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April 26th, 2023
Arzneimittelrecht: Pharmig kritisiert EU-Kommission
26.04.23
von
Klaus Fischer
Die Vorschläge zur Reform sind nicht praxistauglich, stellt der Pharmaindustrieverband fest. Die EU-Gesundheitspolitiker geben sich dagegen überzeugt von ihren Ideen.
Wenig Freude mit den am 26. April präsentierten Vorschlägen der EU-Kommission zur Reform des europäischen Arzneimittelrechts hat der österreichische Pharmaindustrieverband Pharmig. Ihm zufolge sollte die Reform dazu dienen, „um die Arzneimittelforschung voranzutreiben und den Zugang zu neuen wie bewährten Arzneimitteln sicherzustellen“. Dem werde der Vorschlag jedoch nicht gerecht. Im Gegenteil zwänge er die Pharmabranche „in ein Korsett aus Restriktionen und Verschärfungen. Dadurch sind negative Effekte auf den Forschungs- und Produktionsstandort Europa und ebenso auf die Versorgung mit Arzneimitteln zu befürchten“, hieß es in einer Aussendung.
Etliche der geplanten Vorgaben könne die Industrie nicht umsetzen. Die EU-Kommission erschwere es den Unternehmen noch mehr als bisher, neue Medikamente zu entwickeln. Unter anderem „verwebe“ die Kommission die Bereiche Marktzugang und Anreize unnötig stark miteinander, verkürze Datenschutzfristen für innovative Arzneimittel oder führe für deren Geltungsdauer neue Kriterien ein. Das Problem: Ob ein Unternehmen ein Präparat innerhalb eines bestimmten Zeitraums in allen EU-Mitgliedsstaaten auf den Markt bringen könne, hänge nicht allein von ihm ab.
Nicht zuletzt deshalb könne der Vorschlag der EU-Kommission in der Praxis nicht funktionieren, konstatierte Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog: „Unternehmen werden ihren Fokus dorthin richten, wo sie für ihre Forschung, den Marktzugang und die Produktion förderliche Rahmenbedingungen vorfinden. In vielen Bereichen sind die USA hier bereits Vorreiter, China holt mit großen Schritten auf. Europa dagegen scheint alles daran zu setzen, es diesen beiden Regionen möglichst leicht zu machen, weiter vorzupreschen und ‚Good old Europe‘ hinter sich zu lassen bzw. uns noch abhängiger von ihnen zu machen.“ Die Pharmaindustrie unterstütze die Ziele der EU-Arzneimittelstrategie. Aber der Vorschlag der Kommission sei „in Summe keine zukunftsträchtige Europapolitik“, resümierte Herzog.
Überzeugte Kommissare
Überzeugt von der Sinnhaftigkeit der Vorschläge gaben sich unterdessen Kommissions-Vizepräsident Margaritis Schinas und Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Schinas sprach von einer „einzigartigen Gelegenheit zur Überarbeitung der Rechtsvorschriften, die für die Patientenschaft und die Stärkung und Entwicklung eines der wichtigsten Industriesektoren der EU von entscheidender Bedeutung sind. Unsere Vorschläge sollen das richtige Gleichgewicht zwischen der Förderung von Innovationen und der Gewährleistung des Zugangs der Patientinnen und Patienten zu erschwinglichen Arzneimitteln in der gesamten EU schaffen“.
Kyriakides assistierte, mit der Reform werde „gewährleistet, dass Europa für Unternehmen attraktiv und unsere Arzneimittelindustrie ein weltweiter Innovationsmotor bleibt. Die Schaffung eines Binnenmarktes für Arzneimittel ist sowohl für unsere Bürgerinnen und Bürger als auch für unsere Unternehmen eine Notwendigkeit“.
26.04.23
von
Klaus Fischer
Die insolvente Tiroler Pharmafirma kann die Mittel für die Bedienung der Mindestquote nicht selbst aufbringen. Damit bleibt ihre Zukunft vorerst ungewiss.
Die Rettung der insolventen Tiroler Pharmafirma Montavit hängt weiter in Schwebe. Das berichtet der Kreditschutzverband 1870 (KSV 1870). Ihm zufolge akzeptierten die Gläubiger bei der Tagsatzung vor dem Landesgericht Innsbruck am 24. April grundsätzlich die angebotene Mindestquote von 30 Prozent der gesamten Verbindlichkeiten. Diese belaufen sich auf 45 Millionen Euro. Somit würden die Gläubiger insgesamt 13,5 Millionen Euro erhalten. Davon wären 4,5 Millionen Euro oder zehn Prozent der Verschuldenssumme binnen acht Wochen zu bezahlen, die übrigen 20 Prozent der Verschuldenssumme oder neun Millionen Euro binnen zwei Jahren.
Das Problem: Die Montavit kann die nötigen Mittel nicht selbst aufbringen, sondern benötigt einen Investor. Einen solchen aber konnte sie bis dato nicht namhaft machen. Verhandlungen auf Gesellschafterebene sind nach Angaben des KVS 1870 im Gange, aber „bisher nicht finalisiert worden“.
