Archive - Nov 20, 2020

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„Ganz großartige Entwicklung“

Die Pharmaindustrie sieht sich in Sachen SARS-CoV-2-Impfstoff gut unterwegs. Möglich macht das die bisher nicht gekannte Zusammenarbeit der Unternehmen untereinander und mit den Arzneimittelbehörden, hieß es bei einer Pressekonferenz der Pharmig. 

 

Nicht weniger als 212 potenzielle Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 sind derzeit weltweit in Entwicklung. Seit März hat sich die Anzahl der Kandidaten somit mehr als vervierfacht – eine „ganz großartige Entwicklung“, betonte der Generalsekretär des Pharmaindustrieverbandes Pharmig, Alexander Herzog, bei einer Pressekonferenz am 20. November in Wien. Elf der Substanzen befinden sich ihm zufolge in der Phase III der klinischen Überprüfung, drei davon im sogenannten „Rolling Review“ der EU-Arzneimittelsicherheitsbehörde EMA, der eine raschere Zulassung als üblich ermöglicht. Konkret handelt es sich um die Produkte von AstraZeneca und der Universität Oxford, von Biontech und Pfizer sowie von Moderna. Die voraussichtliche Wirksamkeit liegt bei rund 95 Prozent. Unter den übrigen acht Impfstoffkandidaten in der Phase III ist unter anderem „Sputnik V“, jenes Mittel des russländischen Gamaleya-Instituts, das Ende des Sommers für Furore sorgte. Ob und gegebenfalls wie viele Impfstoffe bereits im Dezember zugelassen werden, ist laut Herzog schwer zu sagen. Für einige der Substanzen sei jedoch „die Ziellinie bereits zu sehen“. Unternehmen und Behörden arbeiteten rund um die Uhr, um die Zulassungen raschestmöglich zustande zu bringen.

 

Renée Gallo-Daniel, die Präsidentin des Österreichischen Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH), erläuterte, oberste Priorität bei der Entwicklung von Impfstoffen hätten deren Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität. Das habe die EMA stets betont, und dies gelte auch nun, da Vakzine gegen SARS-CoV-2 sehr rasch entwickelt würden. Im Zuge des „Rolling Review“ nehme die Behörde eine beschleunigte Begutachtung vor. Wissenschaftliche Daten würden bereits vor dem Antrag auf Zulassung eines Mittels analysiert. Ferner finde ein kontinuierlicher Informationsaustausch mit den jeweiligen Unternehmungen statt. Deshalb könne die Zulassung auch bei Einhaltung aller Sicherheitsvorgaben erheblich rascher erfolgen als im üblichen zentralisierten Verfahren, das etwa 210 Tage in Anspruch nehme.

Die Industrie selbst führe Entwicklungsschritte, so weit möglich, parallel durch: „Das funktioniert, weil sehr viel Erfahrung und Know-how vorhanden sind.“ Überdies würden Ressourcen in bisher nicht gekannter Weise gebündelt. Erbitterte Konkurrenten arbeiteten eng zusammen, und das bereits seit dem Beginn der Pandemie. Ferner seien die potenziellen Impfstofferzeuger in Vorleistung gegangen, hätten ihre Fabriken adaptiert und bereits mit der Produktion begonnen. „Deshalb können Impfstoffe nach ihrer Zulassung sehr rasch zur Verfügung gestellt werden“, erläuterte Gallo-Daniel.

 

Keine Gewinnmaximierung 

 

Ihr zufolge kauft die EU die Impfstoffe zentral im Auftrag der Mitgliedsstaaten ein und teilt sie diesen entsprechend der Zahl ihrer Einwohner zu. Auf Österreich entfällt ein Anteil von zwei Prozent an der vorvertraglich gesicherten Gesamtmenge von zurzeit rund 15 Milliarden Dosen. Laut Gallo-Daniel werden die Vakzine an die Patienten in Österreich gratis abgegeben und verabreicht. Zur Frage des Chemiereports, welche Kosten dadurch dem Steuerzahler entstehen, konstatierte Gallo-Daniel, die Preise der Mittel seien nicht bekannt. Dies ergebe auch Sinn, „weil es sich um unterschiedliche Mengen, Technologien und Produktionskosten handelt“.

Herzog verwies auf Angaben von AstraZeneca, nach denen der von diesem Unternehmen entwickelte Impfstoff mit rund 2,50 Euro pro Dose zu Buche schlägt: „Das ist weniger als ein Grippeimpfstoff.“ Überdies gehe es der Pharmaindustrie in diesem Fall nicht um die Maximierung ihrer Gewinne, sondern um das Wahrnehmen gesellschaftlicher Verantwortung. Die SARS-CoV-2-Vakzine würden die Sozialbudgets der Länder weniger stark belasten als herkömmliche Impfstoffe. „Und sie kosten jedenfalls weniger als die Corona-Hilfsprogramme für die Wirtschaft“, stellte Herzog klar. Da die EU von AstraZeneca insgesamt 400 Millionen Dosen unter Vertrag hat und Österreich davon zwei Prozent, also acht Millionen Dosen, erhält, ist für dieses Vakzin mit einem Aufwand von rund 20 Millionen Euro zu rechnen.

 

Stefan Kähler, der Vorsitzender des Standing Committees Klinische Forschung der Pharmig, ergänzte, zurzeit seien weltweit rund 56 Millionen Personen mit dem Virus infiziert, die Zahl der Todesopfer liege bei etwa 1,3 Millionen. Ähnliche „Wellen“ wie bei der COVID-19-Pandemie seien bei der Spanischen Grippe in den Jahren 1918/19 zu beobachten gewesen. Auszugehen sei daher auch von einer dritten COVID-19-Welle im Frühjahr 2021, wie schwer auch immer diese ausfalle. Kähler betonte, bei der Zulassung von Arzneimitteln gehe es stets um das Nutzen-Risiko-Verhältnis: „Der Nutzen muss weit über dem Risiko liegen.“ Die Gefährdung von gesunden Personen sowie Patienten komme keinesfalls in Frage. Und die Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit eines Medikaments werde überprüft, „solange dieses auf dem Markt ist“.