Weblog von fischer
Forschungsförderung: Pharmaindustrie begrüßt IHI
04.08.20
von
Klaus Fischer
Die von der EU-Kommission geplante „Innovative Health Initiative“ stößt auf grundsätzliche Zustimmung. Positiv beurteilt wird nicht zuletzt die verstärkte Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
Erwartungsgemäß positiv beurteilen der europäische Pharmaindustrieverband EFPIA, der Impfstoffproduzentenverband Vaccines Europe sowie weitere Interessenvertretungen im Gesundheitssektor den Vorschlag der EU-Kommission für eine sogenannte „Innovative Health Initiative“ (IHI). Auf Einladung der Kommission hatten sie zu den Inhalten des Vorschlags Beiträge geliefert. In einer gemeinsamen Aussendung erklärten die Interessenverbände am 3. August, die Förderinitiative IHI werde Forschern, Patienten und Bürgern zeigen, „dass die Europäische Union bestrebt ist, eine weltweite Führungsrolle bei der Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung zu spielen“.
Und eben die Zusammenarbeit in F&E könne dazu beitragen, die öffentlichen Gesundheitssysteme widerstandsfähiger gegen Krisen zu machen, deren Nutzen für die Patienten zu verbessern und die Erholung der Wirtschaft nach der COVID-19-Pandemie zu beschleunigen, betonen die Verbände in einer gemeinsamen Aussendung: „Die Pandemie hat ferner verdeutlicht, wie wichtig es ist, über eine umfassende Partnerschaft für Innovationen im Gesundheitswesen zu verfügen.“ Eine solche Partnerschaft könne dazu betragen, öffentliche und private Forschung im Hiblick auf globale Gesundheitsgefahren zu forcieren und zu koordinieren.
Wie die Verbände festhalten, beschreibt der Vorschlag der EU-Kommission die Ziele der Partnerschaft und den Weg, um diese zu erreichen. Freilich werde es noch Diskussionen geben. Aber die wesentlichsten Inhalte des Entwurfs für einen Rechtsakt zeichneten sich bereits ab. Den Verbänden zufolge ist dieser im Herbst zu erwarten.
Herausforderungen und Lösungen
In ihrem Vorschlag identifiziert die EU-Kommission vor allem folgende Hemmnisse für die Zusammenarbeit in der Forschung im Gesundheitsbereich:
- mangelndes Verständnis von Krankheiten, insbesondere auf molekularer Ebene
- begrenzte Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie
- konkurrenzbedingte mangelnde Kooperation innerhalb der Industrie
- Fehlen von Geschäftsmodellen für Medikamente, nach denen großer Bedarf besteht, bei denen jedoch nur vergleichsweise geringe Profite zu erwarten sind.
Unter den Kernpunkten der IHI nennt die Kommission daher eine „multisektorale Inititative“ in den Bereichen der Pharma- und der Medizintechnikindustrie, um „integrierte Lösungen“ bzw. Therapien zu erarbeiten. Ferner sollen im Mittelpunkt der IHI vordringlich die Bedürfnisse der Patienten und die Gesundheitssysteme stehen. Deshalbplant die Kommission die Einrichtung eines „Innovation Panel“, dem Vertreter aller öffentlichen und privaten Interessen im Gesundheitswesen angehören sollen. Die Funktion des „Panel“ sieht die Kommission darin, der Wissenschaft und der Wirtschaft frühzeitig Anregungen für Forschung und Entwicklung zu liefern. Dadurch will die Kommission sicherstellen, dass Projekte im Rahmen der IHI „die Bedürfnisse der Gesundheitssysteme besser berücksichtigen“. Genutzt werden sollen auch Synergien mit anderen Förderprogrammen der EU wie Horizon Europe und Digital Europe.
Startup-Labs am Vienna Biocenter eröffnet
30.07.20
von
Klaus Fischer
Im dritten Wiener Gemeindebezirk stehen Jungunternehmen im Bereich Biotechnologie rund 1.100 Quadratmeter an Labor- und Bürofläche zur Verfügung.
Insgesamt 60 Laborplätze und 30 Büroarbeitsplätze mit rund 1.100 Quadratmetern Fläche stellt die Wirtschaftsagentur Wien in den Startup-Labs im Vienna Biocenter bereit. Die Startup-Labs wurden am 30. Juli offiziell eröffnet.