Hinzu kommt: Der Einstieg eines Investors müsste kartellrechtlich geprüft werden, was einige Zeit in Anspruch nimmt. Laut dem Leiter des KSV 1870 in Tirol, Klaus Schaller, müsste die Montavit die zehn Prozent der Verschuldenssumme daher binnen sieben Wochen beim Sanierungsverwalter erlegen. Erfolgt dies nicht, „wird das Sanierungsverfahren vom Landesgericht nicht bestätigt. Als Folge würde das Verfahren als Konkursverfahren fortgeführt werden“.
April 17th
MSD: Elf Milliarden Dollar für Prometheus Biosciences
17.04.23
von
Klaus Fischer
Der US-amerikanische Pharmariese will mit der Übernahme seine Position im Bereich der Immunologie verstärken.
Der US-amerikanische Pharmakonzern Merck Sharp & Dohme (MSD) mit Hauptsitz in Rahway im Bundesstaat New Jersey will die kalifornische Prometheus Biosciences übernehmen. Laut einer Aussendung einigten sich die beiden Firmen auf einen Kaufpreis von rund 10,8 Milliarden US-Dollar (9, 8 Milliarden Euro). MSD erwartet, die Transaktion im dritten Quartal 2023 abschließen zu können. Unter anderem ist dafür die Zustimmung der Mehrheit der Prometheus-Aktionäre nötig. Überdies wird die Übereinkunft auf der Website der Securities and Exchange Commission (SEC) veröffentlicht.
Interessiert ist MSD vor allem PRA023, einem monoklonalen Antikörper, der insbesondere gegen entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa wirksam sein soll. Nach Ansicht von MSD vielversprechende diesbezügliche Daten aus der sogenannten Artemis-UC-Studie sowie aus der Apollo-CD-Studie veröffentlichte Prometheus Ende vergangenen Jahres.
MSD-Chef Robert M. Davis konstatierte, die Übernahme von Prometheus werde die Position seines Unternehmens im Bereich der Immunologie weiter stärken und dessen Angebot insgesamt verbreitern. Sie sei eine wichtige Komponente der „nachhaltigen Innovationsmaschine, die unser Wachstum weit in das nächste Jahrzehnt hinein antreiben wird“. Prometheus-Chef Mark McKenna ergäzte, die Vereinbarung mit MSD ermögliche seiner Firma, „das Potenzial von PRA023 zu maximieren“. Gleichzeitig könne Prometheus seine Technologie und sein Wissen im Bereich Immunologie für weitere Entwicklungen nutzen.
April 6th
Industrie: „Gemischtes Bild“
06.04.23
von
Klaus Fischer
Zwar wuchs der Produktionswert von 2021 auf 2022 um 24 Prozent auf einen Rekord von 252,3 Milliarden Euro. Doch das war im Wesentlichen höheren (Energie-)Preisen geschuldet, nicht aber höheren Absatzmengen, warnt die Wirtschaftskammer.
Waren mit einem Wert von rund 252,3 Milliarden Euro erzeugte die österreichische Industrie im Jahr 2022. Im Vergleich zu 2021 ist das ein Anstieg um rund 23,7 Prozent und ein „neuer Rekord“, berichtete der Geschäftsführer der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Andreas Mörk, bei deren jährlicher Bilanzpressekonferenz am 6. April in Wien. Allerdings ist dieser laut Mörk weitgehend auf den Preisanstieg bei Erdgas und Erdöl zurückzuführen. Zuständig für die Bereitstellung und den Verkauf dieser Produkte sind die Mitglieder der Fachverbände Gas Wärme (FGW) sowie Mineralölindustrie. Werden diese nicht berücksichtigt, ergibt sich von 2021 auf 2022 ein Anstieg des Produktionswerts der Industrie um rund 15,1 Prozent. Aber auch davon ist etwa die Hälfte durch höhere Preise bedingt, erläuterte Mörk. Ihm zufolge stagnierte der Produktionswert bei mehreren der verbleibenden 14 Fachverbände. Andere, wie die Chemische Industrie, die Metalltechnikbranche, die Papier- und die Nichteisenmetallindustrie, die Stahlbranche sowie die Nahrungs- und Genussmittelindustrie erzielten dagegen überdurchschnittliche Steigerungen ihres Produktionswerts.
Um rund 7,5 Prozent gestiegen sind auch die Auftragseingänge, ergänzte Mörk: „Aber die Kurve flacht sich ab. Das ist ein Alarmsignal.“ Zwar liege der Beschäftigtenstand bei etwa 468.600 Personen, dem zweithöchsten Wert seit dem Beitritt Österreichs zur EU am 1. Jänner 1995. Doch ob sich dieser das ganze Jahr über halten lässt, ist laut Mörk fraglich. Laut dem Obmann der Bundessparte, Siegfried Menz, ergibt sich insgesamt „ein gemischtes Bild“. Nominell sei das Produktionswachstum durchaus kräftig gewesen. Doch bleibe bei näherer Betrachtung „nur ein bescheidenes Mengenwachstum“.
