Ärzten und Institutionen Verträge über Dienstleistungen ab, die vorab einer namentlichen Offenlegung von Zahlungen zustimmen“. Die Veröffentlichungsrate beziffert GSK mit mehr als 99 Prozent. Widerruft ein Arzt seine Einwilligung, „müssen die bereits bezahlten Leistungen aggregiert gemeldet werden“. Zurückgefordert wird das liebe Geld aber nicht.

 

Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres konstatierte in einer Aussendung mit der Pharmig: „Ich bin der Meinung, wer seine ärztliche Expertise für die Verbesserung oder Neuentwicklung von Medikamenten zur Verfügung stellt, sollte stolz darauf sein. Es ist selbstverständlich und völlig legitim, dass Kolleginnen und Kollegen für ihre Leistungen im Rahmen von Kooperationen mit der Pharmaindustrie auch angemessen honoriert werden.“

 

June 29th

Aus Softwaremanufaktur wird Datamedrix

Die „Softwaremanufaktur“, ein auf die Branchen Pharma, Biotechnologie und Healthcare spezialisiertes IT-Unternehmen aus Wien, firmiert in „Datamedrix“ um.

 

Das 2012 von Andreas Redl und Anton Grünberg gegründete Unternehmen bietet Lösungen für das klinische Datenmanagement, die Integration, Analyse und das Reporting von Daten, für Prozessautomation, Softwareentwicklung und Dokumentenmanagement. Fokussiert hat man sich dabei von Anfang an auf Unternehmen und Organisationen der Pharmaindustrie, der Biotechnologie und des Gesundheitswesens.

Seither hat man mit einem Team aus 10 Mitarbeitern und einem externen Spezialisten-Netzwerk, beispielsweise in den Bereichen Qualitätsmanagement und Statistik, zahlreiche namhafte Kunden gewinnen können. Dazu zählen unter anderem die Arbeitsgemeinschaft medikamentöse Tumortherapie (AGMT), die Croma-Pharma GmbH, das Koordinationszentrum für Klinische Studien (KKS), die Medizinische Universität Wien, die A. Menarini GmbH, die Merck GesmbH, die Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU) und Takeda Pharma Austria.

„Wir unterstützen unsere Klienten dabei, aus unterschiedlichen Daten und Datenquellen wesentliche Informationen zu gewinnen, die als richtungsweisende Grundlage für weitere Entscheidungen essentiell sind“, fasst CEO Andreas Redl die Ausrichtung des Unternehmens zusammen. Mit der neuen Marke soll der zunehmenden Internationalsierung des Unternehmens Rechnung getragen und der medizinische Fokus noch stärker zum Ausdruck gebracht werden.

 

 

June 28th

CEFIC: Handelsbilanzüberschuss gewachsen

Laut dem EU-Chemieindustrieverband exportierte die Branche im ersten Quartal Waren im Wert von 12,6 Milliarden Euro mehr als sie importierte. Gegenüber dem ersten Quartal 2017 ist das ein Plus von 6,6 Prozent.

 

Die Chemieindustrie in der EU verzeichnete im ersten Quartal 2018 einen Handelsbilanzüberschuss von rund 12,6 Milliarden Euro, meldet der Branchenverband CEFIC. Gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres bedeutet der neue Wert einen Zuwachs um rund 838 Millionen Euro oder 6,6 Prozent. Die Exporte stiegen um 3,3 Prozent auf 40,8 Milliarden Euro. Größter Exportmarkt waren die USA mit einem Anteil von 21,5 Prozent, gefolgt von den nicht der EU angehörigen europäischen Ländern, ausgenommen die Russländische Föderation, mit 19,2 Prozent. Gesunken sind die Exporte nach Japan, Südkorea, China, den Nahen Osten und Afrika.

 

Die Importe erhöhten sich laut CEFIC um 1,7 Prozent auf 28,2 Milliarden Euro. Auch diesbezüglich waren die USA mit rund 20,2 Prozent Anteil der größte Handelspartner der EU-Chemieindustrie, wiederum vor den nicht der EU angehörigen europäischen Ländern ohne die Russländische Föderation mit 17,2 Prozent. Zurückgegangen sind die Importe aus den USA, dem Nahen Osten und Afrika.

