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Chemiereport_2016-4

Bilder: Chemiereport.at 69 AustrianLifeSciences chemiereport.at 2016.6 SERVICE D er Mensch hat fünf Sinne? Die Sinnesphysiologie hat die alte Aufzählung Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken schon lange um einige Ein- träge erweitert. Es gibt Gleichgewichts- und Schmerzwahrnehmung, man kennt innere Sinne, die uns Hunger- und Durstgefühl ver- mitteln oder ermöglichen, dass wir unsere eigenen Organe „spüren“. Mysteriöser ist, was von alters her als „sechster“ oder auch „siebenter“ Sinn bezeichnet wird. Vielfach wird von der Fähigkeit von Tieren berich- tet, Erdbeben oder Vulkanausbrüche vor- auszuahnen. Manchen Menschen wird eine Vorausahnung unheilvoller Ereignisse zuge- sprochen, viel wird über Telepathie und parapsychologische Phänomene behauptet. Werner Müller nähert sich diesem Themen- kreis aus der Sicht eines naturwissenschaft- lich arbeitenden Biologen. Bei näherem Nachfragen erstaunt schon die Tatsache, dass Sinnesempfindung an den richtigen Ort verlegt werden: Wir hören Musik von einem Instrument her kommen, spüren den Schmerz am Knie – obwohl beides, phy- siologisch gesehen, doch Aktivitäten unseres Gehirns sind. Müller arbeitet sich durch eine Vielzahl an Phä- nomenen – von inneren Uhren bis zu Sondersinnesleistungen von Tieren (die etwa Infraschall oder feinste Vorschwingungen von Erdbeben wahrneh- men können). Vieles der besonderen Nähe zwischen einem Haustier und seinem Halter kann durch Körpersprache und Mimik erklärt werden, Mentalisten achten auf kleinste Bewe- gungen und Änderungen des Ausdrucks – in all dem muss noch keine „übersinnliche“ Begabung stecken. Für viele Berichte über Telepathie oder Hellseherei fehlen dem Wis- senschaftler aber die wiederholbaren experi- mentellen Situationen, die eine Behauptung überprüfbar machen. Müller ist aber Wissenschaftler genug, um zu erkennen, dass das Geheimnisvollste über- haupt das Bestehen eines Bewusstseins ist. Kein physikalisches oder chemisches Gesetz mache überhaupt Aussagen über eine „men- tale Innenwelt“, es könnten höchstens Korrela- tionen gezeigt werden. Eine Theorie, die erklä- ren würde, wie mentale Phänomene unter Bewahrung der naturwissenschaftlichen Gesetze möglich sind, sei noch ausständig. Für Sie gelesen Sinne und Übersinne Von Georg Sachs U nsere Gesellschaft fällt hinter ein erreichtes soziales Entwicklungsniveau, das von ausgeprägter sozialer Integration, relativer Gleichheit und sozialen Bürgerrechten geprägt war, zurück, und das obwohl ihr Gesamtwohlstand weiter wächst“, befindet der Frankfurter Soziologe Oliver Nachtwey in seinem neuen Buch „Die Abstiegsgesellschaft – Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne“. Das Konzept, durch Wirtschaftswachstum Wohlstand und soziale Sicherheit „für alle“ zu gewährleisten, funktioniert nicht mehr. Prekäre Beschäf- tigungsverhältnisse sind mittlerweile „als relevanter Teil des Arbeitsmarktes instituti- onalisiert“. Damit sind die westlichen Indus- triegesellschaften „in ihrer Grundtendenz zu Gesellschaften des Abstiegs, der Prekarität und Polarisierung geworden“. Und „unter der Oberfläche einer scheinbar stabilen Gesell- schaft erodieren seit Langem die Pfeiler der sozialen Integration, mehren sich Abstürze und Abstiege“. Ganz im Sinne des Marktes, der zur „Referenz für alle Lebensbereiche“ gewor- den ist, wird dies jedoch nicht als systemisches Problem gesehen, sondern als selbst verschul- detes Scheitern des Individuums, das entspre- chend stigmatisiert und sanktioniert wird. Angela Merkels „marktkonforme Demokratie“ ist aus den Fugen geraten. Seinen Ausdruck findet dies nicht zuletzt in Protestbewegungen wie Pegida, deren Teilnehmer sich als „ganz normale Bürger, die sich Sor- gen machen“, verstehen, dabei jedoch auto- ritäre Ressentiments vertreten. Eine Lösung habe auch die politische Linke nicht zu bie- ten: Sie sei „zu einer im Grunde konservati- ven ‚Nachhut‘ geworden“. Nachtweys Folge- rung: „Was fehlt, sind plausible Visionen und mobilisierende Utopien; übrig bleiben Ideen für das permanente Krisenmanagement der rasend-stillstehenden Gesellschaft“. Als Resig- nation versteht Nachtwey dies indessen nicht: Es handle sich um einen Anstoß zum Nach- denken darüber, „wie auf den Prozess einer regressiven Modernisierung eine solidarische Moderne folgen könnte“. Nicht zuletzt deshalb ist sein Buch zu empfehlen. Wider die „Abstiegsgesellschaft“ Von Klaus Fischer Nachtwey, Oliver: „Die Abstiegsgesellschaft - Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016 (= edition suhrkamp 2682) Werner Müller: „Gibt es einen 7. Sinn?" Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg, 2016 „Unter der Oberfläche einer scheinbar stabilen Gesellschaft erodieren seit Langem die Pfeiler der sozialen Integration.“ „

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