Kritik an der Energiepolitik
Kritik übten Menz und Mörk an der Bundesregierung und insbesondere an deren Energiepolitik. Mehrere Gesetze, die die Tätigkeit der Industrie erleichtern könnten, seien zwar im Werden, aber noch nicht unter Dach und Fach. Menz zufolge betrifft dies etwa das Stromkostenausgleichsgesetz. Dieses rasch zu beschließen, sei umso dringlicher, als die CO2-Preise mittlerweile bei rund 100 Euro pro Tonne liegen. In mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten der EU seien bereits ähnliche Gesetze in Kraft und die entsprechenden Vorgaben der EU somit umgesetzt. Daher dulde das österreichische Pendant „keinen Aufschub“, wenn die Wettbewerbsfähigkeit nicht leiden solle.
Überdies fehlten nach wie vor die Förderrichtlinien zum Energiekostenzuschuss II, für den Wirtschaftsminister Martin Kocher zuständig ist. Auch diese sollten laut Menz so rasch wie irgend möglich veröffentlicht werden.
Wenig Freude hat die Industrie ferner mit dem Entwurf zum Erneuerbare-Gase-Gesetz (EGG). Zwar sei es notwendig, die „grünen“ Gase zügig verfügbar zu machen. Doch das im EGG vorgesehene Ziel, die Grüngaserzeugung von derzeit 0,14 Terawattstunden (TWh) pro Jahr bis 2030 auf 7,5 TWh zu versiebzigfachen, halte die Gasbranche für unrealistisch. Erreichbar seien etwa fünf TWh pro Jahr, wie sie bereits das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz aus dem Jahr 2021 vorsehe, erläuterte Mörk auf Anfrage des Chemiereports. Als „exorbitant“ bezeichneten er und Menz die Ausgleichszahlungen, die die Gasversorger leisten sollen, wenn sie ihre Grüngasquoten verfehlen. Diese liefen nach Angaben Mörks auf eine Erhöhung der Gaskosten der Endkunden um rund 15 Euro/Megawattstunden (MWh) hinaus. Da (Erd-)Gas bekanntlich auch zur Stromerzeugung verwendet werde, würde sich überdies eine Steigerung der Stromkosten um bis zu 30 Euro/MWh ergeben. Welche Höhe der Ausgleichszahlungen die Industrie für tragbar hält, wollte Mörk auf Nachfrage des Chemiereports nicht bekannt geben.
Forschungsförderung erhöhen
Unzufrieden ist die Industrie auch mit der Forschungsförderung, vor allem mit der Ausstattung der Fördertöpfe der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Ungeachtet der beträchtlichen Inflation wollten Energieministerin Leonore Gewessler und Finanzminister Magnus Brunner diese offenbar nicht verbessern. Dabei habe die FFG 2022 Förderanträge über rund 226 Millionen Euro ablehnen müssen, obwohl sie die Vorhaben sehr wohl als unterstützenswert erachtete. Kurzfristig klafft laut Mörk eine Finanzierungslücke von etwa 50 Millionen Euro pro Jahr, mittelfristig sind es sogar rund 100 Millionen. Die Politik sei dringend gefordert, diese Mittel bereitzustellen, „wenn Österreich den Anspruch auf Innovationsführerschaft ernst nehmen will“.
April 3rd
OMV erprobt CO2-Speicherung in Norwegen
03.04.23
von
Klaus Fischer
Gemeinsam mit dem norwegischen Ölkonzern Aker BP ASA arbeitet das Unternehmen an einem CCS-Projekt in der südliche Nordsee. Dauerhaft lagern ließen sich dort rund fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
Die norwegische Erdölgesellschaft Aker BP ASA und die OMV erproben im Verlauf der kommenden Jahre Möglichkeiten, um CO2 in untermeerischen Gesteinsformationen in der Nordsee dauerhaft zu speichern. Eine diesbezügliche Lizenz erhielten sie vom norwegischen Energieministerium. Verfahren, wie sie die beiden Unternehmen sie in Norwegen testen, werden als „Carbon Capture and Storage“ (CCS) bezeichnet. Immer wieder weist der Weltklimabeirat IPCC darauf hin, dass CCS unverzichtbar ist, um den Klimawandel einzudämmen. Die Lizenz, die Aker BP sowie die OMV-Tochter OMV (Norge) erhielten, wird als „Poseidon“ bezeichnet. Sie bezieht sich auf drei Blöcke in einem Seegebiet südlich des Hafens Egersund, der sich am westlichen Ausgang der Skagerrak-Meerenge befindet. Aker ist an dem Vorhaben mit 60 Prozent beteiligt, die OMV (Norge) hält die übrigen 40 Prozent.