Jungunternehmen nutzen die dort vorhandene Laboreinrichtung gemeinsam, ein Konzept, das als „Share-Prinzip“ bezeichnet wird. Unter anderem stehen ihnen sterile Werkbänke, Stickstofftanks, bakterielle Shaker sowie eine Waschküche zur Sterilisation von Labormaterialien zur Verfügung. Neun Firmen sind bereits eingezogen, nämlich Ahead-Bio, ein Spin-off des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA), Ablevia, G.ST Antivirals, Miti Biosystems, MyeloPro, Pregenerate, Proxygen Quantro Therapeutics und THT Biomaterials.
Für jeweils ein Jahr finanziert der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim im Rahmen seines „BI Innovation Prize“ für eine der Firmen die Labor- und Büroarbeitsplätze. Zurzeit profitiert davon die Proxygen. Sie hat eine Technologie entwickelt, um „Proteine, die bisher als nicht therapierbar galten, effizient zu entfernen“, hieß es in einer Aussendung. Boehringer Ingelheim ist der Hauptsponsor der Startup-Labs. „Kooperationen mit Startups aus der Life-Science-Community sind ein wichtiges Element in der Forschungsstrategie von Boehringer Ingelheim. Wir erhoffen uns interessante Denkanstöße und Anknüpfungspunkte zu unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf verschiedensten Ebenen“, konstatierte Guido Boehmelt, der Leiter von Research Beyond Borders im Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV), bei der Eröffnung.
Laut Harald Isemann, dem Vorsitzenden des Vienna BioCenters, sind dort mittlerweile 35 Biotechnologieunternehmen ansässig: „Mit den Startup-Labs sind wir jetzt bestens aufgestellt, diese erfreuliche Entwicklung noch weiter zu beschleunigen.“ Insgesamt gibt es in Wien derzeit rund 550 Unternehmen und Forschungseinrichtungen im Bereich Life Sciences. Mit etwa 37.500 Beschäftigten erwirtschaften diese rund 12,2 Milliarden Euro Jahresumsatz.
BASF schreibt rote Zahlen
29.07.20
von
Klaus Fischer
Im ersten Quartal verzeichnete der deutsche Chemiekonzern einen Verlust von rund sieben Millionen Euro. Begründet wird dieser mit verminderten Absatzmengen in mehreren Geschäftsbereichen, Sondereffekten und einer Wertberichtigung von fast einer Milliarde Euro für die Wintershall-Dea-Beteiligung.
Einen Verlust von rund sieben Millionen Euro meldet der deutsche Chemiekonzern BASF für das erste Halbjahr 2020. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2019 hatte er einen Gewinn von 1,41 Milliarden Euro ausgewiesen. Der Umsatz sank um zwei Prozent auf 29,43 Milliarden Euro. Das EBITDA fiel um 19 Prozent auf 3,49 Milliarden Euro, das EBIT um 34 Prozent auf 1,51 Milliarden. Als Gründe nennt BASF im Halbjahresbericht gesunkene Absatzmengen in den Geschäftsbereichen Materials, Surface Technologies, Industrial Solutions und „Sonstige“. Überdies fielen Sondereinflüsse von -351 Millionen Euro an. Sie bezogen sich vor allem auf die Ausgliederung des Pigmentgeschäfts sowie auf die Eingliederung des Polyamidgeschäfts, das BASF von Solvay gekauft hatte. Eine Wertberichtigung von 956 Millionen Euro musste die BASF bei ihren Beteiligungen vornehmen. Dabei ging es vor allem um ihren 67-Prozent-Anteil an der Wintershall Dea, der wegen der eingebrochenen Öl- und Erdgaspreise sowie der „veränderten Einschätzung von Reserven“ um -819 Millionen Euro zu berichtigen war.
