Archive - Feb 9, 2017

„Gewaltiger Eingriff in den Wirtschaftsraum“

ARA-Vorstand Christoph Scharff über die Kreislaufwirtschaft als umfassendes Konzept für Rohstoff-, Industrie- und Standortpolitik der Europäischen Union.


CR: Was heißt für Sie Kreislaufwirtschaft?

Streng betrachtet, ist der Begriff etwas irreführend. Es geht ja nicht um die Rückführung von Stoffen zum selben Punkt. Denn die Abfälle, die nach einem Zyklus – Sammlung, Aufbereitung, Bereitstellung zur Verwertung – wieder als Rohstoffe zurückkommen, treffen auf eine andere Welt. Bei der PET-Flasche merkt man das vielleicht nicht, weil zwischen Abfüllung, Konsum und Verwertung nur eine kurze Zeitspanne vergeht. Die Flasche steht nach einigen Wochen – nach dem Recyclat-Schritt – wieder im Regal. Aber bei Stoffen in Elektrogeräten, Fahrzeugen und Gebäuden reden wir von Jahren oder Jahrzehnten. Das wird für manche Materialien nicht relevant sein, etwa für Metalle. Den Baustahl, den man aus einem Abbruchhaus herausholt, wird man künftig leicht einsetzen können. Aber beispielsweise bei einem spezifischen Kunststoffpolymer kann sich die Frage stellen, ob es dafür in Zukunft noch einen Markt gibt.

 

CR: Die EU-Kommission fordert in ihrem Kreislaufwirtschaftspaket vom 2. Dezember 2015 die Transformation der EU in eine Kreislaufwirtschaft bis 2030. Halten Sie das für realistisch?

Das Kreislaufwirtschaftspaket ist nicht schlecht. Gemeinhin wird nur der erste Teil diskutiert, der unter anderem die neuen Recyclingquoten für den Siedlungsabfall und für die einzelnen Packstoffe sowie die Deponiebegrenzung von zehn Prozent ab 2030 enthält. Von all dem ist die Deponiebegrenzung mit Abstand das Wichtigste. Ich frage mich nur, warum man den schlechtesten Mitgliedsstaaten wieder eine Übergangsfrist einräumt. Eigentlich sollten diese tätig werden, bevor sich die ohnehin schon guten in neue Kosten stürzen. Der zweite Teil des Pakets, der meiner Meinung nach zu wenig Beachtung findet, obwohl er der viel spannendere ist, ist der Aktionsplan. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von über 50 Maßnahmen im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft, die in einer öffentlichen Konsultation im Sommer 2016 erarbeitet wurden. Noch sind das alles Überschriften. Aber die Kommission hat erkannt, wo man arbeiten muss, vom Forschungsbedarf über das Funktionieren der Märkte bis zu Innovation, Investition und Monitoring. Die Diskussion im EU-Parlament dreht sich jetzt darum, ob die Recyclingquoten um fünf Prozent rauf oder runter sollen. Angesichts der Tatsache, dass manche Staaten ihre Ziele für 2020 schwerlich erreichen werden, würde ich mir über Quoten für 2030 noch nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen. Das wird nicht der große Durchbruch sein.

 

CR: Wie sieht Ihr Modell für eine österreichische Kreislaufwirtschaft aus?

Im Nachhall des letzten Bundesabfallwirtschaftsplans hat sich im Rahmen des Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverbandes eine Plattform von Institutionen, Forschern und Unternehmen gebildet, die sich nun diesem Thema widmet. Wir als ARA haben in den vergangenen Jahren eine Benchmarking-Studie für die österreichische Abfallwirtschaft maßgeblich unterstützt. Ausgehend davon werden nun Handlungsempfehlungen erarbeitet. Auf diese Weise lässt sich der Bundesabfallwirtschaftsplan zu dem weiterentwickeln, was er dem Namen nach ist: ein Plan für die Zukunft der Abfallwirtschaft. Das ist ein evidenzbasierter Ansatz, den es bisher in Österreich noch nicht gegeben hat.

 

CR: Ihnen zufolge wird die Kreislaufwirtschaft „zu einem zentralen Baustein der Rohstoff- und damit der Industrie- und Standortpolitik der EU und darf nicht länger als reine Umweltthematik gesehen werden“. Wie meinen Sie das?

Es ist auffallend, wie die EU-Kommission das Kreislaufwirtschaftspaket einmoderiert hat: Jobs, Wachstum und Umweltschutz, nicht Umweltschutz, Wachstum und Jobs. Es heißt ja auch Kreislaufwirtschaft. Wenn das Kreislaufwirtschaftspaket Leben bekommen soll, beeinflusst das die allermeisten Unternehmen und alle Konsumenten. Das ist ein gewaltiger Eingriff in einen Wirtschaftsraum und kein reines Umweltschutzthema mehr. Umso mehr mein Appell: Wenn die EU-Kommission schon so dicke Bretter bohrt, sollte sie evidenzbasiert agieren, um den Bohrer nicht an der falschen Stelle anzusetzen. Dass sie eingestandenermaßen keine Wirkungsabschätzung des Pakets durchführte, ist angesichts seiner Tragweite erstaunlich. Denn dieses greift massiv in Märkte, in die Produktgestaltung und damit in die Produktionskosten ein. Und wenn – richtigerweise – Wachstum und Beschäftigung gewünscht werden, geht es um Effizienzsteigerungen und nicht darum, Kosten zu erhöhen.