Nach Angaben des norwegischen Energieministeriums sind in der ersten, bis 2025 dauernden, Projektphase 3D-seismische Untersuchungen durchzuführen. Dies beinhaltet auch die Erstellung eines 3D-Modells der untersuchten Gesteinsformationen. Ferner haben die Unternehmen Risikostudien durchzuführen, nicht zuletzt hinsichtlich potenzieller CO2-Leckagen. In der Folge ist zu entscheiden, ob eine Probebohrung erfolgt oder das Vorhaben aufgegeben wird. Entscheiden sich die Unternehmen nach der ersten Phase für die Fortsetzung des Vorhabens, haben sie in der zweiten Phase Studien für die Entwicklung der künftigen CO2-Lagerstätte zu erstellen. Vorgesehen ist auch eine Probebohrung. Die Unternehmen können jedoch beantragen, auf deren Durchführung zu verzichten. Am Ende der zweiten Phase ist über die weitere Fortsetzung des Vorhabens entscheiden. Fällt die Entscheidung positiv aus, ist ein detaillierter Plan für die Entwicklung und den Betrieb der Lagerstätte zu erstellen und die finale Investitionsentscheidung zu treffen. Über alle drei Phasen hinweg gerechnet, würde die Projektlaufzeit fünf Jahre betragen.
CO2-Neutralität bis 2050
OMV-Generaldirektor Alfred Stern erläuterte, das Unternehmen nutze sein Know-how, „um die CCS-Aktivitäten vor der norwegischen Küste zu expandieren. Die sichere und dauerhafte Speicherung von CO2 ist eine wichtige Säule in der Strategie der OMV, bis 2050 klimaneutral zu werden“. Dazu gehört, ab 2030 jährlich rund fünf Millionen Tonnen CO2 einzuspeichern. Nach Angaben der OMV ließen sich im Zuge der Poseidon-Lizenz mehr als fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr untermeerisch lagern. Dieses werde „von mehreren identifizierten industriellen Emittenten in Nordwesteuropa abgeschieden, darunter auch von verschiedenen Borealis-Standorten in Europa“.
Erfahrener Partner
Die zur Umsetzung des Vorhabens nötige Infrastruktur stellt die norwegische Höegh LNG bereit. Sie ist laut Mitteilung der OMV „einer der weltweit größten und technisch fortschrittlichsten Betreiber von LNG-Infrastrukturen“. Unter anderem lieferte sie die drei schwimmenden LNG-Import-Terminals (FSRUs), die 2022 in Deutschland den Betrieb aufnahmen.
Außer der Aker und der OMV (Norge) erhielt auch ein Konsortium aus der Wintershall Dea Norge AS und der Altera Infrastructure eine Lizenz für ein CCS-Pilotprojekt in der norwegischen Nordsee. Das diesbezügliche Meeresgebiet grenzt nordwestlich an das der Poseidon-Lizenz an.
In Österreich sind kommerzielle CCS-Projekte seit Ende 2011 untersagt. Zulässig sind ausschließlich Forschungsvorhaben mit einem Gesamtspeichervolumen von weniger als 100.000 Tonnen.
March 14th
Sanofi: Milliardenakquisition in den USA
14.03.23
von
Klaus Fischer
Der französische Pharmakonzern will die Provention Bio übernehmen. Sie hat ein neuartiges Medikament entwickelt, mit dem sich das Voranschreiten von Diabetes Typ 1 verzögern lässt.
Vorbehaltlich der Genehmigung durch die zuständigen Behörden möchte der französische Pharmakonzern Sanofi die US-amerikanische Provention Bio Inc. mit Sitz in Red Bank im Bundesstaat New Jersey übernehmen. Eine diesbezügliche Vereinbarung hatten die beiden Unternehmen kürzlich geschlossen, berichtete Sanofi in einer Aussendung. Den Kaufpreis bezifferte Sanofi mit 2,90 Milliarden US-Dollar (2,71 Milliarden Euro). Der Konzern geht davon aus, die Übernahme noch im laufenden zweiten Quartal 2023 abschließen zu können. Insbesondere geht es ihm um das Medikament Teplizumab-MZWV (Tzield) zur Behandlung von Diabetes Typ 1 (T1D) im dritten Stadium. Diese Krankheit wird laut Sanofi jährlich weltweit bei etwa 65.000 Personen diagnostiziert. Insgesamt sind in den USA etwa 1,8 Millionen Menschen an T1D erkrankt, darunter 1,6 Millionen Erwachsene. Im Herbst vergangenen Jahres hatten Sanofi und Provention Bio vereinbart, Tzield gemeinsam zur Marktreife zu führen. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist dieses in der Lage, den Ausbruch des dritten Stadiums von T1D um rund 2,7 Jahre zu verzögern. Es soll sich um das derzeit einzige Medikament handeln, das diese Wirkung mit sich bringt. In den USA ist Tzield seit vergangenem Jahr für Erkrankte im Alter ab acht Jahren zugelassen, die an T1D im zweiten Stadium leiden und in Gefahr sind, zum dritten und letzten Stadium voranzuschreiten.
Erfreuliche Aussichten
Olivier Charmeil, der zuständige Executive Vice President von Sanofi, verlautete, er gehe von einer reibungslosen Umsetzung der Transaktion aus. Diese habe das Ziel, Diabetes-Patienten noch besser als bisher zu versorgen. Möglicherweise könnten sich aus der Projektpipeline von Provention Bio weitere erfreuliche Erträge ergeben, stellte der Manager sinngemäß fest.