Das BASF-Management um Vorstandschef Martin Brudermüller geht auch für das zweite Halbjahr 2020 „wegen der anhaltenden Corona-Pandemie von hohen Unsicherheiten aus“, heißt es im Halbjahresbericht. Das dritte Quartal werde kaum besser ausfallen als das zweite: „Das liegt unter anderem an der im August generell niedrigeren Nachfrage und an der Saisonalität des Agricultural-Solutions-Geschäfts.“ Deshalb halten sich Brudermüller und seine Vorstandskollegen auch mit dem Ausblick für das Gesamtjahr zurück: „Angesichts der anhaltend hohen Unsicherheit und Intransparenz der wirtschaftlichen Entwicklung macht BASF weiterhin keine konkreten Aussagen zur Umsatz- und Ergebnisentwicklung.“
Bei der Bilanzpressekonferenz sagte Brudermüller, die Corona-Pandemie sei weiterhin „eine große Herausforderung für uns alle“. Sie biete allerdings auch Chancen: „Die Situation ist ein Katalysator für Veränderungen. Eine Gelegenheit, vieles anders zu machen. Wir haben uns bei BASF schnell auf neue Prozesse eingestellt. Die Bereitschaft zur virtuellen Kommunikation ist überall hoch, intern und mit unseren Kunden.“ Außerdem könne sich die BASF auf ihre „flexiblen und motvierten“ Mitarbeiter verlassen. Weitere Stärken seien das „breit aufgestellte Portfolio und die Finanzkraft des Unternehmens“.
Covestro: COVID-19 drückt Ergebnis
23.07.20
von
Klaus Fischer
Im ersten Halbjahr schrieb der deutsche Spezialchemiekonzern einen Verlust von 32 Millionen Euro. Als Gründe nennt er niedrigere Absatzmengen und -preise infolge der Corona-Pandemie.
Glänzend liefen die Geschäfte des deutschen Spezialchemiekonzerns Covestro im ersten Halbjahr 2020 eher nicht. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 sank der Umsatz um 22,7 Prozent auf 4,94 Milliarden Euro, was hauptsächlich geringeren Absatzmengen und -preisen geschuldet war. Das EBITDA verminderte sich um 57,9 Prozent auf rund 379 Millionen Euro. Letzten Endes blieb ein Verlust von 32 Millionen Euro, nachdem Covestro im ersten Halbjahr 2019 einen Gewinn von 368 Millionen Euro dargestellt hatte.
Die Konzernführung um Vorstandschef Thomas Steilemann begründet dies mit der COVID-19-Pandemie. Deren Auswirkungen zeigten sich vor allem in zweiten Quartal, konstatierte Steilemann. In diesem Zeitraum brach der Umsatz um 32,9 Prozent auf 2,16 Milliarden Euro ein, das EBITDA sogar um 72,8 Prozent auf 125 Millionen Euro. Allerdings gab sich Steilemann kämpferisch: „Wir haben rechtzeitig die richtigen Maßnahmen ergriffen, um unsere Belegschaft zu schützen, Produktion und Lieferketten aufrechtzuerhalten und unsere Kunden kontinuierlich zu beliefern. Das ist uns bislang sehr erfolgreich gelungen und wir steuern Covestro weiterhin entschieden durch diese Krise.“
Das heißt: Die Arbeitszeit wird reduziert, die Entgelte werden - vorerst bis Ende November - entsprechend gekürzt, und das nicht nur in Deutschland, hieß es seitens des Konzerns: „Alle Konzerngesellschaften von Covestro außerhalb Deutschlands setzen vergleichbare landesspezifische Maßnahmen zur Kostenreduktion um.“ Der Vorstand und der Aufsichtsrat verringern ihre Vergütungen um jeweils 15 Prozent. Insgesamt will Covestro heuer rund 300 Millionen Euro einsparen, davon 130 Millionen durch Restrukturierungen und 200 Millionen durch Investitionskürzungen. Investiert werden heuer nur etwa 700 Millionen Euro statt, wie ursprünglich geplant, 900 Millionen Euro, heißt es im Halbjahresbericht.
Die Covestro-Führung geht davon aus, dass die COVID-19-Pandemie das Geschäft noch längere Zeit negativ beeinflussen wird. Die Pandemie sei „derzeit die größte Herausforderung für Covestro“.
„Kosten nicht als einziges Kriterium“
15.07.20
von
Klaus Fischer
Die Stärkung der Arzneimittelerzeugung in Europa ist nach Ansicht der Pharmaindustrie eine der wichtigsten Lehren aus der COVID-19-Pandemie. Notwendig sind nicht zuletzt angemessene Preise, die auch die Verfügbarkeit und Umweltkriterien beinhalten müssen, hieß es bei einer Online- Veranstaltung des Österreichischen Generikaverbands.
