Archive - Mai 28, 2018

Datum

„Krebsforschung stärker fördern“

Der Nutzen moderner Krebstherapien und der dafür notwendigen Forschung wird in Österreich unterschätzt, hieß es bei einer Pressekonferenz der Pharmig in Wien.

 

„Wir stehen am Anfang einer immunologischen Revolution. Leider wird das eine teure Angelegenheit.“ So umriss Christoph Zielinski, der wissenschaftliche Leiter des Vienna Cancer Center (VCC), vor Journalisten das Problem der Pharmaindustrie bei der Entwicklung neuer Krebsmedikamente. Für immer kleinere Patientengruppen könnten immer gezieltere und wirksamere Therapien entwickelt werden. Damit steige aber die Zahl der notwendigen klinischen Studien, was die Kosten für die Pharmaindustrie erhöhe. Gleichzeitig gingen die Umsätze der Branche tendenziell zurück. Und die Kosten für die neuen Medikamente seien auch nicht ohne: Eine einmonatige Therapie mit einem innovativen Mittel könne schon einmal mit 8.000 Euro pro Monat zu Buche schlagen, mehr als dem Doppelten des Aufwands für eine Standardbehandlung. Dem steht allerdings auch ein erheblicher Nutzen gegenüber, betonte der Spitzenmediziner: „Bei Frühformen mancher Krebsarten können wir heute um die 80 Prozent der Betroffenen in eine Art Gesundheit überführen. Erkrankungen in einem fortgeschrittenen Stadium, in dem Metastasen auftreten, können wir oft in chronische Erkrankungen umwandeln.“ Das sei nicht zuletzt den Spitalserhaltern zu danken: Sie machten es möglich, dass von der European Medicines Agency (EMA) zugelassene Medikamente bereits nach rund drei Monaten in Österreich verfügbar seien.

 

Dringend notwendig sei allerdings, in der Gesundheitspolitik den „Menschen in den Mittelpunkt zu stellen“. Und das bedeute, die Forschung „angemessen“ zu fördern. Konkret heiße das, jährlich zehn einschlägige akademische Studien mit einem Gesamtvolumen von 100 Millionen Euro auszuschreiben, erläuterte Zielinski auf Anfrage des Chemiereports. Die Inititative Krebsforschung habe es geschafft, rund 400.000 Euro an privaten Mitteln zu akquirieren. Damit könnten immerhin sechs einschlägige Forschungskonzepte unterstützt werden: „Allerdings haben wir rund 80 Anträge bekommen.“ Somit lasse Österreich ein „enormes Potenzial“ ungenutzt.

 

Pharmig-Generalsekretär Jan Oliver Huber ergänzte, Österreich drohe im Bereich der klinischen Studien insgesamt zurückzufallen. So seien zwischen 2007 und 2016 jährlich etwa 300 derartige Projekte durchgeführt worden, 2017 dagegen nur mehr 234. Hinzu komme: Der Patentschutz für neue Medikamente gelte etwa 20 Jahre. Davon entfielen jedoch rund zehn Jahre auf einen Zeitraum, in dem sich eine Arznei noch im Stadium der klinischen Studien befinde. Somit blieben nur etwa acht bis zehn Jahre, um die Kosten für die Entwicklung des neuen Medikaments zurückzuverdienen. Und die lägen im Bereich von drei Milliarden Euro. Laut Huber verlieren immer mehr Medikamente den Patentschutz. Zurzeit sei es dennoch möglich, die Entwicklung neuer Arzneien zu finanzieren: „Aber wir brauchen neue Bezahlmodelle.“ Spreche ein Produkt besonders gut an, sollte es Bonuszahlungen seitens der Krankenkassen geben. Falls es die Erwartungen nicht erfülle, müsse zumindest eine Teilzahlung erfolgen.

 

Und Huber fügte hinzu: Nach wie vor fehle es in der Öffentlichkeit am Bewusstsein für den Nutzen innovativer Krebstherapien für die Patienten. Und der bestehe laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Spectra im Auftrag der Pharmig in der Verlängerung der Lebensdauer sowie in der Erhöhung der Lebensqualität. Klar ist laut Huber: „Jeder Patient gehört gleich und sehr gut behandelt.“ Die Kosten sind ihm zufolge überschaubar: Etwa 6,5 Prozent der Aufwendungen im Gesundheitssystem entfallen auf die Behandlung von Krebs. „Im EU-Durchschnitt sind es zwar nur sechs Prozent. Aber Österreich bietet Top-Qualität“, betonte Huber.

 

Mona Knotek-Roggenbauer, die Präsidentin der Patientenorganisation Europa Donna Austria, konstatierte, Krebspatienten hätten meist einen Wunsch: „Sie wollen ins Leben zurückfinden und halbwegs normal funktionieren, wie man das heute ja muss.“ Neben dem damit verbundenen Schock bedeute eine Krebserkrankung meist erhebliche finanzielle Schwierigkeiten: „Wer Vollzeit arbeitet, muss oft in die Teilzeit, Teilzeitbeschäftige rutschen in die Arbeitslosigkeit, Arbeitslose in die Mindestsicherung.“ Und noch immer würden viele Patienten „mit der Gießkanne“ einer Chemotherapie behandelt anstatt gezielt. Das aber verursache gesundheitliche Probleme und unnötige Kosten für das Gesundheitssystem. Wichtig sei daher Aufklärung über den Wert klinischer Forschung, betonte Knotek-Roggenbauer: „Die Leute wissen zu wenig darüber. In Österreich herrscht noch immer die Angst vor solchen Studien, anstatt deren immensen Nutzen zu sehen - nämlich für den Betroffenen selbst, der früh von innovativen Therapien profitiert und für alle anderen Patienten, wenn diese Therapien letztendlich zugelassen werden.“

 

In Sachen Bewusstseinsbildung sollte die Regierung übrigens möglicherweise bei sich selbst anfangen, ließ Zielinski durchblicken. Denn seit dem Antritt des Kabinetts Kurz-Strache vor einem halben Jahr gingen sämtliche Schritte in der Gesundheitspolitik „in eine unvernünftige Richtung“. Eine Gesundheitsministerin, die die Aufhebung des geplanten Rauchverbots in der Gastronomie akzeptiere, „kann nur zurücktreten. Wir werden für diese Aktion international verhöhnt“. Die angekündigte Zusammenlegung der Krankenkassen wiederum sei ein „reines Umfärbemanöver“. Und wenn der Regierung für die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 kein wichtigerer Kernpunkt einfalle als „die Schließung irgendwelcher Balkanrouten, dann gute Nacht“. Kurz und schlecht: Es habe schon seine Gründe, wenn Forscher wie Josef Penninger Österreich verließen: „Der tut das ja nicht wegen des schönen Wetters in Vancouver. Das ist übrigens ohnehin nicht so gut.“