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Chemiereport_2016-4

Sciences der University of California in Santa Barbara aus seinen wissenschaft- lichen Arbeiten, dass der vielbenützte „Body Mass Index“ (BMI) als Gesundheits- indikator nicht viel taugt. Viele Überge- wichtige würden sich als völlig gesund erweisen, wenn man anstelle des BMI „harte“ physiologische Indikatoren wie Blutdruck, Triglycerid-Werte oder Insu- linresistenz heranzieht. Andererseits gibt es zahlreiche Personen mit niedrigen BMI-Werten, die ein hohes Risiko für kar- diovaskuläre Erkrankungen tragen. Ian Johnson vom Institute of Food Research in Norwich (UK) stellte vieles infrage, was über die Zusammenhänge zwischen Ernährungsgewohnheiten und die Entstehung von Stoffwechselerkran- kungen und Krebs lanciert wird. Derar- tige Zusammenhänge seien auf der Basis solider wissenschaftlicher Arbeit nur schwer nachzuweisen, weil die erforder- lichen Beobachtungszeiten lang seien, oft nur kleine Effekte auftreten und ran- domisierte Studien, wie sie sonst in der klinischen Forschung üblich sind, meist undurchführbar seien – wer stellt sich schon über Jahre einer Studie zur Verfü- gung, um die gesundheitlichen Auswir- kungen eines Diätplans wissenschaftlich zu testen? Medizinische Praktiken, die mehr nützen als schaden Fundamental fiel die Kritik am Gesund- heitssystem aus, die von Teppo Järvinen, Chefchirurg am Central Hospital der Uni- versität Helsinki, kam. Järvinen berichtete über eine große, in den Mayo Clinic Pro- ceedings veröffentlichte Meta-Studie, die 363 Veröffentlichungen zu gängigen medi- zinischen Praktiken unter die Lupe nahm. Erschreckenderweise zeigte sich dabei, dass 146 davon zum Schluss kamen, die jeweils betrachtete medizinische Praxis schadet dem Patienten eher, als sie ihm nützt. Viele Menschen, so Järvinen, wür- den in Behandlungsschemata gedrängt, obwohl sie nicht krank seien. Ein drasti- sches Beispiel stellen die aktuellen Guide- lines für Osteoporose dar, die vorsehen, alle Patienten präventiv zu behandeln, die in den kommenden Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von drei Prozent eine Hüftfraktur erleiden würden. „Das wären 75 Prozent aller Frauen über 65“, gab Jär- vinen zu bedenken. Dass manche „Krankheiten“ eine der- artige gesellschaftliche Karriere machen, wurde auf dem Podium auch darauf zurückgeführt, dass sowohl Ärzte als auch die Öffentlichkeit schlecht mit statisti- schen Aussagen zu Chancen und Risiken umgehen können. Das stehe dem Greifen Evidenz-basierter Ansätze im Wege, wie Gerald Gartlehner von der Donau-Uni- versität Krems anmerkte. Aber auch wirt- schaftliche Interessen – von Spitalsbe- treibern und Ärzten ebenso wie von den Arzneimittelherstellern – würden Zugang zu „sauberem Wissen“ erschweren. Die Diskussion blieb aber nicht bei Schuldzu- weisungen stehen, sondern drang zuwei- len auch in die gesellschaftlichen Tie- fen vor: Es habe sich ein Ideal des „Für immer jung“ verbreitet, das Alter zuneh- mend mit Krankheit verwechsle, wie Ursula Schmidt-Erfurth, Ophthalmologin und Vizepräsidentin des Forums Alpbach anmerkte. Verständlicherweise waren die in Alp- bach anwesenden Vertreter der phar- mazeutischen Industrie nicht mit allen Aussagen auf dem Podium glücklich. Besonders Gartlehners Kritik daran, dass ein Großteil der Ärzte-Weiterbildung von der pharmazeutischen Industrie finan- ziert werde, stieß Pharmig-Generalsekre- tär Jan Oliver Huber sauer auf. Es gebe nur sehr wenig öffentlich finanzierte Wei- terbildung, zudem könne man ja wissen- schaftlich fundiertes Wissen vorweisen. Man beanspruche aber keineswegs ein Monopol auf diesem Gebiet und suche die Kooperation mit anderen Einrichtungen, etwa Sozialversicherungen. Scientific Wellness? Nicht alle Vortragenden der Alpba- cher Gesundheitsgespräche vertraten indes einen derart vorsichtigen Zugang zur medizinischen Praxis. Leroy Hood, Gründer und Präsident des „Institute for Systems Biology“ in Seattle, verkündete in typisch nordamerikanischem Missi- onsgeist, wie durch das Zusammenwir- ken von Genom- und Mikrobiomanalyse, permanentes „Self Tracking“ gesundheits- bezogener Maßzahlen sowie genaue und regelmäßige Labortests eine neue Medi- zin in Gang gesetzt werden soll, die nicht erst dann einsetzt, wenn eine Krankheit bereits ausgebrochen ist. „Scientific Well- ness“ ist das Zauberwort, das Hoods Ziele zusammenfasst: die wissenschaftliche Objektivierung des Wohlbefindens eines individuellen Patienten. So mancher emp- fand derartige Vorstöße aber als weitere Ausbreitung eines medizinischen Sys- tems, das nicht weit von der Bevormun- dung der Menschen entfernt ist. „Wer bestimmt, was wessen Wellness ist? Und darf man sich künftig auch noch bewusst dafür entscheiden, nicht ‚well‘ sein zu wollen?“, fragte etwa die Künstlerin und Biohackerin Heather Dewey-Hagborg, die sich in ihren Interventionen kritisch mit den Möglichkeiten einer Analyse unserer allgegenwärtigen DNA-Spuren beschäf- tigt. AustrianLifeSciences chemiereport.at 2016.6 MÄRKTE & MANAGEMENT

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