Archive - Sep 24, 2021

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Klimawissenschaftler fordern CO2-Kosten von 100 Euro je Tonne

Gelten sollte dieser Wert ab 2022. Um bis 2040 die Klimaneutralität zu erreichen, sind „strukturelle“ Maßnahmen nötig, unter anderem ein verpflichtendes „Carbon-Management“ für Unternehmen. 

 

Die CO2-Kosten im Rahmen der geplanten „ökosozialen Steuerreform“ sollte im kommenden Jahr 100 Euro pro Tonne betragen. Das empfahlen die Klimawissenschaftler Verena Winiwarter von der Universität für Bodenkultur (BOKU) und Gottfried Kirchengast vom Wegener Center der Universität Graz am 24. September bei einer Pressekonferenz der Organisation Scientists4Future in Wien. Kirchengast erläuterte, im „Corona-Jahr“ 2020 seien die Treibhausgas-Emissionen (THG-Emissionen) gegenüber 2019 um rund acht Prozent gesunken. Bereits heuer werde Österreich diesen Rückgang aller Voraussicht nach indessen kompensieren und auf etwa 79,5 bis 81 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent kommen. Um das für 2040 angepeilte Ziel der „Klimaneutralität“ zu erreichen, sind laut Kirchengast „strukturelle“ Maßnahmen notwendig. Diese umfassen die ökosoziale Steuerreform ebenso wie das geplante Klimaschutzgesetz und das Zurückfahren von Anreizen für die Nutzung fossiler Energieträger wie Erdöl, Erdgas und Kohle. Im Detail müsse unter anderem die Neuzulassung von Kraftfahrzeugen mit konventionellen Verbrennungsmotoren 2030 enden. Förderungen für Unternehmen sollte es schon ab 2024 nur noch geben, wenn diese über ein „Carbon-Management“-Konzept zur Verringerung ihrer THG-Emissionen verfügen und dieses umsetzen. Nötig ist laut Kirchengast ferner die Einführung eines „Klimaverträglichkeitschecks“ für jedes Gesetz. Winiwarter empfahl darüber hinaus die Etablierung einer verpflichtenden Energieraumplanung. Erfreulicherweise gebe es eine Reihe von Möglichkeiten, gesünder zu leben und gleichzeitig die individuelle CO2-Bilanz zu verbessern, etwa das vermehrte Zurücklegen kurzer Wegstrecken zu Fuß: „Was gut ist für die Gesundheit, ist auch gut für das Klima.“

 

„Dysfunktion auf der Führungsebene“

 

Scharfe Kritik übte Kirchengast an der Bundesregierung. Diese wisse, was zu tun sei. Die notwendigen Maßnahmen scheiterten bis dato aber an der „Dysfunktion auf der Führungsebene“, unter anderem im Bereich des Bundeskanzleramtes und des Finanzministeriums. Angesichts der dramatischen Auswirkungen des Klimawandels auf Österreich sei es notwendig, für ganz Österreich, aber auch für jeden einzelnen Sektor der Wirtschaft, ein verbindliches „THG-Budget“ festzulegen und und die gesamte Politik auf das Einhalten dieses Budgets auszurichten: „Was das einzelne Unternehmen nicht liefert, muss das System als solches liefern.“ Als Beispiel, wie dies funktionieren kann, nannte Kirchengast das europäische Emissionshandelssystem EU-ETS. Eine Alternative zu einer ambitionierten und konsequenten Klimapolitik besteht laut Kirchengast nicht: „Es gibt nur einen Weg, und der ist bitteschön zu gehen.“

 

Laut Daniel Huppmann vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg (IIASA) ist Österreich vom Klimawandel erheblich stärker betroffen als der Durchschnitt der Welt. Sei global bis zur Jahrhundertwende mit einem Anstieg der Durchschnittstemperatur um etwa drei Grad Celsius zu rechnen, müsse für Österreich von rund sechs Grad ausgegangen werden. Insofern habe es keinen Sinn, verstärkt auf die Anpassung an den Klimawandel (Adaptation) zu setzen und dem gegenüber die THG-Vermeidung (Mitigation) zurückzufahren, wie dies in Teilen der österreichischen Wirtschaft überlegt wird, erläuterte Huppmann dem Chemiereport: „Wir brauchen beides. Sonst müssen wir uns an immer höhere Temperaturen anpassen, und irgendwann funktioniert das einfach nicht mehr.“  Ein Anstieg der Durchschnittstemperatur um sechs bis eventuell sogar sieben Grad sei durch keinerlei Anpassung auszugleichen.