Archive - Okt 6, 2021

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Physik-Nobelpreis: Ganz schön komplex, das Klima

Der Physik-Nobelpreis 2021 wird an drei Personen vergeben: Eine Hälfte teilen sich Syukuro Manabe und Klaus Hasselmann, die Grundlagen zur Modellierung des Weltklimas erarbeiteten. Die andere Hälfte erhält Giorgio Parisi für grundlegende Beiträge zur Theorie komplexer Systeme.

Die Erforschung komplexer Systeme ist heute einer der wichtigsten transdisziplinären Werkzeugkästen, dessen „Instrumente“ in so unterschiedlichen Wissenschaftszweigen wie Ökologie, Physik kondensierter Materie, Ökonomie oder Epidemiologie zur Anwendung kommen. Das rührt daher, dass in all diesen Disziplinen Modelle vorkommen, die gemeinsame Eigenschaften besitzen und daher mit denselben mathematischen und numerischen Methoden untersucht werden können.

Eines der Fachgebiete, die davon am meisten profitieren, ist die Klimaforschung. In den 1960er-Jahren wagte man sich zum ersten Mal daran, Aspekte des komplexen Geschehens in der Erdatmosphäre mit mathematischen Gleichungen zu modellieren. Der japanische Meteorologe Syukuro Manabe ging nach seiner Promotion an der Universität Tokyo in die USA und arbeitete hier an der Abteilung „General Circulation Research“ des U.S. Weather Bureau. Dort dachte er sich ein Modell aus, das den Einfluss der Sonnenstrahlung, des Atmosphärenzusammensetzung und des konvektiven Massetransports in einer Dimension berücksichtigt. Schon diese einfache Karikatur des Weltklimas zeigte, dass der Gehalt an CO2 einen deutlichen Einfluss auf den Temperaturverlauf in verschiedene Schichten der Atmosphäre hat. Mitte der 1970er-Jahre konnte in einem auf drei Dimensionen erweiterten Modell bestätigt werden: Je mehr CO2 in der Atmosphäre, desto wärmer auf der Erdoberfläche.

 

Wetter und Klima: verknüpft und doch nicht gleich

Betrachtet die Forschung das Klima, sieht sie im Vergleich zum Wettergeschehen von kurzzeitigen Schwankungen ab. Der langfristige Verlauf von Durchschnittswerten ist dabei wesentlich stabiler als deren tägliche Fluktuationen und kann daher auch besser prognostiziert werden. Klaus Hasselmann, der sich die Hälfte des diesjährigen Physik-Nobelpreises mit Manabe teilt, hat wesentlich dazu beigetragen, diese Dinge in den Modellen auseinanderzuhalten. Der deutsche Physiker und langjährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg entwickelte 1976 ein stochastisches Klimamodell, das die auf kurzen Zeitskalen auftretenden Schwankungen als zufälliges Rauschen („Noise“) behandelte und sie so von der langfristigen klimatischen Entwicklung unterscheidbar machte. Auf diese Grundlage konnte er aufbauen, um verschiedene Einflussfaktoren auf das Klima durch sogenannte „Fingerprints“ voneinander differenzieren zu können. Auf dieser Weise konnte auch der Einfluss menschlicher Aktivitäten (vor allem der Emission von Treibhausgasen) gegenüber natürlichen Ursachen (Schwankungen der Sonneneinstrahlung, vulkanische Partikel in der Atmosphäre) deutlicher herausgearbeitet werden.

 

Spingläser und andere komplexe Systeme

Auf einer grundsätzlicheren Ebene setzte sich Giorgio Parisi mit komplexen Systemen auseinander, der die zweite Hälfte des Physik-Nobelpreises 2021 erhält. Eines seiner Lieblings-Spielzeuge fand er in sogenannten Spingläsern – speziellen Metalllegierungen, bei denen Atomen unterschiedlicher magnetischer Eigenschaften in ungeordneter, glasartiger Anordnung vorliegen. In solchen Systemen kann das Phänomen der „geometrischen Frustration“ auftreten, das ein Vorliegen metastabiler Zustände ermöglicht. Parisi führte eine neue theoretische Behandlung solcher Systeme ein, die den mathematischen Begriff der „ultrametrischen Struktur“ verwendet und zahlreiche Anwendungen gefunden hat, die über Spingläser weit hinausreichen. Gemeinsam ist den betrachteten Modellen aus Physik, Biologie, Neurowissenschaften und der Erforschung künstlicher Intelligenz dabei stets, dass zufällige Prozesse eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung von Strukturen spielen.