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July 26th, 2021
Vesikel als Vehikel für Vakzine
Wissenschaftlern der Vetmed ist es gelungen, eukaryotische Proteine auf bakterielle Vesikel aufzubringen. Das könnte als Plattform für Impfstoffe Verwendung finden.
Alle Arten von Zellen geben Vesikel an ihre Umgebung ab. Wurden die kleinen membranumhüllten Abschnürungen früher meist als zellulärer Abfall betrachtet, erkennt die Molekularbiologie in den vergangenen Jahren immer deutlicher, dass sie in der Übertragung von Signalen zwischen verschiedenen Zellen eine wichtige Rolle spielen. Das ist auch bei denjenigen Bakterien so, die den menschlichen Darm besiedeln. Forschern um Christoph Metzner vom Institut für Virologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien ist es nun erstmals gelungen, derartige bakterielle Vesikel mit Proteinen aus Säugetierzellen zu markieren und damit Hybride aus eukaryotischen Proteinen auf prokaryotischen Membranen zu erzeugen.
Die Wissenschaftler bedienten sich dazu eines Verfahrens, das „Molecular Painting“ genannt wird. Dabei werden Proteinmoleküle mithilfe von Glycosylphosphatidylinositol (GPI) in der Lipid-Membran verankert. Und weil man dies nicht nur mit Fluoreszenz-markierten Proteinen (für die man die Verankerung sehr gut zeigen kann), sondern auch mit Zytokinen, Wachstumsfaktoren und Antigenen machen kann – und darüber hinaus auch zumindest zwei verschiedenen Proteine auf ein Vesikel aufgebracht werden können – ergibt sich eine flexibel einsetzbare Plattform. Eine solche könnte beispielsweise zur Konstruktion neuartiger Vakzine sehr nützlich sein: Die bakteriellen Membranvesikel stimulieren das menschliche Immunsystem, die durch die Modifikation abgelagerten Antigene dirigieren die Immunabwehr in die gewünschte Richtung. Die Originalarbeit wurde in der Zeitschrift „Membranes“ publiziert.
July 23rd
EFSA: Kein Grenzwert für Zucker
23.07.21
von
Klaus Fischer
Nach Durchsicht von über 30.000 Studien hält die EU-Lebensmittelsicherheitsagentur die Festlegung einer Obergrenze für den Zuckerkonsum für nicht möglich. Nun hat sie eine Konsultation zu diesem Thema eingeleitet.
Bis 30. September läuft eine öffentliche Konsultation der Europäischen Lebensmittelsicherheitsagentur (EFSA) zur Sicherheit von Zucker in Lebensmitteln. Dabei geht es um den Entwurf eines Gutachtens, das die EFSA auf Ersuchen Dänemarks, Finnlands, Islands, Norwegens und Schwedens erstellt hatte. Diese Länder hatten an die Agentur den Wunsch herangetragen, ihre aus dem Jahr 2010 stammende Bewertung der Zusammenhänge des Zuckerkonsums mit Krankheiten wie Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gicht und Karies zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Falls möglich, sollte die EFSA einen wissenschaftlich fundierten Grenzwert für die „zulässige Höchstaufnahmemenge“ von Zucker vorschlagen. Dieser Wert würde beschreiben, welche Mengen von Zucker jedenfalls aufgenommen werden können, ohne die Gesundheit zu gefährden.
Die zuständigen Wissenschaftler der EFSA untersuchten daher mehr als 30.000 einschlägige Publikationen. Ihr vorläufiges Fazit: Es ist „nicht möglich, einen solchen Schwellenwert festzulegen“. Allerdings bestünden „mehr oder weniger offenkundige Zusammenhänge zwischen der Aufnahme unterschiedlicher Zuckerarten und dem Risiko der Entstehung chronischer Stoffwechselkrankheiten und Karies“. Valeriu Curtui, der Leiter des für Ernährungsfragen zuständigen Referats der EFSA, erläuterte, die zusätzlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Daten aus der Konsultation seien hilfreich, um „unsere Bewertungen zu untermauern“.
Und Curtui fügte hinzu: Der nunmehr vorliegende Entwurf sei „ausschließlich eine Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse“. Er enthalte keine gesundheitspolitischen Empfehlungen und sei auch keine Leitlinie für allfällige Entscheidungen: „Dafür sind die nationalen Gesundheitsbehörden und internationale Gremien zuständig.“
In diesem Sinne äußerte sich auch Linda Granlund, die Direktorin des Referats für Prävention und öffentliche Gesundheit der norwegischen Direktion für Gesundheit. Sie begrüßte die Konsultation und ersuchte Ernährungsexperten in Norwegen und anderen Ländern, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Sobald das fertige Gutachten vorliege, werde Norwegen seine „nationalen lebensmittelbezogenen Ernährungsleitlinien anhand der dabei gewonnenen umfangreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse aktualisieren“.
Zugänglich ist die Konsultation unter https://connect.efsa.europa.eu/RM/s/publicconsultation
July 19th
Ärztekammer besorgt wegen Rückgang der Plasmaspenden
Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres besuchte die Plasmafraktionierung von Takeda in Wien 22. Plasmaspenden, die den dafür notwendigen "Rohstoff" zur Verfügung stellen, sind während der Pandemie deutlich zurückgegangen.
Menschen, die an Hämophilie B leiden, besitzen einen genetisch bedingten Mangel an Gerinnungsfaktor IX – einem Protein, das für gewöhnlich im Blut zu finden sind. Die Blutergerinnungskaskade, die die Verletzung eines Blutgefäßes schließt, ist bei ihnen gestört. Sie sind auf die Verabreichung der fehlenden Gerinnungsfaktoren angewiesen, die aus dem Plasma gesunder Menschen gewonnen werden kann.
Das ist nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, dass menschliches Blutplasma ein wichtiger Rohstoff zur Herstellung wichtiger Arzneimittel ist. Ebenso könnte man Patienten anführen, die an primärer Immundefizienz leiden und daher selbst die für die Abwehr essenziellen Immunglobuline nicht ausbilden können. Patienten mit seltenen Erbkrankheiten wie dieser profitieren von der Fraktionierung der Körperflüssigkeit und der Gewinnung der darin enthaltenen Proteine.