 

CR: Sie plädieren dafür, den künftigen quantitativen und qualitativen Rohstoffbedarf unter Berücksichtigung der Versorgungssicherheit zu modellieren. Läuft das auf eine Art „bundesabfallwirtschaftsplanerische Prognose“ hinaus?

Der Bundesabfallwirtschaftsplan kann eine solche Modellierung nicht leisten. Ein Beispiel: Aluminium soll laut dem Kreislaufwirtschaftspaket erstmals eine dezidierte Recyclingquote bekommen. Aluminiumrecycling ist sicher sinnvoll. Aber für die von der Kommission vorgesehenen Quoten und resultierenden Qualitäten hat Europa keine geeigneten Verwertungsmöglichkeiten. Ein reines Skalieren der heutigen Strukturen ist daher nicht zielführend. Ein Kollege an der TU Wien hat versucht, den Materialfluss für Aluminium nicht nur statisch abzubilden, sondern die Lebenszyklen von Produktgruppen zu berücksichtigen und damit das Aufkommen dynamisch zu modellieren. Damit wird sichtbar, wie sich das Aluminium in der Infrastruktur akkumuliert, wann wie viel aus dem Abbruch verfügbar wird und ob wir dafür die erforderlichen Verwertungskapazitäten sowie den Bedarf haben. Solche materialspezifischen Studien sind sehr aufwendig. Aber sie sind sinnvoll, weil auch eine Methodik entwickelt wird und sich zeigt, was uns alles an Daten noch fehlt. In der Abfallwirtschaft hat sich bezüglich Datenverfügbarkeit viel verbessert. Handlungsbedarf besteht im Bereich der Sekundärressourcen. Das Verhältnis zwischen den Vorkommen, die wir täglich in der Mülltonne finden, und denen, die in der Infrastruktur verbaut sind, liegt bei etwa rund 1: 100 bis 1:1000.

 

CR: Sie haben in diesem Zusammenhang von „Daten als neuem Rohstoff“ gesprochen. Davon reden heute alle. Aber das Problem sind doch eher Datenfluten, die niemand bewältigen kann.

Diese Gefahr besteht immer. Es geht deshalb auch nicht um Big Data, sondern um Smart Data. Ein Beispiel: Die Versorgungsnetze für Wasser, Strom, Telekommunikation, Gas und Wärme sind mehr oder weniger gut kartiert. Wenn man weiß, wo die Leitungen liegen, ist es nur eine Frage der Datenqualität, auch zu wissen, welche Rohstoffe sie enthalten. Bei den Gebäuden fehlt dieses Wissen. Die Zusammensetzung eines Autos kennen wir auch nicht standardmäßig, außerdem ändert sich diese ständig. Hier besteht also Bedarf an sinnvollen und nutzbringenden Daten.

 

CR: Sie gründeten im Sommer 2015 die Circular Economy Coalition for Europe (CEC4Europe). Was ist der aktuelle Stand?

Das ist ein wachsendes Netzwerk europäischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich mit Kreislaufwirtschaft befassen. Dazu wollen wir den Entscheidungsträgern und der interessierten Öffentlichkeit einige Fakten und uns wichtig erscheinende Aspekte der Kreislaufwirtschaft präsentieren, um bessere Entscheidungen zu ermöglichen.

 

CR: Wie soll es in Österreich mit der Kreislaufwirtschaft weitergehen?

Unabhängig von allfälligen gesetzlichen Maßnahmen sollten wir uns überlegen, wie wir künftig die großen Massen an Abfallstoffen bearbeiten und welchen Beitrag die Sekundärrohstoffwirtschaft zur Deckung des Ressourcenbedarfs der Industrie leisten soll. Dazu gibt es in Österreich keine Zahlen, in Deutschland wird der derzeitige Anteil auf rund 15 Prozent geschätzt. Es gibt Signale, dass die internationalen Handelsbarrieren eher wieder aufgebaut als abgebaut werden. Der Protektionismus greift Platz. Das sollte uns aus Rohstoffsicht zu denken geben. Denn damit gewinnt die innereuropäische Aufbringung an Bedeutung. Vielleicht bekommt so die Kreislaufwirtschaft mehr Relevanz, als wir vor einigen Jahren meinten.

 

CR: Wo sehen Sie wichtige Industriepartner?

Jedenfalls im Bereich Metall und Kunststoff, aber auch im Bausektor und in der Elektro- sowie der Elektronikindustrie, wobei sich diese Branchen ja berühren. Wenn man auf einem Gebäude eine Photovoltaikfassade installiert, bringt man damit die Elektronik und die kritischen Rohstoffe an der Fassade an, und darunter befindet sich die Wärmedämmung. Also fragt sich, wie sich diese Stoffe in 40 Jahren wiedergewinnen lassen und was damit anzufangen ist. So gesehen, besteht kein akuter Handlungs-, sehr wohl aber akuter Forschungsbedarf. Wir sollten u nsere Sekundärrohstofflager systematisch erheben und bewerten, denn nur so können wir sie künftig nutzen.