Archive - Jun 14, 2018

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Arzneimittel: Zwischen Kosten und Nutzen

Die geplante EU-weite Harmonisierung der Nutzenbewertungen (HTAs) für Medikamente war Thema einer Veranstaltung der Pharmig-Academy.

 

Welchen Nutzen bringt ein neues Arzneimittel, und welcher Preis ist folglich dafür gerechtfertigt? Das war der Hintergrund einer Veranstaltung der Pharmig-Academy am 13. Juni in Wien. Das übliche Instrument für Nutzenbewertungen sind „Health Technology Assessments“ (HTAs), in denen Arzneimittel direkt miteinander verglichen werden. Die Verfahren dazu sind zurzeit noch auf nationalstaatlicher Ebene geregelt. Ende Jänner präsentierte die EU-Kommission jedoch einen Vorschlag, um die Vorschriften bezüglich der HTAs zu harmonisieren. Seither wird mit Hingabe gestritten. Und nicht zuletzt geht es ums Geld: Zeigt ein Assessment, dass ein neues Medikament keinen Zusatznutzen bringt, kann sein Preis schwerlich über dem eines Generikums liegen. Das aber macht es für die Pharmaindustrie unattraktiv, das Präparat auf den Markt zu bringen. Gilt nun ein einziges HTA für die gesamte EU, könnte eine negative Nutzenbewertung das Aus für das Mittel auf dem gesamten europäischen Markt bedeuten.

 

Umso heikler ist die Frage, wie ein HTA durchzuführen ist und was als Vergleichsmittel (Komparator) gegenüber dem neuen Medikament einzusetzen ist. Besonders pikant wird die Angelegenheit bei Arzneien gegen Seltene Erkrankungen (Rare Diseases), für die oft nur ein einziges Medikament verfügbar ist, berichtete Alexander Natz von der European Confederation of Pharmaceutical Entrepreneurs (EUCOPE), die kleine sowie mittelgroße Pharma- und Medizintechnikunternehmen vertritt. Manche EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland und Frankreich stünden dem Vorschlag der Kommission eher skeptisch gegenüber. Andere, darunter Österreich, befürworteten ihn zumindest grundsätzlich - übrigens ähnlich wie der europäische Pharmaindustrieverband EFPIA. „Viel hängt nun von der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 ab“, erläuterte Natz. Österreich müsse versuchen, die Positionen der Kommission, des Rats und des Europäischen Parlaments unter einen Hut zu bringen. Geplant ist ausschließlich die Harmonisierung der Vorschriften bezüglich der HTAs selbst. Kostenbewertungen und Preisfindungsmechanismen bleiben dagegen unberücksichtigt. Mit gutem Grund, konstatierte Natz: „Es hat ja keinen Sinn, die Preise in Staaten wie Deutschland und Österreich mit denen in Rumänien, Bulgarien oder Griechenland zu vergleichen.“

 

Geht es nach dem Wunsch der Kommission, könnten die neuen Bestimmungen in den Jahren 2023 bis 2026 eingeführt werden. Sie würden für sämtliche Arzneimittel gelten, also auch für die „Orphan Drugs“ gegen die Seltenen Erkrankungen. Laut Natz gab es im Rahmen des Projekts EUnetHTA bereits Bestrebungen, die HTAs zu harmonisieren. Allerdings zogen die EU-Mitgliedsstaaten nicht so recht mit. Natz zufolge lässt sich noch nicht abschätzen, was die Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission ergeben werden. „Ich habe allerdings ein gewisses Grundvertrauen, es wird ein vernünftiges Resultat geben. Auf fachlicher Ebene sind Personen involviert, die die Thematik bestens kennen.“

 

Nur Unterstützung

 

Brigitte Piso von der „Gesundheit Österreich“-GmbH betonte, die HTAs würden auch künftig nur der Unterstützung der Entscheidungen über die Preise dienen: „Sie nehmen nichts vorweg.“ Und die Methoden für die HTAs zu harmonisieren, habe allemal Sinn. Ihr zufolge leistete EUnetHTA diesbezüglich wertvolle Vorarbeiten und erbrachte daher „viel Nutzen“. Mit der Harmonisierung könnten die Debatten über die Preise „vielleicht transparenter“ geführt werden. Heikel werde die Sache freilich, wenn es um „ethische Entscheidungen auf Ressourcenallokationsebene“ gehe. Zu deutsch: Lässt es sich rechtfertigen, einem Patienten ein Medikament nur deshalb zu verweigern, weil es teuer ist?

