21 AustrianLifeSciences chemiereport.at 2016.4 MÄRKTE & MANAGEMENT Bild: Christian Husar CR: Sie sind seit 29. April neuer Präsident der Pharmig. Wie geht es Ihnen in dieser Funktion? Ich war bereits seit drei Jahren im Pharmig-Vorstand und seit einem Jahr Vizepräsident. Dadurch war es mir möglich, mich stärker mit den Themen der Pharmig und der Pharmawirtschaft zu befassen, mit denen ich mich nun als Präsident zu beschäfti- gen habe. Wir leben in sehr bewegten Zeiten. In den vergange- nen etwa sieben Monaten haben wir den Rahmenpharmavertrag neu verhandelt. Heuer bezahlen wir den Krankenkassen einen Solidarbeitrag von 125 Millionen Euro zur Deckung der Arznei- mittelkosten. Im kommenden Jahr sowie 2018 beläuft sich unser Beitrag auf jeweils maximal 80 Millionen Euro, abhängig davon, wie stark die Arzneimittelkosten steigen. Politisch akkordiert ist, dass diese Kosten jährlich um drei bis vier Prozent steigen dür- fen. Sehr wichtig ist natürlich auch, weiterhin ein planbares und finanzierungssicheres System zu haben. CR: Wie geht es der österreichischen Pharmaindustrie? Laut dem Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) stieg der Wert der abgesetzten Produkte von 2,13 Milli- arden Euro im Jahr 2014 auf 2,22 Milliarden im vergangenen Jahr. Das ist immerhin ein Plus 4,3 Prozent. Wir gehen für das vergangene Jahr von einem Anstieg der Arz- neimittelkosten von etwa fünf bis 5,4 Prozent aus. Das liegt etwas über dem vereinbarten Korridor. Aber von 2011 bis 2013 lag der Anstieg deutlich unterhalb der im Korridor festgelegten Werte. In Summe haben wir gemeinsam mit den Kostenträgern in den vergangenen Jahren ein sehr gut planbares und überschauba- res Budget zustande gebracht - auch unter Berücksichtigung der neuen Hepatitis-C-Behandlung. Entgegen mancher Vorausschau sind die Arzneimittelkosten nicht explodiert. Wir treten dafür ein, diese Themen gemeinsam frühzeitig zu besprechen. CR: Sie kündigten bei Ihrer Antrittsrede an, die „Benefits“ innovativer Arzneimittel sowie der diesbezüglichen For- schung und Entwicklung stärker kommunizieren zu wollen. Wie wollen Sie vorgehen? In vielen Bereichen ist es wichtig, die Vorteile von Innovationen klar zu machen - nicht nur bei den Kostenträgern, sondern auch bei Ärzten, Apothekern und Patienten. Wir müssen vermitteln, was eine neue Therapie bringt, etwa einen neuen Wirkmechanis- mus, weniger Nebenwirkungen oder eine einfachere Einnahme- form. Das ist gerade für ältere Patienten wichtig und trägt dazu bei, die Adhärenz, also die Therapietreue und Einnahmetreue gemäß der Empfehlung von Arzt und Apotheker, zu verbessern. Diese Aspekte müssen wir natürlich auch im Zusammenhang mit der Kosteneffizienz zeigen. Vielfach bieten wir als Industrie für den niedergelassenen Bereich eine neue Tablette, Pille oder Spritze, die eine spätere Behandlung des Patienten im Spital und eine teure Rehabilitation unnötig macht. Das ist schwer zu ver- mitteln, weil die Kosten aus unterschiedlichen Budgets gedeckt werden. Aber sachlich lässt sich das nicht trennen, weil dieser Nutzen ja der Gesamtbevölkerung zugute kommt. Und das müs- sen wir klar mit Beispielen kommunizieren. CR: Wie viele neue Medikamente brachte die Pharmaindustrie in den vergangenen Jahren auf den österreichischen Markt? Allein 2015 waren es 32 Wirkstoffe, in