Natürlich habe der „Lockdown“ im Zuge der COVID-19-Pandemie auch für die Pharmabranche erhebliche Herausforderungen mit sich gebracht. Doch im Wesentlichen seien diese gut bewältigt worden, betonte Christoph Stoller, der Präsident des europäischen Generikahersteller-Verbandes „Medicines for Europe“ bei einer Online-Veranstaltung des Österreichischen Generikaverbands am 15. Juli. Zwar seien Lieferengpässe bei verschiedenen Arzneimitteln aufgetreten, nie aber gravierende Versorgungsengpässe. Als hilfreich erwies sich laut Stoller die kontunuierliche Kommunikation mit der Politik, insbesondere EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Nun allerdings gelte es, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen. Und das bedeute keineswegs zuletzt, die allzu großen Abhängigkeiten von Arzneimittelherstellern in Staaten und Wirtschaftsräumen außerhalb Europas zu verringern, betonte Stoller: „Noch vor 30 Jahren wurden nur 20 Prozent der benötigten Medikamente nach Europa importiert, heute sind es 80 Prozent.“
Und nicht nur Fertigformen, sondern auch Rohstoffe für Arzneien kämen zunehmend aus Asien, insbesondere aus Indien und China. Komme es dort zu Problemen, könne sich das auf Europa fatal auswirken. „Daher sollten wir unsere Lieferketten überdenken. Zwar können wir nicht alles in der EU erzeugen, und das wäre auch wirtschaftlich nicht sinnvoll. Aber was essenziell ist, etwa Antibiotika, sollten wir selbst produzieren“, betonte Stoller.
Es gelte, eine Liste der für Europa wichtigsten Medikamente zu erarbeiten und in der Folge die Sicherheit der Lieferketten hinsichtlich dieser Mittel zu gewährleisten. Eine entscheidende Rolle spielen dabei laut Stoller angemessene Preise, gerade auch für Generika. Schrieben Staaten wie Deutschland die Versorgung mit bestimmten Arzneimitteln aus, dürfe dabei ein möglichst niedriger Preis nicht das einzige Kriterium sein: „Auch die Liefersicherheit sowie Umweltkriterien müssen berücksichtigt werden.“
„Therapeutische Kontinuität“
Der Präsident des Österreichischen Generikaverbands, Wolfgang Andiel, verwies auf die seit Ende 2018 bestehende Task Force Versorgungssicherheit des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG), die sich bisher auch während der COVID-19-Pandemie bewährt habe. Deren Vertriebseinschränkungsregister mit seinen strengen Vorgaben verpflichte die Pharmabranche, faktisch jedes nennenswerte Problem bei der Versorgung mit Arzneimitteln zu melden. Hinsichtlich der verschiedentlich gewünschten Arzneimittelläger für Krisenfälle empfahl Andiel, nicht die fertigen Medikamente selbst, sondern die Ausgangsstoffe für deren Erzeugung zu lagern.
Bestimmungen wie die Wirkstoffverordnung des österreichischen Gesundheitsministeriums sehe er kritisch, ergänzte Andiel auf eine diesbezügliche Frage des Generalsekretärs des Pharmaindustrieverbands Pharmig, Alexander Herzog. „Ich möchte gerne glauben, dass die Politik mit der Wirkstoffverordnung Gutes tun will“, konstatierte Andiel. Und natürlich seien Produkte mit faktisch identischen Wirkstoffen grundsätzlich austauschbar. Doch gelte es, im Interesse der Patienten die „therapeutische Kontinuität“ zu beachten. Außerdem werde sich die Wirkstoffverordnung ökonomisch bemerkbar machen: Hochpreisigere Arzneimittel würden dem österreichischen Markt verloren gehen. Mit dem „Ausquetschen“ der ohnehin nur rund zwölf Prozent der Gesundheitsausgaben betragenden Arzneimittelkosten „zerstört man viel“.