In der Plasmafraktionierung von Takeda in Wien 22 werden insgesamt 17 Produkte für die Therapie von seltenen, chronischen und genetisch bedingten Erkrankungen gewonnen. Doch das funktioniert nur, wenn der Rohstoff Plasma auch in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. „Leider ist die Zahl der Plasmaspenden in der Corona-Zeit deutlich zurückgegangen“, stellte demgegenüber Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer und Oberarzt am Klinischen Institut für Labormedizin der Medizinischen Universität Wien, fest. Szekeres besuchte am 15. Juli die Forschungs- und Produktionsstandorte von Takeda in Wien, um sich ein Bild von diesem Teil der heimischen Wertschöpfungskette zu machen. Diese sei seinen Worten zufolge ein „wichtige Säule“ des Gesundheitssystems, da sie für Versorgungssicherheit mit lebensrettenden und lebensverbessernden Arzneimitteln stehe. Karl-Heinz Hofbauer, Leiter der Takeda Produktionsstandorte in Wien, freute sich über den Besuch. „Hier werden plasmabasierte Therapien seit 65 Jahren erforscht und produziert. Wien gilt nicht ohne Grund als Plasmahauptstadt Europas", so Hofbauer.
Versorgung von Personen mit seltenen Erkrankungen
Takeda sorgt mit den Plasmazentren seines Tochterunternehmen BioLife selbst für Nachschub. Allein zwölf solcher Zentren werden in Österreich betrieben, weitere in Nachbarländern. „Verringert sich die Menge an Plasma, die wir in Österreich dank der hiesigen Spenden aufbringen, erhöht das die Abhängigkeit von US-Plasma“, warnt Matthias Gessner, Leiter der BioLife Plasmazentren. Das gefährde potenziell die Versorgungssicherheit der Patienten in Österreich.
Mit der Zusammenarbeit zwischen Takeda und der Ärzteschaft zeigten sich beide Seiten zufrieden: „Der Nationale Aktionsplan für seltene Erkrankungen ein gutes Beispiel für eine wichtige Initiative aller beteiligten Strukturen, um die Situation von Menschen mit seltenen Erkrankungen langfristig und nachhaltig zu verbessern“, sagte dazu Anthea Cherednichenko, MBA, Geschäftsführerin von Takeda Pharma Austria. „Gerade Menschen mit seltenen und komplexen Erkrankungen brauchen und verdienen ein solidarisches Gesundheitssystem, das ihre Bedürfnisse kennt, versteht und berücksichtigt“, ergänzte Ärztekammer-Präsident Szekeres.
July 8th
Agrana: Quartalsgewinn erheblich gesunken
08.07.21
von
Klaus Fischer
Hinsichtlich des gesamten Geschäftsjahres 2021/22 gibt sich die Konzernführung aber optimistisch. Der Konzernumsatz soll „moderat“ wachsen, das EBIT sogar „deutlich“.
Der Frucht-, Stärke- und Zuckerkonzern Agrana verzeichnete im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2021/22 einen Gewinn von 12,1 Millionen Euro. Gegenüber dem ersten Quartal 2020/21 ist das ein Rückgang um etwa 37,0 Prozent. Zwar wuchs der Umsatz um rund 8,2 Prozent auf 705,8 Prozent. Indessen sank das EBITDA um 18,1 Prozent auf 44,8 Millionen Euro, das EBIT um 34,7 Prozent auf 20,9 Millionen Euro. Als Gründe nannte der neue Generaldirektor Markus Mühleisen insbesondere „rückläufige Ergebnisse im Segment Stärke aufgrund höherer Rohstoffkosten und geringere Absätze im Segment Zucker“. Dem gegenüber habe sich der größte Geschäftsbereich, Frucht, „stabil“ entwickelt. So lag der Umsatz in diesem Bereich mit 320,7 Millionen Euro um 5,6 Prozent über dem Vergleichswert des Geschäftsjahres 2020/21. Das EBIT blieb mit 15,9 Millionen Euro nahezu stabil (Vorjahreswert 16,0 Millionen Euro). In Europa sowie in der Russländischen Föderation lief das Geschäft mit Fruchtzubereitungen gut. Eine Verschlechterung musste die Agrana dagegen bei den Fruchtsaftkonzentraten verkraften.
Im Segment Stärke stand einem Umsatzzuwachs um 14,8 Prozent auf 234,6 Millionen Euro ein EBIT-Rückgang um 32,4 Prozent auf 11,5 Millionen Euro gegenüber. Wie es seitens der Agrana hieß, „verharrten die Verkaufspreise der meisten Hauptprodukte noch auf dem niedrigen Vorjahresniveau“.
Im Segment Zucker schließlich lagen die Umsatzerlöse mit 150,5 Millionen Euro um 4,2 Prozent über denen des ersten Quartals 2020/21. Das EBIT fiel dagegen von -1,0 Millionen Euro auf -6,5 Millionen Euro. Bedingt war dies vor allem durch die „deutlich niedrigere(n) Zuckerverkaufsmengen“. Einer der wichtigsten Gründe: Im vergangenen Jahr war es infolge der COVID-19-Pandemie verschiedentlich zu Hamsterkäufen und zum Anlegen von Zuckervorräten gekommen – ein Phänomen, das sich im ersten Quartal des heurigen Jahres nicht wiederholte.
Hinsichtlich des Gesamtjahres 2021/22 gab sich Mühleisen optimistisch. Ihm zufolge ist mit einem „deutlichen Anstieg beim EBIT“ sowie einem „moderaten Anstieg“ des Konzernumsatzes zu rechnen.
July 5th
Schulen gewinnen mit Chemie
05.07.21
von
Klaus Fischer
Am 16. Projektwettbewerb des Verbandes der Chemielehrer Österreichs (VCÖ) beteiligten sich über 200 Schulen mit 16.100 Schülern und 610 Lehrern. Hautsponsor war wieder der FCIO.