Der Gründer und Geschäftsführer von Provention Bio, Ashleigh Palmer, sprach von einer „gemeinsamen Vision“, die sein Unternehmen mit Sanofi teile. Sie bestehe darin, neue Arzneimittel für Menschen mit Autoimmunerkrankungen zu entwickeln. Die Marktzulassung von Tzield in den USA sei ein bedeutender Schritt in diese Richtung gewesen. Infolge der Übernahme durch Sanofi könne Provention Bio seine Präparate für mehr Patienten rascher verfügbar machen.
Agrofert darf Borealis-Stickstoffgeschäft übernehmen
14.03.23
von
Klaus Fischer
Die EU-Kommission hat keine Bedenken gegen die 810-Millionen-Transaktion. Von einem „schweren Schlag“ für Österreich spricht dagegen der Niederösterreichische Bauernbund.
Ohne Auflagen genehmigte die EU-Kommission die Übernahme des Stickstoffgeschäfts der Borealis durch die tschechische Agrofert-Gruppe. Laut einer Aussendung kam die Kommission „zu dem Schluss, dass die Übernahme keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aufwirft“. Erstens gibt es laut der Kommission auf dem Markt für Stickstoffdünger auch nach der Übernahme „mehrere starke Wettbewerber und die gemeinsamen Marktanteile der beteiligten Unternehmen wären nicht besonders hoch. Außerdem würde durch Einfuhren aus Ländern außerhalb des EWR Wettbewerbsdruck auf das neu aufgestellte Unternehmen ausgeübt“. Zweitens werden nach Ansicht der Kommission „zahlreiche Stickstoffdüngeranbieter im EWR“ sowie „genügend konkurrierende Vertriebshändler“ in Tschechien und der Slowakei agieren. Drittens besteht auch weiterhin „starker Wettbewerb“ auf dem Markt für Adblue, also Harnstoff als Kraftstoffzusatz.
Die Borealis und die Agrofert hatten die Transaktion am 6. Feber bei der EU-Kommission angemeldet. Am 22. Juni vergangenen Jahres hatte die Agrofert der Borealis angeboten, deren Stickstoffgeschäft um 810 Millionen Euro zu übernehmen. Zuvor war die Übernahme durch den Chemieriesen Eurochem geplatzt. Dieser gehörte dem russischen „Bisnismen“ Andrej Melnicenko, den die EU nach der Invasion Russlands in der Ukraine auf ihre Sanktionsliste setzte.
Heftige Kritik
Heftige Kritik an der nunmehrigen Entscheidung der EU-Kommission übte der Niederösterreichische Bauernbund, der die Transaktion seit ihrem Bekanntwerden bekämpft hatte. In einer Aussendung sprachen Bauernbundobmann und Landeshauptfraustellvertreter Stephan Pernkopf sowie Bauernbunddirektor Paul Nemecek von einem „schweren Schlag für die heimische Wirtschaft, Landwirtschaft und vor allem für die Versorgungssicherheit und damit für ganz Österreich“. Ihnen zufolge „entsteht durch den Zusammenschluss eine monopolähnliche Stellung des Agrofert-Konzerns am heimischen Düngemittelmarkt“.
Pernkopf und Nemecek kündigten an, sie würden „den Düngermarkt genau beobachten und Ungereimtheiten sofort der zuständigen österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde melden. Wir scheuen uns nicht, bereits beim geringsten Nachteil für unsere Bäuerinnen und Bauern rechtlich einzugreifen“. Die Transaktion sei „verantwortungslos und wird den Österreicherinnen und Österreichern, aber besonders der heimischen Landwirtschaft teuer zu stehen kommen“.
Die Borealis reagierte auf die Vorwürfe wie bisher nicht.
March 13th
WKÖ kritisiert Maßnahmen gegen Ukraine-Krise
13.03.23
von
Klaus Fischer
Die Sicherung der Gasversorgung habe gut funktioniert, vieles Andere dagegen nicht. Und an Baustellen sei kein Mangel, hieß es kürzlich seitens der Bundessparte Industrie. Gefordert wurde unter anderem ein „Masterplan für die Energieversorgung“ Österreichs.
Als „unzureichend“ erachten die Mitglieder der Wirtschaftskammer (WKÖ) die Maßnahmen der EU und Österreichs gegen die Auswirkungen des Kriegs in der und um die Ukraine. Das konstatierten der Geschäftsführer der Bundessparte Industrie der WKÖ, Andreas Mörk, sowie ihr Umweltsprecher, Baumit-Chef Robert Schmidt, bei einer Pressekonferenz in Wien. Sie stützten sich dabei auf eine Umfrage unter 105 Firmen, darunter 62 Prozent Großunternehmen. Schmid räumte ein, hinsichtlich der Gasversorgung habe die Bundesregierung eine „Meisterleistung“ vollbracht. Es habe einen klaren Plan gegeben, der konsequent umgesetzt worden sei. Mittlerweile verliere sich die österreichische und europäische Politik jedoch bedauerlicherweise wieder im Nebel: „Es gibt keine klaren Ziele, sondern nur Wünsche.“ Und wie diese erfüllt werden könnten, sage die Regierung nicht. Kritik übten Schmid und Mörk nicht zuletzt daran, dass Unternehmen, die den Energiekostenzuschuss in Anspruch nehmen, die Kurzarbeit nicht einführen dürfen. „Es gibt zwischen diesen beiden Unterstützungsmaßnahmen keinen Zusammenhang. Daher müssen die Unternehmen das Recht auf beide haben“, forderte Schmid.
