Archive - Okt 29, 2006

Auftrag an das Pharma-Bizz: <br>Von anderen Industrien lernen!

Der Chemie Report sprach mit Gert Mølgaard, dem Präsidenten der International Society of Pharmaceutical Engineers (<a href=http://www.ispe.org>ISPE</a>). Er schildert die Notwendigkeit, sich von allzu konservativen Denkmustern in der Pharma-Industrie verabschieden zu müssen. <% image name="ISPE_Molgaard" %><p> <small> Gert Mølgaard: „Die Pharmaindustrie hat den Auftrag, effektiver zu werden, damit Medikamente auch künftig leistbar bleiben. Generika-Hersteller und Biotechs zeigen dabei vor, was Cost Effectiveness bedeuten kann.“ </small> <i>Die Pharmabranche schwärmt vom Potenzial der neuen technologischen Errungenschaften in der Biopharmazie, ihre F&E-Pipeline hat aber dennoch einen immer geringeren Output. Wohin geht der Trend in der Pharmaindustrie – wohin muss er gehen?</i> Die Pharmabranche ist ein extrem konservativer Industriezweig, der von einer wirklich effektiven Forschung und Produktion noch weit entfernt ist. Die Pharmaindustrie selbst als auch FDA und EMEA haben dieses Dilemma erkannt – sie verstehen bereits, dass eine allzu strikte Pharma-Regulierung die Innovation in dieser Industrie überaus schwierig – mitunter zu schwierig – gestaltet. Was wir derzeit erleben, ist eine Annäherung der Produktionsmethoden in der Pharmaindustrie an die Chemieindustrie. Waren früher die beiden Produktionszweige Pharma und Chemie meist in denselben Unternehmen organisiert, sind sie heute meist getrennt aufgestellt. Eine wissenschaftlich untermauerte Produktion hat aber meistens die Chemie entwickelt, der Pharmasektor ist dagegen weitgehend noch im empirischen Stadium. Erst langsam nimmt auch hier ein deutlich Wissenschafts- und Risiko-orientierterer Ansatz Gestalt an. <i>Mit international harmonisierten Standardisierungsbemühungen soll dem nun begegnet werden?</i> Der Ansatz des ,Scientific Process Control’ in der Pharmaindustrie braucht sowohl wissenschaftliche Produktionsmethoden als auch den flexiblen Einsatz eines neuen Mess-Instrumentariums. Die Standards für den Einsatz dieser modernen Prozess- und Analysen-Technologien (PAT – Process Analytical Technology) sind langsam im Aufbau begriffen, wobei die USA der Vorantreiber sind, die EU und Japan diese Bemühungen aber voll unterstützen. Dafür wurde die International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (<a href=http://www.ich.org>ICH</a>) ins Leben gerufen. Ihr Ansatz ist in 3 Guidelines beschrieben: Q8 (Pharmazeutische Entwicklung), Q9 (Risk Management) sowie Q10 (Quality Management). Zudem arbeitet derzeit das E55-Commitee der American Society for Testing and Materials (<a href=http://www.astm.org>ASTM</a>) 15 bis 20 konkrete Implementierungs-Standards für den Einsatz von PAT in der Pharmaindustrie aus. <i>Wie wird dabei verfahren?</i> Es ist ein steter Verbesserungsprozess, in den sich die Pharmaunternehmen laufend einbringen. Dabei schaut man sich sehr viel von anderen Industrien ab – von der Lebensmittelbranche, der Chemie-Industrie, den Autobauern – und adaptiert deren effektive Produktionsprinzipien auf die Bedingungen des Pharmageschäftes. <i>Wann dürfen wir mit einem ,fertigen’ Konvolut rechnen?</i> Dieser Prozess endet nicht an einem bestimmten Datum, aber ich denke, dass die Pharmaindustrie in 1 bis 2 Jahren soweit sein wird, ihre eigenen Standards im wesentlichen vorlegen zu können. All diese Bemühungen sollen letztlich innerhalb der nächsten 5 bis 10 Jahre ein neues Paradigma in der Pharmaindustrie festigen. Bis dato dachten die Pharmaunternehmen streng nach dem Muster: ,Bekommt ein Wirkstoff den regulatorischen Segen, dann muss dessen Produktion künftig strikt dem zugelassenen Weg folgen.’ Diesen Konservatismus will man aufbrechen – und diese Entwicklung versucht die ISPE maßgeblich zu unterstützen. <i>Was soll künftig gelten?</i> Künftig soll ein wesentlich gestraffterer Zulassungsprozess gelten. Letztlich sind Sicherheit und Wirkung die Performance-Indikatoren von Medikamenten. Und diese gilt es, einfach schneller zu messen, zu demonstrieren. Das ist der neue Risiko- und Science-orientierte Ansatz: Ein neues Toolkit mit den Erkenntnissen aus den Grundlagenwissenschaften wird auch anwendbar – so lassen etwa Biomarker, Bioinformatik sowie ein radikal besseres Zell- und Genomverständnis die klinische Evaluationszeit wesentlich reduzieren. Und das ist auch das Ziel der ,Critical Path’-Initiative der FDA. Darüber hinaus sollen nicht die Regulierungsbehörden eine Überfülle an Vorgaben diktieren, sondern einen von der Pharmaindustrie selbst definierten ,Design-Space’ für eine Produkt-Prozess-Kombination akzeptieren. <i>Bessere und billigere Medikamente dank angewandter Grundlagenforschung also?