 

Die Produktion der Chemiebranche in der EU wuchs im Zeitraum Jänner bis einschließlich April 2018 gegenüber dem Vorjahreswert um 1,2 Prozent. Einen Absolutwert nennt die CEFIC wie üblich nicht. Den Anstieg der Preise im genannten Zeitraum beziffert sie mit 2,3 Prozent. Eine Bewertung dieser Entwicklungen nimmt der Branchenverband nicht vor.

 

June 25th

Neue Geschäftsführung bei Bayer Austria

Die Führungsebene bei Bayer Austria wird neu aufgestellt. Ute Bockstegers folgt Martin Hagenlocher als Geschäftsführerin, Ulrike Röder übernimmt die Verantwortung für das österreichische Arzneimittel-Geschäft.

Ute Bockstegers übernimmt mit 1. Juli die Geschäftsführung der österreichischen Tochter-Organisation des Life-Sciences-Konzerns und ist gleichzeitig verantwortliche Senior Bayer Representative für die Region Südosteuropa. Bockstegers war zuletzt CFO und Leiterin der Business Services von Bayer in Großbritannien und Irland. Sie ist seit mehr als 30 Jahren im Bayer-Konzern tätig und hatte leitende Positionen in den USA, Kanada und Europa inne.

Ulrike Röder – sie ist derzeit Teil des globalen Bayer Pharma-Teams – übernimmt das Pharmaceuticals-Geschäft in Österreich. Die gelernte Betriebswirtschafterin begann vor mehr als 30 Jahren im Vertriebsbereich bei Bayer und übernahm sukzessive verantwortungsvollere Positionen im Pharma-Geschäft des Konzerns. Zuletzt war sie für einen Bereich der globalen Business-Strategie für die Region EMEA zuständig.

June 23rd

Erfolge und Sorgen in der Lackindustrie

Die österreichische Lackindustrie konnte im vergangenen Jahr Umsatz und Produktionsmengen steigern, kämpft aber mit Rohstoffknappheit und Bürokratie.

Die heimische Lackindustrie hat 2017 mit einem Produktionswert von 445 Millionen Euro eine Steigerung um rund 2,5 Prozent erzielt. Die stark exportorientierte Branche konnte ihre Ausfuhren in wichtige Märkte wie Deutschland und Italien erhöhen, das Geschäft mit vielen CEE-Ländern brach dagegen drastisch ein. Zu schaffen macht den Lackherstellern die Verfügbarkeit und Preisentwicklung wichtiger Rohstoffe. Besonders beim wichtigen Weißpigment Titandioxid mussten starke Preissteigerung von oft 20 bis 30 Prozent hingenommen werden.

Abwenden konnte man dagegen, dass flüssige Zubereitungen, die Titandioxid enthalten, als „krebserregend Kategorie 2“ eingestuft werden. Diese Einstufung wird lediglich die staubförmige Substanz betreffen. In der Lackindustrie zieht man allerdings das Design der zugrundeliegenden Versuche in Zweifel. Nichtsdestotrotz zieht die Einstufung Vorkehrungen im Arbeitnehmerschutz der Produktionsbetriebe nach sich.

Auch bei einigen wichtigen Bioziden für Holzschutzmittel wie Propiconazol sind die zulässigen Grenzwerte stark heruntergesetzt worden. Die Branchenvertreter befürchten, dass durch den sukzessiven Wegfall biozider Wirkstoffe bestimmte Produkte für den Endverbraucher nicht mehr erzeugt werden können und dieser auf funktionell schlechtere und materialintensivere Produkte ausweichen muss.

Einen Erfolg konnten die Branchenvertreter im Ausbildungsbereich verbuchen: An der IMC FH Krems wird im Rahmen des neuen Studiengangs „Applied Chemistry“ eine Vertiefungsrichtung zur Oberflächentechnik aufgebaut und diese Inhalte damit erstmals in Österreich auf akademischen Niveau gelehrt.

 

 

June 22nd

Lenzing plant Faserzellstoffwerk in Brasilien

Die Anlage wäre mit 450.000 Tonnen Jahreskapazität die größte ihrer Art. Errichtet würde sie gemeinsam mit dem Holzpaneelproduzenten Duratex.