Breiten Raum nahm bei der Presskonferenz der Themenkomplex Energie ein. Laut Mörk kommen die Unternehmen mit ihrer Versorgung gut zurecht. Die überwiegende Mehrheit von 84 Prozent der Befragten gab an, ihren Bedarf um bis zu zehn Prozent verringert zu haben. Der Wermutstropfen: Teilweise war dies durch Auslagerungen von Produktionskapazität ins Ausland bedingt. Und dass es gelingt, diese wieder zurückzuholen, ist laut Schmid eher nicht zu erwarten: „Wenn etwas weg ist, kommt es nicht mehr.“ Zwar habe die EU beispielsweise davon gesprochen, Erzeugungskapazitäten für Antibiotika wieder nach Europa bringen zu wollen. Die diesbezüglichen Maßnahmen hielten sich laut Schmid indessen in engen Grenzen: „Da ist nichts oder jedenfalls zu wenig passiert.“ Die Produktion der Antibiotika sei wegen der niedrigeren Herstellungskosten sowie des Fehlens von Umweltauflagen nach Asien verlagert worden: „Wir sollten solche Präparate aber zu einem gewissen Teil in Europa erzeugen.“ Ein „gewisses Maß an Unabhängigkeit“ von globalen Lieferketten sei bei Arzneimitteln ebenso wünschenswert wie bei Lebensmitteln, Zement, Stahl und Holz.
Nicht ohne Erdgas
Mörk zufolge könnte der Winter 2023/24 hinsichtlich der Gasversorgung herausfordernder werden als der zu Ende gehende. Daher benötige die Wirtschaft Rechtssicherheit, was die Umstellung auf andere Brennstoffe betrifft. Notwendig sei eine verfassungsgesetzliche Regelung, die den Betrieb umgestellter Anlagen ermöglicht. Eine solche habe die WKÖ schon vor rund einem Jahr gefordert. Anders als in Deutschland sei der Gesetzgeber nach wie vor leider säumig. Dazu kommt laut Mörk, dass es „für einen Teil der Betriebe faktisch unmöglich“ ist, auf Erdgas zu verzichten: „Erdgas ist weiterhin Stand der Technik.“ Die vielbeschworene Wasserstoffwirtschaft gebe es zumindest derzeit noch nicht. Skeptisch zeigten sich Mörk und Schmid ferner, was die Nutzung „grüner“ Gase wie Biogas betrifft. Um diese zu erzeugen, „braucht man Rohstoffe. Und ich weiß nicht, wo diese herkommen sollen“, konstatierte Schmid.
„Masterplan“ für Energieversorgung
Notwendig wäre Schmid zufolge letzten Endes ein „Masterplan für die Energieversorgung“ Österreichs. Auch dürften die Themen Klima und Energie „nicht zu sehr vermischt“ werden. Es gelte, die Energiefrage „nicht nur aus der Klimaperspektive“ zu betrachten, sondern auch aus dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit. Mörk erläuterte, die politischen Ziele und die diesbezüglichen Maßnahmen seien „untereinander nach wie vor kaum abgestimmt“. Beispielsweise solle die Versorgung Österreichs mit elektrischer Energie ab 2030 bilanziell vollständig mit Ökostrom erfolgen: „Aber das ist mit den aktuellen Maßnahmen nicht realisierbar.“ Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse deutlich schneller vonstatten gehen, ebenso wie die Erweiterung und Ertüchtigung der Netzinfrastruktur.
Auf die Tatsache, dass kürzlich eine Novelle des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes (UVP-G) beschlossen wurde, die nach einhelliger Auffassung führender Verfahrensjuristen erhebliche Erleichterungen für den Ökostrom- sowie den Netzausbau mit sich bringt, gingen Mörk und Schmid nicht ein. Zum Hinweis des Chemiereports, dass sich die WKÖ Kritikern zufolge in den vergangenen beiden Jahrzehnten gegen den Ökostromausbau ebenso wie gegen die Verpflichtung zu Energieeffizienzmaßnahmen sträubte und sich das Image eines „Blockierers“ erarbeitete, stellte Schmid fest: „Wir sind keine Blockierer. Wir haben allergrößtes Interesse, die Probleme zu lösen.“
FWF benennt erste Exzellenzcluster
13.03.23
von
Klaus Fischer
Von der Mikrobiomforschung über die Quantenphysik und die Materialentwicklung für die Energiewende bis zur Aufarbeitung des kulturellen Erbes antiker eurasischer Reiche und zur Wissenschaftstheorie spannt sich der Bogen der geförderten Projekte.