Unter dem Motto „Mit Chemie zu Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz“ stand der Projektwettbewerb des Verbandes der Chemielehrer Österreichs (VCÖ), der heuer zum 16. Mal stattfand. Hauptsonsor war auch diesmal wieder der Fachverband der Chemischen Industrie (FCIO). Dessen Repräsentanten sehen in dem alle zwei Jahre abgehaltenen Wettbewerb eine Möglichkeit, Kinder und Jugendliche frühzeitig für die Naturwissenschaften zu interessieren und so potenziellen Nachwuchs für die Branche heranzuziehen. Nicht zuletzt angesichts des mittlerweile notorischen Fachkräftemangels könne es sich die „innovative Branche nicht leisten, auf ein Talent zu verzichten“.
Insgesamt beteiligten sich diesmal mehr als 200 Schulen mit etwa 16.100 Schülern und 610 Lehrern. Laut FCIO und VCÖ war der Projektwettbewerb damit „die größte naturwissenschaftliche Initiative an Österreichs Schulen“. Zu gewinnen waren elf Hauptpreise zu je 2.000 Euro in Form von Geräte- und Chemikaliengutscheinen sowie 48 Sonderpreise im Wert von 700 Euro. Ferner erhielt jede teilnehmende Schule Versuchsgeräte zu jeweils 1.000 Euro. Die Hauptpreisträger waren die Mittelschulen Annabichl (Kärnten), Hinterbrühl (Niederösterreich), St. Martin (Oberösterreich) und Dominikanerinnen (Wien), die Neue Mittelschule Wildon (Steiermark), die Realgymnasien Canerigasse und Leoben (Steiermark), das Realgymnasium Rosasgasse und das Bernoulligymnasium (Wien) sowie die privaten Realgymnasien Sacre Coeur und Maria Regina (Wien). Die Siegerehrung fand in der Wirtschaftskammer statt.
Als Hauptsonsoren engagierten sich neben dem FCIO die Bundesministerien für Bildung, Wissenschaft und Forschung, für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort sowie für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation & Technologie, weiters die BASF, die Borealis, die OMV und Boehringer-Ingelheim. Die Stadt Wien unterstützte den Wettbewerb nach eigenen Angaben über ihre Umweltschutzabteilung, die MA 22.
July 1st
01.07.21
von
Klaus Fischer
In der kommenden österreichischen Standortstrategie 2040 wird die Pharmaindustrie eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, hieß es beim Health-Care-Symposium der Pharmig-Academy.
Beim heurigen Europäischen Forum Alpbach will Wirtschafts- und Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck die im Regierungsprogramm angekündigte Standortstrategie 2040 vorstellen. Und die Pharma- sowie Life-Science-Branche werde in der Strategie eine wesentliche Rolle spielen, versicherte Schramböck beim Health-Care-Symposium der Pharmig-Academy zum Thema „Produktion am Limit? Was ein starker Standort braucht“ am 30. Juni. Die Ministerin erläuterte, die COVID-19-Pandemie habe die Wichtigkeit der internationalen Lieferketten gezeigt, zugleich aber auch deren Verletzbarkeit verdeutlicht. Daher gelte es, wichtige Pharmazeutika verstärkt in Europa zu erzeugen - und damit keineswegs zuletzt auch in Österreich. Sie habe sich im vergangenen Jahr bekanntlich bemüht, die letzte Antibiotikaproduktion der westlichen Welt im Tiroler Kundl abzusichern. Im Juli werde sie ihre „erste Auslandsreise nach der Coronapandemie“ in die Schweiz und dort insbesondere zur Novartis führen, der die Fabrik in Kundl gehört.
Schramböck ergänzte, es sei notwendig, mit der EU-Kommission zu kooperieren, um die notwendige Transformation von Industriezweigen fördern zu können. Das Beihilfenrecht stelle dabei manche Hürde dar: „Da ist eine sehr große Starrheit auf Seiten der Kommission.“ Doch sei die Kommission gut beraten, nicht die Konkurrenz zwischen dem Mitgliedsstaaten der EU zu forcieren, sondern statt dessen die USA und China ins Visier zu nehmen: „Dazu müssen wir die europäischen Unternehmen unterstützen. Und dafür brauchen wir entsprechende Rahmenbedingungen.“ Sich selbst und der Bundesregierung im Ganzen zollte Schramböck Lob: „Wir haben schon einiges richtig gemacht in der Vergangenheit.“ Insbesondere die Investitionsprämie habe sich als „Best-Practice“-Beispiel für ganz Europa erwiesen und sei nicht zuletzt von der Pharmabranche gut genutzt worden. Dem Vizepräsidenten der Pharmig, Robin Rumler, spendete Schramböck ebenfalls Beifall: „Herzlichen Dank, lieber Robin. Wir sind gemeinsam durch schwierige Monate gegangen.“
Investitionsanreize willkommen
Rumler dankte seinerseits der „lieben Margarete“: „Es ist für uns alle ein großes Zeichen, was Du gesagt hast. Wir können spürbar stark miteinander arbeiten.“ Nun gelte es, den Weg in die Zukunft zu skizzieren. Und genau das erfolge eben mit der Standortstrategie 2040, in sich die Pharmabranche dankenswerter Weise stark berücksichtigt fände. Nicht zu Unrecht freilich, verdeutlichte Rumler: „Wien ist die Welthauptstadt der Plasmaaufbereitung. In Österreich werden Antiobiotika erzeugt, ebenso Zeckenimpfstoffe. Wir sind stark im Bereich der Generika sowie der Tiergesundheit.“ Außerdem hätten weltweit namhafte Unternehmungen in den vergangenen Jahren in Österreich rund 3,2 Milliarden Euro investiert. Der Wert der alljährlich erzeugten Medikamente liege bei 2,7 Milliarden Euro. Allerdings gebe es durchaus noch „Luft nach oben: Schweden schafft fast das Dreifache, die Schweiz etwa das 15-fache.“
Es sei daher nicht zuletzt notwendig, die Digitalisierung zu verstärken. „Die Forschungsprämie darf steigen“, auch die Vernetzung der Krankenhäuser gehöre verbessert, die Bürokratie gestutzt. Und was die Produktion betreffe, sei „jeglicher Investitionsanreiz zu begrüßen“. Die von Schramböck angesprochene „sektorale Förderung“ gelte es zu ermöglichen, die Berufsausbildung (weiter) zu verbessern. Und: „Wir brauchen faire Preise. Es darf keine endlos langen Preisverhandlungen geben.“ Dies sei umso notwendiger, wenn Österreich weiterhin ein „Early-Launch“-Land für neue Arzneimittel zu bleiben gedenke.