 

Für grundsätzlich sinnvoll hält europaweit harmonisierte HTAs die Leiterin der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie am Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH), Ingrid Pabinger. Sie ermöglichten einen „kritischen Blick und eine transparente Bewertung“ vom Arzneimitteln. Allerdings wäre es Pabinger zufolge sinnvoll, die Verbesserung der Lebensqualität stärker zu berücksichtigen. Bei Seltenen Erkrankungen bestehe für HTAs eine spezielle Herausforderung: der Mangel an unbehandelten Patienten: „Das heißt in meinem Bereich: Die ganze Fachwelt stürzt sich auf jeden neugeborenen Bluter.“ Deshalb habe sie gemeinsam mit ihren Kollegen und mit Hilfe der Pharmaindustrie das österreichische Hämophilie-Studienregister aufgebaut. Derzeit sind darin über 750 Patienten mit Bluterkrankheit erfasst, was etwa 90 Prozent der zu erwartenden Fälle entspricht.

 

Robert Sauermann vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (HV) plädierte dafür, HTAs auch bei den „Orphan Drugs“ vorzunehmen, „trotz aller Schwierigkeiten, die damit natürlich verbunden sind“. Beim Zugang zu einem Medikament sei meistens ohnehin nicht das HTA das Haupthindernis, sondern der Preis: „Der muss einfach in einer angemessenen Relation stehen. Deshalb sind gesamteuropäisch harmonisierte HTAs so wichtig.“ Auch laut Sauermann war und ist EUnetTHA durchaus sinnvoll: „Wir haben eine EUnetHTA-Bewertung bereits einmal bei den Diskussionen über die Kostenerstattung für ein Medikament berücksichtigt.“ In Österreich gebe es bei der Kostenerstattung für Arzneimittel freilich ein spezielles Problem: „Was wird wo verabreicht, und wer zahlt dafür?“ Die Krankenkassen seien bekanntlich für die niedergelassenen Bereich zuständig, nicht jedoch für den „intramuralen“, also die Krankenhäuser.

 

„Luxusprobleme“

 

Für die Patienten sind derartige Debatten „so etwas wie ein Luxusproblem“, konstatierte Rainer Riedl, der Obmann der Pro Rare Austria, in der die Selbsthilfeverbände bezüglich der Seltenen Erkrankungen zusammenarbeiten. Für die weit überwiegende Zahl an Seltenen Erkrankungen gebe es kein einziges Medikament, für viele nur ein einziges. Eine vergleichende Nutzenbewertung sei somit kaum möglich. Außerdem gehe es ja um die Lebensqualität der Patienten und ihres Umfelds. Dies müsse bei Nutzenbewertungen ebenfalls berücksichtigt werden.

 

Ähnlich argumentierte Jasmin Barman-Aksözen. Sie ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Schweizer Gesellschaft für Porphyrie und leidet selbst an Erythropoietischer Protoporphyrie. Bei dieser „ultraseltenen“ Krankheit treten schmerzhafte Verbrennungen in den Adern auf - wenige Minuten, nachdem ein Patient von Lichtstrahlen getroffen wird. Ob es sich um natürliches oder um Kunstlicht handelt, spielt keine Rolle. Barman und ihre Kollegen entwickelten ein präventiv und rasch wirkendes Medikament, „das das Leben sehr erleichtert“. Dieses ist seit 2014 in der EU grundsätzlich zugelassen. Zugang haben aber bei weitem nicht alle Patienten, in Österreich von rund 40 Betroffenen nur vier oder fünf. Laut Barman geht es bei den HTAs um Durchschnittswerte, die oft nichts mit der realen Lebenswelt eines Patienten zu tun haben. „Mir ist beispielsweise wichtig, an einem sonnigen Samstagnachmittag mit meiner Familie einige Stunden im Freien verbringen zu können. Das HTA bezieht sich aber auch auf die Verbesserung der Lebensqualität an Regentagen, die mit dem Mittel erreicht wird. Und die ist natürlich gering.“ Nichts einzuwenden sei gegen europaweit harmomisierte HTAs, wenn diese hohen Qualitätsanforderungen genügten und transparent durchgeführt würden. Wenig Verständnis zeigte Barman für die Debatten um die Erstattung der Kosten durch unterschiedliche Stellen sowie die Auseinandersetzungen zwischen den Erstattern und der Pharmabranche: „Das Preisverhandlungen auf dem Rücken der Patienten.“

 

Wilhelm Frank, Professor für Gesundheitsmanagement, bezeichnete HTAs ebenfalls als grundsätzlich sinnvoll. Und gerade eine gut gemachte Harmonisierung wäre ihm zufolge zu begrüßen. Allerdings sind laut Frank noch wesentliche Fragen offen. Unter anderem müsse geklärt werden, wie verbindlich die Ergebnisse von HTAs sind: „Außerdem gilt es, Methodensicherheit zu schaffen.“