Mit insgesamt rund 80,7 Millionen Euro unterstützt der Forschungsförderungsfonds (FWF) bis 2028 die ersten fünf „Exzellenzcluster“ im Rahmen des Programms „Excellent Austria“. Das berichteten FWF-Geschäftsführer Christof Gattringer und Wissenschaftsminister Martin Polaschek am 13. März bei einer Pressekonferenz in Wien. Gattringer zufolge handelt es sich um ein neues Förderformat, mit dem der FWF in eine „neue Größenordnung“ vorstößt. An den Clustern beteiligt sind jeweils mehrere Forschungseinrichtungen. Nach fünf Jahren erfolgt eine Evaluierung der Cluster. Nach den bisherigen Erfahrungen seiner Institution mit mehrstufigen Förderungen gab es laut Gattringer bisher kaum jemals Probleme mit deren Verlängerung: „Aber natürlich muss die Performance stimmen.“ Angesichts der hohen Inflation werde sich der FWF bemühen, den Betrag für die Jahre nach 2028 angemessen aufzustocken, versicherte Gattringer. Ihm zufolge waren sämtliche Einreichungen von hoher Qualität. Der internationalen Jury um Stephen Curry vom Imperial College London sei die Entscheidung nicht leicht gefallen.
Rund 21 Millionen Euro gehen an den Cluster „Microbiomes Drive Planetary Health“, den Michael Wagner, der Forschungsdirektor der Universität Wien, leitet. Beteiligt ist unter anderem das Zentrum für molekulare Medizin (CEMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unter Andreas Bergthaler, das einer breiteren Öffentlichkeit durch seine Sequenzierungsarbeiten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie bekannt wurde. Ferner arbeitet Angela Sessitsch vom Austrian Institute of Technology (AIT) an dem Cluster mit. Laut Wagner geht es darum, „gemeinsame Grundprinzipien von Umweltminkrobiomen und menschlichen Mikrobiomen herauszufinden“. Das soll ermöglichen, die „rote“ und die „grüne“ Mikrobiomfoschung und damit letztlich „Medizin mit Umweltforschung“ zu verknüpfen. Wagner räumte auf Anfrage des Chemiereports ein, dass der Ausdruck „planetarische Gesundheit“ dazu verleiten könnte, an umstrittene Ansätze wie die „Gaia-Hypothese“ des 2022 im Alter von 103 Jahren verstorbenen britischen Ökologen James Lovelock zu denken. Lovelock zufolge kann die gesamte Erde als zusammenhängender Organismus betrachtet werden. Ausdruck dessen war unter anderem sein 2006 erschienenes Buch „Gaias Rache – Warum die Erde sich wehrt“, in dem er den Klimawandel thematisierte. Wagner zufolge hat die Arbeit des Clusters mit dergleichen Ansichten aber nichts zu tun. Vielmehr gehe es um Komplexitätsforschung. Die Gesundheit der Menschen hänge nicht zuletzt vom Funktionieren einer Vielzahl mikrobieller Systeme ab. Umso wichtiger sei es, die diesbezüglichen Funktionsweisen und Zusammehänge zu kennen, um erforderlichenfalls gezielt eingreifen zu können.
Mit weitere 21 Millionen Euro fördert der FWF den Cluster „Quantum Sciences Austria“ unter Gregor Weihs von der Universität Innsbruck. Dieser Cluster befasst sich mit der Weiterentwicklung des Verständnisses physikalischer Grundgrößen wie Raum, Zeit und Schwerkraft. Praktische Auswirkungen könnten diese Arbeiten unter anderem für die Entwicklung von Technologien „nach dem Quantencomputer“ haben.
Nanokatalysatoren für die Energiewende
Etwa 20,6 Millionen Euro fließen dem Cluster „Materials for Energy Conversion and Storage“ zu. Dieser steht unter der Leitung von Günther Rupprechter von der Technischen Universität Wien. Nicht zuletzt behandelt er Nanomaterialien zur Umsetzung von Technologien wie Power-to-Gas (P-t-G) und Power-to-Liquids (P-t-L). Gemeint ist damit Folgendes: Wasser wird mit Ökostrom in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Der Wasserstoff kann entweder in reiner Form oder nach Reaktion mit CO2 als künstliches Methan langfristig gespeichert werden. Ferner ist es möglich, daraus synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) zu erzeugen. Dafür sollen im Rahmen des Clusters Nanokatalysatoren entwickelt werden. Rupprechter betonte, die Energiewende sei „nur zu schaffen, wenn die besten Köpfe in der Materialforschung gemeinsam innovative Wege entwickeln, damit erneuerbare Energien klimaneutral gespeichert werden können“. Genau das solle der Cluster ermöglichen.
Rund 9,2 Millionen Euro erhält der Cluster „Eurasian Transformations“, dessen Leitung Claudia Rapp von der ÖAW obliegt. Rapp verwies auf die These des britischen Ethnologen und Anthropologen Sir John Rankine („Jack“) Goody vom „Eurasischen Wunder“. Diese bezieht sich auf den Aufstieg und den Verfall einer Vielzahl von (Groß-)Reichen im Zusammenhang mit ökonomischen sowie ökologischen Entwicklungen, die bis heute nachwirken. Laut einer Kurzbeschreibung des Clusters harrt „das kulturelle Erbe dieser Großregion vielfach noch der Aufarbeitung und Analyse“. Das könnte unter anderem auch für das Verständnis aktueller Konflikte wie des Kriegs in der und um die Ukraine von Bedeutung sein.