Andiel zufolge verband das Gesundheitsministerium mit der Wirkstoffverordnung die Idee, die österreichischen Patienten vor Versorgungsengpässen zu schützen, nicht zuletzt durch das Verbot von Parallelexporten. Allerdings schränke dies den Handel ein, was sich unter Umständen nachteilig auswirken könne. Denn auch aus anderen Ländern erfolgten Parallelexporte, was „Parallelimporte“ nach Österreich ermögliche und damit die Versorgungssicherheit verbessere: „Das sollten wir nicht unterbinden.“
Dem stimmte auch Stoller zu. Ihm zufolge müssen die Patienten die benötigten Medikamente „in der richtigen Qualität zum richtigen Zeitpunkt bekommen“. Dafür müsse die Politik der Pharmaindustrie geeignete Rahmenbedingungen bieten. Es könne vorkommen, dass ein Hersteller eine Ausschreibung für die Versorgung eines Landes mit einem bestimmten Arzneimittel gewinne und in der Folge aufgrund höherer Gewalt nicht lieferfähig sei: „Das wäre dann natürlich eine Katastrophe, die wir vermeiden sollten.“
EU: 260 Millionen Euro Strafe für Ethylenkartell
14.07.20
von
Klaus Fischer
Wegen wettbewerbswidriger Preisabsprachen belangte die EU-Kommission vier Chemiekonzerne, davon einen aus der Schweiz, einen aus Mexiko und zwei aus den USA.
„Wir sind eine Gemeinschaft von Unternehmen, die durch ein einvernehmliches Ziel zusammengehalten wird.“ So beschreibt sich der mexikanische Chemiekonzern Orbia, vormals Mexichem, auf seiner Website. In zumindest einem Fall dürften die Gemeinsamkeiten indessen ein wenig zu weit gegangen sein. Das konstatierte wenigstens die EU-Kommission, die die Mexikaner jüngst zu einer Strafe von rund 22,4 Millionen Euro verurteilte. Der Grund: Orbia hatte mit dem schweizerischen Spezialchemieunternehmen Clariant sowie den US-amerikanischen Chemiefirmen Celanese und Westlake von Dezember 2011 bis März 2017 ein Einkaufskartell für Ethylen gebildet. Auf diese Weise verletzten die vier Unternehmen das EU-Wettbewerbsrecht und schädigten Ethylenproduzenten in Belgien, Deutschland, Frankreich sowie den Niederlanden. Clariant muss nun rund 155,8 Millionen Euro Strafe bezahlen, Celanese 82,3 Millionen Euro. Die Westland, die als Kronzeugin agierte, kommt ohne finanzielle Buße davon. Insgesamt belaufen sich die Strafen für das vormalige Kartell somit auf rund 260,5 Millionen Euro.
Wie die EU-Kommission erläuterte, wird Ethylen primär aufgrund bilateraler Verträge gehandelt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der sogenannte „Monthly Contract Price“ (MCP), ein Referenzpreis, der sich aus den Verhandlungen zwischen Käufern und Verkäufern ergibt und der von speziellen Agenturen veröffentlicht wird. Diese Agenturen erhalten ihre Informationen von den Käufern und den Produzenten. Clariant, Celanese, Orbia und Westlake informierten einander über die in ihren Verhandlungen mit den Ethylenproduzenten erzielten Preise. So gelang es ihnen, den MCP zu drücken.
Orbia und Celanese kommentierten die Causa nicht. Westland betonte, die „wettbewerbswidrigen Praktiken“ seien im Zuge unternehmensinterner Prüfungen entdeckt worden: „Westland legte diese gegenüber der EU-Kommission freiwillig offen und arbeitete mit dieser während der folgenden Untersuchung rückhaltlos zusammen.“ Der Konzern stehe zu freiem und offenem Wettbewerb. Die Unternehmenspolitik verbiete den Beschäftigten wettbewerbswidriges oder sonstiges „unethisches“ Verhalten.