Außerdem wünscht sich Rumler nach eigenen Angaben eine „perfekte Umsetzung der Standortstrategie 2040“. Diese müsse konkret ausformulierte Ziele enthalten. Ihr Fortschritt solle jährlich präsentiert werden, „vielleicht in einer Samstagabenshow, wo Unternehmen prämiert werden, die etwas besonders gut gemacht haben“.
Ähnlich argumentierte Michael Kocher, der Geschäftsführer der Österreich-Niederlassung von Novartis, der die Zusammenarnbeit mit Schramböck lobte. Kritik übte er dagegen an der Preispolitik hinsichtlich der Arzneimittel: „Eine Tagestherapie an Antibiotika ist billiger als ein Kaugummi. Das heißt, wir können Antibiotika in Österreich nicht kostendeckend verkaufen.“ Das müsse sich ändern, wenn Novartis weiter in Österreich investieren solle. Andernfalls würden die Investitionen eben in Slowenien oder in der Schweiz getätigt.
„Besonders schlechter Einkäufer“
Der Wiener Gesundheitsstadtradt Peter Hacker bezeichnete es als „großartig“, wie rasch Impfstoffe gegen COVID-19 verfügbar gewesen seien: „Da sieht man die Vorteile einer weltweit vernetzten Industrie. Man sieht aber auch, wie abhängig wir von der Rohstoffproduktion und wie verletzlich die Lieferketten sind.“ Hacker räumte ein, die Politik habe sich zu wenig mit der Versorgungssicherheit im Arzneimittelbereich befasst: „Wo ein Medikament erzeugt wird, hat keine Rolle gespielt.“ Überdies sei zu wenig auf den unternehmensinternen Wettbewerb zwischen den Standorten geachtet worden: „Wir wollen die österreichischen Teile internationaler Konzerne dabei gerne unterstützen. Ich lade diese ein, auf uns zuzukommen.“
Was die Arzneimittelpreise betrifft, sei das österreichische Gesundheitssystem „ein besonders schlechter Einkäufer“. Die Pharmaindustrie verhandle mit mindestens 50 Ansprechpartnern, weil ja auch die Krankenhäuser selbst Pharmazeutika beschafften. Und: „Hätte nicht die EU-Kommission gemeinsam Impfstoffe eingekauft, würden wir vermutlich heute noch auf diese warten.“
(Noch) flexiblere Verfahren
Christa Wirthumer-Hoche, die Leiterin der Medizinmarktaufsicht in der AGES, verwies auf deren Ruf, „eine offen kommunizierende Behörde“ zu sein. Selbstverständlich gelte es, Zulassungsverfahren so effizient wie möglich abzuwickeln. Auch müssten „noch flexiblere“ Verfahren erarbeitet werden. Allerdings müsse auch die Pharmaindustrie Verständnis dafür haben, dass die Behörden umfassende Daten zu erheben hätten, um die Sicherheit der zu genehmigenden Präparate gewährleisten zu können. Was die von Kocher beklagten Preise unterhalb der Rezeptgebühren betrifft, konstatierte Wirthumer-Hoche, die Patienten müssten sich „des Werts der Medikamente stärker bewusst werden“. Vielleicht könnte eine Kennzeichnung von in Europa erzeugten Pharmazeutika und Wirkstoffen dazu beitragen.
June 29th
EU-Kommission: Fünf Therapiekandidaten gegen COVID-19
29.06.21
von
Klaus Fischer
Bis Jahresende sollen in der EU mindestens drei Arzneimittel gegen die Coronakrankheit zugelassen werden. Eine erste Liste mit Kandidaten veröffentlichte die EU-Kommission am 29. Juni.
Die EU-Kommission veröffentlichte am 29. Juni eine Liste von fünf potenziellen Arzneimittel gegen COVID-19, die im Oktober eine vorläufige Zulassung seitens der European Medicines Agency (EMA) erhalten könnten. Es handelt sich um den Immunsuppressor Baricitinib des US-amerikanische Pharmakonzerns Eli Lilly, für den dieser eine Ausweitung der bestehenden Zulassung auf COVID-19 beantragt hat. Ferner geht es um vier monoklonale Antikörper, die sich derzeit im „Rolling Review“, dem beschleunigten Zulassungsverfahren der EMA, befinden. Diese sind: eine Kombination von Bamlanivimab und Etesevimab von Eli Lilly, eine Kombination von Casirivimab (Regeneron Pharmaceuticals) und Imdevimab (Hoffmann-La Roche), Regdanivimab von Celltrion sowie Sotrovimab von GlaxoSmithKline und Vir Biotechnology. Laut der EU-Kommission wird angestrebt, im Oktober mindestens drei Medikamenten gegen COVID-19 eine vorläufige Zulassung zu erteilen, bis Jahresende sollen zwei weitere Zulassungen hinzukommen. Die Kommission selbst will im Oktober eine Liste von mindestens zehn Arzneimittelkandidaten veröffentlichen. Hinsichtlich Casirivimab und Imdevimab hat die Kommission bereits mit der gemeinsamen Beschaffung für alle EU-Mitgliedsstaaten begonnen.
