Archive - Apr 27, 2018

„Lobhudelei nicht auszuhalten“

Österreichs Gesundheitssystem sei zwar nicht schlecht, müsse aber reformiert werden, konstatierte Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein bei der Pharmig-Generalversammlung.

 

„Ich werde alles tun, um die von der Bundesregierung geplanten Reformen im Gesundheitswesen umzusetzen.“ Das betonte Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein bei der Generalversammlung des Pharmaindustrieverbands Pharmig am 27. April in Wien. Österreichs Gesundheitssystem sei zwar nicht schlecht: „Aber die Lobhudeleien halte ich nach 30 Jahren in diesem System nicht mehr aus.“ Im Mittelpunkt müsse der Patient stehen, forderte Hartinger-Klein. Die wichtigste Frage  sei, welche Leistungen ein Patient benötige. Davon ausgehend, sei deren Erbringung sowie Finanzierung zu gewährleisten. Über die Umstrukturierungen im Kassensektor werde noch verhandelt. Die AUVA beispielsweise habe noch nicht die seitens der Regierung gewünschten Zahlen und Konzepte geliefert.

 

In einer Podiumsdiskussion mit der Ministerin konstatierte der Gesundheitsökonom Ernest G. Pichlbauer, der Rechnungshof habe die Finanzierungsströme im Gesundheitssystem untersucht. Es sei „sehr kompliziert, diesen zu folgen“. Wenn der Patient im Mittelpunkt des Systems stehe, stehe er zumindest derzeit „im Weg“. Im Zentrum gesundheitsökonomischer Überlegungen hat laut Pichlbauer der „Patientennutzen“ zu stehen: „Wenn heute ein Medikament wahnsinnig teuer und der Patientennutzen gering ist, muss man sich fragen, ob es zur Anwendung kommen soll.Wir werden um Opportunitätskostenrechnungen nicht herumkommen.“

 

Dem widersprach der Pharmakologe Ernst Agneter. Ihm zufolge haben gesundheitsökonomische Überlegungen ihren Sinn, „aber der Wert eines Menschen lässt sich sehr schwer in Geld umrechnen“. Als 2014 der Höhlenforscher Johann Westhauser in der „Riesending-Schachthöhle“ im Untersberg bei Salzburg verunglückte, habe die Bergung fast eine Million Euro gekostet: „Wenn man das gesundheitsökonomisch betrachtet hätte, läge der vermutlich heute noch da unten.“ Außerdem werde bereits seit 1932 über die angebliche Unfinanzierbarkeit des Gesundheitssystems diskutiert: „Das kommt immer wieder daher, ist aber kein wirkliches Problem.“ Der Onkologe Ulrich Jäger vom Wiener AKH ergänzte, mit modernen und teuren Therapien könnten bei manchen schweren Erkrankungen etwa 30 Prozent der Patienten geheilt werden: „Das Problem ist: Wir wissen nicht von vorneherein, welchen konkreten Patienten wir heilen können.“ Daher seien rein gesundheitsökonomische Überlegungen mit Vorsicht zu genießen. Freilich: Wenn der Patentschutz für ein Medikament abgelaufen sei, dürfe sich der behandelnde Arzt grundsätzlich nicht dagegen sträuben, ein Generikum oder Biosimilar einzusetzen.

 

Der Patientenvertreter Claas Röhl forderte, die Patienten von Beginn an in die Entwicklung neuer Arzneimittel einzubinden. Nur, wenn sich die wissenschaftlichen Interessen mit denen der Patienten deckten, ließen sich tatsächlich nutzbringende neue Medikamente schaffen.