Plädoyer für Regionalität
Plasmaprodukte für europäische Patienten sollten nach Möglichkeit in Europa selbst hergestellt werden, hieß es beim Plasmadialog der Pharmig in Wien.
Der Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Versorgung Europas mit Plasma und Plasmaprodukten ist bis dato gering. Das sagte Josef Weinberger, der Vorsitzende des Standing Committee Plasmaproteine des Pharmaindustrieverbands Pharmig, bei einem Pressegespräch in Wien. Sein Unternehmen, die Octapharma, betreibt in Deutschland 20 Plasmaspenden-Zentren: „Dort sehen wir eine Aufkommensreduktion von etwa fünf Prozent. Das sind Größenordnungen, mit denen man leben kann.“ Solche Zentren bestehen auch in Österreich, Deutschland, der Tschechischen Republik und Ungarn. Und diese vier Länder sind es auch, die den Großteil des europäischen Plasmabedarfs decken, erläuterte Weinberger.
Rund 40 Prozent des benötigten Plasmas müssen allerdings importiert werden, vor allem aus den USA. Und dort sieht die Lage erheblich dramatischer aus. Weinberger rechnet damit, heuer „im besten Fall“ 75 bis 80 Prozent der üblichen Jahresmenge erhalten zu können. Die Auswirkungen in der Versorgung mit Plasmaprodukten werden sich ihm zufolge im ersten Quartal 2021 zeigen. Wie schwer sie sein werden, bleibe abzuwarten. Erst Ende des kommenden Jahres sei mit einer Normalisierung der Lage zu rechnen.
Vielleicht ist es aber ohnehin nicht ratsam, sich allzu sehr auf US-amerikanisches Plasma zu verlassen, erläuterte Volker Wahn von der Berliner Charité. In den USA treten teilweise andere Krankheiten auf als in Europa. Folglich enthält US-Plasma andere Antikörper als europäisches. Plasmaprodukte aus den USA seien daher zur Behandlung von Patienten in Europa möglicherweise weniger geeignet als europäische. Derartige Unterschiede haben jedoch nichts mit der grundsätzlichen Qualität des Plasmas und der Plasmaprodukte zu tun, betonte Christa Wirthumer-Hoche, die Leiterin des Geschäftsfelds Medizinmarktaufsicht der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Diese sei unbestritten und werde laufend kontrolliert, nicht zuletzt auch von der AGES selbst.
Weinberger zufolge besteht seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO die Empfehlung, die unterschiedlichen Regionen der Welt sollten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst mit Plasma und Plasmaprodukten versorgen. Ein „duales System“ der Aufbringung über Blutspenden sowie Plasmapheresezentren gebe es außerhalb Österreichs jedoch nur in wenigen Ländern: „Und solange wir in Europa nicht das Ziel der Unabhängigkeit von Importen definieren, werden wir abhängig bleiben.“
Das freilich ist ein Problem, das nicht nur hinsichtlich der Plasmaprodukte besteht, ergänzte Robert Sauermann vom Dachverband der österreichischen Sozialversicherungen. Gerade im Zuge der COVID-19-Pandemie habe sich gezeigt, „dass die Abhängigkeit von wenigen Produktionsstätten im Ausland zu bedenklichen Situationen führen kann. Wir sollten daher wieder mehr an Arzneimittelproduktion nach Europa bekommen“. Und Plasmaprodukte als „sehr essenzielle Produkte“ sollten ihm zufolge „von europäischen Spendern“ stammen. Um das zu ermöglichen, sieht Sauermann neben der Pharmaindustrie auch seinen eigenen Verband in der Pflicht: Notwendig sei eine „behutsame Preispolitik“ und ein Preisniveau, mit dem alle leben könnten.
Mehr spenden, bitte
Hilfreich wäre allerdings auch eine erhöhte Bereitschaft in der Bevölkerung, Plasma zu spenden. Während des ersten Höhepunkts der COVID-19-Pandemie im Frühjahr gingen die Spenden in Österreich zeitweilig um bis zu 50 Prozent zurück - nicht zuletzt, weil die Spendezentren etwa zwei Wochen lang geschlossen waren. Auf das Niveau vor der Pandemie zurückgekehrt ist das Aufkommen bisher aber immer noch nicht. Die IG Plasma veranstaltet deshalb im Oktober eine Kampagne zur Bewusstseinsbildung, berichtete ihr Vorsitzender, Matthias Gessner. Ohne das Engagement der Bevölkerung könne die Industrie keine Plasmaprodukte entwickeln und erzeugen.
Österreich ist bekanntlich einer der weltweit wichtigsten Standorte der Pharmaindustrie, was Plasmaprodukte betrifft. Etwa vier Millionen Liter Plasma werden hierzulande jährlich verarbeitet, was rund 15 Prozent der globalen Gesamtkapazität entspricht. Geplant ist eine Aufstockung auf rund neun Millionen Liter. Die fünf in Österreich ansässigen Unternehmen mit ihren 5.000 Beschäftigten, die sich mit Plasmaprodukten befassen, exportieren ihre Erzeugnisse in 100 Länder. Und die 18 Plasmazentren in den größeren Städten Österreichs tragen nach Angaben der Pharmig mit jeweils rund 1,5 bis fünf Millionen Euro pro Jahr zur lokalen Wertschöpfung bei.