 

Der Faserkonzern Lenzing und der brasilianische Holzpaneelproduzent Duratex planen, nahe São Paulo in Brasilien ein Faserzellstoffwerk mit 450.000 Tonnen Jahreskapazität zu bauen. Laut Lenzing wäre die etwa eine Milliarde US-Dollar (860 Millionen Euro) teure Fabrik die weltweit größte ihrer Art. Die beiden Unternehmen gründen gerade ein Joint-Venture, an dem Lenzing 51 Prozent hält. Diese Firma prüft das Umfeld der Fabrik und erarbeitet die technischen Pläne für sie. Außerdem werden die Genehmigungen für den Bau eingeholt. Lenzing zufolge soll die Investitionsentscheidung 2019 fallen.

 

Als Rohstoff für die Faserproduktion ist Holz aus einem 43.000 Hektar großen Nutzwald vorgesehen, der Lenzing und Duratex gemeinsam gehört. Dieser ist nach den Kriterien des Forest Stewardship Council (FSC) für verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung zertifiziert. Lenzing-Vorstandschef Stefan Doboczky verlautete, er wolle gemeinsam mit Duratex „eine sehr ökologische und konkurrenzfähige Rohstoffbasis für die globalen Expansionspläne der Lenzing-Gruppe schaffen“.

 

Duratex mit Sitz in São Paulo gilt als einer der größten Holzpaneelerzeuger der südlichen Hemisphäre. Im Jahr 2017 erwirtschaftete der Konzern rund 3,99 Milliarden Brasilianische Real (910 Millionen Euro) Umsatz. Die Nettoerträge lagen bei 180,0 Millionen Real (41,0 Millionen Euro).

 

June 21st

Neonicotinoide: EFSA untersucht Notfalleinsätze

Im Wesentlichen erteilten sieben EU-Mitgliedsstaaten einschlägige Genehmigungen auf tragfähiger wissenschaftlicher Basis, berichtet die EU-Lebensmittelsicherheitagentur.

 

Den Einsatz neonicotinoidhaltiger Pflanzenschutzmittel in sieben EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2017 überprüfte kürzlich die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Die Verwendung war in Bulgarien, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Rumänien und Ungarn für Notfälle genehmigt worden. Laut EFSA erfolgte dies zumeist auf einer tragfähigen wissenschaftlichen Grundlage. Alternativen zum Einsatz der „Neonics“ Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid bestanden in der Mehrzahl der Fälle nicht. In Estland etwa traf dies in sechs von zehn Fällen zu, in Finnland in allen vier Fällen, in Lettland im einzigen Zulassungsfall, in Litauen in zwei von vier Fällen, in Rumänien in drei von sechs Fällen und in Ungarn für sieben von 15 Fällen. In vier weiteren Fällen hatte das Land nicht untersucht, ob Alternativen bestanden hätten. Bulgarien wiederum behauptete, alles sei ordnungsgemäß abgelaufen. Dies wurde jedoch nicht methodisch korrekt nachgewiesen.

 

Der Einsatz von Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid ist in der EU seit 2013 nur mehr in Ausnahmefällen zulässig, weil die Mittel als gefährlich für Bienen gelten. Im vergangenen Jahr erarbeitete die EFSA eine Methode „zur Bewertung von Anträgen auf Verwendung von Insektiziden in Fällen, in denen eine ernst zu nehmende Gefahr für die Pflanzengesundheit besteht“. Aufgrund eines Ersuchens der EU-Kommission benutzte sie diese für die nun vorgelegten Untersuchungen. Wie die EFSA betonte, bewertete sie „ausschließlich die Begründung für die Erteilung der Notfallzulasungen“. Nicht berücksichtigt wurden dem gegenüber „etwaige von den Mitgliedstaaten unternommene Maßnahmen zur Verminderung des Risikos für Bienen und Umwelt durch Pflanzenschutzmittel auf Neonicotinoidbasis“.

 

June 14th

Arzneimittel: Zwischen Kosten und Nutzen

Die geplante EU-weite Harmonisierung der Nutzenbewertungen (HTAs) für Medikamente war Thema einer Veranstaltung der Pharmig-Academy.