Geplant ist, im Rahmen der Health Emergency Preparedness and Response Authority (HERA) bis Mitte kommenden Jahres eine Plattform einzurichten, auf der Informationen über vielversprechende Arzneimittelkandidaten veröffentlicht werden. Die Kommission ergänzte, je nach Patientengruppe und Schwere der COVID-19-Erkrankung würden unterschiedliche Medikamente benötigt. Eine Expertengruppe werde daran arbeiten, unter den in Entwicklung befindlichen Pharmazeutika die jeweils am besten geeigneten zu identifizieren.
EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides konstatierte, die Impfungen gegen COVID-19 seien in vollem Gange. Allerdings werde das Virus nicht verschwinden: „Daher brauchen wir sichere und wirksame Therapien. Unser Ziel ist, mindestens drei Arzneimittel bis Ende des Jahres zuzulassen.“
June 22nd
VCI: Klarer Wunsch zur Bundestagswahl
22.06.21
von
Klaus Fischer
Der deutsche Chemie- und Pharmaindustrieverband hat schwer zu übersehende politische Präferenzen.
Am 26. September wird in Deutschland der Bundestag neu gewählt. Und der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat klare Vorstellungen, wer im Berliner Parlament künftig das Sagen haben sollte. Das zeigen seine Aussendungen zu den Wahlprogrammen der Parteien. Am meisten Lob zollt der Verband der CDU. Deren Programm enthalte „viele gute Elemente für eine zukunftsorientierte Industriepolitik“. Richtig sei das Ziel der Christdemokraten, „die Wirtschaft zu entfesseln, um durch nachhaltiges Wachstum gemeinsam mit der Industrie ein klimaneutrales Deutschland zu realisieren“. Als „wegweisend“ lobt Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup das seitens der CDU geforderte Planungsmodernisierungsgesetz sowie die im Programm enthaltenen „weiteren Vorhaben zum Bürokratieabbau, zur Innovationsförderung und zur Unternehmensbesteuerung“. Damit „stellt die Union die Weichen in Richtung wettbewerbsfähige Zukunft des Standortes. So können Politik und Industrie als Partner die Transformation zum Erfolg führen“.
Gut kommt auch die FPD weg. Sie verstehe laut Große Entrup Digitalisierung, Bildung und Innovation „als Schlüsselfaktoren für die Modernisierung des Standorts Deutschland an“. Auch die Forderungen der Freien Demokraten bezüglich Forschungsförderung, Unternehmenssteuerreform sowie zu einem „Entfesselungspakt für den Mittelstand“ sieht der VCI laut Große Entrup als „Ansatzpunkte für den Neustart nach der Pandemie“. Ferner begrüßt der VCI Große Entrup zufolge die Forderung der FDP, die EEG-Umlage abzuschaffen, also das deutsche Gegenstück zum Ökostromförderbeitrag. Allerdings, so die Mahnung: In einigen Details müsse das Programm noch konkretisiert werden.
Steuerpolitisch „perspektivlose“ SPD
Der SPD dagegen wird attestiert, zwar „wichtige industriepolitische Elemente zur Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland“ aufzugreifen, etwa mit der Forderung nach Abschaffung der EEG-Umlage und nach Investitionen in die Forschung im Pharmabereich. Indessen blieben die Sozialdemokraten „auf wichtigen Feldern hinter den Erwartungen“ zurück. Das gelte zumal hinsichtlich der Steuerpolitik. „Insbesondere der industrielle Mittelstand würde durch die vorgeschlagene Erhöhung der Einkommensteuer, eine Verschärfung der Erbschaftsteuer und Wiedererhebung der Vermögensteuer massiv getroffen. Positive steuerpolitische Perspektiven für die Wirtschaft – seien es auch nur schwache Signale – fehlen im dem Programmentwurf für die Bundestagswahl“, konstatiert Große Entrup.
Das Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen ist laut VCI dagegen „in großen Teilen kritisch“ zu bewerten, betont Große Entrup: „Die Grünen wollen einen mutigen Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit gehen. Dafür haben sie Chemie und Pharma an ihrer Seite. Leider sieht es aber nicht so aus, als ob sie Deutschlands drittgrößten Industriezweig mitnehmen wollen. Beispiele dafür sind Vorbehalte und Verbote gegen chemische Produkte, kompliziertere Genehmigungsverfahren und neue Steuern. Werden diese Ideen umgesetzt, bleibt manches Unternehmen auf der Strecke. Die negativen Auswirkungen für den Standort Deutschland überwiegen.“
„Aus der Zeit gefallen“
Keine Gnade vor Herrn Große Entrup findet schließlich Die Linke. Deren Wahlprogramm „fehlen ernsthafte industriepolitische Ideen für ein zukunftsfestes Deutschland. Die Linke denkt und argumentiert in überkommenen Mustern. Sie ignoriert die Bedeutung der Industrie und ihrer Beiträge für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. Deshalb propagiert sie überholte Konzepte. Mehr Regulierung, Verstaatlichung und Steuererhöhungen wirken aus der Zeit gefallen. Diese Ideen führen am Industriestandort Deutschland zu Rückschritt statt Fortschritt“.
Verwunderlich ist das alles wohl nicht: Große Entrup begann seine Berufslaufbahn als Referent in der CDU-Bundestagsfraktion. Nach leitenden Tätigkeiten für BASF und Bayer wurde er 2019 als Nachfolger Utz Tillmanns VCI-Hauptgeschäftsführer. Seiner angestammten Partei ist Große Entrup weiter verbunden. Unter anderem ist er Mitglied des sogenannten „Wirtschaftsrats der CDU“. Laut einer aktuellen Studie von Lobbycontrol ist dieser formell gesehen keine Parteiorganisation, sondern ein Verband von etwa 12.000 deutschen Unternehmen und Unternehmern, „die sich als CDU-nah verstehen. Wichtig ist aber auch: De facto agiert der Wirtschaftsrat trotzdem wie ein Parteigremium“.
Zur als rechtsextrem geltenden AfD äußerte sich der VCI in Bezug auf die Bundestagswahl bisher übrigens nicht.