Clariant betonte, in dem Fall habe „ein einzelner Mitarbeiter von Clariant gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften verstoßen. Infolgedessen muss Clariant als verantwortliches Unternehmen eine Geldbuße zahlen“. Entsprechende Rücklagen seien 2019 gebildet worden. Clariant bedaure den Vorfall und sei „enttäuscht darüber, dass die starke Compliancekultur des Unternehmens, die auf einem klaren Verhaltenskodex und einem modernen Kartellrechts-Complianceprogramm mit einer Vielzahl zielgerichteter Schulungen basiert, nicht eingehalten wurde“. Das Unternehmen habe mit der EU-Kommission voll kooperiert und so wie Orbia und Celanese eine Reduktion der ursprünglich im Raum stehenden Strafe erreichen können: „Clariant wird weiterhin höchsten ethischen Standards folgen und zukünftige Compliance sicherstellen.“
Die für Wettbewerbspolitik zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission und vormalige Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager konstatierte, die EU „toleriert keine wie immer geartete Form von Kartellen“. Das Wettbewerbsrecht verbiete nicht nur die Bildung von Verkäufer-, sondern auch von Käuferkartellen.
Österreich begrüßt EU-Wasserstoffstrategie
08.07.20
von
Klaus Fischer
Laut Klimaministerin Gewessler kann Wasserstoff „ein Baustein zur Klimaneutralität“ werden.
Österreich begrüßt die Wasserstoffstoffstrategie, die die EU-Kommission am 8. Juli veröffentlichte. Das betonten Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Magnus Brunner (ÖVP), Staatssekretär im Klimaministerium (BMK), in getrennten Aussendungen. Gewessler erläuterte, Wasserstoff könne „ein Baustein zur Klimaneutralität werden. Seine Herstellung ist aber sehr energieintensiv, weswegen wir Wasserstoff nur dort einsetzen wollen, wo man fossile Energieträger nicht durch Erneuerbare ersetzen kann, etwa im Schwerverkehr oder in der Industrie. Wesentlich für die Wasserstoff-Strategie ist, dass wir damit nicht Atomkraft und fossile Energie fördern und uns in neue Abhängigkeiten begeben“. Bis Jahresende werde das BMK die seit langem angekündigte österreichische Wasserstoffstrategie fertigstellen.
Brunner ergänzte, die Vorschläge der EU-Kommission liefen im Wesentlichen darauf hinaus, „die Wasserstofftechnologie wirtschaftlicher und effizienter zu gestalten. Damit sollen die unterschiedlichen Anwendungen der Technologie für Unternehmen wie Endverbraucher zugänglicher und alltagstauglich werden“. Wasserstoff müsse dort eingesetzt werden, wo dies besonders sinnvoll ist, etwa in der Industrie sowie im Schwerverkehr.
Die EU-Kommission selbst bezeichnete als „vorrangiges Ziel die Entwicklung von erneuerbarem Wasserstoff, der hauptsächlich mithilfe von Wind- und Sonnenenergie erzeugt wird. Kurz- und mittelfristig sind jedoch andere Formen CO2-armen Wasserstoffs erforderlich, um die Emissionen rasch zu senken und die Entwicklung eines tragfähigen Marktes zu unterstützen“. Sie plant, die Erzeugungskapazitäten für „grünen“ Wasserstoff, der durch die elektrolytische Zerlegung von Wasser mit Hilfe von Ökostrom produziert wird, stufenweise auszubauen. Bis 2024 sollen EU-weit Elektrolyseure mit einer Leistung von mindestens sechs Gigawatt (GW) errichtet werden, die bis zu einer Million Tonnen „grünen“ Wasserstoff herstellen können. Von 2025 bis 2030 ist die Steigerung der Elektrolyseur-Leistung auf 40 GW geplant, die Produktion soll auf bis zu zehn Millionen Tonnen Wasserstoff steigen. Von 2030 bis 2050 schließlich „sollten die Technologien für erneuerbaren Wasserstoff ausgereift sein und in großem Maßstab in allen Sektoren, in denen die Dekarbonisierung schwierig ist, eingesetzt werden“.
Energiekommissarin Kadri Simson konstatierte, rund 75 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU entfielen auf Energieerzeugung und -verbrauch. Daher gelte es, „die saubersten und kosteneffizientesten Lösungen zu nutzen. Wasserstoff wird dabei eine Schlüsselrolle spielen, da sinkende Preise für erneuerbare Energien und kontinuierliche Innovationen ihn zu einer tragfähigen Lösung für eine klimaneutrale Wirtschaft machen“.
