Archive - Mai 26, 2021

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Erhebliche Herausforderungen

Die Erzeugung von Impfstoffen und sonstigen Arzneimitteln in Österreich lässt sich nicht von heute auf morgen ausweiten, warnten Industrielle bei einer Pressekonferenz der Pharmig. Wünschenswert wären ihnen zufolge Maßnahmen zur Standortförderung. 

 

Was immer sich die Politik hinsichtlich der Ausweitung der Arzneimittel- und Impfstoffproduktion in Österreich wünscht - von heute auf morgen ist die Sache nicht zu machen. Das betonte Olivier Jankowitsch, seines Zeichens Vice President von Valneva Austria und für das COVID-19-Programm des französischen Pharmakonzerns in Österreich zuständig, bei einer Pressekonferenz des Pharmaindustrieverbands Pharmig. Einen etablierten Prozess zur Impfstoffherstellung auszuweiten und dafür bereits vorhandene Infrastrukturen zu nutzen, dauere etwa zwei bis sechs Monate. Wer auf der Grundlage der vorhandenen Infrastruktur einen neuen Prozess etablieren wolle, müsse rund drei bis neun Monate veranschlagen. Eine neue Fabrik an einem bestehenden Standort zu errichten, wiederum dauere zwischen eineinhalb und drei Jahren. Und wer einen neuen Standort aufzubauen beabsichtige, komme unter zwei bis vier Jahren nicht aus. Seinen in Entwicklung befindlichen Impfstoff gegen COVID-19 erzeuge Valneva daher in der bestehenden Fabrik im schottischen Livingston unweit von Edinburgh. Das Abfüllen in Fläschchen mit mehreren Impfstoffdosen sowie das Verpacken wiederum erfolge am Valneva-Standort Solna bei Stockholm in Schweden. Die erforderlichen Kapazitäten in Österreich gleichsam „auf der grünen Wiese“ aufzubauen, hätte laut Jankowitsch zu lange gedauert: „So etwas geht nicht ohne weiteres. Man braucht Gebäude, Geräte und Systeme sowie Personal.“ Und die regulatorischen Hürden seien auch nicht zu unterschätzen. Zwar überlege Valneva grundsätzlich, weitere Kapazitäten in der EU zu etablieren: „Aber das ist eine Kostenfrage. Und wie der Bedarf in drei, vier Jahren ausschauen wird, weiß ja niemand.“

 

Grundsätzliches Dilemma

 

Damit aber ist das grundsätzliche kommerzielle Dilemma von Unternehmen aller Art unter den Bedingungen der Marktwirtschaft und damit des Konkurrenzwesens angesprochen: Um ihren Profit zu optimieren, müssen sie den Bedarf an dem betreffenden Produkt – handle es sich nun um einen Impfstoff, um Blumentöpfe oder um Kaugummi - möglichst genau decken. Erzeugen sie zu wenig, können sie einen möglichen Ertrag nicht realisieren. Erzeugen sie dagegen zu viel, bleiben sie auf der nicht benötigten Ware sitzen. Der Aufwand für deren Entwicklung, Produktion und Zirkulation war vergebens, allerdings nicht ökonomisch umsonst: Er schlägt sich in Kosten nieder, die nicht weitergegeben werden können - und damit möglicherweise in einem Verlust. Und gerade im Pharmasektor ist der Entwicklungsaufwand bekanntlich alles andere als zu unterschätzen, wie Renée Gallo-Daniel, die Präsidentin des Österreichischen Verbands der Impfstoffhersteller ÖVIH, bei der Pharmig-Pressekonferenz in Erinnerung rief.

 

Deshalb sind die Unternehmen gezwungen, Kosten jeglicher Art so weit wie möglich auszulagern und zu versuchen, die Konkurrenz zumindest zeitweilig auszuschalten. Und wer nicht einigermaßen sicher sein kann, Investitionen refinanzieren zu können, wird sich hüten, solche zu tätigen. Dies gilt zumal, da Industrieanlagen langlebige Wirtschaftsgüter sind. Es ergibt für ein Pharmaunternehmen schlechterdings ökonomisch keinen Sinn, eine viele Millionen Euro teure neue Fabrik zu errichten, allein um den mutmaßlich vergleichsweise kurzfristig auftretenden Bedarf an Impfstoff gegen COVID-19 zu decken. Die Fabrik muss langfristig ausgelastet werden können, um sich zu rechnen. Staatliche Wirtschafts- bzw. Standortförderung, wie sie auch bei der Pharmig-Pressekonferenz einmal mehr eingefordert wurde, ist ein Mittel zur Kostenauslagerung bzw. -kompensation und damit auch zum Anregen von Investitionen. Der in letzter Zeit in Diskussion geratene Patentschutz wiederum dient dazu, sich wenigstens über einige Jahre hinweg Wettbewerber vom Leibe zu halten. Und der „Staat der Industriegesellschaft“, wie ihn der deutsche Verwaltungsjurist Ernst Forsthoff einst nannte, ist zu solchen Maßnahmen bereit, weil er sich über die Sicherstellung wirtschaftlichen Wachstums und damit – zumindest dem Anspruch nach - des Wohlstands breitester Bevölkerungskreise legitimiert.

 

Beispiel Novartis

 

Wie das funktionieren kann, schilderte Michael Kocher, der Geschäftsführer der Österreich-Niederlassung des Schweizer Pharmakonzerns Novartis. Er ventilierte vergangenes Jahr bekanntlich die Verlagerung der Antibiotikaerzeugung vom Tiroler Kundl nach Asien – worauf Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck prompt 50 Millionen Euro als Investitionsanreiz zur Verfügung zu stellen wusste. Zupass kam dabei möglicherweise, dass Schramböck aus Tirol stammt. Ein teilweises oder völliges Abwandern eines der wichtigsten Industriebetriebe aus ihrem Heimatland wäre ihrer politischen Karriere wohl kaum förderlich.
Schramböck habe die Dringlichkeit der Sache damals erkannt und die Novartis „unglaublich unterstützt“, wusste Kocher bei der Pressekonferenz der Pharmig denn auch zu loben. Kritik übte der Pharmamanager dagegen an Bundeskanzler Sebastian Kurz: Überraschender Weise habe dieser die Absichten der EU-Kommission, den Patentschutz zeitweilig aufzuheben, „nicht sofort in Frage gestellt“.

 

Umfassendes Positionspapier

 

Nicht von ungefähr erarbeitete die Pharmig bereits vor einiger Zeit ein umfassendes Positionspapier, in dem sie ihre Wünsche zur Sicherung und weiteren Stärkung des Pharmastandorts Österreich zusammenfasst. Diesem zufolge sollte der Bund „gezielte Maßnahmen zum Ausbau bestehender Forschungsstellen und Produktionsanlagen in Österreich setzen“ sowie „Anreize für Investitionen in Forschung und Produktion am Standort Österreich weiter fördern und ausbauen“. Nicht zuletzt im Interesse der mittelständischen Pharmaunternehmen gehe es ferner darum, die „sektorale Förderung von Pharmaproduktion in Österreich“ möglich zu machen. Gewünscht wird überdies die Erleichterung des Zugangs der Patienten zu innovativen Arzneimitteln.