Sanofi hat seit der Bekanntgabe seiner neuen Strategie Ende 2019 eine Neuorientierung vollzogen. Wir haben mit Wolfgang Kaps, Geschäftsführer von Sanofi Österreich, gesprochen, was der Ansatz der Präzisionsmedizin für das Geschäftsmodell und die F&E-Aktivitäten des Unternehmens bedeutet.
Von Georg Sachs
Sanofi hat im Dezember 2019 strategische Weichenstellungen vorgenommen. In Zukunft sollen Wachstumstreiber wie der Antikörper Dupilumab oder das Vakzin-Portfolio im Vordergrund stehen, während es in einigen angestammten Gebieten – etwa den Stoffwechselerkrankungen – keine F&E-Aktivitäten mehr geben soll. Was war der Hintergrund für diese Weichenstellung?
Sanofi hat viele verschiedene Unternehmen unter einem Dach vereint, deren Geschichte teilweise sehr lange zurückreicht. In den vergangenen 20 Jahren lag der Fokus stark auf medizinischen Schwerpunkten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Der Sanofi- und ehemalige Höchst-Standort in Frankfurt war lange Zeit einer der größten Entwickler und Hersteller von Insulinprodukten. Doch wir haben mit diesen Produkten einen Status quo erreicht, der bedeutet, dass Patienten gut mit dieser Krankheit leben können, wir sehen hier wenig weiteres Entwicklungspotenzial. Auch im Bereich der kardiovaskulären Erkrankungen sind schon seit längerem keine sprunghaften Innovationen mehr zu verzeichnen.
Mit Paul Hudson als CEO wurde hier eine Zäsur vollzogen. 2025 will Sanofi dafür bekannt sein, eines der innovativsten Unternehmen auf den Gebieten Immunologie und Onkologie zu sein. Die Fortschritte in diesem Bereich wären aber nicht möglich gewesen, wenn wir sie nicht durch die Einnahmen aus dem Bereich „Primary Care“ quersubventioniert hätten.
Im Zusammenhang mit der „Play to Win“ genannten neuen Strategie ist auch von kultureller Transformation und vom „Hinter-sich-Lassen von alten Formen zu arbeiten“ die Rede. Was ist damit genau gemeint?
Sanofi ist ein Unternehmen, das traditionell recht hierarchisch aufgebaut war. Paul Hudson hat auch hier eine Zäsur eingeleitet, indem er nicht mehr auf „Command & Control“, den Führungsstil des 20. Jahrhunderts, sondern auf „Empower & Enable“ setzt. Die Rolle der Führungskräfte ist es, Aufgaben zu stellen und lösungsfähig zu machen. Sie sollen Wissen vermitteln und das, was einem Mitarbeiter zur Lösung einer Aufgabe fehlt, zur Verfügung stellen.
In den Aussendungen zur neuen Strategie sind verschiedene therapeutische Ansätze konkret genannt. Liest man das richtig, wenn man daraus schließt, dass Sanofi in Zukunft mehr auf bestimmte innovative Technologiefelder als auf bestimmte Kreise von Indikationen setzt?
Der Eindruck ist richtig. Der von Ihnen angesprochene monoklonale Antikörper Dupilumab ist ein gutes Beispiel dafür: Er wurde zunächst gegen atopische Dermatitis zugelassen. Wenn man aber einmal verstanden hat, wie die Funktionsweise des Wirkstoffs ist und mit welchen molekularen Signalwegen er in Wechselwirkung tritt, dann kann man ihn auch für zahlreiche andere immunologisch bedingte Indikationen einsetzen, bei denen dieser Signalweg eine Rolle spielt: Asthma, Allergien, Nasenpolypen, aber auch COPD. Wir haben also eine ganze Pipeline innerhalb der Beschäftigung mit einem einzelnen Präparat vor uns. Weitere Beispiele sind die gezielte Krebstherapie oder die Entwicklung von Impfstoffen, die man nicht nur gegen Infektionen, sondern auch gegen viele andere Arten von Erkrankungen einsetzen wird.
Was Sie da beschreiben, folgt in weiten Zügen dem Trend zur Präzisionsmedizin – also die therapeutische Intervention auf dem soliden Fundament der Erforschung von Entstehungsmechanismen einer Krankheit aufzubauen. Wie sehr wird das Ihrer Einschätzung nach die künftige Entwicklung der pharmazeutischen Industrie prägen?
Die Zielrichtung der Medizin hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert. Galt es früher, eine Krankheit für den Patienten erträglich zu machen, wandelt sich unsere Perspektive immer stärker dahin, ihre Entstehung zu verhindern, also Maßnahmen der Prävention zu setzen. Wenn wir weiter in die Zukunft blicken, könnte es sogar gelingen, auch schwerwiegende Erkrankungen vollständig zu heilen. Der Umgang mit Krebserkrankungen ist dafür ein gutes Beispiel: Als ich ein Kind war, konnte man bei der Diagnose Krebs nur mehr palliativ eingreifen, später hat man Therapien entwickelt, die zwar Erfolg haben konnten, bei denen die Wirkung aber häufig mit starken Nebenwirkungen erkauft wurde. Mittlerweile haben wir es geschafft, bestimmte Krebsarten in chronische Krankheiten zu verwandeln, weil sie zielgerichtet behandelt werden können. Weißen Hautkrebs können wir in günstigen Fällen heute schon ganz heilen.
Könnte man einen solchen Ansatz, die Ursache einer Krankheit zielgerichtet zu bekämpfen, nicht auch auf Diabetes anwenden? In der Forschung gibt es ja zu Stoffwechselerkrankungen und ihrem Zusammenhang mit anderen Krankheitsbildern – Stichwort „metabolisches Syndrom“ – eine gewisse Dynamik.