 

Welchen Nutzen bringt ein neues Arzneimittel, und welcher Preis ist folglich dafür gerechtfertigt? Das war der Hintergrund einer Veranstaltung der Pharmig-Academy am 13. Juni in Wien. Das übliche Instrument für Nutzenbewertungen sind „Health Technology Assessments“ (HTAs), in denen Arzneimittel direkt miteinander verglichen werden. Die Verfahren dazu sind zurzeit noch auf nationalstaatlicher Ebene geregelt. Ende Jänner präsentierte die EU-Kommission jedoch einen Vorschlag, um die Vorschriften bezüglich der HTAs zu harmonisieren. Seither wird mit Hingabe gestritten. Und nicht zuletzt geht es ums Geld: Zeigt ein Assessment, dass ein neues Medikament keinen Zusatznutzen bringt, kann sein Preis schwerlich über dem eines Generikums liegen. Das aber macht es für die Pharmaindustrie unattraktiv, das Präparat auf den Markt zu bringen. Gilt nun ein einziges HTA für die gesamte EU, könnte eine negative Nutzenbewertung das Aus für das Mittel auf dem gesamten europäischen Markt bedeuten.

 

Umso heikler ist die Frage, wie ein HTA durchzuführen ist und was als Vergleichsmittel (Komparator) gegenüber dem neuen Medikament einzusetzen ist. Besonders pikant wird die Angelegenheit bei Arzneien gegen Seltene Erkrankungen (Rare Diseases), für die oft nur ein einziges Medikament verfügbar ist, berichtete Alexander Natz von der European Confederation of Pharmaceutical Entrepreneurs (EUCOPE), die kleine sowie mittelgroße Pharma- und Medizintechnikunternehmen vertritt. Manche EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland und Frankreich stünden dem Vorschlag der Kommission eher skeptisch gegenüber. Andere, darunter Österreich, befürworteten ihn zumindest grundsätzlich - übrigens ähnlich wie der europäische Pharmaindustrieverband EFPIA. „Viel hängt nun von der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 ab“, erläuterte Natz. Österreich müsse versuchen, die Positionen der Kommission, des Rats und des Europäischen Parlaments unter einen Hut zu bringen. Geplant ist ausschließlich die Harmonisierung der Vorschriften bezüglich der HTAs selbst. Kostenbewertungen und Preisfindungsmechanismen bleiben dagegen unberücksichtigt. Mit gutem Grund, konstatierte Natz: „Es hat ja keinen Sinn, die Preise in Staaten wie Deutschland und Österreich mit denen in Rumänien, Bulgarien oder Griechenland zu vergleichen.“

 

Geht es nach dem Wunsch der Kommission, könnten die neuen Bestimmungen in den Jahren 2023 bis 2026 eingeführt werden. Sie würden für sämtliche Arzneimittel gelten, also auch für die „Orphan Drugs“ gegen die Seltenen Erkrankungen. Laut Natz gab es im Rahmen des Projekts EUnetHTA bereits Bestrebungen, die HTAs zu harmonisieren. Allerdings zogen die EU-Mitgliedsstaaten nicht so recht mit. Natz zufolge lässt sich noch nicht abschätzen, was die Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission ergeben werden. „Ich habe allerdings ein gewisses Grundvertrauen, es wird ein vernünftiges Resultat geben. Auf fachlicher Ebene sind Personen involviert, die die Thematik bestens kennen.“

 

Nur Unterstützung

 

Brigitte Piso von der „Gesundheit Österreich“-GmbH betonte, die HTAs würden auch künftig nur der Unterstützung der Entscheidungen über die Preise dienen: „Sie nehmen nichts vorweg.“ Und die Methoden für die HTAs zu harmonisieren, habe allemal Sinn. Ihr zufolge leistete EUnetHTA diesbezüglich wertvolle Vorarbeiten und erbrachte daher „viel Nutzen“. Mit der Harmonisierung könnten die Debatten über die Preise „vielleicht transparenter“ geführt werden. Heikel werde die Sache freilich, wenn es um „ethische Entscheidungen auf Ressourcenallokationsebene“ gehe. Zu deutsch: Lässt es sich rechtfertigen, einem Patienten ein Medikament nur deshalb zu verweigern, weil es teuer ist?

 

Für grundsätzlich sinnvoll hält europaweit harmonisierte HTAs die Leiterin der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie am Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH), Ingrid Pabinger. Sie ermöglichten einen „kritischen Blick und eine transparente Bewertung“ vom Arzneimitteln. Allerdings wäre es Pabinger zufolge sinnvoll, die Verbesserung der Lebensqualität stärker zu berücksichtigen. Bei Seltenen Erkrankungen bestehe für HTAs eine spezielle Herausforderung: der Mangel an unbehandelten Patienten: „Das heißt in meinem Bereich: Die ganze Fachwelt stürzt sich auf jeden neugeborenen Bluter.“ Deshalb habe sie gemeinsam mit ihren Kollegen und mit Hilfe der Pharmaindustrie das österreichische Hämophilie-Studienregister aufgebaut. Derzeit sind darin über 750 Patienten mit Bluterkrankheit erfasst, was etwa 90 Prozent der zu erwartenden Fälle entspricht.