Die verbleibenden 8,9 Millionen dienen dazu, im Rahmen des Clusters „Knowledge in Crisis“ Mittel und Wege zu finden, um der zunehmenden Wissenschaftsskepsis entgegenzuwirken. Geleitet wird der Cluster von Tim Crane, dem Forschungschef des Central European University (CEU), die nach massiver Kritik des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban nach Wien übersiedelte.
Zweite Säule
Gattringer zufolge ist geplant, mit den Clustern „langfristige Strukturen“ für hochwertige Forschung in den jeweiligen Themengebieten zu etablieren. Außerdem arbeiten er und sein Team bereits an der Umsetzung der zweiten Säule von Excellence Austria, dem Programm „Emerging Fields“. Eingereicht wurden 45 Projekte. Über die Vergabe der Mittel von maximal sechs Millionen Euro pro Vorhaben wird im März 2024 entschieden.
March 6th
06.03.23
von
Klaus Fischer
Das Vorbereitungstreffen für die Fünfte Internationalen Konferenz über Chemikalienmanagement (ICCM 5) Ende September in Bonn wurde unterbrochen, um offene Fragen zu klären. Nach wie vor geht es um die Verbindlichkeit des künftigen globalen Chemikalienmanagementsystems und um die Finanzierung.
Die Zukunft des internationalen Chemikalienmanagementsystems SAICM (Strategic Approach to International Chemicals Management) bleibt weiterhin ungewiss. Nach vierzehntägigen intensiven Verhandlungen in der kenianischen Hauptstadt Nairobi wurde das Vorbereitungstreffen (IP4) für die Fünfte Internationalen Konferenz über Chemikalienmanagement (ICCM 5) am 3. März unterbrochen. Die ICCM 5 findet vom 25. bis einschließlich 29. September in Bonn statt. Zwei Tage vorher kommen die Delegierten zum IP4 nochmals zusammen, mit dem Ziel, die in Nairobi offen gebliebenen Fragen zu klären. In der Zwischenzeit sollen regionale sowie stakeholder-spezifischen Treffen stattfinden. Zwar liegt der Entwurf eines Abschlussdokuments (Consulidated Document) vor, doch ist dieser mit Formulierungen in Klammern übersät, berichteten Beobachter.
Verbindlichkeit und Finanzierung
Strittig ist nach wie vor nicht zuletzt, ob SAICM respektive der Nachfolgemechanismus ein freiwilliges Instrument sein soll. In diesem Falle wäre es nicht möglich, in seinem Rahmen völkerrechtlich verbindliche Ziele für den sicheren Umgang mit Chemikalien insbesondere in den Ländern der Dritten Welt zu formulieren. Und speziell afrikanische Delegierte zum IP4 beklagten, während die Verhandlungen liefen, kämen Menschen auf dem „Schwarzen Kontinent“ sowie in Nairobi selbst ums Leben, weil es solche Ziele nicht gebe, von deren wirksamer Implementierung ganz zu schweigen. Andere Delegierte verwiesen darauf, dass beispielsweise die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) ebenfalls nicht rechtsverbindlich sind, sehr wohl aber positive Auswirkungen zeitigen: Es gibt Programme samt entsprechender Finanzierung und zumindest weitgehend funktionierendem Berichtswesen hinsichtlich der Fortschritte auf dem Weg zu den SGDs.
Stichwort Finanzierung: Auch diesbezüglich gingen die Auffassungen in Nairobi auseinander. Während manche der Verhandler auf die Probleme verwiesen, für ein freiwilliges Instrument Mittel zu akquirieren, betonten andere, entscheidend sei nicht die rechtliche Form des künftigen SAICM, sondern der politische Wille, es umzusetzen.
Knappe Zeit
Unumstritten ist: Die Zeit, um aus dem Consolidated Document einen beschlussreifen Text zu erarbeiten, ist knapp. Auf der ICCM5 Bonn selbst besteht praktisch kein Spielraum mehr für Verhandlungen. Die Konferenz ist für fünf Tage anberaumt. Zwei davon dienen dem „High Level Segment“, bei dem eine Erklärung nach Art der „Dubai Declaration“ von 2006 verabschiedet werden soll. Mit ihr war SAICM vor fast 20 Jahren ins Leben gerufen worden. Ein bis zwei weitere Tage dienen Formalia, wie der Verabschiedung von Resolutionen zur Benennung des Nachfolgeinstruments von SAICM sowie der Ausgabe der „Marschbefehle“ zur Ausarbeitung von Programmen zur Umsetzung des Instruments. Das renommierte „Earth Negotiations Bulletin“, das die Konferenz begleitete, resümierte, die Aufgabe sei keineswegs einfach. Aber sie sei lösbar. Es gehe nicht um Perfektionismus, sondern darum, das Machbare zu tun und Lösungen für den sicheren Umgang mit gefährlichen Chemikalien zu finden: „Das war die Vision des ‚SAICM Dream‘. Das ist die Verantwortung, die die Teilnehmer an der ICCM5 in Bonn tragen.“
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