Andere Unternehmen forschen daran, Diabetes im Kern zu bekämpfen. Das war nie unser Ansatz. In der Präzisionsmedizin wird es einen hohen Grad an Spezialisierung geben – wir haben uns sehr stark in Richtung Immunologie und Onkologie aufgestellt, andere Unternehmen wie Novo Nordisk spezialisieren sich auf Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wenn man die molekularen Mechanismen der Krankheitsentstehung immer besser kennt und auf dieser Grundlage Erkrankungen in Untergruppen aufgliedern kann, die unterschiedlich behandelt werden – wird es dann bald nur noch „seltene Erkrankungen“ mit sehr kleinen Patientenzahlen geben.
Was Sie beschreiben, entspricht nicht dem klassischen Begriff einer seltenen Erkrankung. Dieser ist vielmehr als Anreizsystem geschaffen worden, um unter erleichterten regulativen Rahmenbedingungen auch für kleine Gruppen von Betroffenen Arzneimitteln entwickeln zu können. In der Präzisionsmedizin sehen wir etwas anderes: Der Spezifizierung von Indikationen steht hier ja gegenüber, dass ähnliche Mechanismen und daher therapeutische Ansätze in ganz verschiedenen Krankheitsbildern auftreten können. Die Zahl der Patienten, die von einem Präparat oder einer Technologie profitieren, ist dann insgesamt gar nicht so klein.
Sind viele dieser neueren Behandlungsformen nicht viel schwieriger zu kommunizieren als der klassische Blockbuster?
Ja, diese Aufgabe ist uns gestellt – sowohl gegenüber dem Patienten als auch gegenüber denen, die die Behandlung bezahlen. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Männer viel weniger Bereitschaft zu Arztbesuchen zeigen als Frauen. Hier besteht die Herausforderung, die Erfolgschancen von Therapien noch besser zu kommunizieren. Aber auch das Erstattungssystem ist noch nicht auf die Genesung eines Patienten von einer schwerwiegenden Erkrankung eingerichtet. Eine zielgerichtete Therapie ist vielleicht aufwendig und kostenintensiv, aber wenn sie bei einem Patienten eine Krankheit stabilisieren oder sogar heilen können, entfallen für das Gesundheitssystem viele weitere Kosten. Hier müssen erst Wege gefunden werden, das abzubilden. Eine Möglichkeit wäre, die Erstattung vom Erreichen bestimmter Biomarker abhängig zu machen, die zeigen, dass der gewünschte Effekt eingetreten ist. Die Entwicklung solcher Biomarker muss ein integraler Bestandteil der Medikamentenentwicklung werden.
Bedeutet das, dass ein Pharmaunternehmen in Zukunft auch andere Aufgaben haben wird, als Arzneimittel zu erforschen und auf den Markt zu bringen – etwa im Bereich der begleitenden Diagnostik?
Es gibt derzeit nur wenige Pharmaunternehmen, die eine eigene Diagnostik-Sparte haben, etwa Roche oder Johnson & Johnson. Man kann die erforderliche Kompetenz aber auch über Partnerschaften abdecken, gerade auch im kleinen Maßstab, wenn es um spezielle Biomarker geht. Ich sehe aber einen anderen Wandel auf die Pharmaindustrie zukommen: Wir kommen vom Forschen und Herstellen zum Forschen und Verteilen. Das Herstellen der „Active Pharmaceutical Ingredients“ (APIs) ist nicht zwangsläufig Kernkompetenz eines Pharmaunternehmens. Sanofi trennt sich z. B. von zwei Millionen Euro Umsatz und bringt die Herstellung von Wirkstoffen in das neue Unternehmen „Euroapi“ ein, das die Qualität eines europäischen Konzerns auch anderen Anbietern zu Verfügung stellt.
Die öffentliche Wahrnehmung dessen, was die pharmazeutische Industrie tut, ist – selbst in Fachkreisen – nicht selten von Verzerrungen geprägt. Hat sich hier im Zuge der COVID-19-Pandemie etwas verändert?
Das schlechte Image ist in der Vergangenheit zum Teil selbst verschuldet worden. Es sind tatsächlich Fehler passiert, was die Sicherheit betrifft, wenn wir etwa an Contergan denken. Aber das ist sehr lange her. Man hat sowohl auf Seiten der Behörden als auch in den Unternehmen etwas dagegen getan und sehr strenge Regulative eingeführt. Auch, dass Reisen für Ärzte bezahlt wurden, gehört der Vergangenheit an. Als ich in die Pharmabranche gegangen bin, waren solche Dinge bereits sehr streng geregelt. All dem steht die Innovationskraft der Industrie gegenüber, ohne der der medizinische Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte nicht denkbar gewesen wäre. Gerade in der COVID-Pandemie hat die Pharmabranche ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt. Wir haben viel Geld in die Hand genommen, um Waren rund um den Globus zu schaffen. Ich denke, das hat unser Image verbessert, ich nehme in der Bevölkerung großes Interesse an unseren Themen wahr.
Aktuell ist eine Bewegung weg von einer Reparatur- hin zu einer Vorsorgemedizin zu beobachten – das Schlagwort „health in all policies“ steht für den höheren Stellenwert, den Gesundheit in der Gesellschaft hat. Aber kann ein solcher Ansatz nicht auch übertrieben werden, wenn vieles zur Krankheit gemacht wird, was bis jetzt keine war?
Dafür gibt es sicher Beispiele, etwa wenn Kinder, die früher als „Zappelphilipp“ bezeichnet worden wären, heute gegen ADHS behandelt werden. Aber wenn Sie das in einem weiteren historischen Horizont betrachten: Fast das gesamte medizinische Wissen ist in den vergangenen 200 Jahren entstanden und es hat uns all das möglich gemacht, was wir heute können. Warum sollten wir daher nicht auch die Informationen nutzen, die heute im Gesundheitswesen entstehen. Mit den Methoden der Big-Data-Analyse lassen sich Vorhersagen machen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Mensch eine bestimmte Krankheit bekommen wird. Wenn man das weiß, kann früh mit Präventionsmaßnahmen begonnen werden – nicht erst dann, wenn man übergewichtig geworden ist –, indem etwa Ernährung und Lebensstil danach ausgerichtet werden. Das hilft, das Gesundheitssystem angesichts immer komplexer werdender Produkte bezahlbar zu machen.