 

Robert Sauermann vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (HV) plädierte dafür, HTAs auch bei den „Orphan Drugs“ vorzunehmen, „trotz aller Schwierigkeiten, die damit natürlich verbunden sind“. Beim Zugang zu einem Medikament sei meistens ohnehin nicht das HTA das Haupthindernis, sondern der Preis: „Der muss einfach in einer angemessenen Relation stehen. Deshalb sind gesamteuropäisch harmonisierte HTAs so wichtig.“ Auch laut Sauermann war und ist EUnetTHA durchaus sinnvoll: „Wir haben eine EUnetHTA-Bewertung bereits einmal bei den Diskussionen über die Kostenerstattung für ein Medikament berücksichtigt.“ In Österreich gebe es bei der Kostenerstattung für Arzneimittel freilich ein spezielles Problem: „Was wird wo verabreicht, und wer zahlt dafür?“ Die Krankenkassen seien bekanntlich für die niedergelassenen Bereich zuständig, nicht jedoch für den „intramuralen“, also die Krankenhäuser.

 

„Luxusprobleme“

 

Für die Patienten sind derartige Debatten „so etwas wie ein Luxusproblem“, konstatierte Rainer Riedl, der Obmann der Pro Rare Austria, in der die Selbsthilfeverbände bezüglich der Seltenen Erkrankungen zusammenarbeiten. Für die weit überwiegende Zahl an Seltenen Erkrankungen gebe es kein einziges Medikament, für viele nur ein einziges. Eine vergleichende Nutzenbewertung sei somit kaum möglich. Außerdem gehe es ja um die Lebensqualität der Patienten und ihres Umfelds. Dies müsse bei Nutzenbewertungen ebenfalls berücksichtigt werden.

 

Ähnlich argumentierte Jasmin Barman-Aksözen. Sie ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Schweizer Gesellschaft für Porphyrie und leidet selbst an Erythropoietischer Protoporphyrie. Bei dieser „ultraseltenen“ Krankheit treten schmerzhafte Verbrennungen in den Adern auf - wenige Minuten, nachdem ein Patient von Lichtstrahlen getroffen wird. Ob es sich um natürliches oder um Kunstlicht handelt, spielt keine Rolle. Barman und ihre Kollegen entwickelten ein präventiv und rasch wirkendes Medikament, „das das Leben sehr erleichtert“. Dieses ist seit 2014 in der EU grundsätzlich zugelassen. Zugang haben aber bei weitem nicht alle Patienten, in Österreich von rund 40 Betroffenen nur vier oder fünf. Laut Barman geht es bei den HTAs um Durchschnittswerte, die oft nichts mit der realen Lebenswelt eines Patienten zu tun haben. „Mir ist beispielsweise wichtig, an einem sonnigen Samstagnachmittag mit meiner Familie einige Stunden im Freien verbringen zu können. Das HTA bezieht sich aber auch auf die Verbesserung der Lebensqualität an Regentagen, die mit dem Mittel erreicht wird. Und die ist natürlich gering.“ Nichts einzuwenden sei gegen europaweit harmomisierte HTAs, wenn diese hohen Qualitätsanforderungen genügten und transparent durchgeführt würden. Wenig Verständnis zeigte Barman für die Debatten um die Erstattung der Kosten durch unterschiedliche Stellen sowie die Auseinandersetzungen zwischen den Erstattern und der Pharmabranche: „Das Preisverhandlungen auf dem Rücken der Patienten.“

 

Wilhelm Frank, Professor für Gesundheitsmanagement, bezeichnete HTAs ebenfalls als grundsätzlich sinnvoll. Und gerade eine gut gemachte Harmonisierung wäre ihm zufolge zu begrüßen. Allerdings sind laut Frank noch wesentliche Fragen offen. Unter anderem müsse geklärt werden, wie verbindlich die Ergebnisse von HTAs sind: „Außerdem gilt es, Methodensicherheit zu schaffen.“

 

 

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