den fünf Jahren zuvor insgesamt etwa 140. Die Innovationskraft der Industrie ist nach wie vor sehr gut. Gerade im Bereich der Krebsbehandlung sind sehr gute neue Wirkstoffe in den Pipelines und teilweise schon auf den Markt. Dabei geht es auch um „Orphan Drugs“, also The- rapien gegen seltene Erkrankungen, von denen in Österreich manchmal nicht mehr als 20 bis 50 Personen betroffen sind. Natürlich ist die Forschung und Entwicklung der Pharmaindus- trie sehr hochrisikoreich. Bis zu 20 Prozent unseres Umsatzes investieren wir in diesen Bereich. Von bis zu 10.000 Produkten, die wir screenen und über zehn oder zwölf Jahre zur Marktreife zu bringen versuchen, bleibt eines übrig. Das ist für die Phar- maindustrie ein sehr kostenintensives Geschäft. Das schlägt sich dann natürlich auch bei den Preisen der Produkte nieder. CR: Sie sagten bei Ihrer Antrittsrede, Sie wollten den Rah- menpharmavertrag über 2018 hinaus verlängern. Manche Mitglieder Ihrer Branche sehen dabei folgendes Problem: Die jährlichen Zuwendungen der Pharmaindustrie an die Kran- kenkassen hängen von der Entwicklung der Arzneimittelkos- ten ab. Somit steht jedes Jahr aufs Neue die Diskussion über die Kostenentwicklung ins Haus, samt möglicherweise etwas schrilleren Tönen. Beispielsweise attestierte die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, Ingrid Reischl, Ihrer Branche „Raubrittertum“. Für eine solche Polemik sind wir nicht zu haben. Wir wollen transparente Daten und Fakten, damit die Patienten nicht ver- unsichert werden. Deshalb ist es notwendig, mit den Kostenträ- gern regelmäßige Gespräche zu führen und festzustellen, wo wir stehen. Im ersten Quartal beispielsweise belief sich das Wachs- tum der Arzneimittelkosten auf rund 1,2 Prozent. Im Moment sieht es also sehr gut aus. Der Hauptverband der Sozialversiche- rungsträger verlautete ja auch, dass die Krankenkassen heuer voraussichtlich einen Überschuss von rund vier Millionen Euro erwirtschaften werden. Einer der Hauptgründe dafür ist unser Solidarbeitrag. Das zeigt, wir haben ganz gut gearbeitet. Klar ist aber auch: Wir als Industrie werden verstärkt dafür eintreten, dass die Innovationen, die wir auf den Markt bringen, frühzeitig in den Erstattungskodex aufgenommen werden. Mit Hilfe neuer Therapien ist es unter anderem gelungen, die Überlebensdauer bei Brustkrebs von 22 auf 55 Monate zu verlängern. Natürlich müssen wir auch die Sorgen der Kostenträger ernst nehmen. Aber umso notwendiger ist es, gemeinsam festzustellen, wo wir bei der Kostenentwicklung stehen. Planbarkeit ist uns sehr wich- tig, insbesondere weil viele unserer Konzerne börsennotiert sind und ihre Investitionsentscheidungen langfristig planen. CR: Ist die Abhängigkeit Ihrer Zuwendungen von der Koste- nentwicklung keine Schwäche des Rahmenpharmavertrags? Der Beitrag der Pharmaindustrie ließe sich auch per Gesetz festlegen, womit die jährlichen Auseinandersetzungen über die Kostenentwicklung entfallen würden. Es gab bereits einen Gesetzesentwurf des Gesundheitsministeri- ums. Dieser war aus unserer Sicht sehr mangelhaft und hätte Zur Person Mag. Martin Munte ist seit 29. April Präsident der Pharmig. Er begann seine Berufskarriere in der Pharmaindustrie im Jahr 1997, war für Astra Zeneca und Roche tätig und leitet seit Juni 2009 die Amgen GmbH in Österreich.