Das „Ökosystem“ rund um Entwicklung, Produktion, Marktpositionierung und Distribution von Arzneimitteln wird zunehmend bunter. Welche Aufgaben kommen in diesem Zusammenhang einer nationalen Organisation wie Sanofi Österreich zu?
Die führenden Pharmaunternehmen entwickeln nach wie vor selbst, aber sie greifen vermehrt Ideen auf, die aus den verschiedensten Quellen kommen. In Österreich arbeiten wir z. B. mit dem Health Hub Vienna zusammen. Wir haben Kooperationen mit österreichischen Startups im Sanofi-Konzern bereits auf die europäische Ebene gebracht (siehe Info-Box). Auch das ist Teil unserer „Play to Win“-Strategie. Etwas ist nicht nur dann gut, wenn es aus einem großen Unternehmen kommt. Das anzuerkennen, belegt eine offene Geisteshaltung.
Zur Person
Wolfgang Kaps ist seit 1. März 2019 Geschäftsführer der Sanofi Aventis Österreich GmbH. Der gebürtige Hamburger verfügt über langjährige Erfahrung in der Pharmabranche und hatte seit 2003 mehrere Positionen mit wachsender Führungsverantwortung bei Sanofi Deutschland inne. Ab 2013 baute er als Franchise Head Multiple Sklerose einen neuen Geschäftsbereich in Österreich auf. 2015 übernahm er als Country Head von Sanofi Genzyme die Verantwortung für das Specialty Care Portfolio.
Sanofi und der Health Hub Vienna
Der Health Hub Vienna ist eine Open-Innovation-Plattform, auf der Pharma- und Medizintechnik-Unternehmen, Versicherungsgesellschaften, Gesundheitseinrichtungen und Startups zusammenarbeiten. Sanofi hat zwei Kooperationen mit kleinen, innovativen Unternehmen über diese Plattform geknüpft:
- Symptoma hat einen digitalen Gesundheitsassistenten entwickelt, der Ärzten und Patienten dabei unterstützt, die richtige Diagnose zu aufgetretenen Symptomen zu finden. In den „Symptom-Checker“ sind viele Jahre medizinischer Forschung eingeflossen, die diagnostische Treffsicherheit wurde in einer Publikation mit Peer-Review gezeigt.
- Scarletred hat ein Medizinprodukt entwickelt, das über computerunterstützte Bilderkennung zur erleichterten Diagnosefindung dermatologischer Erkrankungen beiträgt. Die klinisch validierte Software kann Unterstützung bei einer Vielzahl von Hauterscheinungen bieten und hat sich bisher bereits im klinischen Studiensetting als nützlich erwiesen.
June 21st
COVID-19-Impfstoffe: 842 Millionen Euro für Mückstein
21.06.21
von
Klaus Fischer
Der Gesundheitsminister soll für die Jahre 2022 und 2023 rund 42 Millionen weitere Dosen beschaffen. Was Österreich nicht benötigt, darf er an Drittstaaten sowie internationale Organisationen weiterverkaufen oder spenden.
Die ÖVP und die Grünen wollen Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein ermächtigen, für die Jahre 2022 und 2023 insgesamt 42 Millionen Dosen an Impfstoffen gegen COVID-19 zu beschaffen. Mückstein soll dafür 841,8 Millionen Euro ausgeben dürfen, von denen 447,3 Millionen Euro auf 2022 und 394,5 Millionen Euro auf 2023 entfallen. Sollte Impfstoff in Österreich nicht benötigt werden, darf Mückstein diesen im Einvernehmen mit Außenminister Alexander Schallenberg anderen Staaten sowie internationalen Organisationen verkaufen bzw. spenden.
Laut einem Initiativantrag der beiden Regierungsparteien „ist davon auszugehen, dass nach Verabreichung von COVID-19-Schutzimpfungen zur Grundimmunisierung weitere Auffrischungsimpfungen notwendig sein werden, gegebenenfalls auch mit an neue Varianten angepassten Impfstoffen“. Es sei unklar, wie lange der Schutz durch die Impfung anhält. Auch lasse sich nicht absehen, „ob und in welchem Ausmaß zukünftig weitere Impfungen auf Grund neuer Varianten von SARS-CoV-2 notwendig sein werden, um weiter und dauerhaft einen optimalen Impfschutz zu bieten“. Daher müsse Österreich vorsorgen und die gesamten Mengen an Impfstoffen beschaffen, die ihm im Rahmen des „Joint EU Approach to COVID-19-vaccines procurement“ der Europäischen Union zur Verfügung stehen. Dafür benötige Mückstein die erwähnten 841,8 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln. Wie es in dem Antrag heißt, gibt Österreich von 2020 bis einschließlich 2023 somit etwa 1,18 Milliarden Euro für 72,5 Millionen Dosen an COVID-19-Impfstoffen aus.
Die Weitergabe an Drittstaaten sowie internationale Organisationen kann dem Antrag zufolge nur stattfinden, wenn die betreffenden Mengen in Österreich nicht benötigt werden. Spenden sollen möglich sein, weil nach den bisherigen Erfahrungen die notwendige rasche Weitergabe von Impfstoffen per Verkauf nicht durchführbar ist. Verhandlungen über einen Verkauf dauerten zu lange. Außerdem fehle den zumeist begünstigten „ärmsten Entwicklungsländern“ ohnehin das Geld. Überschüssige Mengen an Impfstoffen können in Österreich auftreten, weil es notwendig ist, Vorräte zu beschaffen. Nur so lässt sich gewährleisten, dass Österreich die immer wieder auftretenden Lieferprobleme der Hersteller ohne Auswirkungen auf seinen Impfplan meistern kann. Spenden darf Minister Mückstein laut dem Initiativantrag auch nicht benötigtes „Bedarfsmaterial zur Verabreichung der Impfstoffe, Schnelltests, Veklury (Remdesivir), FFP2-Masken und COVID-19-Arzneimittel“.
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