Bayer begibt Anleihen über sechs Milliarden Euro
02.07.20
von
Klaus Fischer
Angaben zum Hintergrund der Transaktion gab es nicht. Jedoch hatte Bayer Ende Juni angekündigt, die Kosten für Streitbeilegungen in den USA teilweise über Anleihen zu finanzieren.
Der deutsche Chemiekonzern Bayer platzierte am 1. Juli Anleihen mit einem Gesamtwert von rund sechs Milliarden Euro. Sie waren ausschließlich für institutionelle Anleger bestimmt und etwa 2,5-fach überzeichnet. Emittiert wurden die Wertpapiere in vier Tranchen zu je 1,5 Milliarden Euro, die Laufzeiten von vier bis zwölf Jahren und jährliche Verzinsungen von 0,375 Prozent bis 1,375 Prozent aufweisen. Betreut wurde die Emission von der Citi Bank, der Deutschen Bank, Mizuho und der UniCredit. Laut Bayer ist geplant, die Anleihen am Geregelten Markt der Luxemburger Börse notieren zu lassen.
Finanzvorstand Wolfgang Nickl sprach angesichts der Überzeichnung von einer „weiteren Bestätigung des Vertrauens, das Bayer am Kapitalmarkt genießt“. Angaben zum Hintergrund der Transaktion machte Nickl nicht. Allerdings hatte Bayer im Zusammenhang mit der Beilegung von Rechtsstreitigkeiten in den USA hinsichtlich der Pflanzenschutzmittel Roundup (Wirkstoff: Glyphosat) und Dicamba am 24. Juni Anleihenemissionen angekündigt. Diese sollen dazu dienen, einen Teil der Kosten für die Streitbeilegungen aufzubringen. Wie berichtet, stellt Bayer dafür umgerechnet rund elf Milliarden Euro bereit.
„Bewältigung der Wirtschaftskrise“ im Mittelpunkt
29.06.20
von
Klaus Fischer
Am Vorabend der deutschen EU-Ratspräsidentschaft veröffentlichte der deutsche Chemieindustrieverband VCI seine Wünsche an die Politik.
Per 1. Juli übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr die Präsidentschaft im Rat der EU. Im Vorfeld veröffentlichte der deutsche Chemieindustrieverband VCI am 29. Juni seine wichtigsten wirtschaftspolitischen Forderungen. VCI-Präsident und Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann verlautete, im Mittelpunkt der Ratspräsidentschaft müsse „Bewältigung der Wirtschaftskrise stehen, auch um das politische Miteinander zu verbessern. Nur eine geeinte EU bietet die Chance für eine gute Zukunft auf dem Kontinent“. Finanzhilfen sollen Kullmann zufolge „zweckgebunden und zukunftsgerichtet sein“. Staaten, die solche bekämen, müssen nach Ansicht des VCI und seines Präsidenten ihre Strukturen wirtschaftsfreundlicher gestalten, was nicht zuletzt bedeutet, ihre Bürokratie abzubauen. Die Wirtschaft in der Europäischen Union kann laut dem VCI nach der COVID-19-Pandemie nur dann wieder erstarken, wenn die industrielle Basis gesichert und ausgebaut wird. Der „Green Deal“ der EU-Kommission müsse diesem Ziel entsprechend ausgestaltet werden.
Vehement abgelehnt wird von der deutschen Chemiebranche die von der Europäischen Kommission angedachte Ausweitung der EU-internen Handels mit Treibhausgaszertifikaten (EU-ETS) auf die Sektoren Verkehr und Wohnen sowie die Einführung von Grenzausgleichsmechanismen für Importe aus Drittstaaten ohne oder mit weniger strengen Vorgaben zur Begrenzung der CO2-Emissionen. „Eine Ausweitung des Emissionshandels würde ein funktionierendes System verzerren, Grenzausgleichsmaßnahmen werden zum Bürokratiemonster und drohen Handelskonflikte weiter zu verschärfen. Dadurch könnten die Standortbedingungen der energieintensiven Industrie in Europa deutlich unter Druck geraten. Das wäre ein völlig falsches Signal, um mehr Investitionen anzureizen“, betonte Kullmann. Allerdings: In der Vergangenheit hatte sich nicht zuletzt die deutsche Chemiebranche immer wiederfür ein globales Regime zur Behandlung der Treibhausgasemissionen ausgeprochen, um befürchtete Wettbewerbsnachteile hintanzuhalten. Ausdruck dessen war und ist nicht zuletzt das Bestehen auf der Aufrechterhaltung des Carbon-Leakage-Regimes. Nun, da Maßnahmen überlegt werden, um Importe aus Drittstaaten zu belasten und damit in der EU erzeugte Chemikalien wettbewerbsfähiger zu machen, stößt dies wiederum auf Ablehnung.