</i> Noch einmal: Diese Industrie arbeitet zur Zeit ineffektiv und hat daher sehr große Rationalisierungspotenziale. Vergleichen Sie etwa die Pharma- mit der Auto- oder Halbleiterindustrie. Dort wird in der Produktion längst jedes Produkt und nicht nur einige wenige Samples analysiert – etwas, das im Pharma-Bereich dank neuer Technologien wie Near Infrared Reflection (NIR) erst vereinzelt Einzug hält: Bei AstraZeneca in Plankstadt, bei Merck in Darmstadt etwa hat man damit bereits angefangen. <i>In Österreich heißen die Pharmagrößen Boehringer Ingelheim, Sandoz und Baxter. Ich will nicht so recht glauben, dass deren Produktionsanlagen ,unheimlich ineffektiv’ sind?</i> Hier nennen Sie in der Tat Produktionsanlagen, die nicht voll in das skizzierte Bild passen und bereits sehr gut aufgestellt sind. Insbesondere Sandoz und Boehringer Ingelheim haben bereits entscheidende Schritte in der PAT-Implementierung gesetzt. Und Sandoz zeigt wie viele andere Generika-Hersteller derzeit vor, was Cost Effectiveness bedeutet. <i>Was kann Software noch in der Pharma- Produktion bewirken?</i> Neue Messgeräte schaffen eine bessere Performance. Und damit öffnen sich neue Prozessfenster. Sterilität als solche lässt sich noch nicht messen. Zahlreiche andere Parameter aber sehr wohl, deren Ober- bzw. Untergrenze die Industrie selbst definieren soll. Zudem halten sowohl in der Forschung als auch in der Produktion neue Tools und Anwendungen für multivariable Daten-Analysen Einzug. <i>Deutlich mehr Freiheitsgrade für die industrielle Pharmaproduktion – wie passt das zur heutigen Praxis, wo das Design eines Reinraumes bis ins Letzte vorgeschrieben wird? Die Regulierungswut von FDA und EMEA wird also wirklich abnehmen?</i> Das wirtschaftliche Verstehen nimmt zu. Und hinzu kommt, dass neue Technologien wie die Barrier Technology bestimmte Regulierungen schlicht obsolet macht: Dabei wandert der Reinraum gewissermaßen in die Maschine. Deutsche Ausrüster wie Bosch sind dabei führend. <i>Bei alldem: Der Komplexitätsgrad der Wirkstoff-Synthesen nimmt dramatisch zu. Kann es gelingen, mit präziserer Methodik und gelockerter Regulierung hier mitzuhalten?</i> Die Wirkstoffentwicklung besteht in der Zukunft weniger aus chemischen Synthesen (wie in der Chemie) für neue Medikamente, sondern im Füttern von Mikroorganismen für Biopharmazeutika. Die neuen Produkte werden viele Biopharmazeutika sein, wo die Anforderungen wieder völlig andere sind und weniger im Komplexitätsgrad der Verbindungen begründet sind. Und da die neuen Produkte eher Proteinen ähneln, also nicht als Tabletten verabreicht werden, müssen sie entweder als sterile Flüssigkeiten oder mit Hilfe der Lyophilisation – der Gefriertrocknung – hergestellt werden. <i>Mit welchen Anschaffungskosten muss die Pharma-Industrie kalkulieren, um das Risiko-orientierte Paradigma ausleben zu können? Lässt sich ein Trend in Richtung flexiblerer Anlagen ausmachen?</i> Neue Technologien sind naturgemäß teuer, sie sorgen aber auch für massive Einsparungen – vor allem dann, wenn sie mit modernen Herstellungs-Prinzipien wie Lean Production kombiniert werden. Was die Flexibilität anlangt: Die meisten Bioreaktoren können für wesentlich mehr Produkte eingesetzt werden. Sofern die Mikroorganismen dieselben bleiben, lässt sich im gleichen Reaktor eine Vielzahl an Wirkstoffen herstellen. Daher geht der Trend eindeutig zu mehr Produkten je Anlage, aber auch zu geringeren Batch-Größen. Die Marschroute in die Zukunft zeigt in Richtung individualisiertes Tissue- und Cell Engineering. <i>Und die Pharma-Industrie hat den Auftrag, diese maßgeschneiderten Reaktionen effizient genug ablaufen zu lassen, damit am Ende leistbare Biopharmazeutika für alle stehen?</i> Das ist insbesondere Teil der FDA-Vision in der ,Critical Path’-Initiative. Die ISPE will an dieser Vision als weltweit agierende Organisation mitarbeiten – gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen, die sich unter anderem auch in Österreich, Deutschland und der Schweiz befinden. <small> Die FDA hat bereits 2004 bei der Analyse des „Pipeline-Problems“ – der Verlangsamung anstatt einer Beschleunigung in der medizinischen Wirkstoffentwicklung trotz effektiverer Technologien – festgestellt: Die Grundlagen-Wissenschaften sind der angewandten Forschung in der Medizin zu weit vorausgeeilt. Ergo: Neue Prognose-Tools sollen die auf 8 % abgesunkene Erfolgsrate (jene Phase I-Kandidaten, die es bis zu Marktreife schaffen) wieder deutlich nach oben heben. </small> Auftrag an das Pharma-Bizz: <br>Von anderen Industrien lernen!