25.06.20
von
Klaus Fischer
Lafarge, die OMV, die Borealis und der Verbund wollen in Mannersdorf eine großindustrielle Anlage zur CO2-Abscheidung und -Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) errichten. Das Treibhausgas könnte der Produktion von Kraft- und Kunststoffen dienen.
Eine großindustrielle Anlage zur Abscheidung von CO2 aus Industrieabgasen und seiner anschließenden Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) planen der Zementkonzern Lafarge, die OMV, der Kunststoffkonzern Borealis und der Verbund. Das berichteten die vier Unternehmen in einer gemeinsamen Aussendung. Das Vorhaben trägt die Bezeichnung „Carbon2ProductAustria“ (C2PAT). Vorgesehen ist, bis 2030 im Zementwerk Mannersdorf am Leithagebirge etwa 30 Kilometer südöstlich der OMV-Raffinerie Schwechat eine Anlage zur Abscheidung von rund 700.000 Tonnen CO2 pro Jahr zu bauen. Mannersdorf ist mit einer Jahreskapazität von etwa 1,1 Millionen Tonnen das größte Zementwerk Österreichs.
Das CO2 könnte in der Raffinerie Schwechat unter Reaktion mit Wasserstoff in Kohlenwasserstoffe umgewandelt werden. Aus diesen würde die OMV Kraftstoffe erzeugen. Die Borealis, an der die OMV zurzeit mit 36 Prozent beteiligt ist, könnte sie zur Herstellung von Kunststoffen nutzen. Bekanntlich plant die OMV, ihren Anteil an der Borealis auf 75 Prozent aufzustocken, wofür sie rund vier Milliarden Euro aufwenden will. Den Wasserstoff würde der Verbund herstellen. Erfolgen würde dies durch die elektrolytische Spaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Energien.
Zurzeit untersuchen Lafarge, OMV, Borealis und Verbund, wie das Vorhaben durchgeführt werden könnte und ob es wirtschaftlich rentabel wäre. Anschließend soll „ein Cluster von industriellen Pilotanlagen im Osten Österreichs technisch entwickelt und bis 2023 in Betrieb genommen werden“. In einem letzten Schritt ist geplant, die Abscheidekapazität auf 700.000 Tonnen CO2 pro Jahr zu steigern. Damit würde den Unternehmen zufolge „die globale Skalierbarkeit der Technologie demonstriert“. Fix ist allerdings noch nichts. Wie die Partner mitteilten, hängt die Umsetzung des Vorhabens von der Schaffung tauglicher regulatorischer sowie finanzieller Rahmenbedingungen auf österreichischer sowie auf EU-Ebene ab. Zu den voraussichtlichen Projektkosten verlauteten die Unternehmen nichts.
Grundsätzlich positiv äußerte sich der Budgetsprecher der Grünen im Nationalrat, Jakob Schwarz. Ihm zufolge wäre C2PAT „ein kleiner Schritt fürs Klima, ein großer für die Zementproduktion“. Die Letztere bezeichnete er in ihrem derzeitigen Zustand als „klimapolitisches Sorgenkind. Wenn es dem Projekt gelingt, die CO2-Intensität der Wertschöpfungskette zu halbieren, ist das ein toller erster Schritt“. Im Sinne des Ziels der Bundesregierung, Österreich bis 2040 „klimaneutral“ zu machen, müssten diesem jedoch viele weitere Anstrengungen auch in anderen industriellen Bereichen folgen. „Das Projekt führt vor, was sich mit dem im Regierungsprogramm verankerten Green Deal bewegen ließe. Auch in anderen Bereichen gibt es Innovationspotenzial, dass es gemeinsam zu heben gilt. Und gerade die Großen sind hier gefordert, mutig voran zu gehen“, resümierte Schwarz.
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